Eignungstest für das Medizinstudium
Der Eignungstest für das Medizinstudium (EMS) ist ein intelligenznaher Studieneignungstest und gehört damit in den Bereich der Studienplatzbewirtschaftung. Ausrichter des EMS ist das Zentrum für Testentwicklung und Diagnostik an der Universität Fribourg, es besteht eine enge Zusammenarbeit mit dem Entwickler des deutschen Tests für medizinische Studiengänge (TMS), der ITB Consulting GmbH in Bonn, von welchem der EMS eine Abwandlung darstellt.
Der Test kommt in der Schweiz (8 Testorte) und Österreich (2 Testorte) zur Anwendung und findet simultan in beiden Ländern Anfang Juli statt. In der Schweiz wird der Test bei Notwendigkeit (20% Kapazitätsüberschreitung, keine Umleitungsmöglichkeiten) durchgeführt, die Entscheidung erfolgt durch die Schweizerische Universitätskonferenz im März. In Österreich besitzen die Universitäten Autonomie in Bezug auf die Wahl der Auswahlverfahren. So verwendet beispielsweise die Medizinische Universität Graz ein eigenes Auswahlverfahren, das stärker wissensabhängig ist.
Geschichte des EMS
Der Test wird seit 1998 in der Schweiz eingesetzt. Er ist eine Variante des deutschen Tests für Medizinische Studiengänge (TMS), der bis 1998 in Deutschland (und seit 2007 wieder in Baden-Württemberg) eingesetzt wird. Für Humanmedizin (seit 1998), Veterinärmedizin (seit 1999) und Zahnmedizin (seit 2004) ist ein Numerus clausus für Personen notwendig, die sich an den Universitäten Basel, Bern, Freiburg oder Zürich angemeldet haben. 2006, 2007 und 2008 wurde der EMS auch in Wien und Innsbruck eingesetzt.
Unterschiede zum TMS sind
- ein veränderter Konzentrationstest (der nun auch in den neuen TMS Eingang findet)
- ein neuer Untertest "Planen und Organisieren", der aufgrund einer neuen Anforderungsanalyse für das Medizinstudium aufgenommen wurde
- eine veränderte Reihenfolge der Untertests und der Verzicht auf Einstreuaufgaben
- die Verwendung des gemittelten Rangplatzes über die Untertests als Entscheidungskriterium bei gleichem Testwert
- die Dreisprachigkeit (deutsch, französisch, italienisch) aufgrund der Anforderungen hinsichtlich Chancengleichheit in der Schweiz
Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Juli 2005 musste Österreich seine Hochschulen für Bewerber aus anderen EU-Staaten öffnen. Die Universitäten erhielten daraufhin die Möglichkeit in acht Fächern, darunter Medizin, mit entsprechenden Mitteln zu selektieren. Die Folge war die Einführung des EMS an den Medizinischen Universitäten Innsbruck und Wien. (siehe auchDas Ende des "freien Hochschulzugangs" in Österreich)
Konzept des Tests - Was misst der EMS?
Der EMS besteht aus 10 Untertests, die von 9:00 bis 17:00 mit einer einstündigen Pause am Testtag zu bearbeiten sind. Die Belastung gehört mit zum Konzept des Tests. Im Unterschied zu einer Prüfung kann man den Test nicht "bestehen" oder nicht, er ist ein wettbewerbsorientiertes Reihungsverfahren: Es steht nur eine bestimmte Studienplatzkapazität zur Verfügung, die unter den Bedingungen des Numerus clausus fair unter den Bewerbern verteilt werden soll. Es sollen diejenigen Personen bevorzugt einen Platz erhalten, die für das Studium am besten geeignet sind, es in einer angemessen kurzen Studienzeit mit guten Ergebnissen zu beenden. Es wurde in Studien nachgewiesen, dass der Testwert des EMS diesen Studienerfolg gut vorhersagen kann. Auch für den Einzelfall gilt: "Je höher der Testwert, umso wahrscheinlicher das Bestehen der Prüfungen". Aus diesem Grunde werden die vorhandenen Studienplätze dann entsprechend der Höhe des Testwertes zugeteilt.
Ein Testwert wird jährlich so berechnet, dass der erzielte Punktwert auf Mittelwert und Standardabweichung der jeweiligen Kohorte standardisiert wird und der mittlere Testwert pro Jahr dann bei 100 mit einer Standardabweichung von 10 liegt. Da die Kohorten-Mittelwerte und -standardabweichungen länderspezifisch sind, ist keine Übertragung von Testergebnissen zwischen Ländern möglich. Auf der Basis des Testwertes findet die Zulassung statt. Bei gleichem Testwert entscheidet der durchschnittliche Rangplatz eines Bewerbers.
