Spiritualität (v. lat.: spiritus = Geist, Hauch bzw. spiro ich atme – wie griech. Vorlage:Polytonisch bzw. Vorlage:Polytonisch, s. Psyche) bedeutet im weitesten Sinne Geistigkeit und kann eine auf Geistiges aller Art oder aber im engeren Sinn auf Geistliches in spezifisch religiösem Sinn ausgerichtete Haltung meinen, die oft eine über spiritistische Vorstellungen hinausgehende idealistische Ansicht einschließt, nach der alles Wirkliche Geist oder Bewusstsein ist oder eine Erscheinungsform davon ist. Spiritualität im spezifisch religiösen Sinn steht dann auch immer für die Vorstellung einer geistigen Verbindung zum Transzendenten, dem Jenseits oder der Unendlichkeit.
Begriffsfindung
Nicht nur die konkreten Ausprägungen der Spiritualität unterscheiden sich, sondern auch das grundsätzliche Verständnis. Erschwerend kommt hinzu, dass die Begriffe Religiosität und Spiritualität insbesondere im englischsprachigen Schrifttum oft synonym gebraucht wurden, obwohl ihnen unterschiedliche Vorstellungen zugrunde liegen.
Das 1936 erschienene Oestergaards Lexikon beschreibt spirituell als „geistig, geistreich, auch geistlich, kirchlich“ und den Begriff Spiritualität als „Geistigkeit, geistiges Wesen“, die im Gegensatz zur Materialität steht. Das dtv Brockhaus Lexikon von 1962 sieht Spiritualität scheinbar als Domäne der katholischen Konfession an: „kath. Kirche: die christliche Frömmigkeit, insofern sie als Werk des Geistes Gottes unter Mitwirkung des Menschen verstanden wird; auch personale Aneignung der Heilsbotschaft“.
Aktuelle Nachschlagewerken setzen Spiritualität mit Frömmigkeit gleich („heute weitgehend gleichbedeutend mit Frömmigkeit“ (Brockhaus Religionen, 2004); Frömmigkeit, eine vom Glauben getragene geistige Orientierung und Lebensform“ (Lexikon der Psychologie, 2000-2002), während der Duden (1999-2004) die alten Definitionen beibehalten hat: „Geistigkeit; inneres Leben, geistiges Wesen“.
Meyers Taschenlexikon (2003) betont ebenso wie das „Lexikon der Psychologie“, dass Spiritualität Auswirkungen auf die Ausgestaltung des individuellen Lebens hat: [Spiritualität ist] „die durch seinen Glauben begründete und durch seine konkreten Lebensbedingungen ausgeformte geistig-geistliche Orientierung und Lebenspraxis eines Menschen“.[1]
Der Begriff Spiritualität ist im deutschen Sprachgebrauch also nicht erst seit Ende der 1950er Jahre nachweisbar. Schon in "Meyers Großes Konversationts-Lexikon", 1902-1909, sechste Auflg., Bd. 18 ist dieser Begriff aufgeführt. „Heute ist Spirituelles darüber hinaus zu einem vielfach verschwommenen Modewort geworden, läuft unter den Oberbegriffen Esoterik und Lebenshilfe und ist auch bereits in nahezu allen profanen Bereichen präsent.“[2] Aktuell findet der Begriff Spiritualität auch als Schlagwort Anwendung, im Zusammenhang mit New Age und alternativer Heilkunde, und auch politisch im Programm und der Bezeichnung einer Kleinpartei wie „Die Violetten – für spirituelle Politik“.
Der Psychologe Rudolf Sponsel definiert Spiritualität als mehr oder minder bewusste Beschäftigung „mit Sinn- und Wertfragen des Daseins, der Welt und der Menschen und besonders der eigenen Existenz und seiner Selbstverwirklichung im Leben“.[3] So umfasst sie auch eine besondere, nicht notwendig im konfessionellen Sinne verstandene religiöse Lebenseinstellung eines Menschen, der sich auf das transzendente oder immanente göttliche Sein konzentriert bzw. auf das Prinzip der transzendenten, nicht-personalen letzten Wahrheit oder höchsten Wirklichkeit.
