Elektrifizierung

Bereitstellung von Stromnetzen zur Versorgung mit elektrischer Energie
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Als Elektrifizierung (Schweiz auch: Elektrifikation) wird allgemein die Bereitstellung der Infrastruktur zur Versorgung mit elektrischem Strom bezeichnet. Sie begann mit dem Ende des 19. Jahrhunderts und ist global noch nicht abgeschlossen.

Elektrifizierung (Allgemein)

Elektrische Beleuchtung als Initiator der Elektrifizierung

Die Elektrifizierung wurde hauptsächlich durch das Aufkommen der elektrischen Beleuchtung initiiert. Hier war zunächst die Theaterbeleuchtung federführend, denn die bis dahin verwendete Öl- und Gasbeleuchtung führte zu katastrophalen Unfällen. Auch die Illumination des öffentlichen Raums (Straßenbeleuchtung, Gebäudeillumination) unterstützte die Ausbreitung der elektrischen Beleuchtung [1]. Die hierzu eingesetzten Bogenlampen oder Jablochkoff'schen Kerzen [2] waren aber für Privathaushalte zu aufwendig oder hatten den Nachteil von Geruchsentwicklung oder Geräuschbildung, sodaß das Interesse erst nach Erfindung der Glühlampe als Leuchtmittel nachhaltig geweckt wurde. Die Vorteile der elektrischen Beleuchtung durch Glühlampen lagen auf der Hand: war sie doch (zumindest am Einsatzort) geruchslos, im Vergleich zur Gas- oder Kerzenbeleuchtung erheblich sicherer, einfacher zu handhaben als Jablochkoff'sche Kerzen, und erzeugte im Gegensatz zur Bogenlampe keine Geräusche. Die Glübirne verdrängte innerhalb kurzer Zeit die damals gebräuchliche Gasbeleuchtung, da Edison z.B. dafür gesorgt hatte, daß sein neues System in vorhandene Gasrohre verlegt werden konnte und sich in der Anwendung kaum zur Gasbeleuchtung unterschied [3]. Die heute noch gebräuchlichen Drehschalter (Knipser) sind den Drehventilen der damaligen Gasbeleuchtung nachempfunden. Edison war einer der Ersten, der das Potential der elektrischen Beleuchtung erkannte und massiv kommerziell nutzte [4].

Ausbreitung der Stromversorgung

Die ersten Stromnetze waren Inselnetze, d.h. sie versorgten nur ein kleines Areal um die Erzeugungsstelle der elektrischen Energie herum, bspw. das zu versorgende Theater[5]. Dies galt besonders für Gleichstromkraftwerke, deren Versorgungsradius prinzipbedingt eingeschränkt (s. Stromkrieg) war. Neben der Erzeugung aus mechanischer Energie durch Generatoren war auch elektrochemische Energieerzeugung durch Batterien oder Akkumulatoren üblich. So finden sich in damaligen Illustrierten Werbeanzeigen, die Nachttischlampen aber auch ganze Beleuchtungssysteme nach diesem Prinzip feilboten. Um die Centralen (Kraftwerke) besser auszulasten, wurden auch gastronomische Betriebe, Geschäfte, Bürogebäude, öffentliche Gebäude und Privathaushalte angeschlossen. Privathaushalte wurden anfangs nur wiederwillig angeschlossen, da der Lastgang schwer einzuschätzen war. Die durch sie erzeugte Kochspitze half aber, die Überproduktion elektrischer Energie zur Mittagszeit abzudämpfen. In München wurden Wohnhäuser kostenlos angeschlossen, wenn der Besitzer eine komplette Hausinstallation (Stromkeller, Etagenverteiler etc.) einrichtete.

Bald schon wurde Alles und Jedes elektrifiziert, nicht nur die Beleuchtung sondern z.B. auch die Straßenbahnen (s. Üstra), Aufzüge, Haushalts- und medizinische Geräte (bspw. Elektrisiergeräte), sowie Industrieanlagen und Informationssysteme (Telegraphie, Telefon, später Radio etc.). Letztere wären ohne Elektrifizierung gar nicht denkbar. Die ersten Gerätehersteller und Stromversorger sollen auch das Rockefeller-System angewandt haben, um den Absatz zusätzlch zu steigern[3].

Die neuesten Errungenschaften wurden regelmäßig in Weltausstellungen einem großen Publikum präsentiert (insb. in der Zeit von 1882-91), erweckten entsprechende Begehrlichkeiten und erhöhten so die Nachfrage. Hervorzuheben ist die die Internationale Elektrotechnische Ausstellung von 1891, die erstmals zeigte, daß elektrische Energie über größere Entfernungen transportiert werden konnte.

