Jürgen Bartsch

deutscher pädosexueller Serienmörder, der vier Kinder tötete
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Jürgen Bartsch (eigentlich Karl-Heinz Sadrozinski; * 6. November 1946 in Essen; † 28. April 1976 in Lippstadt-Eickelborn) war ein pädophiler Serienmörder, der in der bei Essen gelegenen Stadt Velbert insgesamt vier Kinder ermordete.

Kindheit

Karl-Heinz Sadrozinski wurde 1946 als nichteheliches Kind in Essen geboren. Seine leibliche Mutter Anna Sadrozinski verstarb kurz nach seiner Geburt an Tuberkulose. Die ersten Monate seines Lebens verbrachte er in der Obhut häufig überlasteter Krankenschwestern in einer Klinik. Einige Monate nach seiner Geburt kam Gertrud Bartsch, die Frau des wohlhabenden Essener Fleischers Gerhard Bartsch, in dasselbe Krankenhaus, um sich einer Totaloperation zu unterziehen. Die kinderlosen Eheleute nahmen das Waisenkind im Alter von elf Monaten zu sich. Gegen eine Adoption hatte das Jugendamt wegen der "zweifelhaften Herkunft des Kindes" zunächst Bedenken, so dass die Adoption erst sieben Jahre später im Jahr 1954 erfolgte. Der Junge wuchs bei seinen Pflege- und Adoptiveltern in Langenberg (heute Velbert-Langenberg) unter dem Namen Jürgen Bartsch heran. Er wurde von ihnen bis zum Schulanfang im sechsten Lebensjahr völlig isoliert von anderen Kindern gehalten, eingesperrt in einem Kellerraum mit vergitterten Fenstern und bei Kunstlicht, weil die Eltern befürchteten, er erführe draußen, dass er nicht ihr leibliches Kind sei.

Bartsch thematisierte gegenüber den Gutachtern und in seinen Briefen an Paul Moor vielfach die überraschenden Gewaltattacken und den peniblen Sauberkeitswahn seiner Adoptivmutter. Sie verbot ihm, sich schmutzig zu machen oder mit anderen Kindern zu spielen. Diese Zwänge blieben bis ins Erwachsenenalter bestehen – selbst mit 19 Jahren wurde er noch von seiner Adoptivmutter in der Badewanne gewaschen. Das Kind erlebte die Familienatmosphäre als eine empathielose Double Bind-Situation; ähnlich wie der Täter Jürgen Bartsch seinen Opfern gegenüber empfand und handelte.[1]

Im Alter von zehn Jahren kam Bartsch in ein Heim. Da es dort nach Meinung der Eltern nicht streng genug zuging, kam er am 14. Oktober 1958 stattdessen in das katholische Don-Bosco-Internat Marienhausen in Aulhausen/Rheingau, heute Stadtteil von Rüdesheim am Rhein. Bartsch erklärte später, dass er, als er mit Fieber das Bett hütete, von dem dortigen Erzieher Pater Pütlitz ("PaPü") sexuell missbraucht worden sei. Im Oktober 1960 floh er zweimal aus dem Heim, weil er es dort nicht mehr aushielt. Da ihn seine Eltern nach der ersten Flucht wieder zurückgebracht hatten, traute er sich nach der zweiten Flucht nicht mehr nach Hause. Er empfand seine Lage als ausweglos. Er blieb im Heim bis zum 18. Oktober 1960. In dieser Zeit entdeckte er per Zufall, dass er adoptiert war.

Bartsch erlebte die an ihn gestellten Erwartungen der Erziehungsberechtigten, ob zu Hause oder im Heim, als so widersprüchlich, ichbezogen, eigensüchtige Interessen verfolgend und ohne Einfühlungsvermögen für seine Bedürfnisse, dass er auch beim besten Willen nicht hoffen konnte, es diesen jemals recht machen zu können („Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“). Ihre Nähe machte ihm Angst, jederzeit Opfer einer plötzlichen Aggression zu werden. So lernte er nie, sich in Schwächere hineinzuversetzen, bzw. die Rücksichtnahme auf Schwächere. Als er älter und stärker wurde, verhielt er sich kleineren Jungen gegenüber ebenso dominant und gefühllos, wie er selbst von Erwachsenen behandelt worden war:

Hier inszenierte er die Situation einer tiefen Demütigung, Bedrohung, Vernichtung der Würde, Entmachtung und Ängstigung eines kleinen Jungen in Lederhosen, der er einst gewesen war. Es erregte ihn besonders, in die verängstigten, gefügigen, hilflosen Augen des Opfers zu blicken, in denen er sich selbst begegnete und mit dem er die Vernichtung seines Selbst in großer Erregung immer wieder durchspielte — diesmal nicht mehr als hilfloses Opfer, sondern als der mächtige Verfolger. (Am Anfang war Erziehung, Seite 259)

Als Kind musste er von klein auf lernen, die Absurditäten und Launen der Erzieher widerspruchslos und ohne Gefühle von Haß hinzunehmen. Mangels Kenntnis von Handlungsalternativen hielt er sich als Kind an alle auferlegten Verbote. Es gab in seinem jungen Leben niemanden, dem er sich hätte anvertrauen können um "Dampf" abzulassen, und so baute sich in seinem Unterbewusstsein ein beispielloser Aggressionsdruck auf.

