Das KZ-Außenlager Schillstraße in Braunschweig wurde im Herbst 1944 als Außenlager des KZ Neuengamme eingerichtet. Es wurde auch als „Lager Büssing-NAG/Schillstraße“ bezeichnet. Die zunächst rund 2.000 KZ-Häftlinge mussten Zwangsarbeit für die Rüstungsproduktion der Braunschweiger Automobilfirma Büssing-NAG leisten. Im März 1945 wurde das Lager aufgelöst, da die Produktion in den Büssing-Werken aufgrund von Bombenschäden eingestellt werden musste. Die Häftlinge wurden in andere Lager verlegt.
Auf dem Gelände der Gedenkstätte befindet sich auch das Schill-Denkmal, das 1837 als Grabstätte für den Major Ferdinand von Schill und einiger seiner Offiziere errichtet wurde. Ferdinand von Schill leitete 1809 einen gescheiterten Aufstandsversuch gegen die napoleonische Besatzung. 1955 wurde das Schilldenkmal neugeweiht und sollte nun auch an die gefallenen deutschen Soldaten des Zweiten Weltkrieges erinnern.
Bis zur Errichtung der Gedenkstätte fand am Volkstrauertag die offizielle Gedenkveranstaltung der des Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) und der Stadt Braunschweig am Schilldenkmal statt. Vertreter der Stadt, der Volksparteien, der Bundeswehr und Traditionsverbände ehemaliger Truppenteile legten Kränze nieder.
1994 und 1995 kam es am Schilldenkmal zu Auseinandersetzungen der Teilnehmer der offiziellen Gedenkveranstaltung mit Teilnehmern einer an gleicher Stelle und gleicher Zeit stattfindenden Gedenkveranstaltung antifaschistischer Gruppen für die Opfer des KZ-Außenlagers.
Diese Auseinandersetzungen führten schließlich dazu, dass die Stadt die Gedenkstätte KZ-Außenlager Schillstraße errichtete und die offizielle Gedenkveranstaltung auf den Hauptfriedhof verlegte.
Entstehung des Lagers
Seit etwa 1942 forderten die Büssing-Werke bei verschiedenen Regierungsstellen Zwangsarbeiter für den Einsatz in der Rüstungsproduktion an. Zunächst stellte u. a. das Strafgefängnis Wolfenbüttel Gefangene für diesen Zweck zur Verfügung. Deren Zahl reichte jedoch nicht aus, um die Produktion von Lastwagen des Büssingwerks und Flugzeugmotoren, die Büssing ab 1935 in Lizenz von Daimler-Benz in den Niedersächsischen Motorenwerken (NIEMO) in Braunschweig-Querum herstellte, sicherzustellen.
Im Frühjahr 1994 versiegte der Zustrom von ausländischen Zivilarbeitern im Dritten Reich und in der Wirtschaft wurden Überlegungen angestellt, das Potential der KZ-Häftlinge in den Konzentrationslagern zu nutzen. Zahlreiche, aus renommierte Firmen wie beispielsweise die Firma Büssing NVA stellten Anträge auf Zuteilung von Häftlingen, die beim SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt zu stellen waren. Zuständig war der SS-Standartenführer Gerhard Maurer oder bei Maurers Vorgesetzten, den SS-Gruppenführer, Richard Glücks, ferner auch bei Oswald Pohl[1]
Wurde die Zuteilung von Häftlingen genehmigt, kontrollierte Personal des Wirtschaftsverwaltungsamtes und der zuständige Lagerkommandant das Vorhaben hinsichtlich einer Eignung, das besonders auf die entsprechende Einzäunung und das Risiko der Kontaktaufnahme zu Zivilarbeitern achtete. Waren die Voraussetzungen durch die beantragende Firma erfüllt, wurde das KZ angewiesen eine Anzahl von KZ-Häftlingen zuzuweisen]][2] . Die Firmen hatten selbst für die Auswahl der Häftlinge zu sorgen und auch Büssing stellte einen Antrag, der genehmigt wurde und im September 1944 reisten zwei Mitarbeiter der Büssing-NAG ins KZ Auschwitz, um Häftlinge mit Erfahrungen in der Metallindustrie auszuwählen. Die meisten der ausgewählten Männer stammten aus dem jüdischen Ghetto in Łódź. In mehreren Transporten wurden die Häftlinge anschließend nach Braunschweig transportiert. Ein Teil kam zunächst in ein Unterkommando ins KZ Vechelde in Vechelde, der andere ins Lager Schillstraße. Zuvor wurden aus dem Stammlager Neuengamme 126 Häftlinge nach Braunschweig gebracht, um dort das Lager Schillstraße zu errichten. Unter den 126 Häftlingen waren 74 französische Widerstandskämpfer, 42 Russen, Letten, Esten, acht Deutsche und zwei Polen[3]. Es wurden vier Baracken zur Unterbringung der Gefangenen und eine für die SS-Wachmannschaft errichtet.
