Krankenpflege im Nationalsozialismus

Gleichschaltung der Schwesternverbände
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 20. September 2008 um 17:56 Uhr durch Poisend-Ivy (Diskussion | Beiträge) (Kriegspflege: DRK erw.). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Der Begriff Krankenpflege im Nationalsozialismus beschreibt die historische Entwicklung der Krankenpflege, die Instrumentalisierung der Pflegenden und Rolle der Pflegekräfte im nationalsozialistischen System, sowie die politischen Strukturen der Pflegeverbände und das berufliche Rollenverständnis während des Nationalsozialismus.

Ausgangssituation in der Weimarer Republik

Rollenbilder und Differenzen innerhalb der Pflege

Während des politischen Umsturzes nach Ende des ersten Weltkrieges waren die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen im Pflegedienst katastrophal. Die Überforderung des Pflegepersonals wurde unter anderen von Agnes Karll thematisiert. Sie gründete 1903 die „Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands", die sich überwiegend mit den Rechten und der staatlichen Anerkennung der Krankenschwestern befasste. Nach dem Jahr 1922 gewann diese Organisation zunehmend an Einfluss. Die Berufsauffassung der berufsständisch organisierten Pflegekräfte wandelte sich hin zur Professionalisierung, die für ihre Arbeit eine gerechte Entlohnung forderte, ohne jedoch aus dem konservativen Rollenverständnis, der Selbstlosigkeit und dem Gehorsam auszubrechen. Beispielsweise lehnte Agnes Karll, den von den Gewerkschaften geforderten Acht-Stunden-Tag vehement ab.[1] Dem gegenüber stand das Selbstverständnis der religiös motivierten Schwestern, die Pflege als einen Ausdruck tätiger Nächstenliebe verstanden und sich selbst in der Tradition der Karitas sahen. Neben diesen beiden Gruppen standen die freiberuflichen und gewerkschaftlich organisierten Pflegekräfte, die neben einer gerechten Entlohnung auch um eine deutliche Verbesserung der personellen Besetzung und eine deutliche Reduktion der Arbeitszeit kämpften.

In der Weimarer Republik waren sich diese drei Gruppen mit ihrem individuellen Rollenverständnis insgesamt politisch uneins. Die Pflege wurde zwar zunehmend professioneller, die Anforderungen an die Aus- und Weiterbildung stiegen, aber aufgrund der Differenzen konnten sich die verschiedenen gewerkschaftlichen, berufsständischen und kirchlichen Organisationen nicht auf ein gemeinsames Verständnis und ein einheitliches politisches Auftreten zur Durchsetzung ihrer Forderungen einigen.

Übernahme der Wohlfahrtspflege durch die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt

Die 1931 als privater Wohlfahrtsverein in Berlin gegründete Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) beschäftigte sich nach ihrer Eintragung als Verein 1932 zunächst mit der Wohlfahrtspflege innerhalb der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und ihrer Sympathisanten. Mit der „Machtergreifung“ Adolf Hitlers und dem Verbot der Arbeiterwohlfahrt im Juli des Jahres 1933 stieg der Verein zu einem der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege auf, zu deren originären Aufgaben auch die Krankenpflege gehörte. Diese Wohlfahrtsverbände, die religiös motivierte Caritas, die Innere Mission und das weltliche Deutsche Roten Kreuz (DRK) mit ihren angeschlossenen Schwesternschaften gründeten gemeinsam mit der NSV die „Reichsgemeinschaft der der freien Wohlfahrtspflege“.

Im Jahre 1934 wurde die Reichsgemeinschaft zur „Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege“ umbenannt. Zeitgleich erfolgte das Verbot der sozialen, liberalen und der jüdischen Wohlfahrtsträger, deren Funktionäre zum Teil verhaftet oder mit einem Berufsverbot belegt wurden. Das Vermögen der Verbände wurde eingezogen. Die NSV profitierte dabei insbesondere durch das Verbot der kirchlichen Organisationen, deren Vermögen teilweise auf sie überging.

Mit der Auflösung des seit 1933 an die NSV angeschlossenen Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, übernahm die NSV die meisten Einrichtungen des Wohlfahrtsverbandes und konnte sich eine Schlüsselstellung innerhalb der nationalsozialistischen Wohlfahrtsverbände sichern. Neben privaten Spendenaufrufen, beispielsweise durch das von der NSV gegründete „Winterhilfswerk“, engagierte sich die NSV zunächst als Hilfsorganisation für die Sturmabteilung (SA) der NSDAP und deren Familien und sicherte sich durch ihre Maßnahmen Unterstützung in der Bevölkerung.