Neben der Verbreitung der Technik musste auch das Wissen über die Elektrizität verbreitet werden und notwendige Normierungen getroffen werden. 1879 gegründete sich der Elektrotechnische Verein e.V., ein Vorläufer des VDE [6] und 1883 wurde erstmals ein Lehrstuhl für Elektrotechnik eingerichtet (s. Erasmus Kittler). 1887 folgte die Gründung der von Siemens angeregten Physikalisch-Technischen Reichsanstalt, die sich nicht nur auf dem Gebiet der Elektrizität wichtigen Fragen der Normung und Grundlagenforschung widmete.

Rolle der elektrischen Antriebe

Die stark nachtlastige Ausnutzung der Kraftwerke durch die elektrische Beleuchtung war für die Betrieber ungünstig [3]. Daher wurden Maßnahmen gesucht, um das Tagestal in der Lastkurve aufzufüllen. Neben der Elektrowärme boten sich elektrische Antriebe an. Diese wurden durch Siemens, Tesla, Dolivo-Dobrowolsky [7] und andere [8] stark verbessert, so daß der Bedarf an elektrischer Energie immer höher wurde und in Berlin um die Jahrhundertwende (1900) erstmals den von "Lichtstrom" [9] überstieg. Die kompakten Elektromotoren verdrängten zunehmend die sonst üblichen Dampfmaschinen, (Gas-) Motoren, Wasserkraftanlagen und Transmissionen, was u. a. auch zu einer Aufwertung des Handwerks führte, da mechanische Energie nun ohne weiteres überall verfügbar war [10]. Industriebetriebe schufen oft ihre eigenen Kraftwerke (bspw. [11]) die neben elektrischer Energie auch Prozeßwärme lieferten. Trotzdem erfolgte die Elektrifizierung bis zum 1. Weltkrieg immer noch hauptsächlich in den Städten [12] oder an besonders geeigneten Orten [13].

Elektrizität als Massenware

Das erste größere Unternehmen, das eine allgemeine Stromversorgung, sowohl mit Kraft- als auch Lichtstrom anbot, waren die 1884 durch Emil Rathenau gegründeten Berliner Elektricitäts-Werke [14]. Der Inselbetrieb der Kraftwerke hatte einen entscheidenden Nachteil: Während tagsüber immer mehr Kraftstrom benötigt wurde, waren Abends oder Nachts nur noch kleine Energiemengen erforderlich, die den Betrieb großer Generatoren nicht mehr wirtschaftlich erscheinen ließ. Zudem wurde durch die zunehmende Verbreitung eine höhere Versorgungssicherheit gefordert, die im Inselbetrieb erhebliche Redundanzen erfordert hätte. Daher fand eine stetige Vernetzung der Kraftwerke untereinander statt, auch über größere Entfernungen durch Überlandzentralen. Zudem konnten die städtischen Kraftwerke oft die geforderte Leistung nicht mehr aufbringen, weshalb nach Einführung der Wechselstrom- oder Drehstromkraftwerke diese außerhalb der Städte angesiedelt wurden, oder an Stellen, wo Primärenergieträger besonders günstig zur Verfügung standen [15]. Immerhin wuchs die Zahl der Kraftwerke bis 1913 sprunghaft, wie ff. Tabelle zeigt[14]:

1895 1900 1906 1913
Anzahl der Werke 148 652 1338 4040
Leistungsfähigkeit [kW] 40.000 230.000 8.200.000 24.500.000

Die Vorteile der elektrischen Energie führten in den 20er Jahren zu einer explosionsartigen Ausbreitung auch in ländliche Gebiete[13][11][16], die dort teilweise generalstabsmäßig vorangetrieben wurde[15], z.B. in Bayern durch Oskar von Miller. Die Elektrifizierung wurde oft durch Privatunternehmen aber auch Electricitätsämter und (vor allem im ländlichen Raum) Genossenschaften realisiert, die teilweise auch die Erschließung der Gas- und Wasserversorgung übernahmen [12][3][10]. So entstand z.B. die PreussenElektra (heute Teil der Eon) 1927 aus dem Zusammenschluß der preußischen Elektrizitätsämter und Beteiligungen des preußischen Staates, sowie einiger Stadtwerke [17]. In den USA wurde die Elektrifizierung ländliche Räume in Form einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme durchgeführt (s. rural electrification, engl. Wikipedia).