Zustände im Lager
Im Lager waren über 1000 Häftlinge untergebracht, die Zustände waren katastrophal. Die Baracken waren überbelegt, es herrschten extrem schlechte hygienische Verhältnisse. Das Essen war schlecht und führte zu Unterernährung. Die Häftlinge hatten keine warme Kleidung. Hinzu kamen Schwerstarbeit und Misshandlungen. Hunderte Häftlinge starben an den Folgen. Die genaue Zahl der Todesopfer ist nicht bekannt.
Auflösung des Lagers
Im Frühjahr 1945 wurden die verbliebenen Häftlinge zunächst in das Lager Watenstedt/Leinde gebracht, da die Produktion bei Büssing aufgrund von Kriegsschäden eingestellt werden musste. Im Lager wurden jetzt britische und amerikanische Kriegsgefangene untergebracht. Vom Lager Watenstedt/Leinde wurden die Häftlinge in Güterwaggons zuerst in Richtung Neuengamme transportiert, dann kehrte der Zug in Richtung Berlin um und erreichte schließlich das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Während des Transportes starb ein großer Teil der Häftlinge. Ein Teil der wurde von Ravensbrück weiter in das Lager Wöbbelin bei Ludwigslust transportiert, wo die wenigen Überlebenden am 2. Mai 1945 von amerikanischen Truppen befreit wurden.
Einmarsch amerikanischer Truppen in Braunschweig
Am 12. April 1945 nahmen Einheiten der 30. US-Infanteriedivision die Stadt Braunschweig ein. Nichts deutete mehr auf das ehemalige KZ hin. Die dort untergebrachten Kriegsgefangenen wurden befreit. Bereits am 15. April wurde die Produktion bei der Büssing-NAG (von den 6254 „Mitarbeitern“ während des Zweiten Weltkrieges waren 3066 Zwangsarbeiter) wieder aufgenommen, drei Tage später erteilte die Militärregierung die Erlaubnis zur Wiederaufnahme der Produktion.
Ermittlungen gegen Rudolf Egger-Büssing und Entschädigung von Zwangsarbeitern
Rudolf Egger-Büssing, als Generaldirektor der Büssing-Werke verantwortlich für den Einsatz der Zwangsarbeiter aus diversen KZs, wurde 1945 auf Antrag der Braunschweiger Wirtschaft als Präsident der Wirtschaftskammer von der Militärregierung bestätigt. Dies wurde von großen Teilen der Braunschweiger Arbeiterschaft und von der 1945 in Braunschweig gegründeten "Antifaschistischen Aktion" (ein Zusammenschluss von Mitgliedern verschiedenen Arbeiterparteien) als Provokation aufgefasst. Eine Betriebsrätevollversammlung aller Braunschweiger Großbetriebe erklärte: „Egger ist in den Augen der Arbeiterschaft Kriegsverbrecher“.
Im Herbst 1945 berichtete ein ehemaliger Mitarbeiter der Büssing-NAG dem Generalstaatsanwalt über Misshandlungen von Häftlingen im Lager. Daraufhin wurden frühere Häftlinge sowie Mitarbeiter von Büssing befragt. Die Ermittlungen ergaben genaue Schilderungen zur Situation im Lager ebenso wie Zeugenaussagen über Misshandlungen. Der Lagerkommandant als einer der Verantwortlichen war jedoch untergetaucht. Der Generaldirektor der Büssing-Werke Egger-Büssing gab zu Protokoll, dass er zwar von Todesfällen gewusst habe, er habe aber keine Veranlassung gesehen habe, sich darum zu kümmern, da er andere Aufgaben gehabt habe. Die War Crimes Group der Britischen Militärverwaltung regte im August weitere Ermittlungen an, teilte jedoch Anfang 1948 der Braunschweiger Staatsanwaltschaft mit, das Verfahren einzustellen.