Auflösung der freien Gewerkschaften und Schwesternverbände

Einen Tag vor Eingliederung der NSV in die NSDAP wurden auf Befehl Adolf Hitlers am 3. Mai 1933 die freien Gewerkschaften aufgelöst und verboten. Die bislang in den Gewerkschaften organisierten Pflegekräfte wurden in die Deutsche Arbeitsfront (DAF) eingegliedert und gehörten damit zur „Reichsbetriebsgemeinschaft öffentliche Betriebe“. Aufgabe der DAF waren die arbeitsrechtlichen und tarifpolitischen Belange ihrer Mitglieder. Zeitgleich entstand die direkt dem Reichsinnenministerium unterstellte „Reichsarbeitsgemeinschaft der Berufe im sozialen und ärztlichen Dienst eV.“ (RAG), unter deren Dach die „Reichsfachschaft Deutscher Schwestern und Pflegerinnen“ und die „Reichsfachschaft für Krankenpfleger“ gebildet wurden. Die Reichsfachschaften sollten die berufsspezifischen Angelegenheiten der Pflegenden koordinieren und organisieren. Noch 1933 wurden alle Publikationen der berufsständischen und verbandseigenen Fachzeitschriften eingestellt und durch Zeitschriften der Reichsfachschaften ersetzt.[2]

Alle größeren Schwesternverbände, die bis zu diesem Zeitpunkt selbstständig waren, schlossen sich bis spätestens 1935 der Reichsfachschaft an. Es bildeten sich dabei fünf wesentliche Gruppen, die die Hauptströmungen der Krankenpflege repräsentierten:

  • Berufsgemeinschaft, bestehend aus weltlichen, privaten und städtischen Schwestern, kommissarische Leitung: Schwester Amalie Rau, gleichzeitig Reichsfachschaftsleiterin
  • Diakoniegemeinschaft, bestehend aus den Schwesternschaften der evangelischen Kirche, Leitung: Schwester Auguste Mohrmann
  • Katholische Schwesterngemeinschaft Deutschlands, Leitung: Oberin Hollstein
  • Rot-Kreuz-Schwesterngemeinschaft
  • Schwesterngemeinschaft der NSV beziehungsweise die NS-Schwesternschaft

Gleichschaltung der Wohlfahrtspflege

Nach Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes am 24. März 1933 und des am 1. Dezember 1934 erlassenen „Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat“ wurde die NSDAP zum Träger der Staatsmacht und erhielt das Monopol auf die öffentliche Gewalt. In diesem Zuge wurde auch aus der NSV ein Teil der öffentlichen Verwaltung. Die Überwachung des Verbandes lag beim „Hauptamt für Volkswohlfahrt“. Die hierarchische Gliederung der Partei mit ihren Ebenen Reich, Gau, Kreis, Ortsgruppe, Zelle und Block wurde damit auch auf die NSV übertragen. Die Führungskräfte des Hauptamtes wurden zu den Leitern der NSV. Das sicherte eine enge Zusammenarbeit zwischen NSDAP und NSV.

Die Aufgaben der NSV umfassten die Bereiche der Allgemeinen Wohlfahrtspflege, Familien und Wohnungshilfe, NSV-Jugendhilfe, Erholungsfürsorge, Schlichtung von Mietstreitigkeiten in Zusammenarbeit mit der Rechtsbetreuung der NSDAP sowie das Schwesternwesen. Zentrale Aufgabe des Bereichs Schwesternwesen war die Organisation der NS-Schwesternschaft für die Gemeindepflege und der Freien Schwesternschaft der NSV für die Krankenpflege.

Auflösung der Reichsfachschaften

Innerhalb der RAG kam es Anfang 1935 zu Kompetenzstreitigkeiten, die letztlich zur Auflösung der RAG führten. Die Fachschaften wurden daraufhin direkt in die DAF eingebunden. Gleichzeitig entstand aus der „Reichsfachschaft deutscher Schwestern und Pflegerinnen“ der „Fachausschuß für Schwesternwesen in der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege“ unter der Ägide der NSV. Die Berufsverbände blieben zunächst in ihrer bisherigen Form und Aufteilung erhalten.

