Mattium
Mattium war das politische, kulturelle und geistige Zentrum des westgermanischen Volksstammes der Chatten im Gebiet des heutigen Schwalm-Eder-Kreises in Nordhessen. Der römische Historiker Tacitus beschreibt in seinen Annalen dessen Zerstörung durch den römischen Feldherren Germanicus 15 n. Chr. Während die ältere Forschung Mattium mit der Altenburg bei Niedenstein gleichgesetzt hat, geht man heute davon aus, dass Mattium ein größeres Gebiet bezeichnete, das die wichtigsten rechtlichen und religiösen Stätten und Einrichtungen des Stammes einschloss.
Überlieferung nach Tacitus
Die chattische Siedlung grenzte im Osten an die Hermunduren und im Norden an die Cherusker, im Westen an die Marser und im Süden an die Römer. Erstmals erwähnte der Geograph Strabon die Bauernkrieger Chatten. Durch die Berührung mit den Römern im Süden, aber auch durch die Beteiligung an der Varusschlacht gingen die Chatten in die Geschichte ein. Wer zu dieser Zeit Häuptling der Chatten war, ist historisch nicht belegbar.
Die Niederlage der römischen Legionen unter Führung von Varus 9 n. Chr. und der Sieg Arminius' in der Schlacht am Teutoburger Wald gegen die Cherusker bedeutete für die Chatten nicht das endgültige Ende der Bedrohung durch die Römer. Der Römer Tiberius stieß 10 n. Chr. erneut zum Rhein vor und sicherte die römischen Stellungen. 13 n. Chr. löste Gemanicus Tiberius ab. Unter Germanicus wuchs sein Heer auf die größte Truppenstärke an einer Reichsgrenze Roms an. Nunmehr waren acht Legionen in Germanien stationiert. Die Chatten drangen unterdessen vom Mattium bis in die Wetterau vor.
Germanicus entschloss sich zu einem Gegenschlag, der zugleich eine Vergeltung für die Unterstützung der Chatten bei der Varusschlacht war. Mit vier Legionen und 10.000 Mann Hilfstruppen folgte er 15 n. Chr. von Koblenz der bronzezeitliche Lahnstraße, die an der Ohmmündung die Lahn verließ und in nordöstlicher Richtung in die Weserstrasse mündete. Begünstigt durch die anhaltende Trockenheit konnte Germanicus überraschend in die chattische Fritzlarer Niederebene einfallen.
Den Legaten Lucius Apronius ließ er zum Anlegen fester Wege und Schlagen von Brücken zurück, da er für den Rückmarsch ein Ansteigen der Lahn erwartete. Wäre Germanicus von Mogontiacum durch die Wetterau marschiert, wäre er an keinem größeren Gewässer, bis auf die Ohm, vorbeigekommen, die eine ganze Pioniereinheit zur Sicherung des Rückweges erfordert hätte. Zudem wäre ein Marsch durch die chattisch besetzte Wetterau nicht unbemerkt geblieben.
Gleichzeitig beorderte Germanicus den Legaten Caecina mit dem niederrheinischen Heer in Stärke von vier Legionen und 5.000 Mann Hilfstruppen nach Haltern am See, mit dem Ziel, über den bronzezeitlichen Hellweg die Cherusker und Marser zu hindern, die Chatten im Kampf gegen die Römer zu unterstützen.
Dieser plötzliche, unerwartete und schnelle Vorstoß überraschte die Chatten. Diese konnten keine organisierte Gegenwehr außerhalb der Sakrallandschaft mehr leisten. Gegenwehr leistete nur die chattische Jungmannschaft beim römischen Brückenschlag am Büraberg. Die chattische Jungmannschaft durchschwamm die Eder, wurde aber durch den taktischen Einsatz der militärisch überlegenen römischen Wurfmaschinen zurückgeschlagen.
Die Friedensbemühungen scheiterten. Einige wenige Chatten schlossen sich den Römern an, der größte Teil der Chatten verstreute sich in die umliegenden Wälder. Es wurde nicht weiter gekämpft. Der Hauptort der Chatten, das Mattium, war preisgegeben.
Germanicus äscherte das Hauptheiligtum des Wodan, des über den Tod in der Schlacht wachenden Gottes, ein und ließ das ackerwirtschaftlich genutzte Land bei Metze und Maden verwüsten. Entsetzt und beeindruckt stellten die Chatten nach der Zerstörung des Hauptheiligtums gänzlich die Gegenwehr ein. Innerhalb der Sakrallandschaft kam es zu keinerlei nennenswerten weiteren nachweisbaren Kampfhandlungen, der Kampfeswille der Chatten war durch die Zerstörung des Wodanheiligtums gebrochen.