Im Jahr 1948 beauftragte der ehemalige Zwangsarbeiter Adolf Diamant einen Rechtsanwalt aus Israel Schadenersatzansprüche für die geleistete Arbeit gegenüber der Büssing-NAG einzuklagen. Die Büssing-NAG bescheinigte zwar, dass Diamant Zwangsarbeit geleistet habe, er sei aber nicht eingestellt oder angefordert worden, sein Arbeitseinsatz sei von Regierungsstellen angewiesen worden. Folglich weigerte sich die Büssing-NAG ihm nachträglich Lohn zu zahlen. Das Amtsgericht Braunschweig verurteilte die Büssing-NAG schließlich am 20. Juni 1965 zu einer Lohnnachzahlung von 177,80 DM. 1977 wurde das Lager in die Anlage zum Bundesentschädigungsgesetz (BEG) aufgenommen.
Auseinandersetzungen um die Formen des Gedenkens
Seit 1955 fand am Schilldenkmal, das direkt an das ehemalige Lagergelände angrenzt, alljährlich zum Volkstrauertag die offizielle Gedenkveranstaltung des Volksbundes deutscher Kriegsgräberfürsorge und der Stadt Braunschweig statt. Es wurde den gefallenen Soldaten der braunschweigischen Truppenteile und den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft gedacht. An das KZ-Außenlager wurde dabei nicht erinnert. 1991 stellte die „Initiative KZ-Außenkommando Schilldenkmal“ eine Tafel mit Informationen zum KZ-Außenlager auf dem Gelände des Schilldenkmals auf. Diese wurde jedoch von der Stadt entfernt. Am Volkstrauertag 1994 und 1995 veranstaltete das „Antifaschistische Plenum“ und die „Jugend Antifa Aktion“ (JAA) an gleicher Stelle und zum gleichen Zeitpunkt wie die offizielle Kranzniederlegung eine Gedenkveranstaltung für die Opfer des KZ-Außenlagers. Es kam zu körperlichen Auseinandersetzungen, Polizeieinsätzen und Gerichtsverfahren.
Diese Auseinandersetzungen führten schließlich dazu, dass der Rat der Stadt 1996 beschloss einen Künstlerwettbewerb zur Gestaltung einer Gedenkstätte auszuschreiben. Die offizielle Gedenkveranstaltung wurde auf den Hauptfriedhof verlegt.
Gedenkstätte KZ-Außenlager Schillstraße
Seit Mai 2000 erinnert die von der Künstlerin Sigrid Sigurdsson konzipierte und von der Stadt Braunschweig errichtete „Gedenkstätte KZ-Außenlager Braunschweig Schillstraße“ an das Geschehene. Im sogenannten „Invalidenhäuschen“ (erbaut 1840) befindet sich nun ein sogenanntes „Offenes Archiv“, zu dessen Entstehung verschiedenen Braunschweiger Bürger, Organisationen und Parteien mit Dokumenten, Erlebnisberichten, Erinnerungen und Forschungen zur Geschichte des Lagers aber auch zur Auseinandersetzungen um die Formen des Erinnerns seit 1945 beigetragen haben. Texte aus dem offenen Archiv sind auf Tafeln an Mauern auf dem Gelände angebracht. Auf dem ehemaligen Gelände des Lager, das heute von der Post AG benutzt wird, wurde eine Leuchtschrift mit der Mahnung: "Die Zukunft hat eine lange Vergangenheit" angebracht.
Rudolf Egger-Büssing erhielt anlässlich seines 60. Geburtstages das Bundesverdienstkreuz und wurde zum Ehrensenator der TU Braunschweig und zum Ehrenbürger der Stadt Braunschweig ernannt.
Siehe auch
Literatur
- Bernhild Vögel: Denkstätte Schillstraße. Materialien für Schule und Bildungsarbeit, hrsg. vom Jugendring Braunschweig, Braunschweig 1998
- Karl Liedke: Gesichter der Zwangsarbeit. Polen in Braunschweig 1939-1945, Braunschweig 1998
- Karl Liedke / Kulturinstitut der Stadt Braunschweig (Hrsg.): Das KZ-Aussenlager Schillstraße in Braunschweig 1944-1945, Braunschweig 2006, ISBN 3-937664-38-6
- Karl Liedke: Vernichtung durch Arbeit: Juden aus Lodz bei der Büssing-NAG in Braunschweig 1944-1945, in: Gudrun Fiedler, Hans-Ulrich Ludewig: Zwangsarbeit und Kriegswirtschaft im Lande Braunschweig 1939-1945, hrsg. v. Braunschweiger Geschichtsverein , Bd. 39, Appelhans Verlag, Braunschweig 2003. ISBN 3-930292-78-3.