Bundesverfassungsgericht

Verfassungsgericht der Bundesrepublik Deutschland, Spezialgericht außerhalb des Instanzenzugs
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Das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist ein Verfassungsgerichtshof und wurde im Jahre 1951 errichtet und ist vom Grundgesetz zum obersten Hüter der Verfassung bestimmt. Es ist somit im Gegensatz zu anderen Gerichten durch seine Doppelfunktion als Verfassungsorgan und Teil der judikativen Gewalt gekennzeichnet.

Das Bundesverfassungsgericht hat seinen Sitz in Karlsruhe und ist von einer Bannmeile umgeben.

Gebäude des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe

Rechtsgrundlage

Die Errichtung, die wesentlichen Aufgaben und die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts werden in den Artikeln 92 bis 94 des Grundgesetzes (GG) geregelt. Vorschriften über seine Organisation und Gerichtsverfassung, seine Befugnisse und das anzuwendende Verfahrensrecht finden sich in dem nach Art. 94 Abs. 2 GG erlassenen Gesetz über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG).

Bindungswirkung und Gesetzeskraft

Die besondere Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts kommt in § 31 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) zum Ausdruck, der besagt: Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.

Die Bindungswirkung besteht aber nur in der entschiedenen Sache. Eine Bindungswirkung für andere Gerichte besteht nicht an die in einem ähnlichen Fall ausgeurteilte Rechtsmeinung des Bundesverfassungsgerichts. Die Argumentation ist aber eine Richtschnur für die untergeordneten Gerichte, die meist auch befolgt wird. Jedes deutsche Amtsgericht kann aber in einem anderen ähnlich gelagerten Fall z.B. juristisch der Meinung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zum Persönlichkeitsrecht von Prominenten folgen ("Caroline Entscheidung"), als der etwas abweichenden Meinung des Bundesverfassungsgericht, wenn es erstere für richtig hält.

In den in § 31 Abs. 2 BVerfGG genannten Fällen haben aber die Entscheidungen des BVerfG Gesetzeskraft. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um Verfahren, bei denen das BVerfG feststellt, ob ein Gesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist oder nicht. Andere deutsche Gerichte sind nicht befugt, ein Gesetz für verfassungswidrig zu erachten, das nach dem Erlass des Grundgesetzes verabschiedet wurde. Dieses Privileg hat nur das BVerfG. Hat ein Gericht Zweifel an der Verfassungsgemäßheit eines Gesetzes, hat es dies dem BVerfG gemäß Art. 100 GG vorzulegen, soweit es entscheidungserheblich ist (konkrete Normenkontrolle).

Organisation

Das Bundesverfassungsgericht ist aufgeteilt in zwei Senate mit unterschiedlichen sachlichen Zuständigkeiten. Grob ließ sich früher der 1. Senat als "Grundrechtssenat" und der 2. Senat als "Staatsrechtssenat" klassifizieren. Das heißt, der 1. Senat war vor allem für Fragen der Auslegung der Artikel 1 bis 17, 19, 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes zuständig, während Organstreitigkeiten zwischen staatlichen Behörden oder Parteiverbotsverfahren vor den 2. Senat gelangten.

Diese Abgrenzung trifft heute nicht mehr zu, da beide Senate Verfahren nach gesetzesfachlicher Einteilung bearbeiten, um durch seine Kontrolldichte auch die Regelungsdichte des deutschen Rechtssystems abzubilden. Die o.a. Artikeln spielen daher nur eine technische Rolle und zwar nur teilweise. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht die Kompetenz die Zuständigkeiten des BVerfGG durch die Geschäftsordnung zu ändern, die es sich selbst gibt. Zunehmend wird auch der juristische Hintergrund und Schwerpunkt der Mitglieder berücksichtigt.

Da die meisten Entscheidungen von den wissenschaftlichen Mitarbeitern vorbereitet werden, spricht man gelegentlich auch von einem ‚3. Senat’ wenn man sich auf die Gesamtheit der Mitarbeiter bezieht.