Eine weitere Umbenennung erfolgte 1936: aus der „Berufsgemeinschaft der freien Verbände“, den sogenannten „Blauen Schwestern“, wurde der „Reichsbund freier Schwestern“. Die wegen ihrer braunen Schwesterntracht als „Braune Schwestern“ bezeichneten Mitglieder der NSV-Schwesternschaft wurden 1942 mit dem Reichsbund der freien Schwestern zum „NS-Reichsbund Deutscher Schwestern“ zusammengefasst. Nach 1936 gab es keine freien und nicht durch die Führung der NSDAP kontrollierten Schwesternverbände mehr.

NS-Schwesternschaft

Eine besondere Rolle nahm die NS-Schwesternschaft in der Gesundheitspolitik der nationalsozialistischen Machthaber ein. Die NS-Schwesternschaft, die auf Hitler vereidigt wurde, sollte „aufgrund ihres Bekenntnisses zur nationalsozialistischen Weltanschauung Willensträgerin des Dritten Reiches auf dem Gebiet der Gesundheitsführung des deutschen Volkes sein“.[3] Zentrale Aufgabe der NS-Schwesternschaft sollte die Gemeindepflege werden, bei der neben der Sorge für die Volksgesundheit auch die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankengutes eine wesentliche Rolle spielen sollte. Durch diese Neubewertung der gesellschaftspolitischen Rolle der bislang eher als unpolitisch eingeschätzten Krankenpflege erfuhr der Berufsstand eine deutliche Aufwertung.

Rollenverständnis der nationalsozialistischen Schwester

Die Krankenschwestern der NS-Schwesternschaft legten ihren Eid analog zum nationalsozialistischen Verständnis der Wohlfahrtspflege und der Neuen Deutschen Heilkunde auf den Führer ab:

„Ich schwöre meinem Führer Adolf Hitler unverbrüchliche Treue und Gehorsam. Ich verpflichte mich, an jedem Platz, an den ich gestellt werde, meine Aufgaben als nationalsozialistische Schwester treu und gewissenhaft im Sinne der Volksgemeinschaft zu erfüllen, so wahr mir Gott helfe.“[4]

Dieser Schwur versinnbildlichte das geänderte Rollenverständnis in der nationalsozialistischen Krankenpflege: die Volksgemeinschaft trat an die Stelle des Kranken und Pflegebedürftigen, die Krankenschwester hatte nicht mehr dessen individuelles Wohlergehen, sondern das Wohl des Volkes zu schützen. Die Gemeinschaft bekam also Vorrang vor dem Einzelnen. Durch dieses ideologische Konstrukt, das sich in alle Berufsverbände der Krankenpflege verbreitete, war es den Schwestern möglich, sich zugunsten des Volkswohles und gegen „unwertes Leben“ zu entscheiden. Dies führte in Zusammenhang mit der bürgerlichen-konservativen Tradition der Unterordnung der Pflege gegenüber Weisungsbefugten, sowohl in und außerhalb der NS-Schwesternschaft, zur unreflektierten Beteiligung an den sogenannten Krankenmorden, der systematischen Ermordung von Kranken und Behinderten im Rahmen der nationalsozialistischen Rassenhygiene.


Spezielle Tätigkeitsbereiche und Rolle der Krankenschwester

Allgemein blieb die Aufgabe der Krankenpflege bei zunehmendem Rückgang der privaten Pflege die Versorgung von Kranken in Krankenhäusern, Kinderkrankenhäusern, der Psychiatrie und in der häuslichen Pflege. Nach Errichtung der ersten Konzentrationslager wurden auch dort Krankenschwestern eingesetzt. Ab Kriegsbeginn kam die pflegerische Tätigkeit in den Lazaretten hinzu, welche traditionell dem DRK oblag. Mit Fortschreiten der Expansion des Deutschen Reiches unter Hitler wurde auch die Krankenpflege in den besetzten Gebieten zu einem Aufgabenfeld, das sich überwiegend auf die Vermittlung nationalsozialistischen Gedankengutes bezog.

