Ökologismus

politische Ideologie
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Der Begriff Ökologismus bezeichnet als abwertend gemeinte Fremdbezeichnung eine politische Ideologie[1]. Anhänger des Ökologismus setzten demnach vorrangig die Belange der Umwelt und einer normativen Politischen Ökologie über anderen menschlichen Belangen.

George Monbiot:"It is a campaign not for abundance but for austerity. It is a campaign not for more freedom but less. Strangest of all, it is a campaign not just against other people, but also against ourselves." (Es handelt sich um eine Kampagne nicht für Überfluss, sondern für Kargheit. Es geht nicht um mehr Freiheit, sondern weniger. Das Eigentümlichste - es geht nicht um eine Kampagne gegen andere Leute, sondern insbesondere gegen uns selbst)[2]

Ihnen wird unterstellt, für ihr Ideal einer ökologisch nachhaltigen Gesellschaft auch weit reichende Umwälzungen in Kauf zu nehmen[3]

Im englischen Sprachraum wird der Begriff stärker im Sinne von Ökoaktivismus, im Sinne eines bloßen Umweltschutz (environmentalism) deutlich übersteigenden Engagement gebraucht, näher am deutschen Gebrauch sind Eco-fundamentalism oder Ecoism.


Ideologie, Ökologismus und Umweltschutz

Laut dem Historiker Joachim Radkau ist nach dem Niedergang des Sozialismus „der Ökologismus weltweit als einzige ideologische Alternative zur absoluten Hegemonie des privaten Gewinn- und Konsumstrebens übrig geblieben“.[4] Auch nach dem Politikwissenschaftler Andrew Dobson erfüllt der Ökologismus alle Charakteristika einer politischen Ideologie und sollte daher in einer Reihe mit anderen etablierten Ideologien wie Konservatismus, Liberalismus oder Sozialismus gesehen werden. Wie diese anderen Ideologien biete auch Ökologismus eine analytische Beschreibung der Gesellschaft, setze eine bestimmte wünschenswerte Form von Gesellschaft voraus, und enthalte drittens eine Programmatik für politisches Handeln.[5] Michael Kenny bezeichnet Ökologismus ebenfalls als Ideologie und betont dazu, dass gerade Grüne nur sehr ungern auf diesen Begriff zurückgreifen, da Ideologiekritik zu einer der Wurzeln ihrer Bewegung zählt.[6]

Ökologismus erachtet nach Dobson weit reichende Umwälzungen im Verhältnis des Menschen zur Natur für notwendig und sieht die gegenwärtige soziale und politische Ordnung als in sich nicht fähig zur Nachhaltigkeit. Ein Teil dieser Überzeugung wird in den Positionen der Tiefenökologie widergespiegelt. Dem gegenüber setzt Umweltschutz darauf, durch Anwendung effizienterer oder sauberer Technologien zu einer nachhaltigen Wirtschaft gelangen zu können. Der Definition nach ist Umweltschutz die Gesamtheit der Maßnahmen, die zum Schutz der Umwelt getroffen werden. In der Gegenüberstellung von "Ökologismus" und "Umweltschutz als Ideologie" (engl. "environmentalism") können beide Positionen der Tendenz nach definitorisch getrennt werden, wenn diese Trennung auch nicht in allen Fällen eindeutig ist. Eine hellgrüne Ideologie des Umweltschutzes behauptet als im Gegensatz zum dunkel- oder tiefgrünem Ökologismus, dass grundsätzlich systemkonforme Maßnahmen (etwa marktkonform durch "Internalisierung der Kosten des Umweltverbrauchs", z.B. duch eine C02-Steuer) zur Erreichung einer nachhaltigen Entwicklung möglich und ausreichend sind.

