Dieser Artikel bezieht sich auf die Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Für den Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes siehe Bundeskanzler (Norddeutscher Bund). Ebenfalls verfügbar ist der Artikel Bundeskanzler (Österreich)
Der Bundeskanzler ist der deutsche Regierungschef: Er bestimmt die Bundesminister und die Richtlinien der Politik der Bundesregierung. Der Bundeskanzler ist faktisch der mächtigste deutsche Politiker. Protokollarisch ist er der dritthöchste Mann im Staat, nach dem Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland, dem Bundespräsidenten, und dem Bundestagspräsidenten. Der Bundeskanzler wird vom Bundestag gewählt und kann vor Ablauf der Amtszeit nur durch ein konstruktives Misstrauensvotum abgelöst werden. Derzeitiger Bundeskanzler ist der SPD-Politiker Gerhard Schröder.
Verfassungsrechtliche und politische Stellung
Geschichtlicher Hintergrund
Schon im Norddeutschen Bund wurde der Regierungschef "Bundeskanzler" genannt, im Kaiserreich und in der Weimarer Republik dann Reichskanzler. Nur in der kurzen verfassungslosen Zeit 1918/19 (Vorsitzender des Rates der Volksbeauftragen bzw. Ministerpräsident), während der Besatzungszeit (als es gar keinen Regierungschef gab) und später in der DDR (Ministerpräsident) trug der Regierungschef nicht die Amtsbezeichnung "Kanzler". Allerdings ist der Reichskanzler von Kaiserreich und Weimarer Republik in Bezug auf die Befugnisse und die verfassungsrechtliche Stellung nicht mit dem Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu vergleichen.
Der Reichskanzler des Kaiserreiches war dem Kaiser direkt verantwortlich, der ihn ernannte und entließ. Der Reichstag hatte kein Mitspracherecht. Der Reichskanzler war damit völlig vom Kaiser abhängig; ferner hatte er keinen unmittelbaren Einfluss auf die Gesetzgebung, er durfte in seiner Eigenschaft als Reichskanzler nicht einmal vor dem Reichstag sprechen.
Auch der Reichskanzler der Weimarer Republik wurde vom Reichspräsidenten ernannt und entlassen. Ferner musste er zurücktreten, wenn der Reichstag ihm das Vertrauen entzog. Der Reichskanzler war damit sowohl vom Reichspräsidenten als auch vom Reichstag abhängig. Auch wenn Artikel 56 der Weimarer Verfassung fast exakt mit den ersten beiden Sätzen des Artikels 65 des Grundgesetzes übereinstimmt: "Der Reichskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür gegenüber dem Reichstag die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Reichsminister den ihm anvertrauten Geschäftszweig selbständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Reichstag.", so war doch die Verfassungswirklichkeit zumindest in der Spätphase mit ihren Präsidialkabinetten eine andere. Durch die starke Abhängigkeit vom Vertrauen des Reichspräsidenten und durch die Abwahlmöglichkeit des Reichstages, der nicht gleichzeitig einen Nachfolger bestellen musste, saß der Reichskanzler zwischen allen Stühlen. Insbesondere das Missverhältnis zwischen der Ernennung durch den Reichspräsidenten und der Verantwortlichkeit gegenüber dem Reichstag war später Kritikpunkt. Dieser Konstruktion der Weimarer Verfassung mit einem starken Reichspräsidenten und einem schwachen, in Krisenzeiten nicht allein handlungsfähigen Reichskanzler wird eine Mitschuld daran gegeben, dass die Weimarer Republik 1933 mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und der anschließenden Etablierung des nationalsozialistischen Einparteienstaates faktisch beendet wurde.
Der Parlamentarische Ausschuss entschied sich daher in den Jahren 1948 und 1949, die Stellung des nunmehrigen Bundespräsidenten zu schwächen und den Bundeskanzler zu stärken. Insbesondere die sehr genauen und sich später bewährenden Vorschriften über die Wahl des Bundeskanzlers, das konstruktive Misstrauensvotum und die Vertrauensfrage haben die tatsächliche politische Macht des Bundeskanzlers mindestens ebenso bestärkt wie die starke Ausprägung der Kanzlerdemokratie unter dem ersten Bundeskanzler, Konrad Adenauer. Dessen sehr starke Interpretation der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers wurde von seinen Nachfolgern verteidigt und führt dazu, dass der Bundeskanzler heute als der mächtigste Politiker im politischen System der Bundesrepublik gilt.
Richtlinienkompetenz und Kollegialprinzip
1. Bundeskanzler (1949-1963)
Der Bundeskanzler besitzt nach Artikel 65 des Grundgesetzes die „Richtlinienkompetenz“: Er bestimmt die Richtlinien der [von der Bundesregierung vertretenen] Politik. Er trägt hierfür auch die Verantwortung. Die grundlegenden Richtungsentscheidungen der Bundesregierung werden also von ihm getroffen, allerdings können auch wichtige Einzelentscheidungen von ihm getroffen werden. Andererseits schreibt Artikel 65 des Grundgesetzes auch das Ressortprinzip und das Kollegialprinzip vor. Ersteres bedeutet, dass die Bundesminister ihre Ministerien in eigener Verantwortung leiten; der Bundeskanzler kann hier nicht ohne Weiteres in einzelnen Sachfragen eingreifen und seine Ansicht durchsetzen. Er muss jedoch nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung über alle wichtigen Vorhaben im Ministerium unterrichtet werden. Das Kollegialprinzip besagt, dass Meinungsverschiedenheiten der Bundesregierung vom Kollegium entschieden werden; der Bundeskanzler muss sich also im Zweifel der Entscheidung des Bundeskabinetts beugen. Der Bundeskanzler besitzt zusätzlich auch die Organisationsgewalt für die Bundesregierung und kann mit Erlassen die Zahl und Zuständigkeiten der Ministerien regeln. Er "leitet" damit im administrativen Sinne die Geschäfte der Bundesregierung.