Neigungen

Bartsch gehörte zu den sadistisch geprägten, zu Gewalttaten neigenden Tätern, die auf Kinder fixiert sind. Im Jugendalter zeigte sich seine pädophile Neigung im katholischen Internat in Marienhausen. Dort stellte Jürgen Bartsch zum ersten Mal fest, dass er sich sexuell zu Knaben hingezogen fühlte. Psychologische Gutachten bestätigten, dass die pädosexuellen Neigungen des nach außen äußerst freundlich wirkenden Bartsch deutlich sadistische Züge trugen, er unter Paraphilien litt und seine Taten unter einem „unwiderstehlichen Drang“ ausgeführt hatte.

Im Juni 1961 wurden seine Neigungen der Polizei bekannt, nachdem er den Sohn eines Langenberger Malermeisters in dem dortigen ehemaligen Luftschutzbunker im Ortsteil Oberbonsfeld, Heeger Str., sexuell attackiert und gequält hatte. Der Vorfall führte zu einer Anklage vor dem Wuppertaler Amtsgericht, die jedoch bald wieder eingestellt wurde. Gerade in dieser Zeit entwickelte Bartsch immer sadistischere Fantasien, die er nach und nach in die Tat umsetzte.

Opfer

  • 31. März 1962: Klaus Jung, 8 Jahre
  • 6. August 1965: Peter Fuchs, 13 Jahre
  • 14. August 1965: Ulrich Kahlweiß, 12 Jahre
  • 6. Mai 1966: Manfred Graßmann, 11 Jahre

Bartsch überredete seine Opfer, ihn in den ehemaligen höhlenartigen Luftschutzbunker in Langenberg-Oberbonsfeld, Heeger Straße (heute Velbert-Langenberg) zu begleiten. Dort zwang er sie, sich zu entkleiden, und nahm sexuelle Handlungen an ihnen vor. Dann tötete er sie und zerstückelte die Leichen.

Am 18. Juni 1966 streifte Bartsch durch Wuppertal-Elberfeld, wo er ein weiteres Opfer, den 14-jährigen Peter Frese, traf. Im Luftschutzbunker zwang er den Knaben mit Schlägen und Fußtritten dazu, sich zu entkleiden. Er fesselte P. Frese und versuchte, ihn zu vergewaltigen. Mit der Ankündigung, er werde bald zurückkommen und ihn töten, verließ Bartsch den Bunker. P. Frese gelang es, die Fesseln mittels einer Kerze durchzusengen und zu fliehen.

Nach der Flucht des Jungen wurde eine polizeiliche Suchaktion nach dem Täter gestartet. Die Polizei fand im Bunker die Überreste der vier Opfer. Der 19-jährige Metzgergeselle Bartsch wurde durch Hinweise eines Bewohners von Langenberg als Täter identifiziert und drei Tage nach der Tat, am 21. Juni 1966, durch die Polizei festgenommen.

Nach der Verhaftung

Bartsch bekannte sich offen zu seinen Taten. Am 27. November 1967 begann der Prozess vor dem Landgericht Wuppertal unter großer Beachtung der Medien und der Öffentlichkeit, national wie international. Das Gericht betrachtete Bartsch als voll zurechnungsfähigen Erwachsenen und verurteilte ihn am 15. Dezember 1967 zu lebenslanger Zuchthausstrafe (Verteidiger: Rolf Bossi).

Im Jahr 1969 ließ der Bundesgerichtshof die Revision zu und hob dann im Revisionsverfahren das erstinstanzliche Urteil auf. Danach wurde der Fall vor der Jugendkammer des Düsseldorfer Landgerichts neu verhandelt. Der Münchener Staranwalt Rolf Bossi übernahm die Verteidigung. In diesem Prozess ging es allein um die Frage, ob der Angeklagte für die Taten, die er umfassend gestanden hatte, verantwortlich sei. Am 6. April 1971 wurde das Urteil in zehn Jahre Jugendstrafe und eine Unterbringung in der Heil- und Pflegeanstalt Eickelborn umgewandelt. Dort heiratete Bartsch 1974 eine Schwesternhelferin aus Hannover.

Im Januar 1968 nahm der in Deutschland lebende amerikanische Journalist Paul Moor schriftlichen Kontakt zu Bartsch auf. In der Zeit bis April 1976 erhielt er 250 Briefe von ihm. Bartsch nahm die Gelegenheit wahr, sehr ausführlich aus seiner Lebensgeschichte zu erzählen. In Moor hatte er seinen ersten und einzigen verlässlichen und aufmerksamen Zuhörer, der mit Fragen nachhakte, wobei die Fragen häufig psychoanalytisch orientiert waren. Das dabei gesammelte Material verarbeitete Moor zu dem 1972 erschienenen und inzwischen vergriffenen Buch mit dem Titel „Das Selbstporträt des Jürgen Bartsch“.

