Als AGV (Frz. Automotrice à grande vitesse) bezeichnet der französische Schienenfahrzeughersteller Alstom eine Familie von Hochgeschwindigkeitstriebzügen. Die Züge gelten als Nachfolger des TGV.
Alstom AGV (Automotrice à grande vitesse) | |
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Konfiguration | 7-, 8-, 11- oder 14teilig |
Zuglänge | 130 bis 250 m |
Masse | 270 bis 510 t |
Sitzplätze | 250 bis 650 |
Höchstgeschwindigkeit | 360 km/h |
Antriebsleistung | 6.000 kW bis 12.000 kW |
Leistungskennziffer | 22,6 kW/t |
für | 11-teilig, 6 angetr. Drehgestelle |
Antriebskonzept | Unterflurantrieb |
Preis | ca. 26 Mio. Euro für 11-Sektionen-Zug |
Nach Angaben des Herstellers.[1] [2] |
Anfänglich wurde das Projekt – wie zuvor schon die Entwicklung des TGV – gemeinsam von Alstom und der SNCF getragen. Nachdem letztere sich zurückzog, wurde der AGV allein von Alstom zur Serienreife entwickelt.[3]
Geschichte
Entwicklung
Die Entwicklungskosten werden mit 100 Mio. Euro angegeben.
In der Entwicklungsphase wurde besonderer Wert auf das Design der Züge gelegt. Etwa 20 Designer waren nach Herstellerangaben an der Gestaltung des neuen Triebzuges beteiligt.[4] Das Design der Frontpartie wurde an einen Kampfjet angelehnt. [5]
Prototyp
Ein erster Prototyp, bestehend aus drei Wagen, wurde am 5. Februar 2008 in der Nähe von La Rochelle im Beisein des Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy vorgestellt.[6] Die Vorstellung des Zuges hatte zahlreiche Medienberichte zur Folge, die insbesondere den Vergleich zwischen AGV und ICE, den Nutzen von Hochgeschwindigkeitszügen und die Marktsituation für Hochgeschwindigkeitszüge thematisierten.[7][8][9][10]
Eine siebenteilige Prototyp-Einheit ist seit Anfang Mai 2008 auf einer Testanlage im tschechischen Velim unterwegs. Sie absolvierte dort erste lauf- und bremstechnische sowie akustische Versuche, bei Fahrgeschwindigkeiten bis zu 200 km/h. Der 132 m lange Triebzug verfügt über vier Triebdrehgestelle, mit einer Gesamtleistung von 5,6 MW.[4] Von den sieben Wagen sind nur zwei mit regulären Sitzplatzen ausgestattet. Zwei weitere Wagen dienen als Arbeitsplatz für Ingenieure, ein weiterer Wagen beinhaltet einen Generator, der die Messinstrumente mit Energie versorgt. Die beiden übrigen Wagen dienen als Ersatzteillager sowie als Wohnbereich für die Ingenieure.[5]
Im Juni 2008 wurde der Zug auf der Testanlage dem Fachpublikum vorgestellt.[5]
Im September soll der Prototyp auf der Innotrans ausgestellt werden. Der Zug soll anschließend in Frankreich die für Fahrten bis 360 km/h notwendige Sicherungstechnik erhalten, um auf einer Schnellfahrstrecke in Frankreich oder Italien entsprechende Testfahrten zu absolvieren. Der Hersteller strebt zunächst die Zulassung für Frankreich und Italien an, später eventuell auch für Deutschland.[5]
Erste Kunden
Als erste Bahngesellschaft kaufte das private italienische Unternehmen NTV Mitte Januar 2008 insgesamt 25 Züge zu je 11 Sektionen. Eine Option auf zehn weitere Triebzüge besteht. Die Züge sind für jeweils 500 Passagiere ausgelegt und sollen ab 2011 von Mailand nach Turin und Neapel sowie von Rom nach Venedig und Bari verkehren. Die Züge kosten 650 Millionen Euro, das Auftragsvolumen beträgt inklusive Instandhaltung über 30 Jahre 1,5 Milliarden Euro.[11] [3] Mit seinem Angebot setzte sich Alstom gegenüber Siemens und Bombardier durch.
