Als Hexenlehre bezeichnet man den Diskurs, der die vermeintlich reale Existenz von Hexen und ihr meist negativ geschildertes Wirken beschreibt sowie die Methoden, die zu ihrer Bekämpfung angezeigt erscheinen. Die Hexenlehre war vor allem in der Frühen Neuzeit von Bedeutung. Zu ihr zählten die damaligen Theologen, die heute oft als Hexentheoretiker bezeichnet werden, als Hauptelement den Teufelspakt, der sogleich mit dem Vertrag mit dem Teufel auch einen Abfall von Gott und somit Gotteslästerung bedeutete. Eng damit verbunden war die Vorstellung der so genannten Teufelsbuhlschaft, also Geschlechtsverkehr zwischen Hexe/Hexer und dem Teufel oder einem Incubus bzw.Succubus. Als drittes Element wurde der Hexensabbat in Verbindung mit dem Hexenflug genannt. Das vierte Element der Hexenlehre stellte die Schadenszauberei dar.
Unheilvolle Bedeutung gewann diese Hexenlehre im Zusammenhang mit den Hexenprozessen. Lieferten der Teufelspakt, die Teufelsbuhlschaft und die angebliche Schadenszauberei die Inhalte für die Zusammenstellung der Straftatbestände angeblicher Hexen, so lieferte die vermeintliche Anwesenheit an Hexensabbaten die Begründung für eine weitere Anwendung der Folter - denn schließlich galt es, weitere Hexen herauszupressen, die man doch auf dem Sabbat gesehen haben musste. Der Hexenflug, der als Zeichen für die durch den Teufel vermittelten übernatürlichen Eigenschaften der Hexen galt, gab eine Begründung für die Wirksamkeit des Hexenbades. Schwammen die angeblichen Hexen mit überkreuz gebundenen Händen und Füßen an der Oberfläche, so galt dies als Zeichen ihrer teuflischen Leichtigkeit, was oft als Indiz für die Schuld der Angeklagten galt. Ertranken sie, wie es von natürlichen Menschen zu erwarten war, galten sie als unschuldig. Die Hexenlehre gilt als eine frühe Form der Verschwörungstheorie[1].
Heute kommen Hexenlehren noch im subsaharischen Afrika und bei den Anhängerinnen der neuheidnischen Wicca-Religion vor.
Chronologische Darstellung der Entwicklung der Hexenlehre
Altertum
3./4./5. Jh. n.Chr.
- Das Christentum wird Staatsreligion im römischen Reich. Alte Glaubensvorstellungen von Dämonen und Göttern fließen in die Glaubenspraxis vieler christianisierter ehemaliger Heiden ein und führt zu regionalen Spielarten des Christentums.
- Die Kirchenväter erarbeiten die Grundsätze der nun modifizierten Dämonologie.
um 800
- Karl der Große verbietet die Zaubererverfolgung in seinen Gesetzen
um 900
- der canon episcopi, Bestandteil des kanonischen Rechts, lehnt einen Glauben an Hexen und Hexenflug als Phantasiegespinst ab
um 1199
- Papst Innozenz III. (1198 - 1216) setzt kirchliche Sonderbeauftragte zur Durchführung der Inquisition gegen Ketzer ein
1219 - 22
- Caesarius von Heisterbach verfasst sein Buch Dialogus miraculorum (Dialog über die Wunder), in dem er das vorgebliche Treiben von Hexen beschreibt
1229
- Das Konzil von Toulouse regelt Verfahren und Bestrafung bei Ketzerei, wobei kirchliche und weltliche Gewalt Hand in Hand arbeiten sollen
Mitte 13.Jh.
- die Gelehrten der Hochscholastik geben dem Dämonenglauben wieder eine bedeutende Stellung im Rahmen der Theologie
ab 14. Jh.
- Allmähliche Gleichsetzung von Ketzerei und Zauberei, da bei beiden Delikten der zentrale Vorwurf der des Abfalls von Gott und der Hinwendung zum Teufel ist.
ca. 1300
- Arnaldus de Villanova (1235 - 1311) schreibt 'De maleficis'
ca. 1330
- Das Buch 'Super materia haereticorum' von Zanchinus Ugolini (1302 - 1340) wird veröffentlicht
1370 / 1376
- Nicolaus Emericus (1320 - 1399) schreibt seine Zaubertraktate:'Tractatus contra daemonum invocatores' und 'Directorium Inquisitorum'
ca. 1435 - 1437
- Johannes Nider (1385 - 1438) schreibt sein Buch 'Formicarius'
ca. 1450
- Die Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg legt den Grundstein zur Verbreitung des bald perfekt definierten Hexenglaubens und der Maßnahmen, die dagegen zu ergreifen seien.
ca. 1458
- Nicolas Jacquiers Abhandlung Flagellum Haereticorum Fascinariorum wird niedergeschrieben und erlangt nach und nach in Fachkreisen Bekanntheit, wird aber wohl erst 1581 in einer stärkeren Auflage gedruckt
ca. 1460
- Girolamo Visconti schreibt 'Lamiarum sive striarum opusculum'
1482
- Bernard Basin verfasst 'Tractatus de artibus magicis et magorum maleficiis'
1484
- Papst Innozenz VIII. (1484 - 92) unterzeichnet die Bulle Summis desiderantes affectibus, die ihm von dem Dominikaner Heinrich Institoris in endgültiger Form vorgelegt worden war. Institoris diente sie als Legitimation für den Hexenhammer.
