Unter einem sogenannten Wunschkaiserschnitt (Wunschsektio, Wunschsectio, elektive Sectio, WKS) versteht man einen Kaiserschnitt, der medizinisch nicht als notwendig erachtet wird, sondern allein auf Wunsch der werdenden Mutter durchgeführt wird.
Die Zahl der Wunschkaiserschnitte hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Fundierte statistische Angaben zur Zahl der Wunschkaiserschnitte sind hierzulande jedoch nicht verfügbar. Um eine Kostenerstattung durch die Krankenkassen zu gewährleisten, werden diese i. d. R. als medizinisch notwendige Eingriffe deklariert. Wunschkaiserschnitte gelten darüber hinaus gesellschaftlich noch weitgehend als Tabu. So wurden die vielen Kaiserschnitte prominenter Frauen in den vergangenen Jahren vor der Öffentlichkeit meist mit medizinisch äußerst fragwürdigen Scheinindikationen gerechtfertigt, weil sich diese nicht offen zu ihrer persönlichen Entscheidung bekennen konnten oder wollten. Die Kaiserschnittentbindung eines Sohnes von Victoria Beckham, genannt Posh Spice, führte in England gar zu öffentlichen Gegendemonstrationen von Kaiserschnittgegnerinnen unter dem Motto Too posh to push! (etwa: „Zu vornehm zum Pressen!“).
Die Diskussion über das Für und Wider des Wunschkaiserschnitts wird von Befürwortern wie Gegnern leidenschaftlich geführt.
Vergleich zwischen natürlicher Geburt und Kaiserschnitt
Argumente von Wunschkaiserschnitt-Befürwortern
Als Vorteile des Kaiserschnitts gegenüber einer natürlichen Geburt ist die Planbarkeit des Geburtstermins anzusehen. Darüber hinaus ist der eigentliche Entbindungsvorgang beim Kaiserschnitt durch die Narkose fast völlig schmerzfrei (dies ist jedoch auch bei der natürlichen Geburt durch eine Periduralanästhesie nahezu erreichbar), dafür kommen die üblichen Operationsschmerzen nach dem Kaiserschnitt, während bei der natürlichen Geburt im Normalfall nach der Geburt sofortige Mobilität der Mutter vorliegt. Neue, schonendere Operationstechniken (wie die „Misgav-Ladach-Methode“) haben darüber hinaus die Liegezeit im Krankenhaus auf meist nur 5-7 Tage verkürzt.
Befürworter des Wunschkaiserschnitts sehen in ihm eine gleichwertige Behandlungsalternative zur „natürlichen Geburt“ und verweisen auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau, so der Wiener Gynäkologe Wolfgang Grin. Die Entscheidung für oder gegen einen medizinisch nicht notwendigen Kaiserschnitt dürfe nur von der Mutter getroffen werden, nachdem diese über Vor- und Nachteile von Hebammen und Ärzten gleichwertig aufgeklärt wurde.
Nicht zuletzt argumentieren die Befürworter damit, dass durch Kaiserschnitt geborene Kinder schönere Kopfformen aufweisen, da die Verformung des kindlichen Schädels während der Passage des Geburtskanals wegfällt. Wenige Stunden nach der Geburt sind die Kopfformen von vaginal geborenen Kindern allerdings auch normalisiert.
Der Kaiserschnitt erschwert nach dem aktuellen Stand der Forschung nicht die Mutter-Kind-Bindung, ebenso wenig wie dies für besonders traumatisch verlaufende natürliche Geburten der Fall ist. Mögliche psychische Probleme und Versagensgefühle der Mutter nach einem Kaiserschnitt sind nach Ansicht der Wunschkaiserschnitt-Befürworter eher die Folge mangelnder Information und des Drucks durch das soziale Umfeld. Das "Bonding" findet nach einem Kaiserschnitt allerdings nur bedingt statt, da die Hormone nicht so zahlreich wie bei einer natürlichen Geburt ausgeschüttet werden.
Die Narbe nach einem Kaiserschnitt verläuft unterhalb der Bikinigrenze und ist etwa 15-20 cm lang, im Gegensatz zu früheren Zeiten also deutlich verkleinert. Das Risiko von Inkontinenz wurde früher häufig als Argument für einen geplanten Kaiserschnitt angebracht, heute weiß man jedoch, dass dies durch ein gutes Geburtsmanagement (aufrechte Gebärhaltung, kein forciertes Pressen) bei einer natürlichen Geburt nicht höher ist als nach einem Kaiserschnitt.
