Triangulation (Sozialwissenschaften)
Triangulation ist eine Forschungsstrategie in der empirischen Sozialforschung, bei der verschiedene Methoden oder Sichtweisen auf das gleiche Phänomen angewendet werden oder verschiedenartige Daten zur Erforschung dieses Phänomens herangezogen werden, um mit den Stärken der jeweils einen Vorgehensweise die Schwächen der anderen auszugleichen. Ziel ist es zumeist, eine höhere Validität der Forschungsergebnisse zu erreichen und Bias' zu verringern,[1] obwohl eine Reihe von Autoren der Ansicht ist, Triangulation würde lediglich ein reichhaltigeres, aber nicht unbedingt ein valideres Bild der empirischen Realität ermöglichen.[2] Eine Minderheit von Forschern, vorwiegend aus hermeneutischen Forschungstraditionen, lehnt Triangulation aus erkenntnistheoretischen Gründen vollständig ab.
Obwohl Triangulation eine Affinität zu mixed-methods designs aufweist, kommt sie doch zumeist in der Qualitativen Sozialforschung zum Einsatz, in der sie auch ideengeschichtlich verankert ist.
Geschichte
Die Kombination verschiedener Methoden und Daten in der Sozialforschung wurde bereits im 19. Jahrhundert, beispielsweise in Lenins 1898 erschienenem Die Entwicklung des Kapitalismus in Russland, betrieben.[3] Derartiges Kombinieren wurde in der gesamten ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts — beispielsweise in der klassischen Studie Die Arbeitslosen von Marienthal — praktiziert,[4] die dafür heute gebräuchliche metaphorische Bezeichnung „Triangulation“ wurde aber erst ab den 1950er Jahren aus der Geodäsie in die Sozialwissenschaften importiert.[5] Zu Beginn der 1960er Jahre war besonders Paul Lazarsfeld ein Verfechter von Methodenkombinationen,[6] aber erst ab Ende der 1960er Jahre erlangte Triangulation durch den Aufstieg der Grounded Theory als explizit verfolgte Forschungsstrategie und in der methodologischen Literatur immer mehr an Bedeutung.[7] Eine typologische Systematisierung verschiedener Formen von Triangulation entstand erst in den 1970er Jahren.[3] Ab Mitte der 1970er Jahre fand die Triangulation Einzug in viele Standardlehrbücher zur empirischen Sozialforschung.[1] Erst ab Mitte der 1980er Jahre entstanden systematische Kritiken dieses Vorgehens. Im Zuge der seit Beginn des neuen Jahrtausends verstärkt geförderten integrierten Methodenausbildung in den Sozialwissenschaften gewann die Triangulation weiter an Bedeutung.[7]
Verbreitung
Parallel zur Bedeutung qualitativer Methoden in den verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen ist die Triangulation vor allem weit verbreitet in ersterer Hochburgen wie der Ethnographie;[8] in mehr quantitativ ausgerichteten wie der Volkswirtschaftslehre ist sie dagegen seltener anzutreffen. Disziplinübergreifend ist Triangulation allerdings eher ein Desiderat in Lehrbüchern denn ein in der Praxis verbreitetes Forschungsprogramm.[9]
Methodik
Triangulation ist heute, neben der Sequenzierung, bei der qualitative und quantitative Forschungsstrategien nacheeinander angewendet werden und der Hybridisierung, bei der die Vermischung von Methoden kaum mehr analytisch ausgemacht werden kann, ein Kerngebiet der Methodenkombination in den Sozialwissenschaften.[10] Dabei ist allerdings zu beachten, dass aufgrund der Popularität des Begriffes, Triangulation keineswegs ein eindeutig umgrenztes Forschungsprogramm mehr ist.[11]
Typologie
Norman K. Denzin entwickelte 1970 die bis heute am weitesten verbreite Legitimation und Typologisierung der Triangulation. Er unterscheidet dabei vier Formen der Triangulation: Datentriangulation, Forschertriangulation, Theorietriangulation und Methodentriangulation.[12]
Datentriangulation
Bei der Datentriangulation werden Daten aus verschiedenen Quellen oder verschiedenartige Daten aus der selben Quelle verwendet, um so die verschiedenen Bias' unterschiedlichen Datenmaterials auszugleichen.[13] In einer Untersuchung zu Sprachkursen können so beispielsweise Schüler, Lehrer und das administrative Personal befragt werden,[13] da jede dieser Quellen vermutlich eine andere Herangehens- und Sichtweise zu den Sprachkursen aufweisen. Alternativ oder in Verbindung mit dieser Vorgehens weise, könnten zum Beispiel experimentelle Daten, Umfragedaten oder aus einer teilnehmenden Beobachtung über die verschiedenen Personengruppen gesammelt werden. Die verschiedenen Daten wiederum können in verschiedenen Formen vorliegen und ausgewertet werden, beispielsweise Interviewdaten als Transkript (in verschiedenen Transkriptionsformen) oder als Video- oder Audiodateien.
