Die Bartwürmer (Pogonophora), nach ihrem wissenschaftlichen Namen häufig auch Pogonophoren genannt, gehören zu den Röhren bauenden Ringelwürmern (Annelida) und haben ihren Lebensraum auf dem Meeresboden fast aller Weltmeere vor allem in 1000 m bis 10.000 m Tiefe. Je nach Art wird der Bartwurm von 0,5 cm bis 150 cm groß. Der größte Bartwurm, der im Bereich von unterseeischen heißen Quellen (Black Smoker) lebende Riftia pachyptila, kann eine Größe von bis zu 150 cm erreichen.
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Bartwürmer können in großen Massen auftreten. So wurde der Bartwurm Siboglinum veleronis vor der kalifornischen Küste in einer Anhäufung von bis zu 200 Exemplare pro Quadratmeter vorgefunden. Die Ernährung aller Bartwürmer erfolgt über symbiontische Bakterien, die Schwefelverbindungen in organische Nahrungsstoffe umwandeln.
Merkmale
Bartwürmer sind im Normalfall sehr dünn mit Durchmessern zwischen 0,1 bis drei Millimetern bei einer Körperlänge von fünf bis 75 Millimetern. Riftia pachyptila erreicht als größte Art bei einer Länge von maximal 1,50 Metern einen Körperdurchschnitt von vier Zentimetern. Alle Arten leben in Röhren.
Die Vertreter der beiden Taxa innerhalb der Bartwürmer unterscheiden sich in ihrem Aufbau etwas. So besitzen die Perviata einen Rumpf mit zahlreichen Papillen, Annuli mit Haken und Cilienbändern. Dieser läuft in ein Hinterende (Opisthosoma) aus, welches segmentiert ist und Borsten trägt. Der Vorderkörper besitzt eine schräg verlaufende Leiste (Frenulum) und trägt einen Kopflappen sowie zwischen einem und 200 dorsale Tentakel. Bei den Obturata ist der Sumpf gleichmäßig aufgebaut und endet ebenfalls in ein segmentiertes Ophistosoma. Das Vorderende ist dagegen dreigeteilt mit einem Obturaculum als oberen Abschluss einer mit mehreren tausend Tentakel bestückten Tentakelregion sowie einem Abschnitt, welches sich durch flügelartige Verbreitungen auszeichnet und als Vestimentum bezeichnet wird. Bei beiden Gruppen können die Tentakel gefiedert sein.
Außenhaut und Röhrenaufbau
Das Material für die Röhren der Bartwürmer werden von Drüsenzellen in der Epidermis der Bartwürmer gebildet und sezerniert. Dabei handelt es sich um β-Chitin und verhärtete Proteine, wobei die Röhren älterer Tiere mit Verdickungen und anderen Strukturen versehen sind. Bei den Perviata sind die Röhren zum größten Teil im Sediment oder anderen Substraten eingebettet und ragen meistens nur wenig hinaus, bei Siboglinum poseidoni sind sie sogar vollständig eingegraben. Die Röhren wachsen bei ihnen, indem an beiden Enden neues Material angelagert wird. Zur Stoffaufnahme ist die Röhre durchlässig, sie lässt also gelöste Gase, Salze und Aminosäuren hindurch. Die Röhren der Obturata sind dagegen auf Hartsubstrate gebaut und lassen keine Stoffe von außen durch, der Stoffaustausch erfolgt also nur über die freiliegenden Teile des Körpers.
Der Körper selbst ist von einer äußeren Umhüllung umgeben, der Cuticula. Diese besteht aus mehreren Schichten von Kollagenfasern und variiert in ihrer Dicke abhängig von der Körperregion. So ist sie besonders dünn im Bereich der Tentakel sowie in Rumpfbereichen, die für den Stoffaustausch wichtig sind. Die darunterliegende Epidermis ist vor allem aus Stützzellen aufgebaut, in die Zellen zur Stoffaufnahme (Absorptionszellen) und zahlreiche Drüsenzellen eingebettet sind. Wie alle anderen Ringelwürmer besitzen die Tiere auch Borsten aus Chitin, die bis auf die stiftartigen Borsten des Hinterleibs hakenförmig aufgebaut sind. Sie dienen der Verankerung in den Röhren.
Trophosom
Die Tiere besitzen als ausgewachsene Würmer weder einen Mund noch einen durchgehenden Darm oder einen After. Sie ernähren sich durch ein aus dem Darm entwickeltes Organ, dem Trophosom, welches bereits in einem frühen Larvenstadium als spezielles Gewebe angelegt wird. Bei den Obturata handelt es sich um ein sehr umfangreiches und in viele Lappen zerteiltes Gewebe, welches gemeinsam mit den Gonaden den gesamten Rumpf füllt. Bei den Perviata ist es dagegen zylindrisch und liegt im hinteren Teil des Rumpfes. Das Trophosom enthält Bakterien, die für die Ernährung der Tiere essentiell sind (s.u.).