Die Sicht von Wunschkaiserschnitt-Gegnern
Auf der anderen Seite wird argumentiert, dass der Kaiserschnitt zu vorübergehenden Adaptionsproblemen beim Kind führen könne. Adaptationsprobleme sind direkt nach der Geburt auftretende Anpassungsprobleme des Kindes. Hier spricht man von postnataler (nachgeburtlicher) Adaptationsstörung. Die physiologische Ursache soll in der Umstellung des Kreislaufsystems nach der Geburt und dem Durchtrennen der Nabelschnur von der Linksherzversorgung auf die kombinierte Rechts- (bzw. Lungen-) und Linksherzversorgung liegen. Die klinischen Zeichen sind verminderte Herzfrequenz (Bradykardie) und Atemstörungen. Bei den Atmungsstörungen handelt es sich nicht um morphologische oder biochemische Störungen oder Erkrankungen der Lunge, sondern um einen fehlenden Impuls zu atmen. Solche Kinder benötigen zuweilen Sauerstoff und Atemhilfe. Das Ganze dauert im Regelfall nicht länger als ein paar Minuten, es kann aber auch eine Verlegung in eine Kinderklinik notwendig machen. Bei einer natürlichen Geburt kommen diese Störungen signifikant seltener vor, da die Kinder durch die Ausschüttung von Stresshormone während der Geburt auf den ersten Atemzug vorbereitet werden und die Lungen frei von Fruchtwasser sind.
Nicht zu verwechseln ist die Adaptationsstörung mit dem Atemnotsyndrom (Neugeborenen-Atemnotsyndrom) von Frühgeborenen. Hier liegt die Ursache in einer mangelnden Surfactant-Ausbildung in der Lunge infolge der Lungenunreife. Dieses Problem tritt insbesondere dann auf, wenn der Kaiserschnitt zum geplanten Termin vorgenommen wird, ohne dass die Wehen eingesetzt haben, wie eine Studie mit 34000 Babys des dänischen Universitätskrankenhaus in Aarhus zeigte.[1] Surfactant senkt die Oberflächenspannung der Lungenbläschen herab und ermöglicht so ein normales Entfalten der Lungen. Fehlt dieser Faktor in frühen Schwangerschaftswochen (bis ca. 32. SSW), dann kommt es zu einem schwerwiegenden Atemnotsyndrom mit Sauerstoffmangelschädigung des frühgeborenen Kindes. Da Frühgeborene aus vielen medizinischen Gründen häufiger per Kaiserschnitt zu Welt kommen, ist eine statistische Korrelation zwischen Kaiserschnitt und Atemnotsyndrom gegeben. Die Ursache liegt aber hier nicht im Kaiserschnitt, sondern in der Lungenunreife begründet.
Als Nachteile für die Mutter gelten eine erhöhte Sterblichkeit (etwa 1:15.000 statt 1:50.000, allerdings unter Einbeziehung der Notkaiserschnitte, was den Wert dieser Statistik deutlich mindert), ein leicht erhöhtes Risiko für einen Plazenta-Tiefsitz bei Folgeschwangerschaften und ein etwas erhöhtes Risiko für Infektionen im Zusammenhang mit der Operation. Ein zusätzliches Risiko besteht in einer erhöhten Rupturgefahr der Gebärmutter im Schnittbereich. Ein Riss der Gebärmutter im alten Narbenbereich kann unter der Geburt durch die Wehentätigkeit auftreten und ist durch eine mögliche unerkannte Blutung lebensgefährlich. Für das Kind wird diskutiert, ob ebenfalls eine erhöhte Sterblichkeit gilt. Hier unterscheiden sich die Meinungen von doppelt so hoher Sterblichkeit wie bei der natürlichen Geburt bis hin zu gleicher Sterblichkeit bei Kaiserschnitten wie bei der natürlichen Geburt. Aktuelle Studien deuten jedoch auf ein geringfügig erhöhtes Sterblichkeitsrisiko bei geplanten Kaiserschnitten hin.
Früher galt die Formel: Einmal Kaiserschnitt – immer Kaiserschnitt. Die heutige Geburtshilfe allerdings ist so weit entwickelt, dass Komplikationen oben genannten Art höchst selten auftreten und letale Folgen praktisch ausgeschlossen sind. Allerdings sollte eine Spontangeburt nach einem Kaiserschnitt nicht zu Hause, sondern in einer Klinik stattfinden. Auch besteht ein erhöhtes Risiko einer Embolie oder Thrombose. Als Folge des Kaiserschnitts bleibt zudem eine Narbe, die heutzutage meist unterhalb der „Bikinigrenze“ verläuft. Die ersten Tage nach der Operation sind meistens mit größeren Schmerzen verbunden als diejenigen, die während einer natürlichen Entbindung auftreten, auch wenn sich diese durch die Gabe von Schmerzmitteln lindern lassen. Zudem dauert es mehrere Wochen, bis die Mutter körperlich wieder voll belastbar ist. Der Kaiserschnitt ist als eine der tiefgehendsten Bauchoperationen überhaupt anzusehen und die enormen Schmerzen und Komplikationen die aus einem solchen Eingriff resultieren können, sollten vorher bedacht und der Mutter erläutert werden.