Anthropozentrismus, Umweltethik und Emanzipation

Ökologismus sieht einen starken Anthropozentrismus als Ursache globaler Umweltzerstörung, der sich in menschlicher Herrschaft über die Natur niederschlägt. Während manche Ökologisten deshalb anthropozentrisches Denken prinzipiell kritisieren, betonen andere dass jedes Denken notwendigerweise anthropozentrisch sein muss und differenzieren folglich zwischen unterschiedlichen Ausprägungen solchen Denkens. Kritisiert wird in jedem Fall, dass in der Moderne der Mensch zunehmend als atomistisches Wesen wahrgenommen wurde, das losgelöst von ökologischen und teilweise sogar sozialen Zusammenhängen existiere. Dieses Bild, gemeinsam mit der besonderen Betonung der Rationalität unter anderem in der Wissenschaft, habe zu einer Geringschätzung der Natur und zu menschlicher Herrschaft über sie geführt. Die Folge sei, dass Natur fortan nur noch als instrumentell zur Erfüllung menschlicher Bedürfnisse wahrgenommen wurde, nicht jedoch als Wert an sich.

In Teilen des ökologistischen Diskurses wurde zur Überwindung des starken Anthropozentrismus' eine eigene Umweltethik entwickelt. Um die Umweltkrise zu überwinden, bedürfe es eines neuen Wertesystems und eines neuen Verständnisses von der Eingebundenheit des Menschen in die Ökologie. Dieser Ansatz setzt darauf, dass eine Veränderung gesellschaftlicher Grundwerte mit verändertem Verhalten einhergehe. Der Philosoph Hans Jonas prägte in diesem Zusammenhang den Begriff des ökologischen Imperativs (in Anlehnung an Immanuel Kants kategorischen Imperativ), dessen Wortlaut heißt:

„Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“[7]

Jonathon Porritt greift diesen Imperativ in seiner Argumentation auf und schreibt, dass er die Abhängigkeit allen menschlichen Lebens von den Ökosystemen der Erde verdeutliche und klar mache, dass das Überleben der Menschheit des Überlebens der Ökosphäre bedürfe.[8] Murray Bookchin vertrat seit den 1970er Jahren das Konzept der "Sozialen Ökologie" (s. Öko-Anarchismus, nicht zu verwechseln mit anderen Begriffen von Sozialökologie). Dieses war einem Biozentrismus manch anderer Ökologisten entgegen gestellt war und die Ursache für Umweltzerstörung nicht in der Existenz von Menschen an sich, sondern in bestimmten sozialen und ökonomischen Strukturen sah. Unter diesen hielt er den Kapitalismus für eine der bedeutendsten. Außerdem trug Bookchin mit seinen Schriften zur Entwicklung des Öko-Anarchismus bei.

Dem in die Ökosphäre eingebetteten System menschlicher Gesellschaften wiederum untergeordnet sei das Subsystem der Wirtschaft, eine Reihenfolge, aus der sich die Kritik des Ökologismus an der Inwertsetzung der Natur durch den Kapitalismus erkennen lässt. Einer der prägendsten Denker des Ökologismus war Murray Bookchin, der seit den 1970er Jahren das Konzept der "Sozialen Ökologie" vertrat (nicht zu verwechseln mit anderen Begriffen von Sozialökologie). Dieses war dem Biozentrismus manch anderer Ökologisten entgegen gestellt und sah die Ursache für Umweltzerstörung nicht in der Existenz von Menschen an sich, sondern in bestimmten sozialen und ökonomischen Strukturen. Unter diesen hielt er den Kapitalismus für eine der bedeutendsten. Bookchin trug mit seinen Schriften maßgeblich zur Entwicklung des Öko-Anarchismus bei.

Dennoch kann nicht grundsätzlich von einem strikten Gegensatz zwischen Ökologismus und Kapitalismus ausgegangen werden. Porritt beispielsweise betont die Möglichkeit, eine grüne Marktwirtschaft realisieren zu können, womit er sich wieder mehr der Vorstellungswelt des Umweltschutzes annähert.[9] Gleichzeitig ist im ökologistischen Denken eine Skepsis gegenüber der Rücksichtslosigkeit ehemals kommunistischer Staaten gegenüber der Umwelt präsent. Dies führte dazu, dass teilweise anstelle der scheinbar gegensätzlichen Systeme Kapitalismus/Kommunismus der mutmaßlich beide untermauernde Industrialismus als eigentliches Übel ausgemacht wurde.[5]