Weitere Organsysteme
Ein wichtiges Kennzeichen für die Verwandtschaft mit den Ringelwürmern ist der als Bauchmark ventral liegende Hauptnervenstrang der Tiere. Das Gehirn liegt dabei dicht unterhalb der Tentakel, weitere Ganglien finden sich nur bei den Perviata im Ophistosoma. Vom Gehirn ziehen weitere Nervenstränge in die Tentakel und (bei den Obturata) in das Opturaculum. Unterhalb der Epidermis ist im gesamten Körper ein Nervennetz eingebettet. Bis auf wenige einzellige, photorezeptorähnliche Zellen im Kopflappen von Siboglinum fiordicum und Oligobrachia gracialis sowie Rezeptoren mit unbekannter Funktion im Opisthosoma verschiedener Arten sind keine Sinnesorgane bekannt.
Das Blutgefäßsystem ist wie bei allen Ringelwürmern geschlossen gut entwickelt. Es besteht aus dorsalen und ventralen Hauptgefäßen, die den gesamten Körper durchziehen. Als Antriebsorgan dient eine muskulöse Verdickung im Kopflappen oder im Vestmentum. Das Blut enthält eine hohe Konzentration an freiem Hämoglobin zur Bindung von Sauerstoff und Schwefelwasserstoff.
Über die Exkretion der Bartwürmer ist bislang nur sehr wenig bekannt, eventuell besitzen sie Metanephridien im Vorderende. Mit Ausnahme von Siboglinum poseidoni sind alle bekannten Bartwürmer getrenntgeschlechtlich. Ihre Gonaden münden paarig im oberen Bereich des Rumpfes, nahe dem Vorderende, nach außen.
Fortpflanzung und Entwicklung
Über die Befruchtung der Bartwürmer ist bislang noch sehr wenig bekannt, da sich die Tiere aufgrund ihres Lebensraumes der Beobachtung weitestgehend entziehen. Die Spermien liegen bei den Tieren als Spermienbündel oder Spermatophoren vor. Diese sollen entweder aktiv durch die Tentakel in die Röhren der Weibchen gebracht oder passiv verdriftet werden. Hier findet die Befruchtung statt der Eier statt, die befruchteten Eier werden bei Riftia pachyptila ausgestoßen und sinken auf das Sediment. Bei den Perviata entwickeln sich die Eier in der Röhre über eine Spiralfurchung in eine bewimperte Larve, die kurze Zeit freischwimmend ist.
Die frühesten Larvenformen, die bei den Obturata bekannt sind, sind bereits bodenlebend. Anders als die entsprechenden Formen der Perviata besitzen sie noch einen durchgehenden Darmkanal, der sich jedoch schnell in ein Trophosom umbildet. Es entwickelt sich erst ein bewimpertes Stadium mit einem oder zwei Tentakel, später kommt es zu einer Differenzierung des Körpers in die verschiedenen Körperregionen. Während dieser Entwicklung wird bereits die Röhre abgeschieden.
Verbreitung und Lebensraum
Ein Großteil der bekannten 150 Arten lebt im westlichen Pazifik und in den tiefen ozeanischen Gräben, aber auch bei Grönland, Neuseeland, im Indischen Ozean und im nordöstlichen Atlantik sind einige Arten zu Hause.
Bartwürmer wurden bislang in Tiefen von 25 bis über 10.000 Metern nachgewiesen, vor allem jedoch in der Tiefsee. Besonders die Riesenröhrenwürmer stellen dabei charakteristische Lebewesen im Ökosystem von unterseeischen hydrothermalen Quellen, den so genannten Black Smokers, dar.
Lebensweise
Aufgrund ihres Lebensraumes in der Tiefsee ist über die Lebensweise der Bartwürmer nur sehr wenig bekannt. Sie bewegen sich als festsitzende (sessile) Organismen nur innerhalb ihrer Röhren, können diese also mehr oder weniger weit verlassen ohne jedoch aus ihnen hinauszukriechen. Mehrere Reihen von Haftpapillen und Wimperreihen erleichtern ihnen dabei die Bewegung, muskulöse Ringwülste ermöglichen das Feststemmen innerhalb der Röhre.
Ernährung
Anders als andere marine sessile Organismen ernähren sich die Bartwürmer nicht von Schwebstoffen oder Organismen im umgebenden Wasser. Ihre Ernährung ist fast vollständig auf die Symbiose mit chemoautotrophen Bakterien abgestimmt. Diese leben im Trophosom der Bartwürmer, und wandeln aufgenommene anorganische Schwefelverbindungen in organisches Material um, welches dem Wurm als Nahrung dient. Über ein sehr feinmaschiges Blutgefäßsystem werden die Bakterien mit ausreichend Sauerstoff, Kohlendioxid und Schwefelwasserstoff versorgt. Um den giftigen Schwefelwasserstoff zu transportieren, sind die Hämoglobin-Moleküle des Blutes bei den Bartwürmern besonders aufgebaut und wandeln den Schwefelwasserstoff in ungiftige Wasserstoffsulfid-Ionen um. Sie binden außerdem zeitgleich Sauerstoff und Schwefelwasserstoff an zwei unterschiedlichen Bindungsstellen, um eine Oxidation zu verhindern. Die benötigten Stoffe werden an der Außenhaut des gesamten Körpers aufgenommen, vor allem jedoch durch die Tentakel, die aufgrund der starken Durchblutung rot gefärbt sind.