Auch wenn Ressort- und Kollegialprinzip in der Praxis ständig angewandt werden, so macht doch die auch als „Kanzlerprinzip“ bezeichnete Richtlinienkompetenz den Bundeskanzler zum in der Öffentlichkeit als Herrscher über das Geschehen anerkannten Menschen. Seine öffentlichen Äußerungen werden stark beachtet; äußert er sich zu einer Sachfrage anders als der zuständige Fachminister, so hat häufig trotz der Gültigkeit des Ressortprinzips der Fachminister das Nachsehen, will er nicht wegen „schlechter Teamarbeit“ vom Bundeskanzler intern oder gar öffentlich gerügt werden. Der Bundeskanzler ist häufig auch Vorsitzender seiner Partei (Adenauer 1949-1963, Erhard 1966, Kiesinger 1967-1969 und Kohl 1982-1998 in der CDU; Brandt 1969-1974 und Schröder 1999-2004 in der SPD) und genießt damit nicht nur als Bundeskanzler, sondern auch als Parteivorsitzender hohes Medieninteresse und starken Einfluss innerhalb der Partei und Fraktion, die seine Regierung stützt. Allerdings haben alle Bundeskanzler auch in den Zeiten, in denen sie nicht den Parteivorsitz bekleideten, eine wichtige Rolle in der Partei innegehabt.
Selbst wenn der Bundeskanzler aber in seiner Partei unangefochten ist, so muss er doch - wenn seine Partei nicht allein regieren kann - in der Regel auf einen kleineren Koalitionspartner Rücksicht nehmen. Seine Äußerungen mögen in seiner Partei auf einmütige Zustimmung treffen, die Zustimmung des Koalitionspartners, der damit trotz geringerer Größe nahezu gleichberechtigt ist, ist damit noch nicht erreicht und muss eventuell durch Zugeständnisse gesichert werden. Der Bundeskanzler kann aber auch in seiner eigenen Partei nicht diktatorisch regieren, da auch seine Parteiämter regelmäßig in demokratischer Wahl bestätigt werden müssen und die Abgeordneten trotz Fraktionsdisziplin nicht unbedingt der Linie des Bundeskanzlers folgen müssen.
4. Bundeskanzler (1969-1974)
mit US-Präsident Richard Nixon
Schließlich hängt es auch von der Person des Bundeskanzlers und den politischen Gegebenheiten ab, wie er den Begriff der "Richtlinienkompetenz" ausgestaltet. Konrad Adenauer als erster Bundeskanzler nutzte die Richtlinienkompetenz unter den Ausnahmebedingungen eines völligen politischen Neubeginns sehr stark aus. Mit seiner Amtsführung legte Adenauer den Grundstein für die sehr weit reichende Interpretation dieses Begriffes. Schon unter Ludwig Erhard sank die Machtfülle des Bundeskanzlers, bis schließlich in Kurt Georg Kiesingers Großer Koalition der Bundeskanzler weniger der „starke Mann“ als vielmehr der „wandelnde Vermittlungsausschuss“ war. Während Adenauer und Helmut Schmidt sehr strategisch mit ihrem Stab (im Wesentlichen dem Kanzleramt) arbeiteten, bevorzugten Brandt und Kohl einen Stil der informelleren Koordination. In beiden Fällen kam es bei der Bemessung der Einflussmöglichkeiten des Bundeskanzlers auf die Stärke des Koalitionspartners und auf die Stellung des Bundeskanzlers in seiner Partei an.
Da der Bundeskanzler sich bei innenpolitischen Fragen stärker auf die Ministerien verlassen muss, kann er sich häufig in der Außenpolitik profilieren. Alle Bundeskanzler haben das diplomatische Parkett genutzt, um neben den Interessen der Bundesrepublik auch sich selbst in positivem Licht darzustellen. Besonders Bundeskanzler Adenauer, der von 1951 bis 1955 selbst das Außenministerium führte, konnte hier starken Einfluss nehmen. Alle Bundeskanzler haben jedoch in einem mehr oder weniger stillen Machtkampf mit dem Außenminister die Außenpolitik als öffentlichkeitswirksames Gebiet für sich entdeckt.
Die Bundesregierung und der Bundeskanzler haben das alleinige Recht, Entscheidungen der Exekutive zu treffen. Aus diesem Grund bedarf jede förmliche Anordnung des Bundespräsidenten bis auf die Ernennung und Entlassung des Bundeskanzler, die Auflösung des Bundestages nach dem Scheitern der Wahl eines Bundeskanzlers und das Ersuchen zur Weiterausübung des Amtes bis zur Ernennung eines Nachfolgers der Gegenzeichnung des Bundeskanzlers oder des zuständigen Bundesministers.
