Jan Karlowitsch Bersin
Jan Karlowitsch Bersin (russisch Ян Карлович Берзин, lettisch Jānis Bērziņš; ursprünglicher Name Pēteris Ķuzis, auch: Pawel Iwanowitsch Bersin, Spitzname: Starik, Parteiname: Papus (* 13.jul. / 25. November 1889greg. in Kligen bei Jaunpils[1](Lettland); † 29. Juli 1938 in Moskau) war ein lettisch-russischer Geheimdienstchef. Er war von 1924 bis 1935 und 1937 Chef des militärischen Aufklärungsdienstes der Roten Armee und einer der Organisatoren der geheimen Zusammenarbeit zwischen Roter Armee und Reichswehr. [2]
Biografie
Bersin wurde als Sohn einer lettischen Bauernfamilie im damals russischen Oblast Kurland geboren. Er besuchte ab 1902 ein Internat in der Stadt Kuldīga. Mit Beginn der Russischen Revolution wurde das Internat im November 1905 geschlossen. Bersin kehrte nach Hause zurück und trat dort einer sozialdemkratischen Widerstandsgruppe mit Namen „Dreschflegel“ bei. Wenig später wurde er Mitglied der Bolschewiki. Mit dem Scheitern des Sankt Petersburger Aufstandes gingen die lettischen lokalen Widerstandsgruppen zu einer Guerillataktik gegen die zaristischen Ordungskräfte über. Bersin tötete 1906 bei einem Zusammenstoß mit der Polizei einen Offizier und wurde durch nur eine Gruppe Kosaken vor der sofortigen Erschießung durch die übriggeblieben Polizisten gerettet. Er wurde vor ein Kriegsgericht gestellt und zum Tode verurteilt. Aufgrund von Verfahrensfehlern wurde das Urteil für ungültig erklärt. In einem zweiten Prozess wurde er 1907 in Tallinn abermals zum Tode verurteilt. Aufgrund seiner Minderjährigkeit wurde das Urteil in eine achtjährige Freiheitsstrafe umgewandelt. Während seiner Haft arbeitete Bersin in der Gefängnisapotheke und eignete sich pharmazeutische Grundkenntnisse an. 1909 wurde er begnadigt und aus der Haft entlassen. Er schloss sich umgehend wieder den Bolschwiki an. Unter verschiedenen Pseudonymen verbreitete er Propagandamaterialien der Partei in Riga. Im August 1911 wurde er wegen dieser politischen Tätigkeit erneut verhaftet und ins Gouvernement Irkutsk verbannt. Er floh im Frühjahr 1914 aus der Verbannung, wobei er gefälschte Dokumente mit dem Namen Jan Karlowitsch Bersin verwendete. Während des Ersten Weltkrieges wurde er unter dieser Identität in die Russische Armee einberufen und desertierte 1915. Laut seiner offiziellen Biografie arbeitete er danach unter falschem Namen als Schlosser in Petrograd. Er nahm aktiv an der Februarrevolution 1917 teil [3] und wurde dann Redakteur einer lettischen Parteizeitung der Bolschewiki. Während der Oktoberrevolution war er Mitglied der bolschewistischen Parteikomitees von Wyborg und Sankt Petersburg und gehörte zum Umfeld von Leo Trotzki. [4]
Karriere in der Tscheka und der Roten Armee
Im Dezember 1917 begann er seine Karriere als Mitarbeiter der Tscheka. In dieser Funktion nahm er 1918 an der Niederschlagung des Aufstandes der Sozialrevolutionäre in Jaroslawl teil. Danach übernahm er die Aufgaben eines Sekretärs der kommunalen Verwaltung der Tscheka. Er wurde im März 1919 in das seit Januar sowjetisch besetzte Lettland abkommandiert, um dort als stellvertretender Kommissar des Inneren die Macht der Bolschewiki zu sichern. Am 22. Mai 1919 musste sich die Rote Armee jedoch vor deutschen Freikorps und der Baltischen Landeswehr, die mit Billigung Großbritanniens gegen die sowjetrussischen Truppen kämpften, aus Riga zurückziehen und konnte nur noch die Kontrolle über den östlichsten Teil des Landes behalten.[5] Bersin wurde nach dem Rückzug aus Riga in die Rote Armee versetzt und war dort zunächst von Juli bis August 1919 Vorsitzender der Politabteilung der 11. Schützendivision der lettischen Roten Armee, die in diesem Zeitraum in 15. sowjetische Armee umbenannt wurde. Im August 1919 wurde er zum Chef der politischen Sonderabteilung der 15. Armee ernannt. [6] Er behielt diesen Posten bis kurz vor Auflösung der 15. Armee. In dieser Zeit nahm er an der Verteidigung Petrograds gegen die Offensive des Generals Judenitsch und am Polnisch-Sowjetischen Krieg teil. im Dezember 1920 wechselte er auf Empfehlung von Felix Edmundowitsch Dserschinski zur AufklärungIabteilung der Roten Armee (später GRU).[7]
Im März 1921 war Bersin an der Niederschlagung des Kronstädter Matrosenaufstands beteiligt. Er tat sich hier als besonders unnachgiebig bei der Liquidierung der aufständischen Matrosen hervor, was ihn in den Augen der sowjetischen Führung für verantwortungsvolle Dienststellungen empfahl.[6]
Leitung der Aufklärung der Roten Armee
Von April 1921 an war Bersin Chef des Büros 3 der GRU, dessen Tätigkeitsbereich die Auslandsspionage war.[4] Im Dezember des gleichen Jahres wurde Bersin stellvertretender Chef der GRU. Bersin gefiel der neue Aufgabenbereich in der militärischen Aufklärung. Er begab sich persönlich wiederholte Male in das Ausland und unternahm verdeckte Reisen nach Großbritannien, Polen, in die Tschechoslowakei und in die Weimarer Republik.
