Verbrechen der Wehrmacht
Verbrechen der Wehrmacht bezeichnet die Beteiligung der Deutschen Wehrmacht an den Verbrechen des NS-Regimes. Diese Verstrickung betraf erhebliche Teile der Wehrmachtsführung und der Generalität sowie einer unbekannten Zahl einzelner Soldaten.
Die Wehrmacht als Teil des NS-Regimes
Die von Wehrmachtsangehörigen verübten Kriegsverbrechen waren großenteils Bestandteil der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik und Rassenideologie. Das Oberkommando der Wehrmacht, der Wehrmachtführungsstab sowie einzelne Generale wie Reichenau, Manstein u.a. waren für die propagandistische Indoktrination der Truppenkommandeure zuständig und daher für deren Taten verantwortlich. Das entband die Ausführenden, soweit es um Verbrechen ging, allerdings nicht von deren eigener Verantwortung. Durch das Militärstrafgesetzbuch (MStGB), die Kriegsstrafrechtsverordnung (KStVO) und die Kriegssonderstrafrechtsverordnung (KSSVO) waren Vergehen gegen die "Manneszucht", das heißt insbesondere Plünderung und Vergehen gegen die Zivilbevölkerung mit schweren Strafen (Festungshaft oder Todesstrafe) bewehrt. Auch nach geltendem Recht waren die Verbrechen, in die Wehrmachtangehörige verwickelt waren, strafbar. Allerdings wurden diese Gesetze in ganz wesentlichem Umfang praktisch außer Kraft gesetzt, wie unten anhand des so genannten Kriegsgerichtsbarkeitserlasses ausgeführt ist.
Verbrechen von Wehrmachtsangehörigen gab es vor allem an der Ostfront. Die Wehrmacht war an folgenden Verbrechen beteiligt:
- Bombardierung Guernicas,
- Massakern und Massenerschießungen wie in Babi Jar,
- völkerrechtswidrige Behandlung von sowjetischen Kriegsgefangenen,
- völkerrechtswidrige Erschießungen von Angehörigen der sowjetischen Streitkräfte,
- teilweise Zusammenarbeit mit SS-Einsatzgruppen bei der Judenvernichtung und bei Massenmorden.
Der Kommissarbefehl
Sowjetische Kommissare (höhere Offiziere bzw. Parteifunktionäre) wurden aufgrund des so genannten Kommissarbefehls vom 6. Juni 1941 widerrechtlich hingerichtet. Den Befehl hatte General Walter Warlimont im Auftrag des Chefs des Oberkommandos der Wehrmacht unterzeichnet: Er erklärte, dass „im Kampf gegen den Bolschewismus (...) insbesondere gegenüber den politischen Kommissaren (...) eine Schonung und völkerrechtliche Rücksichtnahme (...) falsch ist (...) Sie sind daher, wenn im Kampf oder Widerstand ergriffen, grundsätzlich sofort mit der Waffe zu erledigen.“ Wieweit der Kommissarbefehl zur Anwendung kam, wird unten erläutert.
Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener und der Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten
Adolf Hitler hatte bereits im Vorfeld des Angriffs auf die Sowjetunion in einem Vortrag am 30. März 1941 vor etwa 250 Generälen der Wehrmacht den kommenden Krieg als „Kampf zweier Weltanschauungen“ bezeichnet und verlangt, „von dem Standpunkt des soldatischen Kameradentums abzurücken“. Demgemäß sah der im Auftrag Hitlers von Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel unterzeichnete so genannte Kriegsgerichtsbarkeitserlass vom 14. Mai 1941 vor, dass
- Straftaten feindlicher Zivilpersonen der Zuständigkeit der Kriegsgerichte und Standgerichte bis auf weiteres entzogen wurden,
- Freischärler „durch die Truppe im Kampf oder auf der Flucht schonungslos zu erledigen sind“,
- auch "alle anderen Angriffe feindlicher Zivilpersonen (...) auf der Stelle mit den äußersten Mitteln bis zur Vernichtung des Angreifers niederzumachen sind"
- es „ausdrücklich verboten wird, verdächtige Täter zu verwahren, um sie (...) an die Gerichte weiterzugeben“.