Wahl des Bundeskanzlers
Erstmals in der deutschen Verfassungsgeschichte wurde das Wahlverfahren für den Bundeskanzler im Artikel 63 des Grundgesetzes sehr detailliert beschrieben. Dies hängt auch damit zusammen, dass anders als in den anderen Verfassungen die letztgültige Entscheidung über die Ernennung des Bundeskanzlers in der Regel vom Bundestag und nicht vom Bundespräsidenten getroffen wird. Aus diesem Grund musste klar sein, wie das Verfahren fortgeht, wenn ein Kandidat für das Amt des Bundeskanzlers nicht gewählt wird. Dabei wird - abweichend von der Idee der strikten Gewaltenteilung - ein Organ der Exekutive, der Bundeskanzler, durch ein Organ der Legislative, den Bundestag, gewählt.
Erste Wahlphase: Ist das Amt des Bundeskanzlers vakant, etwa durch den Zusammentritt eines neuen Bundestages, aber auch durch Tod, Rücktritt oder Amtsunfähigkeit, schlägt der Bundespräsident dem Bundestag einen Kandidaten für das Amt des Bundeskanzlers vor. In dieser Entscheidung ist der Bundespräsident rechtlich frei. Politisch ist jedoch schon lange vor dem Vorschlag klar, über wen der Bundestag abstimmen wird, da der Bundespräsident vor seinem Vorschlag eingehende Gespräche mit den Partei- und Fraktionsspitzen führt. Bisher ist auch stets der von der regierenden Koalition ins Spiel gebrachte Nachfolgekandidat vom Bundespräsidenten vorgeschlagen worden. Der Kandidat benötigt zu seiner Wahl die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, also die absolute Mehrheit. Wählt der Bundestag den vom Bundespräsidenten vorgeschlagenen Kandidaten nicht, so beginnt eine zweite Wahlphase. Dieser Fall ist in der Geschichte der Bundesrepublik bisher noch nie eingetreten.
Zweite Wahlphase: Nach der Ablehnung des Vorschlags des Bundespräsidenten tritt eine zweiwöchige Wahlphase ein, in der aus dem Bundestag heraus (nach dessen Geschäftsordnung von mindestens einem Viertel der Abgeordneten) Kandidaten vorgeschlagen werden können. Über die vorgeschlagenen Kandidaten wird dann abgestimmt. Dabei ist sowohl eine Einzelwahl (nur ein Kandidat) als auch eine Mehrpersonenwahl denkbar. In jedem Fall benötigt ein Kandidat zur Wahl wiederum die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages. Die Anzahl der Wahlgänge ist unbegrenzt.
5. Bundeskanzler (1974-1982)
Dritte Wahlphase: Wird auch während der zweiten Wahlphase kein Kandidat mit absoluter Mehrheit gewählt, so muss der Bundestag nach Ablauf der zwei Wochen unverzüglich erneut zusammentreten und einen weiteren Wahlgang durchführen. Dabei gilt zunächst als gewählt, wer die meisten Stimmen auf sich vereinigt. Erhält der Gewählte die absolute Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bundestages, so muss der Bundespräsident ihn binnen sieben Tagen ernennen. Erhält der Gewählte nur die relative Mehrheit der Stimmen, so ist dies einer der wenigen Fälle, in denen dem Bundespräsidenten echte politische Machtbefugnisse zuwachsen. Er kann sich nämlich nun nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, ob er den Gewählten ernennt und damit möglicherweise einer Minderheitsregierung den Weg ebnet oder aber, ob er den Bundestag auflöst. Er wird diese Entscheidung in Abhängigkeit von der politischen Situation treffen. Ist bei einer Neuwahl keine Veränderung der Mehrheitsverhältnisse zu erwarten, so wird er den Bundestag eher nicht auflösen. Ist dagegen die Mehrheitssituation im Bundestag ohnehin unübersichtlich, so wird er die Auflösung des Bundestages wieder stärker in Betracht ziehen.
Insgesamt kann es aber keinen Fall geben, in dem der Bundespräsident eine Person zum Bundeskanzler ernennt, die nicht zumindest eine relative Mehrheit des Bundestages auf sich vereinigen kann.
Nach der Wahl wird der Bundeskanzler vom Bundespräsidenten ernannt und vor dem Bundestag vereidigt. Er schwört dabei folgenden Eid: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“ (Artikel 56 des Grundgesetzes). Er kann den Eid auch ohne religiöse Beteuerung ableisten, Schröder war der erste Kanzler, der von dieser Möglichkeit Gebrauch machte.
Dieses Wahlprozedere gilt grundsätzlich auch im Verteidigungsfall. Die Wahl eines Bundeskanzlers durch den Gemeinsamen Ausschuss ist jedoch gesondert geregelt, indem nur die oben beschriebene erste Wahlphase analog angewendet wird. Das Grundgesetz macht keine Aussage über das weitere Verfahren, wenn der Gemeinsame Ausschuss den vom Bundespräsidenten Vorgeschlagenen nicht wählt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Vorschriften des Artikel 63 auch für eine solche Wahl analog gelten.
Der Bundeskanzler muss weder Mitglied des Bundestages noch einer politischen Partei sein, allerdings muss er das passive Wahlrecht zum Bundestag besitzen. Gemäß dem Grundsatz der Unvereinbarkeit darf er weder ein anderes besoldetes Amt bekleiden noch einen Beruf oder ein Gewerbe ausüben, kein Unternehmen leiten und nicht ohne Zustimmung des Bundestages dem Aufsichtsrat eines auf Gewinn orientierten Unternehmens angehören (Artikel 66 des Grundgesetzes).
