Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf

vor Betriebsbeginn aufgegebene Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Brennelemente
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Die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf in Wackersdorf in der Oberpfalz sollte die zentrale Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) für abgebrannte Brennstäbe aus Kernreaktoren in Deutschland werden. Die Anlage ging nie in Betrieb.

Laut Atomgesetz sind Transporte abgebrannter Brennelemente aus deutschen Kernkraftwerken zu Wiederaufarbeitungsanlagen ab dem 1. Juli 2005 nicht mehr zulässig. Ab diesem Zeitpunkt ist also als Entsorgungsweg für abgebrannte Brennelemente ausschließlich die direkte Endlagerung ohne Wiederaufarbeitung möglich.

Position der Wiederaufarbeitungsanlage in der Nuklear-Industrie

Geschichte

Die WAA Wackersdorf war eines der politisch umstrittensten Bauprojekte der 1980er Jahre in der Bundesrepublik. Nach heftigen Protesten, bei denen Erna Sielka am 2. März 1986 und Alois Sonnleitner am 31. März 1986 ums Leben kamen, begannen 1987 die Bauarbeiten. Sie wurden am 31. Mai 1989 eingestellt, nachdem der Energiekonzern VEBA als wichtigster Anteilseigner der zukünftigen Betreibergesellschaft mit der COGEMA, der Betreiberfirma der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague einen Vertrag zur Kooperation unterzeichnete.

1994 ging in Cumbria (England) an der Irischen See im Atomkomplex Sellafield / Windscale die Wiederaufarbeitungsanlage THORP der Firma BNFL (British Nuclear Fuels plc) in Betrieb. Dort wird vor allem die Aufarbeitung von ausländischen Brennelementen vorgenommen. Ein Großteil des Materials stammt aus Deutschland.

In den 1980er Jahren waren Atomanlagen einerseits durch die Debatte um Atomrüstung und anderseits durch die Reaktorunglücke von Harrisburg und später Tschernobyl sehr stark emotionalisiert. Seit den frühen 1970ern wuchs die Anti-Atom-Bewegung, durch die auch der Erfolg der Grünen beflügelt wurde.

Die große Mehrheit der Anwohner und der Landrat waren strikt gegen das Projekt. Nachdem Pläne zur Errichtung einer Wiederaufarbeitungsanlage in Niedersachsen gescheitert waren, erklärte Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß am 3. Dezember 1980 die Bereitschaft der bayerischen Landesregierung, im Freistaat nach einem geeigneten Standort zu suchen.[1]. Nachdem das oberpfälzische Wackersdorf in die Auswahl kam, gründete sich bereits am 9. Oktober 1981 eine Bürgerinitiative gegen die WAA.[2]. Da die Arbeitslosenquote in Wackersdorf nach dem Ende des Braunkohleabbaus 1982 auf über 20 Prozent geklettert war, hoffte die bayerische Landesregierung einen möglichen Widerstand mit dem Arbeitsplatzargument kontern zu können. Am 24. September 1985 erteilte das bayerische Umweltministerium die erste Teilerrichtungsgenehmigung,[2] nachdem die Deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen (DWK) sich im Frühjahr 1985 definitiv für Wackersdorf als Standort entschieden hatte.[3] Geplant war neben der eigentlichen Wiederaufarbeitungsanlage die Errichtung einer MOX-Brennelemente-Fabrik und Lagerhallen für den Atommüll.

Nachdem der Verwaltungsgerichtshof in München am 10. Dezember 1985 die Genehmigung zur Rodung des Taxöldener Forst erteilte, errichteten die Atomkraftgegner dort am 14. Dezember ein Hüttendorf. Dieses wurde zwei Tage später durch 3.700 Polizisten geräumt, 869 Demonstranten wurden festgenommen.[2] Doch bereits am 21. Dezember stand das nächste Hüttendorf, das erst am 7. Januar 1986 geräumt wurde. Die Situation eskalierte immer stärker, die Rechte der Anwohner der umliegenden Gemeinden, die die Atomkraftgegner unterstützten, wurden eingeschränkt. Die Polizei beklagte sich über die wachsende Solidarisierung der Einheimischen mit den auswärtigen Atomkraftgegnern.[2] Die Worte „Besetzung“ und "Bürgerkrieg" wurden zur Schilderung der Situation in der Presse populär, zumal das Ende der 1970er Jahre erschienene Buch „Der Atomstaat“ von Robert Jungk eine solche Entwicklung prognostizierte.