Die Bedeutungsinhalte der Spiritualität sind nach Untersuchungen von Büssing et al. (2006) vom weltanschaulichen Kontext abhängig, beziehen sich aber immer auf eine immaterielle, nicht sinnlich fassbare Wirklichkeit (Gott, Wesenheiten, Kräfte), die dennoch erfahr- oder erahnbar ist (Erwachen, Einsicht, Erkennen) und die der Lebensgestaltung eine Orientierung gibt. Zu unterscheiden sind hier eine suchende Haltung von einer glaubend annehmenden bzw. einer wissend erkennenden Haltung. Allerdings irrt Büssing hier: Entweder redet man von Wirklichkeit, also Realität oder von Nichtwirklichkeit, also Irrealität. Eine "immaterielle, nicht sinnlich fassbare Wirklichkeit" ist ein Paradoxon. Zudem werden unzulässig Begriffe des Irrealen, wie "Gott" und "Wesenheiten" mit einem Begriff aus der Physik, hier "Kräfte" vermengt. Weiter ist selbst die Formulierung "sinnlich" missverständlich, denn: Technische Einrichtungen gestatten dem Menschen die Beobachtung und Aufzeichnung von Ereignissen, die nicht "sinnlich", also nicht mit den menschlichen Sinnen unmittelbar wahrgenommen werden können. Zur Vermeidung einer Themenausweitung soll hier darauf verzichtet werden, den Begriff "immateriell" hinsichtlich der Begriffe "Materie", "Welle" und "masselose Teilchen" darzulegen. Es wird bei Büssing und anderen Autoren deutlich, zu was der unkritische Gebrauch von vieldeutigen Begriffen führt, wenn man deren tatsächliche Bedeutung in der uns bekannten Realität nicht kennt. Als Ausdrucksformen der Spiritualität konnte mit Hilfe von Fragebogenkonstrukten „mindestens 7 Faktoren differenziert werden: (1) Gebet, Gottvertrauen und Geborgenheit; (2) Erkenntnis, Weisheit und Einsicht; (3) Transzendenz-Überzeugung; (4) Mitgefühl, Großzügigkeit und Toleranz; (5) Bewusster Umgang (mit anderen, sich selbst und der Umwelt); (6) Ehrfurcht und Dankbarkeit; (7) Gleichmut und Meditation.“[1]
Von Büssing wurde folgender Vorschlag gemacht: „Mit dem Begriff Spiritualität wird eine nach Sinn und Bedeutung suchende Lebenseinstellung bezeichnet, bei der sich der/die Suchende ihres ‚göttlichen‘ Ursprungs bewusst ist (wobei sowohl ein transzendentes als auch ein immanentes göttliches Sein gemeint sein kann, z.B. Gott, Allah, JHW, Tao, Brahman, Prajna, All-Eines u.a.) und eine Verbundenheit mit anderen, mit der Natur, mit dem Göttlichen usw. spürt. Aus diesem Bewusstsein heraus bemüht er/sie sich um die konkrete Verwirklichung der Lehren, Erfahrungen oder Einsichten im Sinne einer individuell gelebten Spiritualität, die durchaus auch nicht-konfessionell sein kann. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf die Lebensführung und die ethischen Vorstellungen.“[1]
Auch der Religionspsychologe Kenneth Pargament (1999) stellt das „Suchen nach dem Heiligen“ in den Vordergrund seiner Definition der Spiritualität. Die Grundhaltung ist also keine Ego-zentrierte, der „Blickwinkel“ ist eindeutig auf ein transzendentes „Zentrum“ gerichtet.
Religionen
Auch wenn die Ausprägung von Spiritualität letztlich immer individuell ist, da jeder spirituell lebende Mensch durch seine Lebens- und Erfahrungsgeschichte geprägt ist, so haben doch die Religionen und Konfessionen unterscheidbare spirituelle Strömungen hervorgebracht. Dies hat zunächst mit der verschiedenen Erfahrung, Beschreibung und Benennung der höheren Instanz oder Wirklichkeit in den religiösen Traditionen zu tun: Gott (arabisch/im Islam: Allah), eine Gottheit, Tao, Brahman, Maha-Atman, Shunyata, Großer Geist, Pneuma, Prajna, Maha-Purusha, Sugmad, das Eine in Einheit oder das Eine in Vielheit u.a.