Die Produktion der 200 m langen und 8,4 bis 9 MW starken Triebzüge soll Anfang 2009 im Werk La Rochelle beginnen, der erste Zug im Jahr 2011 ausgeliefert werden.[5] 2009 sollen Testfahrten in Italien erfolgen.[4][5]
Alstom beteiligt sich mit diesem Zug auch an der Ausschreibung über bis zu 15 internationale Hochgeschwindigkeitszüge für die Deutsche Bahn AG. Ein etwaiger Gewinn dieser Ausschreibung wird von Journalisten als Schlüssel für weitere Aufträge gesehen.[10]
Auch die Fluggesellschaft Air France kündigte an, den AGV zukünftig im Bereich des Mittelstreckenverkehrs einzusetzen. Bereits heute mietet die Fluggesellschaft TGV-Züge zwischen dem Pariser Flughafen Charles de Gaulle und Brüssel.[12]
Technik
Eine wesentliche Neuerung gegenüber dem TGV ist der verteilte Antrieb, bei dem angetriebene Achsen unter den Wagen verteilt sind und damit auf Triebköpfe verzichtet werden kann[3]. Wie der TGV besitzt auch der AGV Jakobs-Drehgestelle.
Der Zug verfügt über wassergekühlte IGBT-Umrichter und Drehstrom-Synchronmotoren mit Dauermagneterregung. Diese Motoren haben bei gleichem Gewicht eine deutlich höhere Leistung als Asynchronmotoren.
Nach Angaben des Herstellers führen eine Reihe gewichtsreduzierender Konstruktionen wie z. B. eine nur 2,5 mm dicke Außenwand zu einem Gewichtvorteil von 17 Prozent gegenüber gleichlangen Zügen der Wettbewerber. Der Energieverbrauch des Zuges sei um 15 Prozent geringer als der Energieverbrauch der nicht näher genannten Wettbewerbsprodukte. Ein Benzinäquivalent von 0,4 Litern je 100 Passagierkilometer wird ohne Angabe von Zugkonfiguration und Sitzplatzauslastung als Verbrauch genannt. Der vom Hersteller angegebene CO2-Ausstoß von 2,2 Gramm je Passagierkilometer bezieht sich auf den französischen Strommarkt mit hohem Atomstromanteil. Als Leistungskennziffer wird für einen Zug mit 11 Sektionen und einem Antrieb von 6 der 12 Drehgestelle 22,6 kW/t angegeben. Das sei 23 Prozent mehr als bei dem Hauptwettbewerbsprodukt.[1] Nach Angaben des Herstellers liegt die Sitzplatzzahl im Verhältnis zur Zuglänge 20 Prozent höher als bei früheren Designs, der Energieverbrauch gegenüber dem TGV sei um 30 Prozent gesunken.[5]
Die geplante zulässige Höchstgeschwindigkeit im Regelbetrieb soll bei 360 km/h liegen[3], 40 km/h höher als jene der schnellsten TGV. Unter Beachtung von Bahnhofsausfahrten und -einfahrten sowie der Beschleunigungs- und Bremsvorgänge bedeutet der Unterschied zwischen 300 km/h und 360 km/h einen Reisezeitgewinn von etwa 10 Minuten auf einer 400 km langen und durchgehend für Hochgeschwindigkeit ausgebauten Strecke ohne Zwischenhalte.
Der AGV soll unter den Stromsystemen 25 und 15 kV Wechselstrom sowie 1,5 und 3 kV Gleichstrom verkehren können. Auch die Sicherungstechnik soll mehrsystemfähig sein.
Nach Angaben des Herstellers konnte der Geräuschpegel des Zuges durch die besondere Konstruktion der Nase und Schallminderungsmaßnahmen an den Drehgestellen erheblich reduziert werden. Bei Tempo 360 km/h seien die Schallemissionen in etwa auf dem Niveau von Wettbewerbszügen bei Tempo 300 km/h bis 320 km/h.