Zusammenarbeit mit dem Bundestag
Der Bundestag kann jederzeit die Herbeirufung oder die Anwesenheit des Bundeskanzlers oder eines Bundesministers verlangen. Im Gegenzug haben der Bundeskanzler und die Mitglieder der Bundesregierung das Recht, bei jeder Sitzung des Bundestages oder eines seiner Ausschüsse anwesend zu sein. Sie haben sogar jederzeitiges Rederecht. Spricht der Bundeskanzler als solcher und nicht etwa als Abgeordneter seiner Bundestagsfraktion, so wird seine Redezeit nicht auf die vereinbarte Gesamtredezeit angerechnet.
Bestellung der Bundesminister
Nach Artikel 64 GG schlägt der Bundeskanzler dem Bundespräsidenten die Bundesminister vor, der sie ernennt. Der Bundespräsident muss sie nach der in der Staatsrechtslehre überwiegenden Lehre ernennen, ohne die Kandidaten selbst politisch prüfen zu können. Ihm wird allerdings in der Regel ein formales Prüfungsrecht zugestanden: Er kann etwa prüfen, ob die designierten Bundesminister Deutsche sind. Der Bundestag hat hierbei ebenfalls kein Mitspracherecht. Auch bei der Entlassung von Bundesministern können weder der Bundespräsident noch der Bundestag in rechtlich bedeutsamer Weise mitreden - auch hier liegt die Entscheidung ganz beim Bundeskanzler, die Entlassung wird wieder durch den Bundespräsidenten durchgeführt. Selbst die Aufforderung des Bundestages an den Bundeskanzler, einen Bundesminister zu entlassen, ist rechtlich unwirksam; allerdings wird der Minister, wenn tatsächlich die Mehrheit des Bundestages und damit auch Mitglieder der die Bundesregierung tragenden Koalition gegen ihn sind, häufig von sich aus zurücktreten. Der Bundestag kann die Minister nur zusammen mit dem Bundeskanzler durch ein konstruktives Misstrauensvotum austauschen
Diese zumindest formal uneingeschränkte Personalhoheit des Bundeskanzlers über sein Kabinett spricht für die starke Stellung des Bundeskanzlers. Bundeskanzler Schröder hat 2002 von dieser Personalhoheit sehr deutlich Gebrauch gemacht, als er gegen dessen ausdrücklichen Willen den Verteidigungsminister Rudolf Scharping aus seinem Amt entlassen ließ. Der Bundeskanzler muss jedoch bei der Ernennung meist auf „Koalitionsverträge“ und innerparteilichen Proporz Rücksicht nehmen; bei Entlassungen gilt dies insbesondere bei Ministern des Koalitionspartners noch stärker: Hier schreiben die Koalitionsvereinbarungen stets vor, dass eine Entlassung nur mit Zustimmung des Koalitionspartners erfolgen kann. Hielte sich der Bundeskanzler nicht an diesen rechtlich nicht bindenden, politisch aber höchst bedeutsamen Vertrag, wäre die Koalition sehr schnell zu Ende. Insgesamt unterliegt die Personalfreiheit des Bundeskanzlers durch die politischen Rahmenbedinungen erheblichen Beschränkungen.
Der Bundeskanzler ernennt auch - ohne Mitwirkung des Bundespräsidenten - seinen Stellvertreter. Inoffiziell spricht man auch vom "Vizekanzler". Dies ist in der Regel der wichtigste Politiker des kleineren Koalitionspartners. Häufig fallen das Amt des Außenministers und die "Vizekanzlerschaft" zusammen; dies ist jedoch keine verbindliche Kombination, sondern nur eine Tradition (seit 1966, mit kurzen Unterbrechungen). Es ist auch möglich, dass der Vizekanzler der gleichen Partei wie der Bundeskanzler angehört (wie z.B. Ludwig Erhard).
Dabei handelt es sich stets nur um die Vertretung der Funktion, nicht um die des Amtes. Der Stellvertreter vertritt also nur den Kanzler, beispielsweise wenn dieser auf einer Reise ist und der Stellvertreter eine Kabinettssitzung leitet. Würde der Bundeskanzler z.B. durch eine schwere Krankheit dauerhaft amtsunfähig oder stürbe er gar, dann wäre der Vizekanzler keineswegs automatisch der (geschäftsführende) Kanzler. Provisorisch müsste der Bundespräsident einen der Minister zum geschäftsführenden Kanzler ernennen (und dann hielte er sich wohl tatsächlich an den Stellvertreter). Schließlich müsste der Bundestag einen neuen Kanzler wählen. Bislang ist ein solcher Fall allerdings noch nie eingetreten, sieht man von Kanzlerrücktritten ab.
Steht auch der Stellvertreter nicht zur Verfügung, dann geht seine Rolle auf den dienstältesten Minister über. Sind mehrere Minister gleich lang im Amt, entscheidet das Lebensalter. Im zweiten Kabinett Schröder wäre dies Otto Schily.
