Himmelsscheibe von Nebra
Die Himmelsscheibe von Nebra ist die älteste bekannte Himmelsdarstellung und evt. auch die älteste astronomische Sternkarte der Menschheitsgeschichte. Sie wurde auf dem Mittelberg nahe der heutigen kleinen Stadt Nebra in Sachsen-Anhalt gefunden und wird zur Zeit im Vorgeschichtlichen Museum in Halle (Saale) aufbewahrt.
Fakten und Vermutungen
Die grünlich schimmernde Scheibe hat einen Durchmesser von 32 Zentimetern und ist zwei Kilo schwer. Sie besteht aus Bronze, einer Legierung aus Kupfer und Zinn, und ist geschmückt mit Gold, das in Einlegetechnik ( = Tauschieren) auf dem Bronzeschild befestigt wurde. Damit beweist der Hersteller / Künstler, dass er die Eigenschaften und das nötige Mischungsverhältnis der Metalle gut kannte. Sie wurde etwa zwischen 1800 v. Chr. bis 1600 v. Chr. erschaffen und ist damit heute cirka 3600 Jahre alt.
Gestaltung und Deutung der Scheibe
Die Herstellung der Himmelsscheibe zog sich vermutlich über mehrere Jahrzehnte hin.
- Die Bronzescheibe soll urprüngliche eine schwarze Farbe gehabt haben, weswegen man sie als Darstellung des Nachthimmels deutet.
- Zunächst einmal wurde auf der Bronzescheibe 32 Sterne ( = runde Goldplättchen) befestigt, wovon 7 sehr dicht beieinander angeordnet sind, während die restlichen scheinbar wahllos auf der Scheibe verteilt wurden. Die 7 nah beieinander stehenden Goldplättchen sollen laut ersten Forschungsergebnissen die Sterngruppe der Plejaden darstellen, der Rest wird als neutraler Sternenhimmel gewertet.
- Die große, runde Goldeinlegearbeit erscheint auf den ersten Blick als Darstellung der Sonne, doch wollen die Archäologen in ihr einen Vollmond erkennen, da sie ja von der Abbildung eines Nachthimmels ausgehen.
- Ein sichelförmiges Goldornament wird als Mondsichel interpretiert.
- Zu einem späteren Zeitpunkt wurden zwei als Horinzontbögen bezeichnete Goldornamente auf dem oberen und unteren Ende der Scheibe ergänzt. Mittlerweile ist einer davon verlorenen gegangen. Dass diese beiden Teile später auf die Scheibe hinzu gefügt wurden, kann man ehemaligen Vertiefungen für 'Sterne' erkennen, die im Röntgenbild sichtbar werden. Diese beiden Horizontbögen sollen den Lauf der Sonne mit ihren Auf- und Untergangspunkten über das Jahr verteilt in Sachsen-Anhalt anzeigen. Da sie exakt den 82° Winkel der Sonne im Bereich von Sachsen-Anhalt während der frühen Bronzezeit abbilden, sind sie ein wichtiger Hinweis dafür, dass die Himmelsscheibe auch in dieser Gegend entstanden sein müsse.
- Als letzte Ergänzung kam eine weitere goldene Sichel hinzu, die aufgrund ihrer Gestaltung mit einer Barke gleichgesetzt wird, wie man sie aus ägyptischen oder minoischen Abbildungen her kennt. Ein Indiz für die spätere Ergänzung ist das andere Mischungsverhältnis von Gold und Silber. Man deutet die Darstellung als Sonnenschiff. Dieses solle die Reise der Sonnen von West nach Ost in der Nacht symbolisieren. Dafür, dass es sich um die Darstellung eines Schiffes nach ägyptischem oder minoischem Vorbild handelt, spricht, dass deutliche Längsrille am Schiffsrumpf erkennbar sind, die den Nilbooten mit ihren Lagen aus Schilfbündeln ähneln.
- In der letzten Phase der Nutzung wurde die Scheibe am Rand vielfach, in recht engem Abstand durchlöchert. Möglicherweise wurde sie irgendwo angenagelt.