Die zehn Subtests des EMS sind:
- Quantitative und formale Probleme (20 Aufgaben, 50 Minuten): ein Test zu mathematischen Fähigkeiten im naturwissenschaftlichen Kontext.
- Schlauchfiguren (20 Aufgaben, 12 Minuten): ein mentaler Rotations-Test zu räumlichen Fähigkeiten.
- Textverständnis (18 Aufgaben, 45 Minuten): ein Test zum Lesesinnverständnis im naturwissenschaftlichen Kontext.
- Planen und Organisieren (20 Aufgaben, 60 Minuten): ein Test zu terminlich-organisatorischem Denken
- Konzentriertes und sorgfältiges Arbeiten (Blatt mit 1600 Zeichen, 8 Minuten): ein Aufmerksamkeitsbelastungstest analog zum bekannten d2-Test.
- Pause (1 Std.)
- Figuren lernen (20 Aufgaben, 4 Minuten lernen, 5 Minuten reproduzieren): ein Test der figuralen Merkfähigkeit.
- Fakten lernen (20 Aufgaben, 6 Minuten lernen, 7 Minuten reproduzieren): ein Test der verbalen Merkfähigkeit und assoziativen Erinnerungsbildung.
- Medizinisch-naturwissenschaftliches Grundverständnis (20 Aufgaben, 50 Minuten): ein Test zu kurzen naturwissenschaftlichen Denkaufgaben.
- Muster zuordnen (20 Aufgaben, 18 Minuten): ein Test der visuellen Strukturierungsfähigkeit analof zu Such-den-Fehler-Bildchen.
- Diagramme und Tabellen (20 Aufgaben, 50 Minuten): ein Test zum Verständnis und zur Interpretation von Diagrammen und Tabellen.
Der EMS ist ein intelligenznaher Studierfähigkeitstest. Mit Hilfe der Faktorenanalyse wurde ermittelt, zu welchem Anteil der Test Intelligenz misst. In etwa 40% der Varianz der Testergebnisse werden durch den allgemeinen Fähigkeitsfaktor (fluide Intelligenz, eine an den erstmals von Spearman (1904) isolierten Allgemeinen Faktor der Intelligenz angelehnte Bezeichnung [1]). Das heisst, dass 60% der Varianz der Testergebnisse durch andere Faktoren als Intelligenz bestimmt werden. Welche Faktoren dies genau sind ist ungeklärt. Mögliche Faktoren, die außerdem das Testergebnis beeinflussen könnten sind:
- Güte der schulischen Ausbildung (wahrscheinlich)
- Testmotivation (sicher)
- Geübtheit, Vorbereitung (sicher)
- Belastbarkeit (der Test dauert fast sechs Stunden) (wahrscheinlich)
- Testangst (wahrscheinlich)
Der EMS ist ein psychometrisches Verfahren in der Tradition der Klassischen Testtheorie. Die Subtests sind nicht - wie etwa der amerikanische Scholastic Aptitude Test bzw. die PISA-Studie nach dem 1-PL-Modell konzipiert, d.h. die Subtests sind nicht eindimensional.
Verschiedene Sprachversionen
Der EMS kommt in der Schweiz und Österreich zur Anwendung. Bedingt durch die Mehrsprachigkeit der Schweiz wird der Test auch in den Sprachen Italienisch und Französisch entwickelt. Dabei werden die Items hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Wirkung in den verschiedenen Sprach- und Länderversionen mit Hilfe der sog. DIF-Analyse überprüft. Für Fragen, die in einer Sprachversion schwerer sind, werden den dadurch benachteiligten Teilnehmern (Zehntel-)Bonuspunkte vergeben.
Geschlechterunterschiede
Geschlechtsunterschiede beim EMS waren immer wieder Gegenstand von Diskussionen, da wiederholt stabile Differenzen beim Testwert zwischen weiblichen und männlichen Teilnehmern zu beobachten waren, und sich damit grundsätzliche Fragen zur Testfairness stellen. Dabei zeigte sich, dass weibliche Teilnehmer im Mittel vor allem in Österreich beim Test schlechter abschnitten als männliche. In der Schweiz sind die Unterschiede weniger deutlich und erreichen nur in wenigen Jahren signifikantes Niveau. Dass sich 60% Frauen und 40% Männer in beiden Ländern im Durchschnitt bewerben wird als eine erste Ursache für Repräsentativitätsunterschiede gesehen, die eine Mittelwertsgleichheit unwahrscheinlich macht.