Zur Absicherung der Täter sah der Erlass vor, dass für „Handlungen, die Angehörige der Wehrmacht (...) gegen feindliche Zivilpersonen begehen, kein Verfolgungszwang besteht, auch dann nicht, wenn die Tat zugleich ein militärisches Verbrechen (...) ist“. Generalleutnant Hermann Reincke - ihm unterstand die Abteilung Kriegsgefangene im OKW - erläuterte dies für seinen Bereich in einem Grundsatzbefehl vom 8. September 1941 dahingehend, dass der „Waffengebrauch gegenüber sowjetischen Kriegsgefangenen in der Regel als rechtmäßig gilt“.
In einer Besprechung der Chefs des Generalstabs der 18. Armee am 13. November 1941 wurde festgehalten: „Nichtarbeitende Kriegsgefangene in den Gefangenenlagern haben zu verhungern.“
Durch Wehrmachtssoldaten wurden Vergewaltigungen und Plünderungen und Zerstörungen von Wohnhäusern, zivilen Gebäuden und Kirchen durchgeführt, was nach dem geltenden Wehrmachtsstrafrecht strafbar war. Gegen diese Taten wurde kriegsrechtlich vorgegangen. Zwischen 1939 und 1945 wurden 84356 Gefängnisstrafen über einem Jahr von der Wehrmachtjustiz verhängt, auch gegen Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung.
Für die Wehrmachtssoldaten wurden in den annektierten Gebieten Frauen und Mädchen gezwungen, in Wehrmachtsbordellen als Zwangsprostituierte zu arbeiten, was der Praxis von Zwangsbordellen in den Konzentrationslagern entsprach. Wenn die Frauen dabei erkrankten, wurden sie zumeist erschossen. Entschädigungen haben die Zwangsprostituierten im Gegensatz zu den Zwangsarbeitern bisher noch nicht erhalten; zudem wird dieser Opferkreis in der deutschen Öffentlichkeit nur selten erwähnt.
Beteiligung der Wehrmacht an der so genannten Endlösung
Eine wichtige Etappe auf dem Weg zur so genannten Endlösung ist ein dritter Erlass. Am 17. Juli 1941 ordnete die Abteilung Kriegsgefangene im Oberkommando der Wehrmacht nach einer Vereinbarung mit Reinhard Heydrichs Reichssicherheitshauptamt die Auslieferung von „politisch untragbaren“ Gefangenen an Einsatzkommandos der Sicherheitspolizei und des SD an. Nach den Ausführungsrichtlinien Heydrichs vom selben Tage waren mit „politisch untragbaren Gefangenen“ die bedeutenden Funktionäre des Staates, die leitenden Persönlichkeiten der Zentral- und Mittelinstanzen bei den staatlichen Behörden, die führenden Persönlichkeiten des Wirtschaftslebens, die „sowjetischen Intelligenzler“ und alle Juden gemeint.
Zur psychologischen Erleichterung für die Soldaten und Förderung der Massenmorde und Verbrechen an Zivilisten und Juden wurden Juden und Partisanen gleichgesetzt. Typisch hierfür ist ein Befehl von Generalfeldmarschall Walter von Reichenau vom 10. Oktober 1941, wonach „der Soldat für die Notwendigkeit der harten aber gerechten Sühne am jüdischen Untermenschentum volles Verständnis haben muss, da Erhebungen im Rücken der Wehrmacht (...) erfahrungsgemäß stets von Juden angezettelt wurden.(...) Immer noch werden heimtückische, grausame Partisanen und entartete Weiber zu Kriegsgefangenen gemacht (...) und wie anständige Soldaten behandelt und in die Gefangenenlager abgeführt. (...) Ein solches Verhalten der Truppe ist nur noch durch völlige Gedankenlosigkeit zu erklären.“. Poeppel (s.Literaturverzeichnis), ein Kritiker der so genannten Wehrmachtsausstellung, will damit darlegen, dass die Fronttruppe Zivilpersonen in aller Regel entsprechend dem Erlaubten behandelte und planmäßige Übergriffe und Kriegsverbrechen die Ausnahme waren.