Jeder Senat war ursprünglich mit zwölf Richtern besetzt; 1963 wurde die Zahl der Richter auf acht gesenkt. Dies schließt den Präsidenten und den Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, die jeweils einem der Senate vorstehen, mit ein. Ein Senat ist beschlussfähig, wenn mindestens sechs Richter anwesend sind. Wegen der geraden Anzahl der Richter in einem Senat sind Pattsituationen möglich (sog. "4-zu-4-Entscheidung"). Ein Kläger gewinnt seinen Prozess, wenn mindestens fünf Richter seine Rechtsauffassung teilen.


Richter

Richter bei diesem Gericht zu sein ist eine hohe berufliche Ehre, bekannte Persönlichkeiten sind und waren Richter am Bundesverfassungsgericht.

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Bundesverfassungsgericht mit Blick auf das Karlsruher Schloss

Gewählt werden die Richter je zur Hälfte vom Richterwahlausschuss des Bundestags und des Bundesrats für eine Amtszeit von zwölf Jahren (Wiederwahl ausgeschlossen). Während im Bundesrat eine direkte Wahl mit Zweidrittelmehrheit stattfindet, wählt im Bundestag ein nach der parteipolitischen Zusammensetzung gebildeter Zwölferrat. Ein Kandidat ist gewählt, wenn er mindestens acht Stimmen dieses Rats auf sich vereinigt.

Wählbar ist jeder, der über 40 Jahre alt ist und nach dem Deutschen Richtergesetz die Befähigung zum Richteramt besitzt (2. Juristisches Staatsexamen, deutsche Staatsangehörigkeit ...) oder Professor der Rechte an einer deutschen Universität ist.

Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht hat einen Präsidenten. Dieses Amt hatten bislang folgende Personen inne:

Bundesverfassungsgerichtspräsidenten
Name Beginn der Amtszeit Ende der Amtszeit
1 Prof. Dr. Dr. Hermann Höpker-Aschoff 1951 1954
2 Prof. Dr. Josef Wintrich 1954 1958
3 Prof. Dr. Gebhard Müller 1959 1971
4 Prof. Dr. Ernst Benda 1971 1983
5 Prof. Dr. Wolfgang Zeidler 1983 1987
6 Prof. Dr. Roman Herzog 1987 1994
7 Prof. Dr. Jutta Limbach 1994 2002
8 Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier 2002 2010

Zuständigkeiten

Das Bundesverfassungsgericht ist zur Streitentscheidung nur zuständig, wenn sich dies aus dem Grundgesetz oder § 13 BVerfGG ergibt (sog. Enumerativprinzip). Außerdem kann es laut Grundgesetz eine Zuständigkeit bei Verfassungsstreitigkeiten um die Auslegung von Landesverfassungen geben, wenn dies die Verfassung eines Bundeslandes so vorsieht (einziges Beispiel ist Schleswig-Holstein).

Nicht zuständig ist das Bundesverfassungsgericht jedoch bei Streitigkeiten, die die Europäische Union oder ihre Verträge berühren. In diesem Fall ist der Europäische Gerichtshof zuständig.

Verfassungsbeschwerde

Jeder, der sich in seinen Grundrechten durch staatliches Handeln verletzt fühlt, kann eine Verfassungsbeschwerde einreichen (Individualverfassungsbeschwerde). Eine falsche Anwendung einfacher Gesetze durch die Fachgerichte genügt jedoch nicht für eine zulässige Beschwerde; das BVerfG ist keine Superrevisionsinstanz.

Es gibt verschiedene Verfassungsbeschwerden:

  • durch staatliches, d. h. legislatives oder exekutives Handeln (Rechtssatzverfassungsbeschwerde)
    • Norm- bzw. Gesetzesverfassungsbeschwerde
    • durch einen Behördenakt - Verwaltungsverfassungsbeschwerde
  • durch einen Gerichtsentscheid (Urteilsverfassungsbeschwerde)

Damit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, darf dem Beschwerdeführer kein anderes Rechtsmittel mehr offen stehen. Ausnahme sind Rechtsfragen, die von allgemeiner Bedeutung sind oder wenn dem Kläger die Ausschöpfung des Rechtsweges nicht zumutbar ist. Auch juristische Personen oder Gemeinden und Gemeindeverbände können eine Verfassungsbeschwerde einreichen. In diesem Fall spricht man von Kommunalverfassungsbeschwerden.

