Die sogenannte Mühlviertler Hasenjagd war ein Kriegsverbrechen an sowjetischen Kriegsgefangenen in den Donau- und Alpengauen des nationalsozialistischen Deutschen Reiches gegen Ende der Hitler-Diktatur (siehe auch: Österreich in der Zeit des Nationalsozialismus).
Im Februar 1945 „jagten“ und ermordeten Verbände der Nationalsozialisten sowie Soldaten und Zivilisten sowjetische Häftlinge nach einem Großausbruch aus dem KZ Mauthausen im Mühlviertel.[1]
Verlauf
Ausbruch und Flucht
In der Nacht zum 2. Februar 1945 unternahmen etwa 500 so genannte K-Häftlinge, hauptsächlich sowjetische Offiziere als Kriegsgefangene, bei acht Grad Frost einen Fluchtversuch aus dem Todesblock 20 des KZs Mauthausen. Mit den Feuerlöschern ihrer Baracke und diversen Wurfgeschossen (Decken, Brettern) griff eine Gruppe die beiden Wachtürme an, während eine zweite Gruppe mit feuchten Decken und Kleidungsstücken den elektrischen Zaun kurzschloss. Dann kletterten die Häftlinge über die Mauer.
Zunächst gelang es 419 Häftlingen das Lagerareal zu verlassen.[2] Viele der ausgehungerten Flüchtlinge brachen jedoch bereits kurz nach der Mauer erschöpft im Schnee zusammen oder starben im Kugelhagel der Maschinengewehre. Alle, die nicht in die Wälder entkommen konnten, und 75 im Block zurückgebliebene Kranke wurden in derselben Nacht noch exekutiert.
Insgesamt gelang über 300 Häftlingen vorerst die Flucht.[3]
Verfolgung
Noch am selben Morgen rief die SS-Lagerleitung eine „Treibjagd“ aus, an der sich neben SS, SA, Gendarmerie, Wehrmacht, Volkssturm und Hitler-Jugend auch die aufgehetzte Zivilbevölkerung der Umgebung beteiligte. Das Ziel dieser drei Wochen langen „Hetzjagd“ war, „niemanden lebend ins Lager zurückzubringen“.
Der Großteil der Flüchtigen wurde aufgegriffen und meistens an Ort und Stelle erschossen oder erschlagen. Die getöteten Häftlinge wurden nach Ried in der Riedmark, dem Stützpunkt der „Jagd“, gebracht und dort zu einem Haufen gestapelt - ähnlich wie es bei Treibjagden üblicherweise mit erlegten Tieren geschah. Mitglieder des Volkssturms, die Gefangene zurück zum KZ brachten, wurden beschimpft, weil sie diese nicht sogleich erschlagen hatten.
„Ried in der Riedmark bildete in diesen Tagen einen Stützpunkt, das heißt, dorthin wurden die erschossenen und erschlagenen KZler aus der näheren und weiteren Umgebung stückweise eingesammelt und zu einem Haufen gestapelt - genau so wie die Jagdbeute bei einer herbstlichen Treibjagd.“
Die Kriminalpolizei Linz berichtete später an das Reichssicherheitshauptamt (RSHA): „Von den 419 Geflüchteten [jene, denen es gelang, das Lagerareal zu verlassen] [...] im Raume Mauthausen, Gallneukirchen, Wartberg, Pregarten, Schwertberg, Perg, insgesamt über 300 wieder ergriffen, davon 57 lebend.“[4]
Es ist nur von 11 Offizieren bekannt, dass sie die Menschenjagd und das Kriegsende überlebten. Einzelne Bauernfamilien und zivile ausländische Zwangsarbeiter versteckten trotz des extrem hohen Risikos Häftlinge oder versorgten die in den umliegenden Wäldern versteckten Flüchtlinge mit Nahrungsmitteln. Drei Monate später ging der Krieg zu Ende, und die Häftlinge waren in Sicherheit.
