Die Braunschweiger Landwehr (auch: Alte Landwehr) war ein Teil der Befestigungsanlagen der mittelalterlichen Stadt Braunschweig.
Geschichte
1376 beschloss der Rat der Stadt, mit Duldung des Herzogs im Braunschweiger Umland einen Befestigungswall zu errichten. Bei Ölper wurde mit dem Bau von steilen Erdwällen begonnen; bisweilen verliefen bis zu drei Wälle parallel, die von tiefen Gräben eingefasst waren.
Wo die Celler Heerstraße die Landwehr durchschnitt, wurde ein erster Wart- und Wehrturm errichtet, der Ölper Turm. Sodann kam der Bau vorerst zum Erliegen. 1384 ließ Herzog Friedrich (1373-1400) auf Initiative des damaligen Bürgermeisters Ludolf von Ingeleben die Landwehr weiterbauen. 1416 war das Bauwerk mit insgesamt 7 Wart- und Wehrtürmen und Bergfrieden beendet.
Herzog August Wilhelm ließ Anfang des 18. Jahrhunderts die gesamte Landwehr instandsetzen und die Gräben vertiefen. Des Weiteren bekamen die jetzt noch massiver gebauten Türme jeweils ein Wohnhaus und eine Wirtschaft. Die Reisenden konnten hier eine Rast einlegen, bevor Sie weiterzogen nach Braunschweig.
Mit Ausgang des 18. Jahrhunderts verlor die Landwehr ihre eigentliche Bestimmung, die Türme gingen nach und nach in Privateigentum über oder dienten nur noch als Gastwirtschaft. Am 9.März 1802 gab der Herzog Karl Wilhelm Ferdinand dann den Befehl zur Schleifung sämtlicher Befestigungsanlagen der Stadt, unter anderem auch der Landwehr, was sich im Jahre 1809 beim Angriff der französischen Truppen (Gefecht bei Ölper) beinahe als verhängnisvoller Fehler erwies.
Bedeutung der Landwehr
Die Stadt Braunschweig war zunächst durch fünf Maßnahmen geschützt:
- die Stadtmauer (Reste hiervon sind an der Echternstraße sowie auf dem Schulhof der Kennedyschule sichtbar)
- den inneren Wall
- den inneren Umflutgraben (sichtbar heute noch als Mühlgraben zwischen Güldenstraße und Petritorwall)
- den äußeren Wall (heute Parkanlagen: Theaterwall, Museumswall, Petritorwall, Inselwall ...)
- den äußeren Umflutgraben (künstlich geschaffener Verlauf der Oker, heute sichtbar als solcher).
Eine weitere Maßnahme bestand in der Landwehr, die einen weiteren Ring mit einem Abstand von 3 bis 10 km um den Stadtkern herum zog und damit wichtiger Bestandteil des Braunschweiger Sicherheitssystems war. Als äußerer Schutzring umgab sie Braunschweig und die Dörfer Lehndorf, Ölper und Melverode sowie zusätzlich etwas Acker- und Weideland. Sie war für ungebetene Gäste ein schwierig zu überwindender Gürtel.
An den Durchlässen der großen Handels- und Heerstraßen befanden sich Kontrollschranken vor gemauerten Wehrtürmen. Von den Türmen aus konnte der Landwehr-Turmwärter bei Bedarf optische Signale in Richtung der Turmwärter von St. Katharinen und St. Martini aussenden, die dann die rechtzeitige Schließung der Stadttore von Braunschweig veranlassen konnten.
In jedem Turm lebte ein besoldeter Wärter, der die passierenden Reisenden kontrollierte. Bei Gefahr sicherte er die Straße durch mehrere dicke Schlagbäume um somit den feindlichen Vormarsch wenigstens etwas zu verzögern. Außerdem gab er Licht- oder Hornsignale vom Turm aus zu den Kirchen St.Martini oder St.Katharinen, die daraufhin sofort Alarm läuteten und dadurch die Stadttore sichern ließen.
Die Landwehr hatte außer als Frühwarnsystem oder vorübergehendes Hindernis keine gesteigerte strategische Bedeutung. Sie schützte die Stadt vor Raubrittern, unerwünschtem Gesindel und vor Viehdiebstählen auf den Weiden der Stadt. Sie hielt auch beutemachende Söldnertruppen von der Stadt fern. Die Landwehr bezeichnete schließlich auch die Grenze der Stadt Braunschweig: von hier ab wurde es ernst bei kriegerischen Auseinandersetzungen.