Vermutungen über den Gebrauch der Scheibe im Kontext zu ihrem Fundort
Die Himmelsscheibe wurde in einer bronzezeitlichen Anlage auf dem 252m hohen Berg (eher ein Hügel) Mittelberg bei Nebra oberhalb der Unstrut im Jahre 1999 von Raubgräbern in einer Steinkammer entdeckt. Der Fundort wurde mittlerweile von Archäologen genauer untersucht. Man geht davon aus, dass diese Anhöhe bereits seit 5000 v. Chr. von Menschen genutzt wurde. Später wurde die Anlage mit einem kreisförmigen Wall umgeben. Nicht zuletzt aufgrund des Fundes der Himmelsscheibe wird die Anlage als Sternwarte gedeutet. Vom Mittelberg aus hatte man in der Bronzezeit eine gute Sicht zum ca. 80 km entfernt liegenden Brocken im Harz, da man davon ausgeht, dass der Mittelberg in der Bronzezeit unbewaldet war. Mit Hilfe der Himmelsscheibe konnte man von hier aus anhand des Sonnenuntergangs exakt bestimmte Tage im Jahr feststellen. Hält man die Scheibe in westlicher Richtung, also in die Richtung des Brockens, so kann man anhand des linken Randes des oberen Horizontbogens den Tag der Wintersonnenwende, also den 21. Dezember ablesen. Am 21. Juni, dem Tag der Sommersonnenwende, geht die Sonne genau hinter dem Brocken unter, was der rechte Rand des oberen Horizontbogens der Himmelsscheibe markiert. Am 1. Mai geht die Sonne vom Mittelberg aus gesehen hinter dem Kyffhäuser unter. (Siehe dazu auch die beigefügte Skizze)
Aufgrund dieser ersten Deutungen und Erkenntnisse geht man davon aus, dass diese Himmelsscheibe nicht eine einfache Darstellung des Himmels ist, sondern dass sie speziell für astronomische Zwecke, genauer kalendarische, hergestellt wurde. Der Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt, Harald Müller, bezeichnet sie sogar als die "weltweit älteste konkrete Abbildung des Sternenhimmels" (lt. National Geographic, Januar 2004).
Die Forschung vermutet, dass die Himmelsscheibe um 1600 v. Chr. vergraben wurde, als einer der goldenen Horizontbögen verloren gegangen war und somit eine kultische und auch astronomisch sinnvolle Nutzung nicht mehr in Frage kam. Die Deutung, dass die Scheibe auch als Kultgegenstand von besonderem Wert zu interpretieren ist, wird dadurch bestärkt, dass sie zusammen mit zwei Zeremonienschwertern, einem Meißel, zwei Beilen und zwei Spiralarmreifen vergraben wurde.
Da man in etwa 20 km Entfernung von der Fundstelle in Nebra auch das älteste Sonnenobservatorium Europas bei Goseck im Landkreis Weißenfels aus der Zeit um etwa 5000 v. Chr. entdeckt hat, liegt die Vermutung nahe, dass das Wissen auf der Scheibe sogar schon Generationen davor durch Beobachtungen bekannt war.
Siehe auch: Sonnenobservatorium von Goseck
Bedeutung des Fundes für die Geschichtswissenschaft
Die Besonderheit der Himmelsscheibe von Nebra ist vor allem in zwei Punkten zu sehen:
- Zum einen beweisen die Menschen der Bronzezeit aus der Region Sachsen-Anhalt, dass sie bereits vor 1600 v. Chr die komplizierte Technik, die zur Herstellung dieser Bronzescheibe mit ihren Goldeinlegearbeiten vonnöten ist, beherrschten. Diese Können hatte man ihnen eher weniger zugetraut.
- Zum anderen muss bedacht werden, dass es in Europa bisher nur Reste aus dem Bereich der Steinsetzungen (vgl. etwa Stonehenge) gab, die andeuteten, dass auch in Europa astronomischen Wissen vorhanden war.
Damit gewinnt die gesamt Region im Vergleich zu den angesehenen Hochkulturen dieser Epoche, etwa Ägypten, Mesopotamien, die Minoer auf Kreta oder die Mykener in Griechenland, an Gewicht. Man muss den Menschen dieser Gegend bescheinigen, dass sich doch nicht so rückständig gewesen sein müssen, wie man lange angenommen hat. Vielmehr liegt die Vermutung nahe, dass es gar einen regen Fernhandel zwischen all diesen Hochkulturen gegeben hat, mit dem nicht nur Waren in die jeweils anderen Gegenden transportiert wurden, sondern auch Wissen und Kulte.
Entdeckung
Im 23. Februar 2002 wurde von der schweizerischen Polizei die nach ihrem Fundort Nebra benannte Himmelsscheibe während einer fingierten Verkaufsaktion in Basel sichergestellt.
Finder
Henry W. und Mario R. hatten schon am 4. Juli 1999 auf dem 252 m hohen Mittelberg im Ziegelrodaer Forst bei Nebra in einer Wallanlage mit einem Metalldetektor die Scheibe gefunden und später Hehlern für 32.000 DM verkauft. Sie wurden im September 2003 in Naumburg vor Gericht gestellt und erhielten eine viermonatige Bewährungsstrafe bzw. eine zehnmonatige Freiheitsstrafe. Strafmildernd wurden die Geständnisse vom Gericht gewertet.
Hehler
Die Hehler waren eine Frau und ein Mann, die auch im September 2003 in Naumburg verurteilt wurden. Sie erhielt eine Haftstrafe von einem Jahr auf Bewährung und muss 150 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Er wurde zu sechs Monaten Haft auf Bewährung und 5.000 Euro Geldstrafe verurteilt.
Literaturhinweise:
- National Geographic, Januar 2004, S. 38 - 61.