Bei allen Subtests (bis auf Muster zuordnen, bei dem sich die Leistungen nicht unterscheiden) sind die Mittelwerte entweder des einen oder anderen Geschlechts besser, wobei weibliche Teilnehmerinnen bei den Gedächtnistests (Figuren lernen und Fakten lernen) sowie bei "Konzentriertem und Sorgfältigem Arbeiten" in der Schweiz besser abschneiden, bei allen übrigen Subtests aber die mitteleren Leistungen von männlichen Teilnehmern besser sind. Am deutlichsten ist dieser Unterschied v.a. beim Subtest "Quantitative und Formale Probleme" zu Gunsten der Männer.
Der statistisch signifikante Unterschied zwischen Männern und Frauen ist länderspezifisch unterschiedlich. So lag er für die Schweiz und Deutschland immer im Bereich von etwa zwei Testwertpunkten (d.h. 0.2 Standardabweichungen) an der Grenze zur Signifikanz - entsprach ziemlich genau realen Unterschieden beim Prüfungeserfolg[2], während er in Österreich in den Jahren 2006 und 2007 ca. 0.4 Standardabweichungen betrug. 2008 hat er sich allerdings verringert, was auf die Sensiblisierung und enstprechende Massnahmen durch die Diskussion in den beiden Vorjahren zurückgeführt wird.
Die Bildungspsychologin Christiane Spiel versuchte im Rahmen einer Untersuchung in Österreich diese Unterschiede zu erklären, und führt in erster Linie klassische Rollenbilder als Ursache an, die sich auch im Schulunterricht auswirken. Benotungsunterschiede (geringere Notenstrenge gegenüber Frauen) wurden in einer Studie von Eder mittlerweile auch empirisch nachgewiesen. Auch das Interesse für mathematisch-naturwissenschaftliche Sachverhalte scheint sich zu unterscheiden und diese Orientierung müsste besonders für Frauen stärker gefördert werden, weil das Medizinstudium diese zwingend voraussetzt.
Eine weitere und eher spekulative "Theorie" stammt vom ehemaligen Bildungssprecher der SPÖ Josef Broukal, der vermutet, dass Frauen eher bei Fragen, die sie nicht wissen "hängenblieben", während Männer eher zu raten beginnen, und damit weniger Zeit verlören, wobei auch hier ungeklärt bleibt, warum dies besonders stark in Österreich der Fall sein soll.
Aufgrund dieser Sachlage ist in besonders in Österreich eine bildungspolitische Debatte über die Geschlechtsunterschiede im EMS entbrannt, die von Forderungen an Veränderungen an die Bildungspolitik bis zu kurz- und langfristigen Veränderungen des Tests reicht.
Politische Diskussionen
In der politischen Diskussion dazu gibt es immer wieder drei Themen:
- Die Sinnhaftigkeit von Zulassungsbegrenzungen wird infragegestellt, ein freier Hochschulzugang gefordert. Dies ist eine politische Entscheidung, die nichts mit dem Test selbst zu tun hat. Kein europäisches Industrieland ist aktuell in der Lage, diesen unbegrenzten Zugang für das Fach Medizin zu finanzieren, weil die Nachfrage nach diesen Studienplätzen in den letzten Jahren extrem zugenommen hat.
- Die Begründung der Verwendung eines Eignungstests wird hinterfragt. Nicht zuletzt deshalb wird die Vorhersagefähigkeit des Prüfungserfolges laufend evaluiert. Auch im Vergleich mit anderen Zulassungskriterien (Abiturnote, Aufnahmegespräche, Sozialpraktika, intrauniversitäre Selektion nach dem ersten Jahr) hat der Test aber Vorteile (siehe FAQ unter Weblinks).
- Man müsste Studienneigung, Studienmotivation, soziale Kompetenzen mehr berücksichtigen, um gute Ärzte auszubilden. Richtig ist, dass die Studienneigung deutlich vorhanden sein muss. Informationsmöglichkeiten über das Studium sind wichtig. Keiner dieser Bereiche hat aber die Qualität, dass es als "hartes" Kriterium für die Zulassung praktisch verwendbar wäre (Beurteiler notwendig, die unterschiedliche Massstäbe haben können, erwünschtes Verhalten ist stark trainierbar, einige Merkmale bilden sich erst während des Studiums heraus).
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ Spearman, C. (1904). General Intelligence objectively measured. American Journal of Psychology, 15,201-293.
- ↑ Berichte des ZTD