Alstom erachtet die konstruktive Struktur des Zuges („articulated architecture“) als sicherheitsmäßig überlegen. Die festere Verbindung der Sektionen über die Jacobs-Drehgestelle verhindere im Falle eines Entgleisens ein ziehharmonikaartiges Falten des Zuges, da dieser in seiner Gesamtstruktur stabil bleibe. Bewegungen der Wagen untereinander seien deutlich reduziert. Die Position der Drehgestelle und Motoren zwischen den Wagen statt darunter minimiere die im Inneren wahrnehmbaren Geräusche und Vibrationen.[1] Energieverzehrer an den Zugenden sollen bei Kollisionen 4,5 Megajoule Energie absorbieren.[5]
Ein 11-Sektionen-Zug hat 12 Drehgestelle, davon 6 angetrieben, und ist etwa 200 m lang. Nach Angaben von Alstom sind Drehgestelle die wartungsintensivsten Teile und das Einsparen eines Viertels der Drehgestelle reduziere die Wartungskosten erheblich.[1]
Aufbau
Der Zug kann mit 7, 8, 11 oder 14 Sektionen konfiguriert werden, entsprechend etwa 250 bis 650 Sitzplätzen. Die Zuglänge liegt zwischen 135 Meter für einen 7-Sektionen-Zug und 250 Meter für einen 14-Sektionen-Zug. Der Zug ist nach Angaben des Herstellers mit bis zu 2,75 Meter Innenraumbreite geräumiger als Wettbewerbsprodukte[1][4]. Die Wagenkastenbreite liegt bei 2.985 mm[4].
Wagen mit zwei Ebenen für Sitzplätze, wie beim TGV Duplex, sind wegen des Unterflurantriebs beim AGV konstruktiv nicht möglich. Gegenüber dem TGV wurde die Dachscheitelhöhe der Wagen erhöht, um die Höhe des Innenraumes zu steigern und um auf dem Dach zusätzliche Komponenten unterbringen zu können, u. a. Klimaanlagen und Bremswiderstände.[4]
Charakteristisch für das Design des Zuges sind u. a. die lang gezogene, überhängende Schnauze und Fenster in den Endwagen, die aerodynamische Kopfform aufnehmen.[4] Zwischen der Nase und dem Übergang zum Fahrgastraum liegen zehn Meter. Die Frontpartie hängt dabei fünf Meter über dem vorderen Drehgestell über.[5]
Innenausstattung, Fahrgastkomfort
Die Reduzierung von Vibrationen und Fahrgeräuschen im Fahrzeuginneren sowie die Verbesserung des Platzangebotes durch eine größere Innenraumbreite waren nach Angaben von Alstom die Hauptziele der Entwicklung. In den technischen Dokumenten des Herstellers werden daneben unter anderem größere Fenster, ein variables LED-Beleuchtungssystem, Verbesserungen für Fahrgäste mit Behinderungen, Videomonitore und Internetanschlüsse für die Verbesserung des Fahrgastkomforts genannt.
Um mehr Platz im Bereich der Armlehnen zu gewinnen, erfolgt die Klimatisierung über die Luftöffnungen in der Decke. Die Innenraumbreite erreicht bis zu 2.750 mm. Im Prototyp erreicht die Mittelgangbreite dabei mehr als einen Meter.[5]
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e The AGV, a new and revolutionary very high speed train Herstellerinformation, abgerufen am 6. Februar 2008
- ↑ AGV, Performance and Modularity Herstellerinformation, abgerufen am 8. Februar 2008
- ↑ a b c d Christian Schubert: Der neue TGV heißt AGV. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 31 vom 6. Februar 2008, S. 14
- ↑ a b c d e f g AGV beginnt Zulassungsprozess. Eurailpress, 26. Juni 2008
- ↑ a b c d e f g h i j AGV undergoes Velím tests. In: Modern Railways. Bd. 65, Nr. 719, 2008, ISSN 0026-8356, S. 56 f.
- ↑ Frankreich setzt neuen ICE-Konkurrenten auf die Schiene. (FAZ.NET-Videosequenz)
- ↑ Michael Kuntz: Zug um Zug. In: Süddeutsche Zeitung, 7. Februar 2008, S. 23
- ↑ Die nächste Generation der superschnellen Züge. In: Neue Zürcher Zeitung, 5. Februar 2008
- ↑ Alstom stellt den neuen Superzug vor. Auf: Spiegel-Online, 5. Februar 2008
- ↑ a b Thomas Fromm, Michael Bauchmüller: Bahn liebäugelt mit Franzosen-Zug. In: Süddeutsche Zeitung, 5. Februar 2008, S. 19
- ↑ Ecco il treno di Montezemolo (italienisch)
- ↑ Air France erwägt Kauf des AGV. In: Focus Money (Online-Ausgabe), 7. Februar 2008