Konkrete Normenkontrolle

Ein Fachgericht, das ein bestimmtes Gesetz für verfassungswidrig hält, kann durch einen Beschluss das Verfahren der konkreten Normenkontrolle einleiten (Art. 100 GG). Nur das BVerfG kann Gesetze für verfassungswidrig erklären. Damit ist die Normverwerfungskompetenz beim BVerfG konzentriert.

Nicht zulässig ist eine konkrete Normenkontrolle jedoch für vorkonstitutionelles Recht, also für Gesetze, die vor Inkrafttreten des Grundgesetzes verkündet worden sind.

Abstrakte Normenkontrolle

Das BVerfG wird auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder mindestens einem Drittel der Mitglieder des Bundestags tätig. Die abstrakte Normenkontrolle ermöglicht somit der Opposition, die Verfassungsmäßigkeit eines von der Regierungsmehrheit beschlossenen Gesetzes oder auch eines völkerrechtlichen Vertrags prüfen zu lassen.

Organstreit

Ein Organstreit ist ein Rechtsstreit zwischen staatlichen Organen über Rechte und Pflichten, die sich aus ihrem besonderen verfassungsrechtlichen Status ergeben.

Bund-Länder-Streit

Streit zwischen Bund und Ländern z.B. in Fragen der Gesetzgebungskompetenz

Parteiverbot

Verfahren nach Artikel 21 GG. Antragsberechtigt sind Bundestag, Bundesrat und die Bundesregierung. Bisher wurden 1952 die SRP (Sozialistische Reichspartei) und 1956 die KPD verboten. Ein Verbotsverfahren gegen die NPD ist vom Gericht eingestellt worden.


Verwirkung von Grundrechten

Antragsberechtigt sind Bundestag, Bundesrat und die Bundesregierung. Von 1955 bis 1988 gab es zwei Verfahren, 1992 waren erneut zwei Verfahren anhängig. (siehe: Grundrechtsverwirkung und Grundrechtsverwirkungsverfahren)

Wahlprüfung

Das Bundesverfassungsgericht ist die letzte Instanz bei Einsprüchen gegen die Bundestagswahl. Die erste Instanz ist der Bundestag selbst.

Anklagen gegen den Bundespräsidenten oder Richteranklagen

Antragsberechtigt sind Bundestag, Bundesrat und die Bundesregierung. Eine solche Anklage ist noch nie vorgekommen.

Vorläufiger Rechtsschutz

Wie nach jeder anderen Prozessordnung kann das Verfassungsgericht vorläufige Entscheidungen treffen, bis das Hauptverfahren entschieden ist (einstweilige Anordnungen gemäß § 32 BVerfGG). Eine Besonderheit liegt darin, dass sich Organstreitverfahren und Normenkontrollen in der Praxis erledigen, wenn sie politisch brisant sind. Die „unterliegende“ Seite betreibt das Hauptverfahren oft nicht weiter.

Kritik am Bundesverfassungsgericht

Bei einigen Urteilen wurde kritisiert, dass das Bundesverfassungsgericht klaren Entscheidungen aus dem Weg gegangen sei. Als Beispiel wird die "Kopftuchentscheidung" genannt, die vielfach als unbefriedigend und als aufschiebend betrachtet wurde. Diese Kritik hört man vor allem von Seiten, die das BVerfG als letztinstanzliches politisches Korrektiv gern sehen würden. Dagegen ist das Gericht seit seinem Bestehen resistent geblieben.

Andererseits wurde dem BVerfG insbesondere von Seiten der Politik bei mehreren Urteilen vorgeworfen, seine Kompetenzen auszuweiten und sich zum Ersatzgesetzgeber aufzuschwingen, obwohl diese Rolle nach der Verfassung dem Parlament zugedacht ist. Anstatt sich auf erhebliche Überschreitungen und Willkür des Gesetzgebers zu beschränken, bringt es eigene soziale und politische Vorstellungen ein und bringt dem Gesetzgeber dezidierte Vorstellungen von Gerechtigkeit ein, die einmal schwer zu finanzieren sind und zum anderen Aufgaben der Politik seien.

Bekannte Entscheidungen

Literatur

  • Horst Säcker: Das Bundesverfassungsgericht. 6. Auflage. Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn 2003, ISBN 3-89331-493-8
  • Stefan Korioth: Das Bundesverfassungsgericht. C.H. Beck, München 2004, ISBN 3-406-47805-0