Von der SS wurde diese Menschenjagd „Mühlviertler Hasenjagd“ genannt. Der Ausbruch selbst und die Tatsache, dass einigen die Flucht gelungen ist, stellt einen einzigartigen Vorfall in der Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen dar.
Aufarbeitung nach 1945
Große Bekanntheit erlangten die Geschehnisse der Mühlviertler Hasenjagd im Jahr 1994 durch die Verfilmung Hasenjagd – Vor lauter Feigheit gibt es kein Erbarmen von Regisseur Andreas Gruber. Der Film war mit rund 123.000 Kinobesuchen in Österreich der erfolgreichste österreichische Film der Kinosaison 1994/95.
Der zeitgleich entstandene Dokumentarfilm "Aktion K" von Regisseur Bernhard Bamberger beobachtet einerseits die Reaktion der Bevölkerung auf die Dreharbeiten, lässt aber vor allem auch jene zu Wort kommen, die selbst Zeugen der Geschehnisse im Jahr 1945 waren. Er wurde 1994 mit dem Großen Preis der Österreichischen Volksbildung ausgezeichnet und seither mehrmals im deutschen Sprachraum ausgestrahlt.
Im Mai 2001 wurde in Ried in der Riedmark ein Gedenkstein zur „Mühlviertler Hasenjagd“ aufgestellt.[5]
Siehe auch
- Vernichtungslager Sobibor (Revolte und Flucht am 14. Oktober 1943)
- Endphaseverbrechen
- „Hasenjagd“ in Celle (Massaker an KZ-Häftlingen, 8.–10. April 1945)
Literatur
- Alphons Matt: Einer aus dem Dunkel: die Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen durch den Bankbeamten H. 1. Aufl., SV Internat., Schweizer Verl.-Haus, Zürich 1988, ISBN 3-7263-6574-5.
- Elisabeth Reichart: Februarschatten. Neuaufl., Müller Verlag, Salzburg und Wien 1995, ISBN 3-7013-0899-3. (Belletristische Darstellung)
- Elisabeth Reichart: Februarschatten. 1. Aufl., Aufbau-Taschenbuch-Verl., Berlin 1997, ISBN 3-7466-1284-5. (Taschenbuchausg.; belletristische Darstellung)
- Thomas Karny: Die Hatz : Bilder zur Mühlviertler „Hasenjagd“. Verlag Franz Steinmaßl, Grünbach (Österreich) 1992, Reihe: Edition Geschichte der Heimat, ISBN 3-900943-12-5.
- Walter Kohl: Auch auf dich wartet eine Mutter. Die Familie Langthaler inmitten der „Mühlviertler Hasenjagd”. Verlag Franz Steinmaßl, Grünbach (Österreich) 2005, Reihe: Edition Geschichte der Heimat, ISBN 3-902427-24-8.
- Linda DeMeritt: Representations of History: The Mühlviertler Hasenjagd as Word and Image. In: Modern Austrian Literature, Nr. 32.4, 1999. (engl.; S. 134–145)
Weblinks
- Onlineauftritt der KZ-Gedenkstätte Mauthausen (engl.: mauthausen memorial)
- Ausschnitte aus der Dokumentation der Gedenkstätte KZ Mauthausen (PDF) mit Berichten von Zeitzeugen und Zitaten aus Originaldokumenten
- Bericht vom Bundesministerium für Inneres
Einzelnachweise
- ↑ Onlineauftritt der KZ-Gedenkstätte Mauthausen: Bericht über die „Mühlviertler Hasenjagd“; mit Schilderungen der Abläufe, Bildern und Zeugenberichten
- ↑ Alphons Matt: Einer aus dem Dunkel, 1988, S. 75 (s. Literatur)
- ↑ Alphons Matt: Einer aus dem Dunkel, 1988, S. 75 (s. Literatur)
- ↑ Alphons Matt: Einer aus dem Dunkel, 1988, S. 75 (s. Literatur)
- ↑ Onlineauftritt der Hochschülerschaft an der Johannes Kepler Universität Linz: Bericht über die Gedenkstein-Einweihung in Ried an der Riedmark am 5. Mai 2001