Ein besonders umfangreiches Trophosom besitzt Riftia pachyptila, bei diesem Wurm macht das Organ etwa 50 Prozent des Gesamtgewichtes aus, bis zu 30 Prozent des Volumens sind reine Bakterienmasse. Bei den Perviata wird das Bakteriengewicht dagegen auf weniger als ein Prozent geschätzt. Die Bakterien bevölkern dabei nur die zentral im Trophosom liegenden Zellen, die Bacteriocyten. Diese sind umgeben von bakterienfreien Zellen (Trophotheca), deren Hauptfunktion wahrscheinlich die Speicherung von Glykogen und Lipiden ist.
Systematik
Die Bartwürmer stellen ein Taxon dar, dessen systematische Einordnung sehr umstritten ist. Während sie klassisch häufig als eigener Stamm in die nähere Verwandschaft der Ringelwürmer und Igelwürmer gestellt werden, hat sich heute die Einordnung in die Ringelwürmer etabliert.
Der erste Bartwurm wurde auf der niederländischen „Siboga“-Expedition bei Tiefseenetzfängen gefangen und 1914 durch Maurice Caullery beschrieben. Dabei handelte es sich um Siboglinum weberi aus dem malaiischen Archipel. 1933 wurde die zweite Art, Lamellisabella zachsi aus dem Ochotskischen Meer von K.E. Johansson beschrieben und als Klasse in die Ringelwürmer eingeordnet. Erst 1955 wurden die Gemeinsamkeiten beider Arten erkannt und der gemeinsame Stamm gebildet. Schwierigkeiten bereiteten die Tiere vor allem durch das Fehlen des Darmes und den Besitz des Trophosom. Die gefundenen Exemplare waren ausserdem meistens unvollständig, da das Ophistosoma bei der Lösung aus der Röhre verlorenging. Durch die Ausbildung des Coelom ordnete A.V. Ivanov die Pogonophoren in mehreren Publikationen der 1950er und 1960er Jahre in die Verwandtschaft der Neumundtiere (Deuterostomia), also in die verwandtschaftliche Nähe der Stachelhäuter und Chordatiere, ein. Bei diesen Tiergruppen ist das Nervensystem dorsal ausgebildet (Rückenmark), entsprechend erhielten sie ihren Namen "Bartwürmer" durch die Annahme, dass die Tentakel an der Vorderseite statt dorsal liegen.
Erst 1963 entdeckte Webb die segmentierte Ophistosoma und brachte die Tiere in eine Verwandtschaftsbeziehung mit den Ringelwürmern. Diese Verwandtschaftshypothese wurde über viele weitere Merkmalsübereinstimmungen mit den Ringelwürmern bestätigt, unter anderem durch den speziellen Aufbau der Borsten und neuerdings auch durch molekularbiologische und embryologische Untersuchungen, die die aktuell favorisierte Einordnung innerhalb der Ringelwürmer festigen. Als alternative Hypothese ordnete M.L. Jones 1985 die beiden Taxa innerhalb der Bartwürmer als eigene Stämme auf der Stammlinie zu den Ringelwürmern an.
Obwohl die Verwandtschaftsverhältnisse noch nicht vollständig aufgeklärt sind, kann wohl davon ausgegangen werden, dass die Bartwürmer ein Taxon bilden, welches auf eine nur ihnen eigene Stammart zurückgeht (Monophylum). Aufgrund des sehr ähnlichen Aufbaus der Hakenborsten werden als Schwestergruppe der Bartwürmer vor allem die ebenfalls in Röhren lebenden Federwürmer (Sabellida) angenommen.
--- ? -- Federwürmer (Sabellida) |-- Bartwürmer (Pogonophora) |-- Perviata, Pogonophora i.e.S. | |-- Athecanephria | |-- Thecanephria | |-- Obturata, Vestimentifera |-- Axonobranchia |-- Basibranchia
Literatur
- Purschke G (1996): Pogonophora, Bartwürmer, in Westheide W, Rieger R: Spezielle Zoologie, Teil 1: Einzeller und Wirbellose Tiere, Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg
- Ivanov AV (1963): Pogonophora, Academic Press London
- Johansson KK (1968): Pogonophora, in Helmcke JG, Starck D, Wermuth H: Handbuch der Zoologie, Bd. III, DeGruyter Verlag Berlin
- Jones ML (1988): The Vestimentifera, their biology, systematic and evolutionary patterns, Oceanol. Acta Spec. Vol. 8; 69-82
- Nørrrevang A (1975): The phylogeny and systematic position of POgonophora, Zeitschrift für zoologische Systematik und Evolutionsforschung, Sonderheft 1
- Southward AJ, Southward EC (1987): Pogonophora, in Pandian TJ, Vernberg EJ: Animal energetics 2. Protozoan through Insecta, Academic Press London
- Webb M (1964): Additional notes on Sclerolinum brattstromi (Pogonophora) and the establishment of a new family, Sclerolinidae. Sarsia 16: 47-58.