Gemeindepflege

Ein Schwerpunkt der NS-Schwesternschaft lag in der Gemeindepflege. Die Aufgaben innerhalb dieses Bereiches wandelten sich unter den Nationalsozialisten von der Familien- und Krankenpflege mehr und mehr zum Werkzeug der nationalsozialistischen Rassen- und Gesundheitspolitik. Die Nähe der Gemeindeschwestern zur Bevölkerung und der Status einer Vertrauensperson ermöglichten der nationalsozialistischen Regierung einen direkten Zugriff auf alle relevanten Informationen zur Volksgesundheit und gaben dem Beruf eine Schlüsselstellung in der Durchsetzung nationalsozialistischer Ziele, beispielsweise in der „Erb- und Rassenpflege“ sowie der Entscheidungsfindung zwischen „wertem und unwertem Leben“ in der allgemeinen Bevölkerung.

Die Gemeindepflegerin überwachte den Gesundheitszustand der Bevölkerung und hatte eine wesentliche Funktion als Gesundheitserzieherin des deutschen Volkes. Die Gemeindeschwestern gaben unter anderem Ratschläge zu der von der Partei bevorzugten Lebensweise, zur sparsamen Haushaltführung, sie entschieden über die Kinderlandverschickung und die Genehmigung von Erholungskuren. Neben diesen Tätigkeiten waren die Gemeindeschwestern aber auch verpflichtet, ihren Vorgesetzten Missbildungen und „Verhaltensabnormitäten“ zu melden.

Die Stellen als Gemeindeschwester wurden beinahe ausnahmslos an Pflegekräfte des NS-Schwesternbundes übertragen, obwohl diesem im Jahr 1939 nur 9,2 % aller deutschen Krankenschwestern angehörten.[5]

Kriegspflege

Neustrukturierung des DRK zur Vorbereitung auf die Kriegspflege

Das DRK hatte enge Verbindungen zur NSDAP; insbesondere in der Führungsebene waren die beiden Organisationen eng verwoben. Unter Präsidentschaft Joachim von Winterfeldt-Menkins trat am 29. November 1933 eine neue Satzung in Kraft, mit der jüdische Rot-Kreuz-Mitglieder ausgeschlossen wurden und der politische Neutralitätsgrundsatz weitestgehend aufgegeben wurde. Maßgeblich an der weiteren Bindung des DRK an das nationalsozialistische System in der Führungsebene und Neustrukturierung des Verbandes war der am 1. Januar 1937 von Hitler ins Amt berufene Ernst-Robert Grawitz beteiligt. Zunächst stellvertretender Präsident des DRK, übernahm er ab 1937 in der Rolle als geschäftsführender Präsident des Verbandes. Er besetzte wesentliche Verbandsfunktionen mit Mitgliedern der Schutzstaffel (SS). Ziel der Umstrukturierung des DRK war den Verband auf das Führerprinzip auszurichten und ihn für den Kriegseinsatz vorzubereiten. Dazu wurde das DRK am 9. Dezember 1937 als eingetragenen Verein und die bislang weitgehend selbstständigen Schwesternschaften auflöste. Am 1. Januar 1938 trat eine neue Satzung in Kraft, die das DRK zum Sanitätsdienst der Wehrmacht verpflichtete und Hitler zum Schirmherr des Verbandes erklärte. In der Schwesternschaft wurde der Führereid eingeführt, in der „Dienstverordnung für die Schwesternschaft des Deutschen Roten Kreuzes“ wurde die Mitgliedschaft der Schwesternschülerinnen im Bund Deutscher Mädel (BDM) verpflichtend. Von den Schwestern wurde der Beitritt zum Deutschen Frauenwerk erwartet. Für den beruflichen Aufstieg, beispielsweise zur Oberschwester wurde der Besuch einer weltanschaulichen Schulung, geleitet von der an das Präsidium des DRK angeschlossenen Abteilung „Rassenpolitische Schulung“ verpflichtend. Die Parteimitgliedschaft zur NSDAP oder der NS-Frauenschaft war für Pflegekräfte in Führungspositionen obligat.