Im März 1924 wurde er schließlich auf Empfehlung seines Vorgängers Arvid Janowitsch Seibot[1] de jure Chef des Militärgeheimdienstes.[4] Aufgrund seiner unermüdlichen Tätigkeit und seiner Begabung für die Aufgaben eines Geheimdienstchefs wurde die GRU ein hocheffizienter Geheimdienst, der im Gegensatz zu den sonstigen sowjetischen Geheimdiensten bis in die Gegenwart Bestand hat.[6] Bersin sorgte dafür, dass die GRU weltweit zu operieren begann, indem ein riesiges Netz von Residenturen aufgebaut wurde. Er ließ zur Tarnung der Aufklärungsaktivitäten Scheinfirmen einrichten, wodurch es seinen Agenten gelang, sehr weitläufige Beziehungen in der Gesellschaft der jeweiligen "Gastländer" zu knüpfen. [2] Ein Beispiel hierfür ist die Presseagentur Inpress des GRU-Agenten Sándor Radó.
Im Gegensatz zur Haltung vieler sowjetischer Politiker zu Beginn der Zwanziger Jahre war Bersin gegen die Anzettelung von Aufständen in den die Sowjetunion umgebenden Ländern. Seit dem gescheiterten Ruhraufstand 1920 und dem Ende der ungarischen Räterepublik unter Béla Kun war für ihn offensichtlich geworden, das diese Unruhen kein effizentes Mittel waren, um die Kommunistische Staatsform und Ideologie wirksam über die Grenzen der Sowjetunion hinaus zu verbreiten.[4]
Aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Isolation der Sowjetunion und der Weimarer Republik wurde bereits zu Beginn der 1920er Jahre die geheime Zusammenarbeit zwischen der Roten Armee und der deutschen Reichswehr bei der Entwicklung moderner Waffen von Karl Radek initiiert. Bersin übernahm nach seinem Aufstieg zum Chef der GRU die Organisation dieser Beziehungen, die bis in das Jahr 1934 fortgeführt wurden. 1928 äußerste er sich in einem Bericht an den Volkskommissar für Heer und Flotte der UdSSR Woroschilow skeptisch über die Ergebnisse der bis dahin durchgeführten gemeinsamen Projekte, befürwortete aber eine Fortsetzung der Zusammenarbeit unter der Maßgabe der „maximalen Nutzung“, verschiedener, gemeinsam mit der Reichswehr genutzter Einrichtungen, wie etwa der Fliegerschule in Lipezk.[2]
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten organisierte Bersin auch die militärnachrichtendienstliche Aufklärung der Reichswehr bzw. Wehrmacht über ein Agentennetz, das um Deutschland herum angesiedelt wurde. Zu seinen Agenten gehörte ab 1930 auch Richard Sorge, der zu einem in Shanghai operierenden Agentenring versetzt wurde.
