Paradigma

grundsätzliche Denkweise
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Das Wort Paradigma (Pl.: Paradigmen bzw. Paradigmata) kommt aus dem Griechischen (παράδειγμα parádeigma) und bedeutet Beispiel, Vorbild, Muster oder auch Abgrenzung.

Das linguistische Paradigma

In der Linguistik hat das Wort Paradigma folgende Bedeutungen:

beispielsweise singen - sang - gesungen
  • eine (einzigartige) Sammlung von (auf vertikaler Ebene) austauschbarer Zeichen (Elemente) der selben (Wort)Kategorie.
beispielsweise "der Hund/Tiger/Fisch frisst" oder auch die Anlautkonsonanten in "B/G/T/Vier"

Varianten

Siehe auch: Syntagma, Wortfeld, Synonym

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Das epistemologische Paradigma

Im klassischen Deutsch kann man auch den Begriff im Sinne unterschiedlicher (Wissenschaftlicher) Schulen verwenden. Seit dem späten 18. Jahrhundert wird das Wort als erkenntnistheoretischer Ausdruck benutzt, um wissenschaftliche Denkweisen zu beschreiben. Die populärste Gebrauchsweise des Wortes in diesem Kontext geht jedoch auf den Philosophen Thomas S. Kuhn zurück. Er versuchte damit einen Satz von Vorgehensweisen zu beschreiben. In seinem Buch Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen definiert er ein wissenschaftliches Paradigma als:

  • was beobachtet und überprüft wird,
  • die Art der Fragen, welche in Bezug auf ein Thema gestellt werden und die geprüft werden sollen,
  • wie diese Fragen gestellt werden sollen,
  • wie die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung interpretiert werden sollen.

Der Paradigma-Begriff bei Kuhn

Das Kuhnsche Paradigma bezeichnet im Sinne von Thomas Samuel Kuhn eine allgemeine wissenschaftliche Leitdidee.

Kuhn hat seinem Paradigmenkonzept eine ganz bestimmte inhaltliche Bedeutung beigemessen. Seitdem ist das Für und Wider zur Kuhnschen Deutung des Paradigmenbegriffs ein zentrales Thema wissenschaftstheoretischer und -historischer Diskussionen geworden. Nach Kuhn ist ein jeweils herrschendes Paradigma in der Wissenschaft eng mit einer soziologisch relativ eindeutig abgrenzbaren Wissenschaftlergemeinschaft (scientific community) verknüpft. Diese Gemeinschaft verteidige und propagiere ihr zugehöriges Paradigma, formiere sich um dieses Paradigma und gehe gewissermaßen auch mit diesem Paradigma zugrunde.

Die Ablösung von Paradigmen ereignet sich nach Kuhn nicht auf dem Wege der logischen Widerlegung der alten Theorie (bzw. des noch geltenden Paradigmas) durch eine neue, bessere, die sich dann zum neuen Paradigma entwickelt, sondern auf dem Wege der Konfrontation, ja sogar als eine Art "Bekehrungserlebnis" für einige Wissenschaftler, die sich dann als Streiter für das neue Paradigma engagieren und um sich eine neue scientific community bilden. Diese auf die Kontinuität der Theorieentwicklung verzichtende Position Kuhns ist zugleich der Kernpunkt der Kritik an seinem Paradigmakonzept und der Grund für den Vorwurf des Irrationalismus, der gegen ihn erhoben wurde. Außerdem wird die Unschärfe des Kuhnschen Paradigmenbegriffs kritisiert, trete er doch in nicht weniger als 21 Varianten auf (bei Margaret Masterman), nach anderen Analysen noch häufiger.

Die Kunhsche Unterscheidung von vorparadigmatischen Phasen der Wissenschaftsentwicklung, von Phasen der Formierung eines Paradigmas sowie von Phasen des Übergangs zu einem neuen Paradigma weisen auf das wichtige Problem von Rhythmen der Theorienentwicklung hin.