(Damals) General Erich von Manstein bezeichnete in einem Befehl vom 20. November 1941 „das Judentum als den Mittelsmann zwischen dem Feind im Rücken und den noch kämpfenden Resten der Roten Wehrmacht und der Roten Führung (...) Das jüdisch-bolschewistische System muss ein für alle mal ausgerottet werden.“.
Generaloberst Hermann Hoth formulierte dies in einem Armeebefehl der 17. Armee vom 17. November 1941 wie folgt: „Es ist die gleiche jüdische Menschenklasse (...). Ihre Ausrottung ist ein Gebot der Selbsterhaltung“.
Kein Soldat der Wehrmacht wurde zur Teilnahme an entsprechenden Vernichtungsaktionen gezwungen, bei lautstarken Protesten höherer Offiziere war dagegen eine Ablösung die Regel (so der Oberbefehlshaber Ost Generaloberst Johannes Blaskowitz, als er gegen die Behandlung der Zivilbevölkerung und die Judenverfolgung in Polen protestierte).
Zahlen
Während der vorgenannte Kommissarbefehl nach Streit wohl "nur" einige Tausend Opfer verlangte, kostete der letztgenannte Befehl der Auslieferung an den SD etwa 500.000 bis 600.000 Gefangene das Leben.
Insgesamt fielen nach einer Schätzung von Christian Streit 3,3 Millionen sowjetische Kriegsgefangene dem einkalkulierten Tod zum Opfer, das sind 57% aller in deutsche Kriegsgefangenschaft geratenen Rotarmisten. Zwei Millionen waren, weil sie gar nicht als Menschen behandelt werden sollten und deshalb auch allenfalls mangelhafte Vorbereitungen für ihre Aufnahme in Lagern getroffen worden waren, bereits vor Frühjahr 1942 tot. Die Todesrate der von der Wehrmacht gefangen genommenen englischen und amerikanischen Soldaten beträgt demgegenüber etwa 3,5 %.
Wilhelm Keitel und die in dem Nürnberger Prozessen mitangeklagten Militärs haben versucht, das Massensterben auf die Unmöglichkeit zurückzuführen, die immensen Gefangenenmassen zu versorgen. Dies wird in der historischen Forschung als unzutreffende Verschleierung gewertet.
Rezeption des Verhaltens der Wehrmacht
Die Wehrmacht konnte sich zunächst vor einer nationalsozialistischen Indoktrination schützen, was auch Mitgliedern der Verschwörung des 20. Juli 1944 Möglichkeiten bot. Doch die SS und die NSDAP versuchten zunehmend, das Militär zu politisieren. Gegen Kriegsende wurden jedem Truppenteil „NS-Führungsoffiziere“ zugeordnet, deren Bedeutung jedoch gering war. Typisch war in der oberen Wehrmachtführung jedoch bis zum Schluss der unpolitische Technokrat, der sich auf sein militärisches Fachgebiet beschränkte und moralische und politische Fragen ignorierte oder verdrängte. Der britische Historiker Christopher Browning hat manche in der Wehrmachtsausstellung als verbrecherisch präsentierte Maßnahmen etwa gegen den serbischen Partisanenkrieg als „realitätsnahe“ Antwort bezeichnet, um „eine militärische Katastrophe“ zu vermeiden. Auch heute wird das Verhalten von Partisanen (Hinterhalte, Tarnung als Zivilpersonen, Missbrauch von Abzeichen etc.) als völkerrechtswidrig gewertet. „Die Aufgabe von Berufssoldaten war es, ihr Vaterland gegen Feinde zu verteidigen, es stand ihnen nicht zu, ihr Urteil und ihre Loyalität von der Politik der Regierung abhängig zu machen, die diese Feinde schuf.“
In den Nürnberger Prozessen wurde die Wehrmacht trotz ihrer Beteiligung an Kriegsverbrechen nicht zur verbrecherischen Organisation erklärt. Führende Offiziere wie Wilhelm Keitel wurden allerdings als Hauptkriegsverbrecher angeklagt, für schuldig befunden und zum Teil hingerichtet.