Konstruktives Misstrauensvotum
siehe Hauptartikel: Konstruktives Misstrauensvotum (Deutschland)
6. Bundeskanzler (1982-1998)
Die zumindest staatsorganisationsrechtlich wichtigste Entscheidung des Parlamentarischen Rates zur Stärkung der Position des Bundeskanzlers war die Einführung des konstruktiven Misstrauensvotums. Der Bundeskanzler kann nur durch eine Mehrheit im Parlament gestürzt werden, wenn sich diese Mehrheit gleichzeitig auf einen Nachfolger für ihn geeinigt hat. Hierdurch wird verhindert, dass die Regierung durch eine ihn ablehnende, aber in sich nicht einige Mehrheit gestürzt wird. In der Weimarer Republik war dies durch das gemeinsame Wirken von extrem rechten und extrem linken Kräften häufig gegeben, was zu kurzen Amtsperioden und damit zu allgemeiner politischer Instabilität führte.
Der Antrag nach Artikel 67 des Grundgesetzes muss nach der Geschäftsordnung des Bundestags von mindestens einem Viertel seiner Mitglieder eingebracht werden. Dabei muss der Antrag, den Bundespräsidenten zu ersuchen, den Bundeskanzler zu entlassen, gleichzeitig ein Ersuchen an den Bundespräsidenten enthalten, eine namentlich benannte Person zum Nachfolger zu ernennen. Damit wird sichergestellt, dass die neu formierte Mehrheit sich zumindest auf einen gemeinsamen Bundeskanzlervorschlag geeinigt hat und damit erwarten lässt, dass sie über ein gemeinsames Regierungsprogramm verfügt. Der Antrag bedarf zu seiner Annahme wiederum der Kanzlermehrheit, also der absoluten Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bundestages.
Will der Gemeinsame Ausschuss während des Verteidigungsfalles den Bundeskanzler per konstruktivem Misstrauensvotum stürzen, so bedarf dieser Antrag der Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses. Mit der Erhöhung dieser Mehrheit sollte die Möglichkeit eines faktischen Staatsstreiches durch den Gemeinsamen Ausschuss erschwert werden.
Der Wechsel eines Koalitionspartners oder auch nur einzelner Koalitionsabgeordneter zur Opposition ist nach den Vorschriften des Grundgesetzes legitim. Er steht jedoch in der öffentlichen Wahrnehmung stets im Ruch des Verrates, da nach Argumentation der vom Wechsel jeweils negativ betroffenen politischen Gruppe die Wähler bei ihrer Wahlentscheidung darauf hätten vertrauen können, dass sie mit der Wahl einer Partei auch einen bestimmten Kanzlerkandidaten wählten. Der nachträgliche Wechsel sei eine demokratietheoretisch nicht hinnehmbare Täuschung des Wählers. Das Bundesverfassungsgericht hat sich dieser Argumentation in einem Urteil zur Vertrauensfrage entgegengestellt und demokratische Legitimation mit verfassungsrechtlicher Legitimität gleichgesetzt.
Das konstruktive Misstrauensvotum ist in der Geschichte der Bundesrepublik bisher (2005) zweimal zur Anwendung gekommen: 1972 versuchte die CDU/CSU-Fraktion erfolglos, Bundeskanzler Willy Brandt zu stürzen und Rainer Barzel zum Kanzler zu wählen; 1982 stürzten CDU/CSU und FDP gemeinsam Bundeskanzler Helmut Schmidt und wählten Helmut Kohl zum Bundeskanzler.
Vertrauensfrage
7. Bundeskanzler (seit 1998)
siehe Hauptartikel: Vertrauensfrage (Grundgesetz)
Hat der Bundeskanzler das Gefühl, dass die Mehrheit des Bundestages seine Politik nicht mehr unterstützt, so kann er nach Artikel 68 des Grundgesetzes die Vertrauensfrage stellen und damit den Bundestag selbst zum Handeln zwingen. Er kann die Vertrauensfrage auch mit einer Sachentscheidung, also einem Gesetzentwurf oder einem anderen Sachantrag, verbinden. Stimmt der Bundestag dem Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht mit absoluter Mehrheit zu, so hat der Bundeskanzler die Möglichkeit, bei Zustimmung des Bundespräsidenten den Bundestag auflösen zu lassen oder bei Zustimmung von Bundespräsident und Bundesrat den Gesetzgebungsnotstand ausrufen zu lassen und den Bundestag damit für sechs Monate faktisch zu entmachten.
Verteidigungsfall
siehe Hauptartikel: Verteidigungsfall
Nach Artikel 115 b des Grundgesetzes geht während des Verteidigungsfalls die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte vom Bundesminister der Verteidigung an den Bundeskanzler über. Diese als „lex Churchill“ bezeichnete Vorschrift soll dafür sorgen, dass in Zeiten außerordentlicher Krisen der Bundeskanzler als „starker Mann“ alle Fäden in der Hand hält.
Kanzlerkandidaten und "Schattenkabinette"
Spätestens seit 1961 und der Kandidatur Willy Brandts gegen Konrad Adenauer stellen die beiden großen Volksparteien, CDU/CSU und SPD „Kanzlerkandidaten“ auf. Obwohl dieses „Amt“ in keinem Gesetz definiert ist, spielt es im Wahlkampf eine außerordentlich große Rolle. Der Kanzlerkandidat der jeweils siegreichen Partei bzw. Koalition wird in aller Regel schließlich Bundeskanzler. Der Kanzlerkandidat repräsentiert gerade im über die Massenmedien geführten Wahlkampf sehr stark seine Partei. Vor der Bundestagswahl 2002 wurden erstmals zwei aus dem amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf übernommene Rededuelle zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und seinem Herausforderer, Edmund Stoiber (CSU), im Fernsehen übertragen. Auf diese Weise wurde die Fokussierung auf die Kanzlerkandidaten und weg von programmatischen Fragen weiter forciert.