Ebenso erfaßte Kuhns Konzept der nomalen und anomalen Phasen der Wissenschaftsentwicklung ein echtes Problem, das in seiner gesetzmäßigen Eigenart allerdings verzeichnet wird, wenn die Anomalität auf irgendwelche nichtrationalen Faktoren zurückgeführt wird. Zum anderen hat durch Kuhns Hinweis auf Wechselbeziehungen sozialer und kognitiver Phänomene die Vorherrschaft der rein erkenntnistheoretisch orientierten Wissenschaftslogik (insbesondere im Gefolge von Karl Popper) innerhalb der Wissenschaftstheorie ein Ende gefunden.

Kritik durch Lakatos

Nach einem Hauptkritiker, dem englischen (in Ungarn geborenen) Wissenschaftstheoretiker Imre Lakatos umgreifen Paradigmen mehr als einen Leitgedanken, sie sind komplex in ihrer Zusammensetzung. Sie umfassen einen sogenannten harten Kern, der aus den tragenden Theorien (einer Wissenschaftsdisziplin z.B.) besteht, sowie aus einer "Schutzzone" von Hilfshypothesen, die den "harten Kern" gegen Widerlegungen abschirmen.

Als dritter Bestandteil der Paradigmen fungiert nach Lakatos ein spezifisch zu diesem "harten Kern" gehörender oder durch ihn induzierter leistungsfähiger Problemlösungsapparat. Insofern sei der Ausdruck Paradigma durch die treffende Formulierung Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zu ersetzen. Lakatos berücksichtigte nicht die als Idee bei Kuhn zumindest diskussionswürdige Aufeinanderbezogenheit von Theorieentwicklung und Entwicklung der Wissenschaftlergemeinschaft, also die Einheit sozialer und kognitiver Faktoren. Für die Belange der Theorieentwicklung in der Wissenschaftsgeschichte ist die Konzeption von Lakatos zweifellos zutreffender.

Kritik der materialistischen Dialektik

Die Kritik aus der Sicht der materialistischen Dialektik konzentriert sich auf folgende Punkte:

  • 1. die Ausklammerung eines rational nachvollziehbaren Theorienfortschritts in der Geschichte der Wissenschaft
  • 2. die Elemenierung des Wahrheitskriteriums (statt dessen werden Paradigmen lediglich nach der an subjektiven Auffassungen orientierten Ausstrahlungskraft eingeordnet)
  • 3. die Beschränkung des sozialen Faktors auf die scientific community (eine tatsächliche Wechselbeziehung von Wissenschaft und gesellschaftlicher Entwicklung setzt auf einem viel breiterem Spektrum ein)

Siehe auch: Paradigmenwechsel

Weitere Verwendungen

Das Wort wird in Wissenschaft, Technik und Wirtschaft mit sehr unterschiedlichen Bedeutungen verwendet; insbesondere beispielsweise im Computerbereich oder der Managementliteratur.

Dabei steht es weniger für eine umfassende Weltanschauung oder -ansicht, wie im ursprünglichen (epistemologischen) Sinne, als für eine besondere, fokussierte Sichtweise auf einen (möglichst grundlegenden) Aspekt des jeweiligen Fachgebietes. So wird beispielsweise vom Paradigma der "Wiederverwendbarkeit von Software", vom Paradigma der "Teamarbeit" oder der "schlanken Produktion" (engl. Lean Production) gesprochen.

Siehe auch: Programmierparadigma

Im allgemeinsten Sinne wird das Wort also als Synonym für jedwede Denkweise oder einen (oftmals nur gewünschten) Konsens im Gruppendenken verwendet. Die Werbung beziehungsweise das Marketing nutzen den Begriff Paradigma, um Produkte als besonders neuwertig und innovativ erscheinen zu lassen und damit eine größere Aufmerksamkeit zu gewinnen.

Siehe auch: Medienrummel (engl. hype)