Die immer größer werdende Zahl von Wunschkaiserschnitten wird von deren Gegnern auch darauf zurückgeführt, dass angeblich die Angst vor der natürlichen Geburt von Interessengruppen wie Ärzten geschürt wird, die am Kaiserschnitt verdienen. Sie verweisen darauf, dass natürliche Geburten zwar selten schmerzfrei abliefen, dass die Geburt aber prinzipiell von jeder Frau geschafft werden könne.
Darüber hinaus wird häufig der Verzicht auf das emotionale Geburtserlebnis und der Verzicht auf das Bonding als Nachteil genannt. Es werden auch Auswirkungen auf die Psyche und spätere Gesundheit des Kindes, z.B. ein erhöhtes Allergierisiko bei Kaiserschnitt-Kindern diskutiert.
Natürliche Geburten sind für das Gemeinwesen wesentlich billiger, da keine Kosten für eine Operation anfallen und weil - bei Krankenhaus-Geburten - Frau und Kind in der Regel schneller das Krankenhaus verlassen könnten. Eine Geburt per Kaiserschnitt kostet die Krankenkassen zwischen 4.700 und 6.000 Euro. Für eine natürliche Geburt werden ungefähr 2.700 Euro fällig. Eine Hausgeburt belastet den Krankenkassen-Etat um ungefähr 500 Euro.
Schließlich sehen viele die natürliche Geburt als recht bewährt an, da die Evolution sie über viele Jahrmillionen weiterentwickelt hat.
Gegner des Wunschkaiserschnitts, wie etwa die deutschen Hebammenverbände und mehrere weltweit anerkannte Medizinprofessoren wie etwa M. Odent, kritisieren die Betonung des vermeintlichen Selbstbestimmungsrecht der Frau bei der Frage Wunschkaiserschnitt ja oder nein. Sie sehen den Wunschkaiserschnitt nicht als gleichwertige Alternative. Vielmehr sei die Zunahme der Wunschkaiserschnitte eine gesellschaftliche Fehlentwicklung, die darauf beruhe, dass sich mehr und mehr eine Sicht der Geburt als mehr oder weniger riskanter medizinischer, mechanischer Vorgang durchsetze. Hebammen beraten Schwangere in der Regel mit einer anderen grundsätzlichen Sicht der Dinge; sie sehen die komplikationsfreie Geburt als natürlichen, nicht medizinischen Vorgang, der zunächst nichts mit Krankheit zu tun habe. Der Wunsch von Schwangeren nach einem Kaiserschnitt sei in der Regel die Folge von Angst vor der Geburt, die in den meisten Fällen unnötig sei, aber von Medizinern und dem Umfeld der Schwangeren geschürt würde. Diese Angst ernst zu nehmen, mit ihr umzugehen und sie zu bewältigen, sehen Hebammen als Teil ihrer Aufgabe an. Laut den „Fachanweisungen des Hebammenverbandes“ ist aber ein Wunschkaiserschnitt mit den Eltern bei einem geschätzten Geburtsgewicht von über 4.500 Gramm zu diskutieren. In jedem Fall berücksichtigten Hebammen die Wünsche der Schwangeren und respektierten deren Selbstbestimmungsrechte.
Insgesamt sei das Risiko von bleibenden Gesundheitsschäden bei Mutter und Kind bei der natürlichen Geburt niedriger als bei einem Kaiserschnitt, vorausgesetzt, man beziehe alle Faktoren in die Betrachtungen ein und die geburtsbegleitenden Fachleute hätten auch eine ausreichende Qualifikation für eine natürliche Geburt. Das Vorhandensein von ausreichenden Qualifikationen für die natürliche Geburt wird allerdings von Seite der Hebammen in Frage gestellt, so weit es Ärzte betrifft - diese seien gut auf Operationen und Notfälle vorbereitet, hätten aber oft nicht genügend Erfahrung und Know-How, um eine natürliche Geburt zu begleiten.
Ein wesentliches Problem der steigenden Kaiserschnittrate ist, dass die jüngeren Geburtshelfer/Innen andere medizinische Verfahren für schwierige Geburten immer weniger lernen.