An der Demonstration am 31. März 1986 nahmen erstmals über 100.000 Menschen teil. Im Laufe der österlichen Demonstrationen kam es auch zum bundesweit ersten Einsatz von CS-Gas gegen Demonstranten. Der Tod eines 38-jährigen Demonstrationsteilnehmers nach einem Asthmaanfall wurde mit diesem Einsatz in Verbindung gebracht.[2] Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl vom 26. April 1986 verstärkte sich der Protest gegen die WAA, deren Baugelände durch einen 15 Millionen Mark[3] teuren stählernen Bauzaun gesichert wurde.[2] Bei den folgenden Demonstrationen an Pfingsten starb eine weitere Demonstrantin an einem Herzinfarkt, ein Polizist kam bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben.

Am 7. Juni 1986 kam es bei einer nicht genehmigten Demonstration am Bauzaun erneut zu schweren Auseinandersetzungen zwischen 30.000 Demonstranten und 3.000 eingesetzten Polizisten. Etwa 400 Personen wurden verletzt, mindestens 50 mussten ärztlich versorgt werden. Die Polizei nahm 48 Demonstranten fest. Aus Österreich anreisenden WAA-Gegnern verweigerte die bayerische Regierung den Grenzübertritt. Am 29. Juni wurden erneut österreichische Kernkraftgegner an der Einreise gehindert.[4]

Bundesweit formierte sich Protest unter dem Slogan „Stoppt den WAAhnsinn“. Am 26. Juli 1986 bekundeten zahlreiche Rockstars auf dem sogenannten Anti-WAAhnsinns-Festival ihren Protest. Ein Boykott-Aufruf mehrerer Umweltschutzorganisationen gegen den COGEMA-Anteilseigner Siemens läutete die Wende ein. Siemens zog sich zurück, die VEBA folgte später. Allerdings hatte auch der juristische Protest gegen die WAA inzwischen Erfolge erzielt. So hob der bayerische Verwaltungsgerichtshof am 2. April 1987 die erste Teilerrichtungsgenehmigung auf, am 29. Januar 1988 erklärte der VGH dann den ganzen Bebauungsplan für nichtig, nicht zuletzt, weil das Hauptprozessgebäude wesentlich größer ausfallen sollte als es die bewilligte Planung vorgesehen hatte. Allerdings wurde auf Grund von Einzelbaugenehmigungen stets weitergebaut.[2] Doch 1989 entschieden sich die Betreiber für eine Kooperation mit Frankreich.

Genau wie der Beginn des Projekts eng mit Franz Josef Strauß verbunden war, so war auch das Ende des Projekts mit seinem Tod am 3. Oktober 1988 verbunden. Die Energieversorgungsunternehmen verloren das Vertrauen in die Standhaftigkeit des Freistaates Bayern, das Projekt trotz der großen Widerstände durchzusetzen und betrieben die Suche einer Alternative in Frankreich und England.

Am 31. Mai 1989 wurde der Bau eingestellt, am 6. Juni unterzeichneten Deutschland und Frankreich die Verträge über eine gemeinsame Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague.[5] und am 18. Januar 1990 die Musterverträge [1] mit England über die Wiederaufarbeitung in Sellafield / Windscale.

Innovationspark Wackersdorf

Nach der Projekteinstellung schloss BMW zum Jahresende 1989 einen Vertrag zum Kauf eines Teilgeländes ab, seit 1990 werden hier Fahrzeugkarosserien gefertigt. Ab 1994 wurde dieser BMW-Standort zum Industriepark ausgebaut. 1998 wurde der BMW Industriepark Wackersdorf in Innovationspark Wackersdorf umbenannt.

Gegenwärtig sind dort folgende Unternehmen ansässig:

Quellen

  1. Amberger Bürgerinitiative e. V.: Geschichte der WAA. 1998 (26. Oktober 2006)
  2. a b c d e f g Bernd Siegler: „Mir san die Chaoten“ - Der Widerstand in Wackersdorf. Eine Chronologie des Widerstandes gegen die Wiederaufarbeitungsanlage in der Oberpfalz bis zu dem gestern von der DWK verkündeten Baustopp, in: die tageszeitung, 31. Mai 1989, S. 9
  3. a b Bayerischer Rundfunk: Der Weg in den WAAhnsinn, BR Online 5. Dezember 2005 (26. Oktober 2006)] Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „br2“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  4. Die Chronik Bayerns, Chronik Verlag, 3. Aufl. 1994, S. 592
  5. Landkreis Schwandorf: WAA Wackersdorf 1980 - 1989, www.landkreis-schwandorf.de (26. Oktober 2006)

Siehe auch

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