Spezielle Formen dieser Art der Triangulation sind die Zeit- und Ortstriangulation,[14] bei der Daten zu verschiedenen Zeiten beziehungsweise an verschiedenen Orten erhoben werden, um so Spezifizitäten des historischen Kontexts zu eliminieren.
Forschertriangulation
Eine weitere Möglichkeit ist es, dass verschiedene Forscher die Daten analysieren; Hintergrund dieser Idee ist es, dass angenommen wird, dass verschiedene Personen unterschiedliche (oft implizite) Theorieansätze verfolgen oder, in der qualitativen Sozialforschung, verschiedene Fähigkeiten in der Datenanalyse mitbringen.
Methodentriangulation
Die Methodentriangulation ist die am weitesten verbreitete Methode der Triangulation.[15] Dabei werden verschiedene Methoden angewandt, von denen zumeist eine qualitativ und die andere quantitativ ausgerichtet ist. Dies kann sowohl geschehen, indem man die gleichen Daten mit verschiedenen Methoden auswertet, wobei qualitative Daten in quantitative umgewandelt werden, oder, indem verschiedene Datensätze mit verschiedenen Methoden ausgewertet werden.[16] Ein Beispiel für letztere Version ist die gleichzeitige Anwendung von qualitativen Fallstudien und quantitativen großzahligen empirischen Erhebungen.
Derartige Methodenkombinationen können jedoch — unabhängig von der jeweiligen ontologischen und epistemologischen Einschätzung der Triangulation an sich — Probleme ergeben, wenn die verwendeten Methoden einander widersprüchlichen Ontologien implizieren.[17] Dies hat zur Folge, dass die Kombination verschiedener Methoden immer auch zunächst die Entscheidung für ein bestimmtes erkenntnistheoretisches Forschungsparadigma voraussetzt.[18]
Theorietriangulation
In den 1990er Jahren schlug Valerie Janesick eine fünfte Art der Triangulation, die interdiszplinäre Triangulation, vor.[19] Ähnlich der theoretischen Triangulation werden hier Ansätze verschiedener Fachdisziplinen verwendet, um die Erklärung eines Phänomens zu entwickeln.
Anwendungen
Die verschiedenen Arten der Triangulation können selbstverständlich untereinander kombiniert werden. Ein besonders bekanntes Beispiel dieser Art innerhalb der Ethnomethodologie ist Cicourels unbegrenzte Triangulation, bei der sowohl Forscher als auch Forschungssubjekte sowie Forschungsassistenten bei der Generierung verschiedenartigen Datenmaterials und dessen Auswertung mitwirken. Dabei werden verschiedenartigen Datenformen von Gesprächen zwischen Forschern und Beforschten erstellt, zum Beispiel indem unterschiedliche Transkriptionsarten zur Erzeugung von Daten für eine Analyse der gleichen Gespräche verwendet werden.[20]
Hilfsmittel
Bei der Datentriangulation sind nach Ansicht vieler Autoren computergestützte qualitative Datenanalyse Softwares behilflich, weil sie eine Reihe verschiedenartiger Daten organisieren können.[21] Dabei ermöglichen diese Programme dem qualitativ arbeitenden Forscher, von ihm kodierte Daten verlustfrei an Statistik-Programme zu übergeben.[22] Die Untersuchung gewänne so an Transperenz and Systematik.[22]
Bewertung
Wie alle Methoden der empirischen Sozialforschung kommt auch die Triangulation mit einem theoretischen Gepäck. In diesem Fall ist es ein (naiver) Realismus, der den Befürwortern der Triangulation vor allem von konstruktivistischer Seite vorgeworfen wird, weil Triangulation notwendigerweise die Existenz einer objektiven Realität voraussetzt.[23] Manche Autoren, darunter Norman W. H. Blaikie, glauben daher sogar, dass Triangulation in der Praxis nur innerhalb (post-)positivistischer Ansätze erfolge.[24]
Von Vertretern des Postmodernismus wird dagegen angemahnt, dass Triangulation verkenne, dass jede Methode eine andere Sicht auf ein Phänomen wirft; sie schlagen daher statt Triangulation Kristallisation in der Methodenkombination zu, bei der eben gerade nicht äquivalente Ergebnisse erzielt werden sollen.[25]
Belege
- ↑ a b Norman W.H. Blaikie: A Critique of the Use of Triangulation in Social Research. In: Quality & Quantity. Band 25, Nr. 2, Mai 1991, S. 115–136, S. 115 (springerlink.com).