Die Türme unterstanden wie die Landwehr den Landwehrvögten, die für die Unterhaltung der Anlagen sorgen mussten. Noch im Jahr 1595 gab es einen städtischen Reiter auf dem Marstall, der den Auftrag hatte, ständig die Landwehren zu kontrollieren.
Neben den Landwehrtürmen gab es von Anfang an schon Gastwirtschaften. Die Krüger hatten Speise und Trank für die Durchreisenden bereitzuhalten. Sie übten auch hoheitliche Funktionen aus und waren darum vom Rat der Stadt vereidigt worden. Sie sollten die Landwehren beobachten und nachts die Schlagbäume geschlossen halten, in Krisensituationen auch am Tage. Verdächtiges Volk durfte nicht eingelassen werden. Sollten die Krüger sich anbahnende Anschläge gegen die Stadt beobachten, hatten sie es sofort dem Rat zu melden.
Verlauf der Landwehr
Der Verlauf wird in erster Linie gekennzeichnet durch die sieben Türme, die heute noch vom Namen und vom Standort her bekannt sind: Der Rüninger Turm an der Frankfurter Straße, der Raffturm an der Hannoverschen Straße (B 1), der eingangs erwähnte Ölper Turm an der Celler Heerstraße, der Wendenturm in Rühme an der Gifhorner Straße, der Bergfried Rothenburg bei Broitzem, der Gliesmaroder Turm an der Berliner Strasse, der Schöppenstedter Turm an der Helmstedter Strasse.
Vom Wendenturm bildeten die Aue der Schunter nach Osten und danach die Aue von Mittelriede und Wabe nach Süden über den Gliesmaroder Turm und dem Schöppenstedter Turm bei Rautheim bis zur Feldmarkgrenze zu Salzdahlum die Landwehr. Hier waren wegen des sumpfingen Geländes keine besondere Befestigungen notwendig.
Von dort verlief die Landwehr zum nicht mehr vorhandenen Kleinen Weghaus auf dem Weg nach Salzdahlum und weiter zwischen Melverode und Stöckheim zum Rüninger Turm. Der Fuhsekanal (in früheren Zeiten auch als Aubach oder Landwehrkanal bezeichnet) bildete die Landwehr von dort bis nach Broitzem, wo an der heutigen Straße An der Rothenburg der gleichnamige Bergfried stand, von dort aus durch den Timmerlaher Busch quer über den Madamenweg zum Raffturm, weiter durch das Neubaugebiet Lammer Busch bis zum Lammer Holz und parallel zum heutigen Horstbleek hin zum Ölper Turm und dann, nachdem sie ein wenig dem Verlauf der Oker folgte, verlief sie weiter über den Münzberg hinter dem südlichen Ortsausgang Veltenhofs vorbei über den Schwarzen Berg wiederum zum Wendenturm. Der Münzberg und der Schwarze Berg wurden als natürliche Erhebungen in das System der Landwehr integriert.
Heute noch sichtbare Reste
Reste des Walls sowie der Gräben sind heute teilweise noch sichtbar. Im Ölper Holz verläuft parallel zum Horstbleek über eine Strecke von 500 m der älteste und höchste erhaltene Wallabschnitt. Im Lammer Holz verläuft ein Rest am Waldrand zum Neubaugebiet Lammer Busch hin. Eine markante Doppelwallanlage befindet sich im Rautheimer Holz, diese zieht sich von der Landwehrstraße in Mascherode durch den Wald über mehrere Kilometer bis zur Wabe hin und bildet in diesem Abschnitt noch bis heute die offizielle Grenze der Stadt Braunschweig.
Weitere Reste befinden sich im Mascheroder Holz, im Salzdahlumer Holz sowie zwischen südlichen Ortsausgang Veltenhof und dem Münzberg am Okerufer. Letztere werden allerdings fortschreitend durch die mäandrierende Oker zerstört. Wo die Wälle geschleift wurden, weisen heute noch Gräben (Timmerlaher Busch, Fuhsekanal, Springbach zwischen Melverode und Stöckheim) oder Wirtschaftswege (Lammer Busch) auf den ehemaligen Verlauf der Landwehr hin. In Ölper ist dieser anhand der Straße Alte Landwehr, in Mascherode anhand der Straße Landwehrstraße erkennbar. In der Nähe des ehemaligen Standorts des Rüninger Turms deuten Straßennamen wie Am Turmsberg oder Im Turmswinkel auf die Lage des dortigen Wachturms hin. Das ehemalige Rüniger Zoll- und Landwehrhhaus steht heute am Altstadtmarkt.