Grawitz unternahm, in Vorbereitung auf den zu erwartenden steigenden Bedarf an Pflegepersonal im Krieg, massive Anstrengungen, die Zahl der DRK-Schwestern deutlich zu erhöhen. Die Zahl der Lernschwestern im DRK stieg von 1933 bis 1939 um 50%, die Zahl der für den Kriegsdienst vorgesehenen DRK-Schwestern im selben Zeitraum um 32%.[6] Bereits vor Kriegsbeginn begann das DRK mit der Durchführung von Sanitätskursen für den Kriegsdienst und bildete Schwesternhelferinnen aus, die für die Krankenpflege in den Krankenhäusern vorgesehen waren, sobald die DRK-Schwestern zum Kriegsdienst abberufen wurden. Die Meldung geeigneter Schwestern und Hilfsschwestern an den „Kommissar für die Freiwillige Krankenpflege“ erfolgte ebenfalls durch die DRK-Schwesternschaften, die damit die Umsetzung des Wehrgesetzes vom 21. Mai 1935, das auch die Dienstverpflichtung von Frauen im Kriegsfalle regelte, vorbereiteten. Neben freiwilligen Helfern, die nicht zwangsläufig einen entsprechenden Ausbildungsstand als Pflegekraft verfügten, war das DRK für die gesamte Kriegspflege zuständig. Die Monopolstellung des DRK für die Krankenpflege im Kriegsfall blieb bis zur Ausdehnung der Fronten erhalten. Der Pflegekräftemangel führte bis 1942 zu einem Berufswechselverbot für Krankenschwestern.

Einsatzgebiete und Arbeitsbedingungen

Krankenpflegepersonal wurde meist in Verbindung mit verbandseigenen Ärzten beschäftigt und dienten gemeinsam mit den Angehörigen des Sanitätskorps. Dienstlich wurden die Schwestern der Wehrordnung unterstellt, innerhalb der kriegspflegerischen Hierarchie waren die Leitungsebenen in Oberschwester, Armee- oder Feldoberin und Generaloberin unterteilt. Die Pflegekräfte arbeiteten überwiegend in den mobilen oder stationären Lazaretten des Heeres, der Kriegsmarine und der Luftwaffe oder begleiteten Lazarettzüge. Die Erstversorgung der Verwundeten war Aufgabe der Sanitätskompanien, unter Umgehung der Dienstvorschriften kam jedoch auch an der Front zum Einsatz von Krankenschwestern. Die Einsatzorte umfassten alle besetzten Gebiete und deutschen Frontlinien, unter anderem auch in Afrika, Norwegen und an der Ostfront.

Die Arbeit in den Lazaretten war von Anfang an sehr anspruchsvoll, die Schwestern waren von Kriegsbeginn an völlig überlastet. Die hygienischen Bedingungen, die Versorgung mit Verbandsmaterial und Medikamenten waren schlecht. Die Planung hinsichtlich der Bettenbelegung war unzureichend: in den Jahren nach 1940 waren die Betten doppelt oder vierfach überbelegt. Aufgrund des zunehmenden Bedarfs an Pflegepersonal während des Krieges wurden auch Schwesternhelferinnen aus den besetzten Gebieten zum Kriegsdienst zugelassen, wenn sie sich als Ausländerinnen zum „Deutschtum“ bekannten. Schwestern aus anderen Verbänden als dem DRK, sowie dienstverpflichtete Frauen wurden ebenfalls eingesetzt.

Beteiligung der Pflegekräfte an Massenvernichtungen und Zwangssterilisationen

 
Schreiben Hitlers, datiert 1. September 1939

An der euphemistisch als „Euthanasie“ bezeichneten gezielten Tötung kranker, behinderter und schwacher Menschen, die nach den Vorstellungen der Rassen- und Erbpolitik der nationalsozialistischen Regierung zu einer reinen und gesunden arischen Rasse führen sollte, war die Krankenpflege in nicht unerheblichen Maße beteiligt. Allen humanitären Idealen zum Trotz waren Krankenschwestern, überwiegend auf ärztliche Anweisung, an der Ermordung Tausender pflegebedürftiger Kinder und Erwachsener beteiligt.

Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933[7] führte die „rassenhygienische Ausmerze“ schrittweise über Zwangssterilisierungen und Zwangsabtreibungen zu den ersten „Gnadentoden“ schwerbehinderter Kinder, die ab dem Jahre 1939 zur systematischen „Kinder-Euthanasie“ und später zur „Erwachsenen-Euthanasie“ führten. Ein Schreiben Hitlers aus dem Oktober 1939, rückdatiert auf den Kriegsbeginn am 1. September 1939, ist der Beginn der Ermordung Hunderttausender Patienten, überwiegend psychisch Kranker und Behinderter im Rahmen der „Aktion Gnadentod“, die auch als „Aktion T4“ bezeichnet wird. Dieser Erlass gab Ärzten die Befugnis nach menschlichen Ermessen unheilbar Kranken den "Gnadentod zu gewähren". Damit wurde für die Beteiligten das Strafgesetzbuch außer Kraft gesetzt und die Morde an nicht heilbaren Patienten, beispielsweise dauerhaft Behinderten, legitimiert.

Zum Teil bezog sich die Mittäterschaft auf die Unterstützung des Systems, aber auch nach dem Aussetzen der Aktion T4 haben Schwestern in verschiedenen Anstalten des gesamten Reichsgebietes ab 1941 im Rahmen der „wilden Euthanasie“ aktiv Patienten ermordet, teilweise durch Medikamentengabe, Einspritzen von Luft in Venen oder passiv zu deren Tod beigetragen, in dem sie die Pflegebedürftigen verhungern ließen.

Euthanasie in Kinderheimen, Kinderkrankenhäusern und Kinderfachabteilungen

Mit dem „Gesetz zur zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ und der ersten „Gnadentötung“ eines behinderten Kindes auf Wunsch der Eltern im Jahre 1939[8] wurden in der Kanzlei des Führers die Vorbereitungen zur großangelegten Aktion der Kinder-„Euthanasie“ getroffen. Mit einem Runderlass des Reichsministers des Innern vom 18. August 1939 [9] wurde die Erfassung der betreffenden Kinder festgelegt und angeordnet, welche Kinder getötet werden sollten und wie über die Tötungen zu entscheiden sei. Das Rundschreiben richtete sich an Ärzte, Hebammen, Entbindungsanstalten und Kinderkrankenhäuser und legte fest, dass neu geborene Kinder die an Idiotie oder Mongoloismus, Microcephalie, Hydrocephalie erkrankt seien oder Missbildungen jeder Art sowie Lähmungen einschließlich der Littleschen Erkrankung aufwiesen, zur Begutachtung gemeldet werden mussten. Diese Meldung wurde an den „Reichsausschuß zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“ weitergeleitet, der nach Aktenlage über die „Behandlung“ des Kindes als „Euthanasie-Fall“ in einer der speziell zu diesem Zweck eingerichteten „Kinderfachabteilungen“ entschied. Dies bezog sich anfangs nur auf Kinder bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres, ab 1941 auch auf Jugendliche bis zu 16 Jahren.

Die Kinderfachabteilungen wurden an psychiatrischen Krankenhäusern und Kinderkliniken eingerichtet, in die die durch den Reichsausschuß für „lebensunwert“ beurteilten Kinder eingewiesen wurden. Dort wurden die Kinder und Jugendlichen vielfach ohne ihr Einverständnis und ohne das ihrer Eltern zunächst der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung gestellt, bevor sie mittels Barbituratüberdosierungen, systematischer Unterernährung und durch Unterkühlung provozierte Lungenentzündungen getötet wurden. Das Pflegepersonal dieser Fachabteilungen, insbesondere der erst Beginn des 20. Jahrhunderts entstandene Berufszweig der Kinderkrankenpflege, war an der Ermordung der Kinder direkt und indirekt beteiligt. Einerseits waren sie als Betreuer der Kinder über die zunehmende Verschlechterung des Gesundheitszustandes, die wissenschaftlichen Untersuchungen und die mangelnde Verpflegung informiert, andererseits haben die Schwestern auf Anordnung der Ärzte hin die Kinder durch Verabreichung von Medikamenten aktiv getötet[10]. Die Pflegerin Anna Kaschenka, die in der Kinderfachabteilung der „Wiener städtischen Jugendfürsorgeanstalt 'Am Spiegelgrund'“ angestellt war, sagte 1948 im Wiener Volksgerichtsprozess aus: "Dr. Jekelius erklärte mir damals weiter, daß Kinder, denen absolut nicht mehr zu helfen sei, ein Schlafmittel bekommen, damit sie schmerzlos 'einschlafen'. Später solle ein diesbezügliches Gesetz geschaffen werden [...]. " [11]