In den Schriften von Maria Mies[10] wird ein radikaler Ökofeminismus gefordert. Matthew Paterson verknüpft viele dieser Stränge und stellt vier Machtstrukturen vor, die er als Ursache für immer wiederkehrende globale Umweltzerstörung ansieht. Hierzu zählt er das Staatensystem, den Kapitalismus, das Patriarchat und die Wissenschaft. Eine ökologisch nachhaltige Gesellschaft kann diesem Ansatz folgend nur dann verwirklicht werden, wenn in emanzipatorischer Weise diese Machtstrukturen überwunden oder so umgestaltet werden, dass sie nicht länger gegen Menschen und Umwelt gerichtet funktionieren können.[11]

Camille Paglia hält dagegen mit "It is nature, not society, that is our greatest oppressor." (Die Natur, nicht die Gesellschaft ist unser größter Unterdrücker" [12].


Kritik am Ökologismus

Kritik am Ökologismus richtet sich vor allem gegen seine als romantizistisch oder religiös wahrgenommenen Elemente. Heinrich Eilingsfeld bezeichnet den Ökologismus als eine „mit romantischer Irrationalität aufgeladene Ideologie des Umweltschutzes, die mit neomarxistischen gesellschaftspolitischen Konzepten für den politischen Kampf präpariert wurde“.[13] Er führt dessen Entwicklung auf die Verbindung von Neomarxismus und Anthroposophie zurück.[14] Der Evolutionsbiologe und Ökologe Josef H. Reichholf, der im Präsidium des Naturschutzverbandes WWF sitzt, hält die manchmal mit dem Ökologismus verbundene (aber von vielen Ökologisten nicht geteilte) Vorstellung von einem „Gleichgewicht der Natur“ für den grundlegenden Irrtum eines „religiösen Ökologismus“, da Ökosysteme immer im Fluss seien. Alles im Gleichgewicht befindliche sei leblos, tot.[15]

Matthias Horx vertrat 1998 die These, der Ökologismus werde zur „Zentralreligion der Jahrtausendwende“[16][17].

Die Publizisten Dirk Maxeiner und Michael Miersch bezeichnen ökologisches Verhalten als ökologistisch, wenn Radikalität oder Ideologie im Sinne eines Öko-Fundamentalismus im Vordergrund stünden sowie die Belange des Umwelt- und Tierschutzes generell Vorrang vor menschlichen Bedürfnissen und Interessen beanspruchen würden. Sie bezeichnen Ökologismus ebenfalls als Glauben, der es „in Deutschland beinahe schon zur neuen Staatsreligion gebracht“ habe[18] und schreiben ihm eine konservative Orientierung zu, der sich prinzipiell gegen Wandel wende.[19]

Camille Paglia hält kulturelle Errungenschaft grundsätzlich nur in der Auseinandersetzung mit und gegen auch die menschliche Natur für möglich[20]. Machtstrukturen in der Gesellschaft seien kein Verbrechen, sondern die Kraft die Verbrechen im Zaum hielte[21]. Wenn der auch (auch ökologistische) Feminismus über das ursprünglich angestrebte Ziel der Gleichberechtigung hinausgehe, verleugne er die Kontingenz des Lebens und die Abhängigkeit des Menschen von der schicksalhaften Macht der Natur[21].

Bibliographie

  • Brian Baxter: Ecologism: An Introduction. Edinburgh University Press, 2000, ISBN 978-0748611775

- * Andrew Dobson: Green Political Thought. Routledge, Vierte Ausgabe 2007, ISBN 978-0415403528 - * Michael Kenny: Ecologism, in: Robert Eccleshall et al.: Political Ideologies: An Introduction. Routledge, Dritte Ausgabe 2003, S. 151-180. ISBN 978-0415236782 - * Mark J. Smith: Ecologism: Towards Ecological Citizenship. Open University Press, 1998, ISBN 978-0816633012