Die umstrittene Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung dokumentierte für ein breites Publikum, dass auch Wehrmachtssoldaten aktiv an Hinrichtungsaktionen von Zivilisten und Widerstandskämpfern sowie am Völkermord gegen Juden beteiligt gewesen waren. Sie hatten Massengräber ausgehoben sowie Erschießungen und Vergeltungsaktionen an Zivilisten durchgeführt. Diese Ausstellung griff das bis dahin in Deutschland vorherrschende Bild einer 'sauberen', rein auf das militärische beschränkten Wehrmacht an. Jedoch wurden in der ersten Fassung der Ausstellung auch Exponate von Verbrechen gezeigt, die die Wehrmacht nicht begangen hatte. Nach dem Protest eines polnischen und eines ungarischen Historikers wurden die Exponate überprüft und die Ausstellung entsprechend wissenschaftlicher Ansprüche überarbeitet.
Die starre Durchführung von Durchhaltebefehlen (zum Beispiel bei der Schlacht um Stalingrad) kostete vielen deutschen Soldaten vermeidbar das Leben. Generäle, die sich diesen fast immer von Hitler persönlich gegebenen Befehlen widersetzten, wurden meistens abgelöst, aber nicht weiter belangt. Generalfeldmarschall Erwin Rommel schadete demgegenüber sein eigenmächtiges Ausweichen in Afrika 1942 ebenso wenig wie der taktische Rückzug des Waffen-SS-Generalobersten (!) Paul Hausser 1943 vor der Wiedereinnahme von Charkiw.
Andererseits sind die Ereignisse vom 20. Juli 1944 wesentlich von einigen Angehörigen des Offizierkorps getragen worden, von denen jedoch einige ebenfalls zunächst die Machtübernahme der Nationalsozialisten begrüßt hatten und die an Hitler nur seine falsche Militärstrategie, nicht aber seine Ziele und Methoden kritisierten. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg gab es jedoch militärischen Widerstand im Zusammenhang mit der sogenannten Sudetenkrise 1938.
Literatur
- Manfred Messerschmidt: Die Wehrmacht im NS-Staat. Zeit der Indoktrination, Hamburg, 1969
- Georg Tessin: Deutsche Verbände und Truppen 1918-1939, Osnabrück, 1974
- Rudolf Absolon: Die Wehrmacht im Dritten Reich, 1969-1995 (6 Bände)
- Rolf-Dieter Müller (Hg.): Die Wehrmacht. Mythos und Realität, München, 1999, ISBN 3-486-56383-1
- Hans Adolf Jacobsen: Kommissarbefehl und Massenexekutionen sowjetischer Kriegsgefangener in: Martin Broszat/Hans-Adolf Jacobsen/Helmut Krausnick, Anatomie des SS-Staates, Band 2 ISBN 3-423-02916-1
- Christian Streit: Die Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen und völkerrechtliche Probleme des Krieges gegen die Sowjetunion in: Gerd R. Ueberschär/Wolfram Wette, "Unternehmen Barbarossa". Der deutsche Überfal auf die Sowjetunion, 1984, ISBN 3-506-77468-9
- Hannes Heer: Stets zu erschiessen sind Frauen, die in der Roten Armee dienen, 1995 ISBN 3-930908-06-9
- Martin van Creveld: Kampfkraft.Militärische Organisation und militärische Leistung 1939-1945 , Verlag Rombach Freiburg, 1989, ISBN 3-7930-0189-X
- Philippe Masson: Die Deutsche Armee. Geschichte der Wehrmacht 1935-1945, 1994/96, ISBN 3-7766-1933-3
- Hans Poeppel, W.-K. Prinz v. Preußen, K.-G. v. Hase, Die Soldaten der Wehrmacht, 1998, ISBN 3-77662-057-9