Am Ölper Turm, Raffturm, Schöppenstedter Turm und Gliesmaroder Turm sind oder waren bis vor Kurzem noch gleichnamige Gaststätten in historischen Gebäuden ansässig, die Gaststätte des Ölper Turms hat ihre erste urkundliche Erwähnung 1640.
Störungen erfuhren in der Vergangenheit vorhandene Reste der der Alten Landwehr durch den Bau des Ölper Knotens, der Autobahn 391 nach Rüningen hinaus sowie durch den allgemeinen Siedlungsbau (Breite Riede, Horstbleek, Am Zoo) Im Neubaugebiet Lammer Busch Ost hingegen wird in Zukunft ein bewußt durchgehend unbebauter Grünstreifen, der sich mitten durch das Neubaugebiet zieht, auf den ehemaligen Verlauf der Landwehr hinweisen.
Über die Braunschweiger Landwehr selbst gab es in den letzten zwanzig Jahren keine Veröffentlichungen mehr. Der Bevölkerung ist sie weitgehend unbekannt. Im Rautheimer Holz weist ein Schild des Heimatpflegers auf die Landwehr in, bei den Resten am Münzberg kann man einem Schild die Bezeichnung "Alte Landwehr, mittelalterliche Wallanlage 15. Jhd." und ihre Einstufung als Naturdenkmal entnehmen.
Quellen
- Arnholdt, Hans-Martin; Casemir, Kirstin; Ohainski, Uwe (Hrsg.): Die Gerlachsche Karte des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel (1763-1775). Mappe mit 18 Kartenblättern und Begleitheft. Aus der Reihe Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 235 ISBN 10: 3-7752-6035-8; ISBN 13: 978-3-7752-6035-0.
- Bornstedt, Wilhelm: Die alten Heer- und Handelsstraßen im Großraume um Braunschweig: Hildesheim, Peine, Schunter, Königslutter, Helmstedt, Schöningen, Schöppenstedt, Grosses Bruch, Oderwald, Wolfenbüttel, Salzgitter und Braunschweig; mit 1 großen Faltkarte (1:50.000), 10 Sonderkarten, Wiedergaben von 2 Stichen und 10 Bildern. Landkreis Braunschweig, 1969
- Bornstedt, Wilhelm: "Aus der Geschichte von Rautheim an der Wabe", Braunschweig 1977
- Bornstedt, W.: Chronik des Pfahldorfes Rüningen. Siedlungsgeographie, Sozial-, Kultur- und Kriegsgeschichte eines braunschweigischen Dorfes. Braunschweig 1980.
- Camerer, L. u.a. (Hgg.): Braunschweiger Stadtlexikon. Braunschweig 1992.
- Reißner, J: Die Landwehr im alten Braunschweig, in: Braunschweigischer Kalender 1968, S. 52ff.
- Sauerbrey, B.: Die Wehrverfassung der Stadt Braunschweig im Spätmittelalter. (Braunschweiger Werkstücke 75) Braunschweig 1989, S. 32 ff.
- dies.: Bürger und Stadtverteidigung - Die städtische Wehrverfassung am Beispiel Braunschweigs, in: Puhle, M. (Hg.): Hanse - Städte - Bünde. Die sächsischen Städte zwischen Elbe und Weser um 1500. (Magdeburger Museumsschriften 4) Magdeburg 1996, Bd. 1, S. 182 - 190.
- Schultz, H.A.: Die Landwehr der Stadt Braunschweig. Ihr Verlauf im Lichte der neuesten Forschung, in: Braunschweigische Heimat 3/1954, S. 73- 77.
- Spies, G. (Hg.): Braunschweig. Das Bild der Stadt in 900 Jahren. Geschichte und Ansichten. Braunschweig 1985, 2 Bände.
- Spiess, W.: Braunschweig im Nachmittelalter. Vom Ausgang des Mittelalters bis zum Ende der Stadtfreiheit (1491 - 1671). Braunschweig 1966, 2 Bände.
- Wübbeke-Pflüger, B.: Sicherheitsorganisation und Wehrwesen niedersächsischer Städte am Ausgang des Mittelalters, in: Puhle, M. (Hg.): Hanse - Städte - Bünde. Die sächsischen Städte zwischen Elbe und Weser um 1500. (Magdeburger Museumsschriften 4) Magdeburg 1996, Bd. 1, S. 173 - 181.