- ↑ Nigel Fielding, Jane L. Fielding: Linking data: The Articulation of Qualitative and Quantitative Methods in Social Research. Sage, London & Beverley Hills 1986, S. 33.
- ↑ a b Wendy K. Olson: Triangulation in social research: Qualitative and quantitative methods can really be mixed. In: Developments in Sociology. Band 20, 2004, S. 103–121, S. 103.
- ↑ Uwe Flick: Triangulation: Eine Einführung. 2. Auflage. VS Verlag, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-531-15666-8, S. 7.
- ↑ Norman W. H. Blaikie: A critique of the use of triangulation in social research. In: Quality & Quantity. Band 25, Nr. 2, 1991, S. 115–136, S. 117 (springerlink.com).
- ↑ Uwe Flick: Triangulation: Eine Einführung. 2. Auflage. VS Verlag, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-531-15666-8, S. 8.
- ↑ a b Uwe Flick: Triangulation: Eine Einführung. 2. Auflage. VS Verlag, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-531-15666-8, S. 9.
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- ↑ Nigel Fielding, Margit Schreier: On the Compatibility between Qualitative and Quantitative Research Methods. In: FQS — Forum Qualitative Sozialforschung. Band 2, Nr. 1, Februar 2001, Kap. 4, S. 3 (qualitative-research.net [abgerufen am 22. Oktober 2008]).
- ↑ Nigel Fielding, Margit Schreier: On the Compatibility between Qualitative and Quantitative Research Methods. In: FQS — Forum Qualitative Sozialforschung. Band 2, Nr. 1, Februar 2001, Kap. 4, S. 11 (qualitative-research.net [abgerufen am 22. Oktober 2008]).
- ↑ Nigel Fielding, Margit Schreier: On the Compatibility between Qualitative and Quantitative Research Methods. In: FQS — Forum Qualitative Sozialforschung. Band 2, Nr. 1, Februar 2001, Kap. 4, S. 12 (qualitative-research.net [abgerufen am 22. Oktober 2008]).
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- ↑ a b James Dean Brown: Using Surveys in Language Programs. Cambridge University Press, Cambridge 2001, ISBN 0-521-79216-9, S. 228.
- ↑ James Dean Brown: Using Surveys in Language Programs. Cambridge University Press, Cambridge 2001, ISBN 0-521-79216-9, S. 229.
- ↑ Uwe Flick: Triangulation: Eine Einführung. 2. Auflage. VS Verlag, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-531-15666-8, S. 10.
Nigel Fielding, Margit Schreier: On the Compatibility between Qualitative and Quantitative Research Methods. In: FQS — Forum Qualitative Sozialforschung. Band 2, Nr. 1, Februar 2001, Kap. 4, S. 12 (qualitative-research.net [abgerufen am 22. Oktober 2008]). - ↑ Pat Bazeley: The Contribution of Computer Software to Integrating Qualitative and Quantitative Data and Analyses. In: Research in the Schools. Band 13, Nr. 1, 2006, S. 64–74.
- ↑ Norman W. H. Blaikie: A critique of the use of triangulation in social research. In: Quality & Quantity. Band 25, Nr. 2, 1991, S. 115–136, S. 122 f. (springerlink.com).
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- ↑ Norman W.H. Blaikie: A Critique of the Use of Triangulation in Social Research. In: Quality & Quantity. Band 25, Nr. 2, Mai 1991, S. 115–136, S. 125 (springerlink.com).
- ↑ Valerie J. Janesick: The Choreography of Qualitative Research Design: Minuets, Improvisations, and Crystallization. In: Norman K. Denzin, Yvonna S. Lincoln (Hrsg.): Strategies of Qualitative Inquiry. 2. Auflage. Sage, Thousand Oaks, CA 2003, ISBN 0-7619-2691-7, S. 46–79, S. 67.
Laurel Richardson: Writing: A Method of Inquiry. In: Norman K. Denzin, Yvonna S. Lincoln (Hrsg.): Handbook of Qualitative Research. Sage, Thousand Oaks, CA 1994, S. 516–529.
Literatur
- Uwe Flick: Triangulation: Eine Einführung. 2. Auflage. VS Verlag, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-531-15666-8.