Die britische Tradition, dass die größte Oppositionspartei im Wahlkampf ein "Schattenkabinett" aufstellt, hat sich in Deutschland nicht durchgesetzt; Willy Brandt hat 1961 einen Versuch gemacht. In Deutschland muss eine Partei nach der Wahl meist eine Koalition eingehen und kann daher nicht allein über ein Kabinett entscheiden. Wohl stellt die (größte) Oppositionspartei ein "Kompetenzteam" zusammen, mit prominenten Politikern, deren Bereich zum Teil recht allgemein gehalten wird ("Außen- und Sicherheitspolitik").
Ende der Amtszeit
Das Amt des Bundeskanzlers endet mit seinem Tod, seiner Amtsunfähigkeit, der Ablösung durch konstruktives Misstrauensvotum, seinem Rücktritt oder dem Zusammentritt eines neuen Bundestages. In den beiden letzten Fällen übt der Bundeskanzler in der Regel auf Ersuchen des Bundespräsidenten nach Artikel 69 des Grundgesetzes das Amt des Bundeskanzlers bis zur Ernennung seines Nachfolgers weiter aus. Einzig nach dem Rücktritt von Willy Brandt wurde dieser von Bundespräsident Heinemann nicht dementsprechend ersucht; vielmehr war der soeben entlassene Vizekanzler Walter Scheel für die Zeit vom 7. bis 16. Mai 1974 kommissarischer Bundeskanzler.
Historische Beurteilung des Amtes des Bundeskanzlers
Die Konstruktion eines starken, nur vom Bundestag abhängigen Bundeskanzlers hat sich nach überwiegender Ansicht der Politikwissenschaft bewährt. Während das Zusammenspiel von Bundestag und Bundesrat in der Gesetzgebung regelmäßig kritisiert und das Amt des Bundespräsidenten in seiner heutigen Ausgestaltung gelegentlich in Frage gestellt wird, sind sowohl das Amt als auch die Befugnisse des Bundeskanzlers nahezu unumstritten. Auch wenn Konrad Adenauers historisch einzigartige Machtposition, die sich im während seiner Amtszeit geprägten Begriff der "Kanzlerdemokratie" manifestierte, von seinen Nachfolgern nicht in diesem Umfang erhalten werden konnte, ist der Bundeskanzler der wichtigste und mächtigste deutsche Politiker.
Die starke verfassungsrechtliche Position auch gegenüber dem Bundestag und die regelmäßige Bekleidung eines hohen Parteiamtes hat für eine hohe Kontinuität im Amt des Bundeskanzlers gesorgt: Während seit 1949 bereits neun Bundespräsidenten und elf US-Präsidenten ihr Amt bekleidet haben, ist Gerhard Schröder erst der siebte Bundeskanzler. Die lange durchschnittliche Amtszeit des Bundeskanzlers von etwa acht Jahren wird jedoch auch kritisiert; insbesondere wird den Bundeskanzlern eine gewisse Machtversessenheit attestiert und ihnen unterstellt, sich selbst für unverzichtbar zu halten. In diesem Zusammenhang wurde bereits eine in ihrer praktischen Umsetzung nicht unproblematische Begrenzung der Amtszeit des Bundeskanzlers auf acht Jahre wie beim US-Präsidenten vorgeschlagen, auch Gerhard Schröder unterstützte diese Idee vor seiner Amtszeit. Er ist jedoch inzwischen offenbar von ihr abgerückt, zumal er sich über eine achtjährige Kanzlerschaft (1998-2006) hinaus bei der Bundestagswahl 2006 zur Wiederwahl stellt.
Die Hoffnungen auf einen starken Bundeskanzler haben sich insgesamt erfüllt, die Befürchtungen vor einem zu starken Machthaber haben sich jedoch nicht bewahrheitet. Insofern kann das Wort von Bundespräsident Herzog, das Grundgesetz sei ein Glücksfall für Deutschland, auch auf die Konstruktion des Amtes des Bundeskanzlers bezogen werden.
Amtssitz und unmittelbar unterstehende Behörden
Das Bundeskanzleramt ist der Amtssitz des Bundeskanzlers. Leiter des Bundeskanzleramtes ist jedoch nicht der Bundeskanzler selbst, sondern ein von ihm ernannter Bundesminister oder Staatssekretär. Das Bundeskanzleramt hat für jedes Ministerium spiegelbildlich ein Referat und stellt dem Bundeskanzler damit für jedes Fachgebiet eine kompetente Mitarbeiterschaft zur Verfügung.
Dem Bundeskanzler untersteht auch direkt das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Dieses hat die Aufgabe, die Öffentlichkeit über die Politik der Bundesregierung zu unterrichten. Das Amt muss streng zwischen Äußerungen der Bundesregierung und Äußerungen der die Bundesregierung tragenden Parteien trennen.
Außerdem fällt der Bundesnachrichtendienst (BND) direkt in den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers. Der Etat des Bundesnachrichtendienstes ist im Etat des Bundeskanzleramtes enthalten, wird aber aus Geheimhaltungsgründen nur als Gesamtsumme veranschlagt. Der direkte Zugriff auf den Geheimdienst bringt dem Bundeskanzler in innenpolitischen Fragen keinerlei Wissensvorsprung, da der BND nur im Ausland operieren darf. Allenfalls in außen- und sicherheitspolitischen Fragen entsteht ein gewisser Vorteil für den Bundeskanzler.