Einzelnachweise

  1. Klaus von Beyme: Politische Theorien im Zeitalter der Ideologien S.33
  2. George Monbiot, Heat, 2007, zitiert bei Modern Ecologism and its Prospects August 26th, 2008, abgerufen bei dem Punk Fanzine Last Hours am 24.8.2008 [1]
  3. Vgl. 1995 der Biochemiker und Kandidat von Bündnis90/Die Grünen für das Bundespräsidentenamt, Jens Reich in einem Spiegel-Interview: "Ich bin vehement dafür, daß man ein Instrument schafft, das so laut befehlen kann, daß die Politik endlich aufwacht. ... Wir brauchen neben dem Deutschen Bundestag einen Ökologischen Rat .... Dieser Rat müßte Gesetzesinitiativen im Bundestag starten und der Regierung Beschlußinitiativen vorlegen dürfen, er müßte ein Vetorecht besitzen und auch in der Lage sein, Gebote und Verbote auszusprechen." Dieser Rat soll nach Reichs Ansicht zwar ebenfalls von der Bevölkerung gewählt werden, allerdings nur alle zehn bis fünfzehn Jahre. Obwohl sich Reich damit noch im demokratisch-parlamentarischen Rahmen bewegt, antwortet er auf den Einwurf des Interviewers "Ihr Motto lautet offenbar ,Mehr Diktatur wagen?`" mit einem offensiven "Ja. Es gibt Dinge, die muß man mit einem Klaps auf den Hinterkopf durchsetzen."
  4. Joachim Radkau: Natur und Macht. Weltgeschichte der Umwelt., C.H.Beck Verlag, 2002 ISBN 978-3406486555, zitiert nach http://www.woz.ch/artikel/inhalt/2000/nr44/Wissen/13515.html
  5. a b Andrew Dobson: Green Political Thought. Routledge, Vierte Ausgabe 2007, ISBN 978-0415403528
  6. Michael Kenny: Ecologism, in: Robert Eccleshall et al.: Political Ideologies: An Introduction. Routledge, Dritte Ausgabe 2003, S. 151-180. ISBN 978-0415236782
  7. Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung - Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Suhrkamp Verlag 1984, ISBN 3-518-375857
  8. Jonathon Porritt: Seeing Green. Blackwell Publishers, 1984, ISBN 978-0631138921
  9. Jonathon Porritt: Capitalism: As if the World Matters. Earthscan, 2. Auflage 2007, ISBN 978-1844071937
  10. Maria Mies und Vandana Shiva: Ökofeminismus. Beiträge zur Praxis und Theorie. Rotpunktverlag, 1995, ISBN 978-3858691224
  11. Matthew Paterson: Understanding Global Environmental Politics. Domination, Accumulation, Resistance. Palgrave MacMillan, 2002, ISBN 978-0333968550
  12. Sex, Art, and American Culture, Essays. Von Camille Paglia. Verlag Vintage Books; September 1992, ISBN-10: 0679741011
  13. Heinrich Eilingsfeld, Der sanfte Wahn - Ökologismus total, Mannheim, 1989.
  14. Siehe zum Verhältnis von Anthroposophie und Marxismus: Christian Strawe, Anthroposophie und Marxismus, Stuttgart, 1986
  15. Josef H. Reichholf: Die falschen Propheten - Unsere Lust an Katastrophen.
  16. http://www.konservativ.de/buch/max_oeko.htm
  17. http://www.sonntagsblatt.de/artikel/2000/3/3-s7.htm
  18. Dirk Maxeiner, Michael Miersch: Lasset uns Mülltrennen. Der Ökologismus als neue Religion der Wohlstands-Eliten.
  19. D. Maxeiner, M. Miersch: Lexikon der Öko-Irrtümer. Fakten statt Umweltmythen. Piper Verlag, 2002.
  20. Kurz und bündig: "Jede Form der Sexualität beinhaltet Macht"
  21. a b in Camille Paglia. Die Masken der Sexualität. Seite 13. Aus dem Amerikanischen von Margit Bergner, Ulrich Enderwitz und Monika Noll. Berlin: Byblos Verlag. ISBN 3-929029-06-5