Die enormen Kosten der Elektrifizierung führten im Laufe der Zeit zu einer Monopolisierung in der Elektrizitätswirtschaft, durch die die meisten öffentlichen oder genossenschaftlichen Energieversorger (EVU) in den heute bekannten Groß-EVU's aufgingen. Die zugrunde liegende Gesetzgebung (Energiewirtschaftsgesetz von 1935) sollte ursprünglich dem Schutz der nicht unerheblichen Investitionen dienen, führte aber zu einer starken Abhängigkeit der Kunden von ihren EVU, die erst durch die Liberalisierung des Strommarktes nach der Nouvelle des Energiewirtschaftsgesetzes zumindest theoretisch aufgehoben wurde. Die Vor- und Nachteile der öffentlichen oder privaten Energieversorger sind bis heute ein Diskussionsthema, die damaligen Herausforderungen konnten aber nur von solventen Einrichtungen (großen Unternehmen, öffentlich Hand) abgewickelt werden.

Konvergenz der verwendeten Systeme

Bis in die 50er Jahre des 20ten Jahrhunderts war Strom nicht gleich Strom, sondern es gab unterschiedliche Systeme: Hauptsächlich Gleichstrom und Wechselstrom unterschiedlichster Spannungen und Frequenzen, bzw. Drehstrom (wobei dessen Phasenzahl anfangs auch diskutiert wurde). So wurde die Gleichstromversorgung in Frankfurt/Main erst 1959 engültig eingestellt[1]. Die Verschiedenheit war auf lokale Gegebenheiten und die unterschiedlichen Systeme zurückzuführen, die häufig zur Ausgrenzung zu Konkurrenten eingesetzt wurden. Die unterschiedlichen Systeme führten zu Komplikationen bei der Anschaffung von Elektrogeräten, was durch die Entwicklung von Allstromgeräten nur teilw. aufgefangen werden konnte. Hinzu kamen patentrechtliche Schwierigkeiten, so war die Verwendung von Drehstrom anfangs durch die Tesla-Patente behindert.

Die Verwendung von Wechselstrom mit einer Netzfrequenz von 50 Hz in den europäischen Ländern soll nach Owen [18] auf Ingenieure bei der AEG zurückzuführen sein, belegt dies aber nicht. Tatsächlich wurden aber erste Wechselstromkraftwerke [1] und die Installationen der BEW in Berlin auf diese Frequenz ausgelegt. Von da an setzten sich die 50 Hz vermutl. durch die normative Kraft des Faktischen in Deutschland durch, da ein Zusammenschluß von Energienetzen damals prinzipiell nur bei gleicher Frequenzwahl erfolgen konnte. Die Gründe zur Verwendung von 60 Hz in den USA sind wesentlich besser belegt [18][19]. Jedenfalls war der gewählte Frequenzbereich 40-60 Hz ein Kompromiss aus den Erfordernissen von Großmaschinen (niedrige Frequenzen) und denen der elektrischen Beleuchtung, die wegen des Flickers, der besonders bei Bogenlampen störend war [2], möglichst hohe Frequenzen benötigte. In Japan sind heute noch sowohl 50 als auch 60 Hz in Gebrauch. In Flugzeugen wird häufig Strom von 400 Hz eingesetzt, da durch die hohe Frequenz Transformatoren etc. kleiner und damit leichter gebaut werden können, während elektrische Bahnen teilw. 16,7 Hz einsetzen, um Kommutierungsproblemen aus dem Weg zu gehen.

Gleichstrom spielt in der Versorgung der Haushalte kaum noch eine Rolle, einiege Voll- und Straßenbahnen fahren aber noch mit ihm (s. Tabelle in Geschichte des elektrischen Antriebs von Schienenfahrzeugen) und in der Energieversorgung wird er in Form der HGÜ zum Transport der elektrischen Energie über weite Entfernungen eingesetzt.

Literatur

  • Dettmar G, u.a.: "Die Entwicklung der Starkstromtechnik in Deutschland".
  • Görges H: "Die Entwicklung der Elektrotechnik" [6].
  • Hughes T.P: "Networks of Power: Electrification in Western Society, 1880-1930". Monogr., 1983, ISBN 0801846145.
  • Neidhöfer, G.: "Michael von Dolivo-Dobrowolsky und der Drehstrom". Monogr., ISBN 3-8007-2779-X
  • Zängl, W: "Deutschlands Strom: die Politik der Elektrifizierung von 1866 bis heute". Monogr./Diss, 1989, ISBN 3-593-34063-1

Elektrifizierung von Bahnstrecken

Gedenktafel der Deutschen Bundesbahn zum 5000. elektrifizierten Streckenkilometer
Eisenbahn-Elektrifizierung in der Bundesrepublik Deutschland bis 1987

→ Hauptartikel: Bahnstrom

Elektrifizierung nennt man speziell die Umstellung einer Eisenbahnstrecke vom Betrieb mit Dampf- oder Dieseltriebfahrzeugen auf den Betrieb mit elektrischen Triebfahrzeugen mit Stromzuführung von außen (im Gegensatz zum Betrieb mit Akkumulatoren). Sichtbares äußeres Zeichen ist das Anbringen der Oberleitung oder Stromschiene zur Stromversorgung.