Beteiligung an den Krankenmorden in der psychiatrischen Pflege

Besonders in der psychiatrischen Pflege waren Krankenschwestern und Wärter von 1940 bis Kriegsende an der Ermordung von Patienten beteiligt. Ziel der Tötungen waren an Schizophrenie, Epilepsie und Lues erkrankte Menschen, geistig und seelisch Behinderte, sowie senile, kriminelle und nicht-deutsche Insassen von psychiatrischen Krankenhäusern.[12] Mit Beginn der staatlich organisierten Euthanasie im Rahmen der Aktion T4 wurden Pflegekräfte in Heilanstalten eingesetzt, die über eigene Gaskammern zur Ermordung der Patienten verfügten.[13] Diese „Euthanasie-Anstalten“ befanden sich in Brandenburg, Bernburg, Grafeneck, Hadamar, Hartheim und Sonnenstein. Sie wurden benutzt bis zur Einstellung der „Aktion Gnadentod“ aufgrund von Protesten der Kirche und der Bevölkerung bis spätestens August 1941. Nach Einstellung der Aktion T4 wurde die systematische Tötung offiziell beendet und die Ermordung von Patienten für die Öffentlichkeit weniger offensichtlich fortgesetzt.

Die Pflegewissenschaftlerin Steppe konnte nachweisen, dass psychiatrische Pflegekräfte in mindestens vier Teilbereichen an den systematischen Massenmorden beteiligt waren und es auszuschließen ist, dass ihnen unbekannt war, dass die Patienten ermordet wurden. So war es Aufgabe der Krankenpflegekräfte, ihre Schutzbefohlenen zum Abtransport vorzubereiten, deren persönliche Gegenstände zu packen, die Patienten zu kennzeichnen und Angaben zur Person zwischen den Schulterblättern der Patienten auf die Haut zu schreiben. Sie begleiteten die Transporte und sorgten mit Medikamenten und durch Fixierungen für reibungslose Abwicklung. In den Tötungsanstalten stellten die begleitenden Schwestern die Pflegebedürftigen den Ärzten vor und begleiteten sie bis zur Gaskammer. Nach Ermordung ihrer Patienten nahmen die Pflegekräfte die anstaltseigenen sowie die persönlichen Gegenstände in Empfang und kehrten anschließend ohne ihre Patienten in die Pflegeeinrichtungen zurück.[14]


Prozesse und Schuldfrage

Die Frage nach der individuellen Schuld und der Beteiligung am Massenmord wurde in verschiedenen Prozessen nach der Ära des Nationalsozialismus zu klären versucht. Die angeklagten Pflegekräfte rechtfertigten ihr Verhalten überwiegend mit der ärztlichen oder staatlichen Autorität, die ihrer Ansicht nach zu respektieren und deren Anweisungen entsprechend Folge zu leisten war. Als Befehlsempfänger in der bürgerlich-konservativen Auffassung von der Unterordnung der Pflege unter den Ärztestand übernahmen sie für ihr Handeln keine Verantwortung. Luise Erdmann, angeklagt im Münchner Schwesternprozess von 1965 sagte dazu: "Aber wir hatten doch gehorsam zu sein und die Anordnungen des Arztes auszuführen."[13] Erdmann hatte zugegeben, an etwa 200 Morden beteiligt zu sein. Mit ihr waren weitere 14 Pflegekräften angeklagt, die alle freigesprochen wurden, obwohl in der betreffenden Anstalt in Obrawalde mehrere Tausend Patienten getötet wurden. In vielen Fällen wurden Krankenschwestern bei verschiedenen Prozessen von den Gerichten als vermindert schuldfähig eingestuft, weil es der Natur des Pflegeberufes entspräche, nicht selbstständig zu handeln und Anordnungen umzusetzen[15]