Während des Beginns der Großen Säuberung wurde Bersin von April 1935 bis Juli 1936 mit der Liquidierung einiger NKWD-Mitarbeiter im Fernen Osten der Sowjetunion betraut. Offiziell war er zu dieser Zeit unter dem Decknamen Gallen stellvertretender Chef der Besonderen Fernostarmee, die unter dem Oberbefehl von Marschall Wassili Konstantinowitsch Blücher stand.[4] Danach war er unter dem Decknamen Grischin von Juli 1936 bis Juli 1937 oberster sowjetischer Militärberater im Spanischen Bürgerkrieg in Madrid. Hier führte Bersin seine bedeutendste Spionagetätigkeit bei der Anwerbung neuer Quellen für die GRU aus. De facto war er auch während seines Aufenthaltes der Befehlshaber der republikanischen Truppen. Seine Leitungstätigkeiten wurden während seiner Abwesenheit von seinen Stellvertretern Jossif Stanislawowitsch Unschlicht (1935-1936) und Semjon Petrowitsch Urizki (1936-1937) übernommen.[4] Nach seiner Rückkehr übernahm Bersin wieder seinen Posten als Chef der GRU,[6] da Urizki sich als unfähig erwiesen hatte. Er wurde aufgrund seiner Leistungen in Spanien mit dem Leninorden ausgezeichnet[8] und zum Armeekommissar zweiten Ranges befördert.[9]
Verhaftung und Hinrichtung
Auf Betreiben des Volkskommissars für Verteidigung Woroschilow[8] fiel Bersin den Stalinschen Säuberungen in der Roten Armee zum Opfer, obwohl kein kompetenter Nachfolger für seinen Posten als Leiter der GRU zur Verfügung stand.[8] Er wurde am 27. November 1937 von der NKWD verhaftet. Am 15. Februar 1938 wurde Bersin zusammen mit 15 weiteren verhafteten Funktionären als "Volksfeind" aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen.[8] Am 29. Juli 1938 wurde er zum Tode verurteilt und im Keller der Lubjanka in Moskau erschossen. [3]
1956 wurde er im Zuge der Entstalinisierung juristisch rehabilitiert.
Auszeichnungen
Bersin erhielt während seiner Dienstzeit außer dem Leninorden den Rotbannerorden und den Orden des Roten Sterns. [9]
Belege
- ↑ a b О. А. Горчаков: Ян Берзин — командарм ГРУ; Newa-Verlag Sankt Petersburg 2004; ISBN 5-7654-3383-9
- ↑ a b c Lew Besymenski: Stalin und Hitler - Das Pokerspiel der Diktatoren; Aufbau Verlag Berlin 2004; ISBN 3-7466-8109-X
c) auf S.51-56 wird Bersins Bericht über die Zusammenarbeit von RKKA und Reichswehr vom 24. Dezember 1928 fast vollständig wiedergegeben. - ↑ a b Jeanne Vronskaya, Vladimir Chuguev: A biographical dictionary of the Soviet Union 1917-1988; London u.a. K. G. Saur 1989; ISBN 0-86291-470-1
- ↑ a b c d e f Pierre de Villemarest: GRU, le plus secret des services soviétiques 1918 - 1988; Éditions Stock Paris 1988; ISBN 2-234-021197
- ↑ Witold S. Sworakowski (ed.): World Communism: A Handbook, 1918-1965; Hoover Institution Press Stanford, 1973
- ↑ a b c d Norman Polmar, Thomas B. Allen: Spy Book - The Encyclopedia of Espionage; Greenhill Books London 1997; ISBN 1-85367-278-5
- ↑ В.М.Лурье, В.Я.Кочик: ГРУ: дела и люди; издательство Нева; ISBN 5-7654-1499-0, online unter Google Books
- ↑ a b c d Jewgeni Alexandrowitsch Gorbunow: Nähere Betrachtung Bersins, Artikel in der Tageszeitung Nesawissimaja Gaseta vom 7. Dezember 2007, online unter http://nvo.ng.ru/spforces/2007-12-07/7_berzin.html, abgerufen am 30. August 2008, 10:28 MESZ
- ↑ a b Große Sowjetenzyklopädie Lemma БЕРЗИН (Б е р з и н ь; наст. фам. и имя Кюзис Петерис; парт, псевд. П а п у с) Ян Карлович; Digitalisierung online unter http://bse.msk-arbitr.ru/01/0315.htm; abgerufen am 30. August 2008
Literatur
- В.М.Лурье, В.Я.Кочик: ГРУ: дела и люди; Newa-Verlag Sankt Petersburg ; ISBN 5-7654-1499-0
- О. А. Горчаков: Ян Берзин — командарм ГРУ; Newa-Verlag Sankt Petersburg 2004; ISBN 5-7654-3383-9
Weblinks
- Jewgeni Alexandrowitsch Gorbunow: Nähere Betrachtung Bersins in der Onlineausgabe der russischen Zeitung Nesawissimaja Gaseta (russisch)
- Eintrag über Bersin in der Großen Sowjetenzyklopädie (russisch)
- Biografie Bersins in der russischen Geschichtszeitschrift Chronos (russisch)
Personendaten | |
---|---|
NAME | Bersin, Jan Karlowitsch |
ALTERNATIVNAMEN | Берзин, Ян Карлович (russisch); Kjusis, Peteris; Iwanowitsch, Pawel; Papus (Parteiname) |
KURZBESCHREIBUNG | Chef des militärischen Aufklärungsdienstes der Roten Armee |
GEBURTSDATUM | 25. November 1889 |
STERBEDATUM | 29. Juli 1938 |
STERBEORT | Moskau |