Deutsche Bundeskanzler seit 1949
Übersicht
Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland | ||||
Nr. | Name | Amtsantritt | Ende der Amtszeit | Partei |
---|---|---|---|---|
1 | Konrad Adenauer | 15. September 1949 | 15. Oktober 1963 | CDU |
2 | Ludwig Erhard | 16. Oktober 1963 | 30. November 1966 | CDU |
3 | Kurt Georg Kiesinger | 1. Dezember 1966 | 20. Oktober 1969 | CDU |
4 | Willy Brandt | 21. Oktober 1969 | 7. Mai 1974 | SPD |
5 | Helmut Schmidt | 16. Mai 1974 | 1. Oktober 1982 | SPD |
6 | Helmut Kohl | 1. Oktober 1982 | 26. Oktober 1998 | CDU |
7 | Gerhard Schröder | 27. Oktober 1998 | SPD |
Während diesen Zeiten übten die Bundeskanzler jeweils einige Tage zwischen Zusammentritt des neuen Bundestages oder ihrem Rücktritt und der Wahl eines neuen Bundeskanzlers das Amt formal nur amtierend aus:
- Konrad Adenauer (6. bis 9. Oktober 1953, 15. bis 22. Oktober 1957, 17. Oktober bis 7. November 1961 und 15. bis 16. Oktober 1963),
- Ludwig Erhard (19. bis 20. Oktober 1965 und 30. November bis 1. Dezember 1966),
- Kurt Georg Kiesinger (20. bis 21. Oktober 1969),
- Willy Brandt (13. bis 14. Dezember 1972),
- Helmut Schmidt (14. bis 15. Dezember 1976 und 4. bis 5. November 1980 sowie - unklar - am 1. Oktober 1982),
- Helmut Kohl (29. März 1983 - einige Stunden, 18. Februar bis 11. März 1987, 20. Dezember 1990 bis 17. Januar 1991, 10. bis 15. November 1994 und 26. bis 27. Oktober 1998),
- Gerhard Schröder (17. bis 22. Oktober 2002).
Zusammenfassungen der einzelnen Kanzlerschaften
Konrad Adenauer (1949-1963)
Konrad Adenauers Amtszeit war wesentlich von außenpolitischen Ereignissen geprägt. Die Westbindung mit NATO-Beitritt und Gründung der EGKS, dem Grundstein der Europäischen Union, setzte er gegen den Widerstand der SPD durch. Er brachte die deutsch-französische Aussöhnung voran und unterschrieb 1963 den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag. Ebenso setzte er sich in starkem Maße für die deutsch-jüdische Versöhnung ein. Auch innenpolitisch wird ihm - neben seinem Nachfolger Ludwig Erhard - das Wirtschaftswunder, die starke wirtschaftliche Erholung der westdeutschen Gesellschaft, angerechnet. Durch sozialpolitische Beschlüsse wie den Lastenausgleich oder die dynamische Rente erreichte er die Integration von Flüchtlingen, die Entschädigung von Opfern des zweiten Weltkrieges und die Bildung einer stabilen Gesellschaft mit breitem Mittelstand. Negativ werden seine strikte Ablehnung gegen Ludwig Erhard als Nachfolger, sein Verhalten in der Spiegel-Affäre, seine Uneindeutigkeit bei der Frage nach der Kandidatur zum Bundespräsidenten 1959 und sein unbedingtes Festhalten an der Macht 1962/63 angemerkt. Insgesamt hat Konrad Adenauer mit seiner Interpretation der Befugnisse des Bundeskanzlers wichtige Weichen für das Amtsverständnis seiner Nachfolger gelegt. Seine 14-jährige Amtszeit dauerte länger als die Weimarer Republik existierte, in welcher 13 Kanzler amtierten. Vorlage:Zeitleiste Deutsche Bundeskanzler
Ludwig Erhard (1963-1966)
Ludwig Erhard kam als Mann des Wirtschaftswunders an die Macht. Seine Kanzlerschaft stand jedoch schon wegen der Angriffe Adenauers auf seinen Nachfolger und einer einsetzenden leichten wirtschaftlichen Schwächephase unter keinem guten Stern. Als wichtigste Tat seiner Kanzlerschaft gilt die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel unter Inkaufnahme heftiger Proteste aus arabischen Staaten. Er versuchte, die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten zu stärken, weshalb er als "Atlantiker" im Gegensatz zum "Gaullisten" Adenauer bezeichnet wurde. Erhard stürzte schließlich über wirtschaftliche Probleme und die Uneinigkeit in seiner Partei. Nach dem Rückzug der FDP-Minister aus der Regierung im Oktober 1966 begannen Verhandlungen über eine Große Koalition, schließlich trat Erhard zurück.
Kurt Georg Kiesinger (1966-1969)
Der Kanzler der Großen Koalition stellte ein anderes Bild eines Bundeskanzlers dar. „Häuptling Silberzunge“ vermittelte zwischen den beiden großen Parteien CDU und SPD anstatt zu bestimmen. Wichtiges Thema seiner Amtszeit war die Durchsetzung der Notstandsgesetze. Wegen seiner früheren NSDAP-Mitgliedschaft war er Angriffen der 68er-Generation ausgesetzt; mit dieser überlappte sich die Außerparlamentarische Opposition. Kurt Georg Kiesinger wurde in einer knappen Bundestagswahl 1969 nicht wiedergewählt.