Historische Entwicklung

→ Hauptartikel: Geschichte des elektrischen Antriebs von Schienenfahrzeugen

Die erste elektrisch betriebene Vollbahn in Deutschland war 1895 die 4,3 km lange Bahnstrecke Meckenbeuren–Tettnang, die von der Württembergischen Südbahn abzweigt.

Im gleichen Jahr elektrifizierte in den Vereinigten Staaten auch die Baltimore & Ohio Railroad eine fünf Kilometer lange innerstädtische Tunnelstrecke für den Betrieb mit 700 Volt Gleichstrom über eine Oberleitung.

1902 wurde in Wöllersdorf in Niederösterreich die erste mit Hochspannung betriebene Drehstrombahn, und 1904 im Stubaital in Tirol die erste Hochspannungs-Wechselstrombahn der Welt in Betrieb genommen.

In den Anfangsjahren der Umstellung wurde für Elektrifizierung auch der Begriff Elektrisierung verwendet.

Siehe auch

Referenzen

  1. a b c Dettmar, G; Humburg, K: "Die Entwicklung der Starkstromtechnik in Deutschland Teil 2". Monogr., ISBN 978-3-8007-1699-9
  2. a b NN:"The Jablochkoff Candle". Online-Ausstellung über Bogenlampen des IET's (englisch), The Institution of Engineering and Technology, England
  3. a b c d Zängl, W: "Deutschlands Strom: die Politik der Elektrifizierung von 1866 bis heute". Monogr./Diss, 1989, ISBN 3-593-34063-1
  4. Hughes T.P.: "The Electrification of America: The System Builders". Technology and Culture, 20(1979)/1/124-61
  5. NN: "Von der Maschinenkultur zur Kulturmaschine - Die Geschichte der Centralstation für elektrische Beleuchtung". http://www.centralticket.de/htmlordner/geschichte.html
  6. a b Görges H. (Hrsg.): "50 Jahre Elektrotechnischer Verein". Festschrift, Berlin, 1929.
  7. Neidhöfer, G.: "Michael von Dolivo-Dobrowolsky und der Drehstrom". Monogr., ISBN 3-8007-2779-X
  8. Kline, R: "Science and Engineering Theory in the Invention and Development of the Induction Motor, 1880-1900". Technology and Culture, Bd. 28, H. 2, S. 283-313, http://www.jstor.org/stable/3105568
  9. Wilkens K: "Die Berliner Elektricitäts-Werke zu Beginn des Jahres 1907". Elektrotechnische Zeitung 28(1907), H. 40, S. 959-63
  10. a b Baedecker H: "Leitbild und Netzwerk - Techniksoziologische Überlegungen zur Entwicklung des Stromverbundsystems". Dissertation, Friedrich Alexander Universität Erlangen, 2002
  11. a b NN: "Das Märkische Elektrizitätswerk". Stadwerke Journal, Stadtwerke Eberswalde GmBH, 2(2006), S. 4-5
  12. a b Leyser, D.I.; "Entwicklung der Elektrizitätswirtschaft Deutschlands". 1913, doi:10.1007/BF01494961
  13. a b Jacobi G: "Teufelszeug - Wie der Strom in die Eifel kam". Dokumentarfilm, WDR 2008, http://www05.wdr.de/tv/wdr-dok/archiv/2008/080523_01.phtml
  14. a b Siegel G: "Die öffentliche Elektrizitätsversorgung Deutschlands". 1917, doi:10.1007/BF02448194
  15. a b v. Miller, O: "Die Ausnützung der Wasserkräfte". 1925, doi:10.1007/BF01558633
  16. NN: "80 Jahre Kreiswerke Gelnhausen". Firmenschrift, Kreiswerke Gelnhausen GmBH (heute Kreiswerke Main-Kinzig
  17. NN: "Preußenelektra 1927-1952". Denkschrift, Preußische Elektrizitäts-AG, Hannover, 1952
  18. a b Owen E.L: "The origins of 60-Hz as a power frequency". 1997, doi:10.1109/2943.628099
  19. Lamme B.G: "The technical Story of the Frequencies". AIEE-Trans., 37(1918), S. 65-89.