Lernen durch Lehren
Wenn heute in der Pädagogik von Lernen durch Lehren (LdL) gesprochen wird, meint man eine Unterrichtsmethode , in der Schüler Unterrichtssequenzen vorbereiten und durchführen, bei einigen Lehrern sogar den gesamten Unterricht von der ersten Stunde an bis zum Ende des Schuljahres übernehmen.
Das Grundprinzip ist nicht neu, schon seit dem Altertum wurde ähnliches angewandt, etwa im 19. Jahrhundert als Teil des Konzepts der Lancasterschulen. In neuerer Zeit wurde es jedoch erst etwa 1980 wieder aufgegriffen und ihre Verbreitung begonnen. LdL wurde zuerst im Fremdsprachenunterricht weiterentwickelt, ist aber nicht an eine einzelne Fachdidaktik gebunden. Nach intensiver Vorbereitung durch den Lehrer werden die Schüler somit zu (Mit-)Verantwortlichen ihres eigenen Lehr-/Lernprozesses. Der neue Stoff wird dafür in kleinen Portionen eingeteilt. Es werden Schülergruppen (maximal drei Schüler) gebildet und jede Gruppe bekommt einen abgegrenzten Stoffabschnitt sowie die Aufgabe, diese Inhalte der Gesamtklasse zu vermitteln. Die beauftragten Schüler bereiten den Stoff didaktisch auf (spannende Impulse, Abwechslung in den Sozialformen usw.). LdL darf auf keinen Fall als ein durch Schüler gehaltener Frontalunterricht missverstanden werden. Die unterrichtenden Schüler müssen sich ständig mit geeigneten Mitteln davon versichern (kurz Nachfragen, zusammenfassen lassen, kurze Partnerarbeit einflechten), dass jede Information von den Adressaten verstanden wird.
LdL wurde Anfang der 1980er Jahre von Jean-Pol Martin für den Französischunterricht entwickelt und seitdem in zahlreichen Publikationen wissenschaftlich untermauert. Gelegentlich wurde die Idee auch von anderen Wissenschaftlern aufgegriffen und untersucht (u.a. Alexander Renkel, 1997). Verbreitet wurde die Methode aber durch ein Kontaktnetz von einigen tausend Lehrern, die LdL in allen Fächern anwenden, dokumentieren und in Lehrerfortbildungen vorstellen (siehe unter Didaktik die "LdL-Bewegung"). Gegenwärtig erlebt LdL einen besonderen Aufschwung im Zusammenhang mit den in der Bundesrepublik überall eingeleiteten Schulreformen.
Die zentrale Dimension, die durch den Einsatz von LdL gefördert werden soll, ist die Fähigkeit zur Kommunikation, um gemeinsam Wissen zu konstruieren: vgl. Kommunikation (Unterricht). Hier wird die Gruppe als neuronales Netz betrachtet, das in Analogie zum Gehirn Wissen als Emergenz produziert (siehe auch: Kollektive Intelligenz). Insofern steht auch die Ressourcenorientierung diesem Ansatz Pate. Ausgehend von der Vorstellung, dass die Kommunikationsfähigkeit die Haupteigenschaft erfolgreicher Problemlöser in der Zukunft sein wird - viele Forscher sehen darin die Voraussetzung zu einem 6. Kondratjew -, entwickelt Jean-Pol Martin sein Konzept weiter.