Willy Brandt (1969-1974)
Der Emigrant Willy Brandt war der erste Sozialdemokrat im Kanzleramt. Er setzte sich für die Ostverträge ein und beförderte damit die Aussöhnung mit Deutschlands östlichen Nachbarländern. Auch stellte er die Beziehungen zur DDR auf eine neue Grundlage. Diese Haltung verschaffte ihm in konservativen Kreisen heftige Gegnerschaft, die 1972 sogar zu einem knapp scheiternden Misstrauensvotum gegen ihn führte. Andererseits erhielt er für seine außenpolitischen Anstrengungen den Friedensnobelpreis. Innenpolitisch wollte er „mehr Demokratie wagen“; er war deswegen vor allem bei den jüngeren Wählern beliebt. In seine Amtszeit fiel die Ölkrise 1973, die zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führte, welche wiederum Brandts Ansehen schadete. Brandts Wirtschafts- und Sozialpolitik wird mittlerweile äußerst kritisch gesehen, da unter seiner Amtszeit die sozialstaatliche Ordnung, ohne auf die späteren Folgen in der Arbeitswelt zu achten, auf das heutige Maß expandierte. Nach der Enttarnung seines engen Mitarbeiters Günter Guillaume als DDR-Spion stürzte er über Frauengeschichten, deretwegen er durch Guillaumes Spionage angeblich erpressbar war.
Helmut Schmidt (1974-1982)
Helmut Schmidt kam als Nachfolger Willy Brandts ins Amt. Der Terror der RAF, besonders 1977, prägte die ersten Jahre seiner Amtszeit: Er ging gegen die Terroristen mit Härte vor, blieb dabei jedoch strikt im Rahmen des Rechtsstaates. Innenpolitisch verfolgte er einen für eine sozialliberale Koalition eher konservativen Kurs. Seine Unterstützung des NATO-Doppelbeschlusses, mit der viele SPD-Mitglieder nicht einverstanden waren, läutete das Ende seiner Amtszeit ein. Ihm kam schließlich 1982 wegen wirtschaftspolitischen Differenzen der Koalitionspartner, die FDP, abhanden, der sich mit Helmut Kohls CDU zusammenschloss.
Helmut Kohl (1982-1998)
Helmut Kohl versprach zu Beginn seiner Amtszeit eine „geistig-moralische Wende“, ein Anspruch, dem er nach allgemeiner Einschätzung aber kaum Rechnung tragen konnte. Seine persönliche Vision war ein „Europa ohne Schlagbäume“, das die Schengen-Staaten mit dem Schengen-Abkommen schließlich auch verwirklichten. Ebenso setzte sich Kohl stark für die Etablierung des Euro ein. Helmut Kohls Name ist eng mit der Deutschen Einheit verknüpft. 1989 ergriff er die Gunst der Stunde nach dem Fall der Mauer und sorgte in internationalen Verhandlungen für die Zustimmung der Sowjetunion zur Wiedervereinigung. Innenpolitisch entstanden durch die Wiedervereinigung große Probleme, da die Wirtschaft in Ostdeutschland entgegen Kohls Einschätzung von den kommenden "blühenden Landschaften" zusammengebrochen war. Die Schwierigkeiten des Aufbaus Ost waren bestimmend für seine spätere Amtszeit. Schließlich wurde er 1998 auch wegen einer Rekordarbeitslosigkeit abgewählt.
Gerhard Schröder (seit 1998)
Gerhard Schröder begann kurz nach Antritt seiner Kanzlerschaft eine ganze Reihe von Reformprojekten, vor allem die große Steuerreform. Später folgte eine Stabilisierungsphase „der ruhigen Hand“. 2003 benannte er mit der Agenda 2010 sein Reformprogramm für die zweite Amtszeit. Dieses Programm ging der politischen Linken zu weit, während es wirtschaftsnahen Gruppen nicht weit genug ging. 1999 und 2001 unterstützte Deutschland noch im Rahmen der Bündnistreue die Nato im Kosovo und in Afghanistan, 2002 verweigerte er den USA jedoch seine Zustimmung zum Irak-Krieg. Dies war - neben seinem als gut erachteten Krisenmanagement während der Jahrhundertflut in Ost- und Norddeutschland - ein wichtiger Grund für seine Wiederwahl 2002. Gerhard Schröder strebt bei der Bundestagswahl 2006 die Wiederwahl an.
Siehe auch: Kanzler, Vizekanzler (Deutschland), Abstimmungen über den deutschen Bundeskanzler
Literatur
- Wilhelm von Sternburg (Hrsg.): Die deutschen Kanzler. Von Bismarck bis Kohl. Athenaeum Verlag, Bodenheim Verlag, 1998, ISBN 3761083823
- Wolfgang Rudzio: "Das politische System der Bundesrepublik Deutschland". UTB 2000, ISBN 3-8100-2593-3, S. 283-314
- Guido Knopp, Alexander Berkel, Stefan Brauburger: Kanzler. Die Mächtigen der Republik. Goldmann 2000, ISBN 3442150671
- Marion Gräfin Dönhoff: Deutschland, deine Kanzler. Btb bei Goldmann 1999, ISBN 344275559X
- Karlheinz Niclauß: Kanzlerdemokratie. UTB 2004, ISBN 3825224325
Weblinks
- http://www.bundeskanzler.de Website des Bundeskanzlers