Literatur
- Caroline Oblasser, Ulrike Ebner und Gudrun Wesp (Fotos): Der Kaiserschnitt hat kein Gesicht. Fotobuch, Wegweiser und Erfahrungsschatz aus Sicht von Müttern und geburtshilflichen ExpertInnen. Verlag edition riedenburg, 2007, 492 Seiten, ISBN 978-3950235708
- Die Zulässigkeit der Sectio auf Wunsch. Eine medizinische, ethische und rechtliche Betrachtung, Nora Markus, Dissertation, Rechtswissenschaftliche Fakultät Universität Halle-Wittenberg 2005, Frankfurt/Main 2006, Verlag Peter Lang, ISBN 3-631-55068-5
- Es ist nicht egal, wie wir geboren werden. Risiko Kaiserschnitt. Michel Odent, Walter-Verlag, 2005, 177 Seiten, ISBN 978-3530421958
- Kaiserschnitt - Wunsch oder Notwendigkeit, Wolfgang Grin; mit einem Vorwort von Univ. Prof. P. Husslein; Verlag Vabene 2004, 144 Seiten: ISBN 3-85167-160-0
- Kaiserschnitt und Kaiserschnittmütter. Brigitte R. Meissner, Meissner Verlag, 2003, 269 Seiten, ISBN 3-952-22462-6
- Kaiserschnitt, Theresia M. de Jong und Gabriele Kemmler, 2003, ISBN 3-466-34461-1
- Die Gewalt des Gebärens, Streitschrift wider den Mythos der glücklichen Geburt, Isabelle Azoulay, 237 Seiten, Paul List Verlag, München, 1998, ISBN 3-471-77029-1
Einzelnachweise
- ↑ Kaiserschnitt. Wehe die Wehen fehlen sueddeusche 18.12.07
Weblinks
- http://www.familienhandbuch.de/cmain/f_Aktuelles/a_Gesundheit/s_619.htm (Ausführliche Informationen)
- www.kaiserschnittbuch.de Der Kaiserschnitt hat kein Gesicht (Kaiserschnitt auf Wunsch? 162 Kaiserschnitt-Mütter im Alter von 20 bis 77 Jahren mit 1 bis 4 Kaiserschnitt(en) berichten)
- http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=30024 (Informationen zum Auftreten von Inkontinenz nach vaginaler Geburt)
- http://www.kinderkrankenpflege-netz.de/aktuell/wunschkaiserschnitt.shtml (Bund Deutscher Hebammen zum Thema Wunschkaiserschnitt)
- http://www.lshtm.ac.uk/ideu/staff/dbcmp26.pdf (Untersuchung der Gründe für die hohe Kaiserschnittquote in der brasilianischen Oberschicht, in englischer Sprache)
- Literaturübersicht (10/2006) zu Eintrittswahrscheinlichkeiten einiger schwerer Geburtskomplikationen bei Kaiserschnitt und natürlicher Geburt
- Versuch einer gesundheitsökonomischen Bewertung (in Euro) einiger schwerer Geburtskomplikationen bei Kaiserschnitt und natürlicher Geburt auf der Basis der vorherigen Quelle (lesbar u. a. mit Excel oder OpenOffice.org)
- http://www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez/query.fcgi?cmd=Retrieve&db=PubMed&list_uids=12911445&dopt=Abstract (Vergleichende Studie zwischen Wunschkaiserschnitt und anderen Geburtsmodi, in englischer Sprache)
- http://www.wunschkaiserschnitt.at (Informationen Pro- und Contra Wunschkaiserschnitt in Österreich)
- http://www.gynundgeburtshilfe.de/pdf.php?url=/archiv/2001/02/gg0102_52.pdf (rechtliche Bewertung)
- http://www.kup.at/kup/pdf/6485.pdf und http://www.sblq.de/markus_rezension.htm = Benöhr-Laqueur, Susanne/ Giuliana Vial: Rezension des Buches: Nora Markus: Die Zulässigkeit der Sectio auf Wunsch. Eine medizinische, ethische und rechtliche Betrachtung, Dissertation, Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Halle-Wittenberg 2005, Frankfurt am Main 2006, Peter Lang - Europäischer Verlag der Wissenschaften, ISBN 3-631-55068-5, in: Speculum, Zeitschrift für Gynäkologie und Geburtshilfe (Österreich), 2/2007, S. 26 ff,
- Selbstbestimmt und risikolos?„Wunschkaiserschnitt“(pdf) Beate Schücking, Dr. med. Mabuse Nr. 148, S. 27-30, Langversion mit Literatur
- "Die GEK-Kaiserschnittstudie"(pdf) Ulrike Lutz, Petra Kolip,unter Mitarbeit von Gerd Glaeske, Corinna Schach und Christel Schicktanz, Bremen 2006