Für Germanicus war die Zerstörung des Wodanheiligtums ausreichender Anlass, seinen Vorstoß in Rom als Sieg einer großen Schlacht anerkennen zu lassen. Tacitus belegt diese Zerstörung in seiner historischen Schrift Annalen, 1, 56.
Im 6. Jahrhundert n. Chr. kam das Gebiet unter fränkische Herrschaft, die Chatten vermischten sich mit den Franken.
Heutige Verortung
Lange hatte man Mattium mit der Altenburg bei Niedenstein gleichgesetzt. Mattium war jedoch nicht eine isolierte Befestigungsanlage, auch keine begrenzte Örtlichkeit, sondern ein umfangreiches Gebiet aus Einzelgehöften und Fliehburgen, umbaut von Ringwällen. Die Altenburg war ein Glied einer ganzen Ringwallkette, die die Ebene von Maden und Metze im weiten Umkreis umgaben. Da der Wortstamm Mattium im Namen der Dörfer Metze und Maden erhalten geblieben ist, ist das Mattium als Gebiet anzusehen, das die wichtigsten rechtlichen und religiösen Stätten und Einrichtungen des Stammes einschloss.
Sakrallandschaft
Der kultische Mittelpunkt ist mit zahlreichen Verehrungsstätten der Germanischen Gottheiten und anderer geweihter Orte in der Befestigungsanlage zu belegen. Zahlreiche Ortsnamen belegen deren sakrale Bedeutung. Mit den Ortsnamen Gudensberg (Wodensberg) und dem Walhall Odenberg und dem Wodanstein in Maden erklärt sich germanistisch, dass diese Orte Stätten der Wotansverehrung waren. Dort versammelten sich die gefallenen Krieger bei Wodan. Durch die Ortsnamen Dorla (Thurisloun, Durlon), Dissen (Dusinum) und durch die 723 n Chr. von Bonifatius bei Geismar gefällte Donareiche, die dem Herr des Gewitters geweiht war, gibt es eindeutige Hinweise auf den Donarkult. Züschen und Zennern gehen auf den Rechts- und Kriegsgott Ziu zurück. Haddamar hat seinen Namen von dem Kampf der Quellgöttinnen der Walküren, was sich aus der Silbe hathu = kampf begründet. Auch Fritzlar (Friedeslar= Freya) und Wichdorf (Wihdopf) bezeichnen Stätten mit sakralem Bezug. An diesen Stätten versuchte man den Willen der Götter aus den Eingeweiden der Tiere, dem Flug der Vögel oder aus dem Runenorakel zu ergründen.
Befestigungsanlage
Die Befestigungsanlage zog sich von der Schwalmpforte, die bei Kerstenhausen durch die Ringwälle des Hundeberges und der Altenburg bei Neuental gebildet wurde, über den Büraberg bei Fritzlar, den Wüstegarten, den Heiligenberg bei Gensungen, den Odenberg bei Gudensberg, den Bilstein bei Besse, den Burgberg bei Großenritte und den Hirzstein bei Elgershausen über die Altenburg bei Niedenstein nach Volkmarsen und von dort über den Hinterberg (Lohnerkopf) zum Heiligenberg zwischen Altendorf und Lohne. Im Ring dieser Wallburgketten vorchristlicher Zeit war die Altenburg bei Niedenstein die einzige, die durch vorbeiziehende Sueben zerstört wurde.
Archäologische Funde
- Funde aus der Altenburg bei Niedenstein im Hessischen Landesmuseum Kassel
- Opferschale vom Wüstegarten im Museum Hochzeitshaus in Fritzlar
- Reibschale vom Lotterberg
Quellen
- Eckhart G. Franz (Hrsg.): Chronik des Landes Hessen. Chronik Verlag Dortmund , 1991 S.11.
- Karl E. Demandt: Geschichte des Landes Hessen. Stauda Verlag Kassel, 1981, S. 23, 31, 63, 84 f, 95 u. 115.
- Ferdinand Schöningh (Hrsg.): Zeiten und Menschen. Schönigh und Schroebel Verlag, Paderborn, 1965, S.162 f.
- Eduard Brauns: Wander- und Reiseführer durch Nordhessen und Waldeck. A. Bernecker Verlag Melsungen, 1971, S. 17, S. 81 f.
- Felix Dahn: Völkerwanderung.