1487
- Heinrich Institoris (eigentlich: Heinrich Kramer) veröffentlichte das Buch 'Malleus Maleficarum' (Hexenhammer), eine inquisitorische Gebrauchsanweisung. Der Inquisitor Jakob Sprenger wird auf dem Frontispiz fälschlich als Mitautor genannt. Bei der überaus einflussreichen Schrift handelt es sich eine Kompilation früherer Hexenschriften. Das Buch fand u.a. durch die Buchdruckerkunst weite Verbreitung und wurde jahrhundertelang als Rechtfertigung und Anleitung der Hexenverfolgung benutzt. Spätere Hexentraktate gelten entweder als Kopien des Hexenhammers oder behandeln einzelne Teilaspekte intensiver.
Ende 15. bis Mitte 17. Jh.
- Hochphase der europäischen Hexenverfolgung
- Hexenverfolgung in Salem
- zahlreiche Traktate im Sinne der Hexenlehre und einige wenige, die gegen den Hexenglauben gerichtet sind, werden verfasst (vgl. dazu auch den Artikel Hexentheoretiker).
ab 1800
- nur noch vereinzelte Hexenprozesse (wenn Todesfälle vorkommen, dann im Zusammenhang mit Lynchjustiz durch das Volk)
- Die Hexe wird in das Märchenreich verbannt.
- Der Teufel spielt immer mehr nur noch eine untergeordnete Rolle in der Vorstellungswelt der Menschen.
Zeit des Nationalsozialismus
- Zwischen 1933 und 1945 entwickelte Reichsführer-SS Heinrich Himmler eine "nationalsozialistische Religion" mit der Verehrung germanischer Götter und einem Hexenglauben. Er behauptete, Hintergrund der Hexenverfolgungen der Frühen Neuzeit sei das Bestreben der Kirche gewesen, das angeblich geheime Wissen der „weisen Frauen“, zu vernichten, die allesamt „reinrassige Germaninnen“ gewesen seien. Die der Hexenlehre zugrunde liegende Verschwörungstheorie wurde hier umgedreht: Nicht die Hexen hätten sich mit dem Teufel verschworen, um allerlei Schadenszauber anzurichten, sondern die Kirche, hinter der das Judentum gestanden hätte, habe sich verschworen, angeblich altgermanisches Wissen und Brauchtum auszurotten. Diese Überzeugung führte dazu, dass die Nationalsozialisten an der Erforschung des frühneuzeitlichen Hexenwesens und der Hexenverfolgung sehr interessiert waren und der Sicherheitsdienst der SS zu diesem Zweck 1935 ein eigenes Institut ins Leben rief, die Hexenkartothek. [2]
Heutige Zeit
- Auch heutzutage gibt es in einigen Staaten noch Hexenverfolgung, oft verbunden mit Aberglaube und Furcht vor Krankheiten, so etwa in Afrika, Asien und Südamerika. Besonders geistig behinderte, geisteskranke oder verhaltensgestörte Menschen werden verdächtigt, Schadenszauber zu treiben. In nahezu allen afrikanischen Staaten gibt es einen gesellschaftlichen Diskurs zum Thema Hexen, Hexenwesen, Schadenszauber, Bekämpfung des Hexenwesens usw. Siehe dazu auch unter Hexenverfolgung und Hexenkinder.
Fußnoten
- ↑ Zur Hexenlehre als Verschwörungstheorie s. Wolfgang Wippermann, Agenten des Bösen. Verschwörungstheorien von Luther bis heute, be.bra verlag, Berlin 2007, S. 33 - 46
- ↑ Himmlers Hexenkartothek. Das Interesse des Nationalsozialismus an der Hexenverfolgung, hg. v. Lorenz, Sönke/Bauer, Dieter R./Behringer, Wolfgang/Schmidt, Jürgen Michael in Zusammenarbeit mit dem Institut für geschichtliche Landeskunde und historische Hilfswissenschaften der Universität Tübingen (= Hexenforschung 4), 2. Aufl. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2000
Literatur
- Wolfgang Behringer, Hexen und Hexenprozesse in Deutschland, dtv 2000, ISBN 3-423-30781-1
- Heinrich Kramer, Der Hexenhammer. Malleus maleficarum, dtv 2000, ISBN 3-423-30780-3
- Friedrich von Spee, Cautio Criminalis oder Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse, dtv 2000, ISBN 3-423-30782-X
- Brian P. Levack, Hexenjagd. Die Geschichte der Hexenverfolgungen in Europa, C.H.Beck 2003, ISBN 3-406-42132-6
- Heike Albrecht, Hexenglauben, Hexenverfolgung, Hexenwahn im Deutschland der Frühen Neuzeit - Ansatz einer soziologischen Analyse, Diplomica 2002, ISBN 3-8324-5556-6
- Ulrich Molitor Von Unholden und Hexen Originalausgabe 1489, Neu ins Deutsche von Nicolaus Equiamicus 2008; ISBN 978-3866080898