Einzelnachweise

  1. Agnes Karll, 1919: "Jetzt in der Überstürzung und dem Chaos des Augenblicks den Acht-Stunden-Tag zu verlangen und unvernünftige Geldforderungen zu stellen, wie das in der Privatpflege der Großstädte geschieht, ist unseres Berufes unwürdig." in Hilde Steppe (Hrsg): Krankenpflege im Nationalsozialismus. Mabuse-Verlag, Frankfurt 1993, 7.Auflage, Seite 41, ISBN 3925499350
  2. Bis 1935 unter dem Titel „Dienst am Volk“, anschließend unter „Die deutsche Schwester“.
  3. Fischer, Gross, Venzmer Hand- und Lehrbuch der Krankenpflege, Stuttgart: Franckh'sche Verlagshandlung, 1940, zitiert in Monika Stöhr, Nicole Trumpetter Berufliches Selbstverständnis entwickeln und lernen, berufliche Anforderungen zu bewältigen: Analyse und Vorschläge für den Unterricht, Elsevier GmbH Deutschland, 2006, ISBN 3437276204
  4. Berufseid der nationalsozialistischen Schwester, der nach der Ausbildung abgelegt wurde. Bundesarchiv Koblenz 37/1039
  5. Bundesarchiv Koblenz, NS 37-1940
  6. Verband der Schwesternschaften, Deutsches Rotes Kreuz: Rotkreuzschwestern: Die Pflegeprofis: Menschlichkeit- die Idee lebt, Georg Olms Verlag, 2007, Seite 101, ISBN 3487084678
  7. Reichsgesetzblatt 1933 I, Seite 529
  8. Bekannt geworden als der „Fall Kind K.“, aktueller Forschungsstand einzusehen bei Udo Benzenhöfer: Der aktuelle Forschungsstand zum „Fall Kind K.“, dem Fall, der den Anstoß zur Planung der „NS-Kindereuthanasie“ gab. (PDF) In: Senckenbergisches Institut für Geschichte und Ethik der Medizin. Universität Frankfurt, 24. Januar 2008, abgerufen am 18. September 2008.
  9. Az.: IVb 3088/39 – 1079 Mi
  10. Matthias Dahl: Die Tötung behinderter Kinder in der Anstalt "Am Spiegelgrund" 1940 bis 1945. In: Eberhard Gabriel, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): NS-Euthanasie in Wien. Böhlau, Wien 2000, ISBN 3-205-98951-1, S. 75 - 92.
  11. Volksgerichtsprozess Wien 1948 gegen die Pflegerin Anna Katschenka u. a. (Landesgericht für Strafsachen Wien, Vg 12 Vr 5442/46, als Kopie im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes unter DÖW 18282) zitiert in Eberhard Gabriel, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): NS-Euthanasie in Wien, Böhlau, 2000, Seiten 75-92, ISBN 3205989511
  12. Merkblatt im Faksimile bei der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (M17)
  13. a b Die Schwester/Der Pfleger, 29. Jahrgang, Heft 5, 1990, Seite 374, Peter Jacobs, Bibliomed-Medizinische Verlagsges. mbH Melsungen
  14. Hilde Schädle-Deininger: Fachpflege Psychiatrie, Elsevier GmbH Deutschland, 2006, 2.1. Geschichtliche Aspekte der psychiatrischen Pflege und Psychiatrie, Seite 41ff., ISBN 3437271202
  15. Zitat aus dem zweiten Hadamarprozeß: "Alle Angeklagten des Pflegepersonals sind Menschen von einfachen Geist, die als Pfleger dem Arzt und als Untertanen der Staatsführung zu gehorchen gewohnt waren. Sie waren alle innerlich zu unselbstständig und von einer zu starken Trägheit des Willens besessen um Situationen von solcher Schwere, wie sie für die Angeklagten entstanden, in ausreichendem Maße gewachsen zu sein." zitiert in Monika Stöhr, Nicole Trumpetter Berufliches Selbstverständnis entwickeln und lernen, berufliche Anforderungen zu bewältigen: Analyse und Vorschläge für den Unterricht, Elsevier GmbH Deutschland, 2006, ISBN 3437276204

Literatur

  • B. von Germeten-Ortmann und B. Venhaus-Schreiber:Krankenpflege im Nationalsozialismus - ein Thema für den Unterricht. In: Pflege - Die wissenschaftliche Zeitschrift für Pflegeberufe, 2.Jahrgang, Heft 2, Oktober 1989, Seite 105-113, Verlag Hans Huber, Bern/Stuttgart/Toronto
  • Claus Füllberg-Stolberg (Hrsg): Frauen in Konzentrationslagern: Bergen Belsen/Ravensbrück, Edition Temmen, 1994, ISBN 3861082373
  • Hilde Steppe: Krankenpflege im Nationalsozialismus, Mabuse-Verlag, Frankfurt/Main, 9. Auflage 2001, ISBN 978-3-925499-35-7