Da er weiter von Schuldgefühlen und Mordfantasien begleitet wurde, schlugen Ärzte weitere Psychotherapien und eine Gehirnoperation vor. Um dem lebenslangen Aufenthalt in der Psychiatrie zu entgehen, beantragte Bartsch seine Kastration. Er wurde im Landeskrankenhaus Eickelborn operiert. Dabei verabreichte ein Pfleger, der unzureichend ausgebildet war, das Narkosemittel Halothan zehnfach überdosiert, was zu Bartschs Tod führte.

Zitate

  • Jürgen Bartsch zu seiner Zukunft mit seiner Frau: „Irgendwann, wenn ich hier raus bin, wollen wir auch Kinder haben.“
  • Jürgen Bartsch über seine Adoptivmutter: „Sie wollte lieber eine Puppe haben.“, „Meine Mutter fand absolut nichts dabei, mich in einer Minute in den Arm zu nehmen und zu küssen, und in der nächsten Minute sah sie, dass ich aus Versehen die Schuhe anbehalten hatte, nahm einen Kleiderbügel aus dem Schrank und zerschlug ihn auf mir. In dieser Art etwa geschah oft etwas, und jedesmal zerbrach irgend etwas in mir.“
  • Jürgen Bartsch über seine sexuelle Neigung zu Jungen: „[...] wer über 15-17 ist, ist für mich sowieso schon ein ‚Opa‘. Und Sie wissen ja, daß das schönste Alter für mich noch viel jünger ist, etwa 9 bis 13, höchstens 14.“
  • Bartsch' Adoptivvater zu seinen Freunden über seine Frau: „Sie schlägt das Kind so, ich ertrage es einfach nicht mehr.“, „Ich muß nach Hause, sonst schlägt sie mir das Kind tot.“
  • Jürgen Bartsch auf die Frage, ob er sich gegenüber der Gesellschaft schuldig fühle: „Die 'Öffentlichkeit' existiert insofern für mich nicht, als ich glaube, daß längst nicht jeder dieser Menschen Grund hat zu schreien. Ich meine die deutsche Oma, die nicht raucht, nicht trinkt, sich nicht schminkt, und die so von Herzen überzeugt war, daß Judenkinder keine Milch brauchten. Es geht hier nicht um eine 'Aufrechnung', es geht nur darum, ob diese Menschen die berufenen Richter über mich sind.“
  • 1966; Oberstaatsanwalt Fritz Klein (feierlich): „Das Elternhaus [des Bartsch] kann nicht besser gedacht werden.“

Film

  • Bartschs Leben wurde 2002 von Kai S. Pieck unter dem Titel „Ein Leben lang kurze Hosen tragen – Der Fall Jürgen Bartsch“ verfilmt.
  • „Nachruf auf eine Bestie“, Dokumentarfilm, BRD 1984, von Rolf Schübel
  • „Der Kindermörder Jürgen Bartsch“. Film von Thomas Fischer aus der Reihe „Die großen Kriminalfälle“ (SWR-Produktion, 2000)

Literatur

  • Friedhelm Werremeier, Bin ich ein Mensch für den Zoo?, Limes, 1968
  • Paul Moor, Das Selbstporträt des Jürgen Bartsch, Fischer, 1972
  • Peggy Parnass, Prozesse 1970–1978, Zweitausendeins, 1978
  • Alice Miller, Am Anfang war Erziehung, Suhrkamp, 1983, ISBN 3518374516
  • Michael Föster, Jürgen Bartsch. Nachruf auf eine Bestie, Torso, 1984
  • Horst Petri, Erziehungsgewalt. Zum Verhältnis von persönlicher und gesellschaftlicher Gewaltausübung in der Erziehung, Fischer, 1989 (Folgen der Erziehungsgewalt: Aus dem Selbstportrait des Jürgen Bartsch, S. 138 ff.)
  • Ulrike Meinhof, Jürgen Bartsch und die Gesellschaft. In U. Meinhof Die Würde des Menschen ist antastbar. Aufsätze und Polemiken. Berlin: Wagenbach, 2004. ISBN 3-803-12491-3
  • Paul Moor, Jürgen Bartsch: Opfer und Täter, Rowohlt, 1991, ISBN 3-498-04288-2; dasselbe als TB (2003) unter dem Titel:
  • Paul Moor, Jürgen Bartsch – Selbstbildnis eines Kindermörders, Rowohlt, 2003, ISBN 3-499-61482-0
  • Robertz/Thomas, Serienmord. Kriminologische und kulturwissenschaftliche Skizzierungen eines ungeheuerlichen Phänomens, München (Belleville Verlag), 2004, ISBN 3-936-298-09-2
  • Kerstin Brückweh: Mordlust. Serienmorde, Gewalt und Emotionen im 20. Jahrhundert (Campus Historische Studien Bd. 43). Frankfurt am Main/ New York: Campus Verlag 2006. ISBN 978-3-593-38202-9
  • Mark Benecke: Mordspuren. Spektakuläre Kriminalfälle, G.Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach, 2007,ISBN 978-3-7857-2307-4

Einzelnachweise

  1. (vgl. tiefenpsychologisches Gutachten vor dem Wiederaufnahmeverfahren)

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