Gerade die großen Religionstraditionen und alten Konfessionen haben eine große Vielfalt von spirituellen Strömungen hervorgebracht und sind – in unterschiedlichem Maße – fähig, spirituelle Traditionen aus anderen Religionen aufzunehmen und zu adaptieren (z.B. christlicher Zen). Sehr verschiedene Spiritualitäten müssen sich daher keineswegs widersprechen und können innerhalb einer Religionsgemeinschaft oder Kirche problemlos koexistieren. Wenn aber Einzelne oder Gruppen Elemente aus verschiedenen spirituellen Traditionen übernehmen und miteinander verbinden, dürfte es ab einem gewissen Punkt sinnvoll sein, von einer neuen Spiritualität zu sprechen. Häufig sind Spiritualitäten durch einzelne charismatische Figuren geprägt oder initiiert, manchmal auch nach diesen Personen benannt.
Interesse verdient auch das Verhältnis von Spiritualitäten, die sich im Zusammenhang von Klöstern, Priestergemeinschaften, Ordensbewegungen u.ä. entwickelt haben, zu „Laienspiritualitäten“, als Formen von Spiritualität, die von Menschen gelebt werden, die normalen Berufen nachgehen und weder als Mönch, Nonne, Priester o.ä. in engerem Sinn religiöse Aufgaben zu ihrem Lebensmittelpunkt gemacht haben. Vielfach ist eine Laienspiritualität aus einer klösterlichen oder mönchischen hervorgegangen, hat diese dann aber spezifisch umgeformt.
Christentum
Siehe: Christliche Spiritualität
Islam
Gebete, rituelle Waschungen, Pilgerfahrt, Fasten, Almosen Siehe auch: Sufismus
Buddhismus, Hinduismus, Taoismus und Jainismus
Meditation, Kontemplation, Yoga, Zen, Tantra
Literatur
- Margit und Ruediger Dahlke (Hg.): Das spirituelle Lesebuch. (Einleitung: Dalai Lama, C.G. Jung und viele) Knaur, 2000, ISBN 3-426-87024-X
- Erwin Möde: Spiritualität der Weltkulturen, Verlag Styria, 2000, ISBN 3-222-12798-0
- Erwin Möde: Psychospirituelle Lebensperspektiven: Glaubensimpulse therapeutischer Theologie, LIT Verlag, Münster 2008
- Erwin Möde: Studie zur biblischen Anthropologie, Ein Beitrag zur Spiritualitätstheologie, München 1994, ISBN 3-925350-55-1
- Klaus Berger: Was ist biblische Spiritualität? (GTB 1456), ISBN 3-579-01456-0
- Ken Wilber: Integrale Spiritualität. Kösel, 2007, ISBN 3-466-34509-X
- R. M. Steinmann: Spiritualität - die vierte Dimension der Gesundheit. LIT Verlag 2008, Reihe: Psychologie des Bewusstseins, Bd 11.
- [1] Arndt Büssing, Thomas Ostermann, Michaela Glöckler, Peter F. Matthiessen: Spiritualität, Krankheit und Heilung – Bedeutung und Ausdrucksformen der Spiritualität in der Medizin, VAS-Verlag für Akademische Schriften, 2006, ISBN 978-3-88864-421-4
- [Anton A. Bucher][1]
- Psychologie der Spiritualität. Handbuch. Verlag: Beltz Psychologie Verlags Union; Auflage: 1 Februar 2007 ISBN 3-621-27615-7
Siehe auch
Weblinks
Quellen und Anmerkungen
- ↑ a b c d Siehe Abschnitt Literatur – Arndt Büssing, et al.: VAS-Verlag für Akademische Schriften, 2006
- ↑ Referenzfehler: Ungültiges
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-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen Alois Wolkinger: Universität Graz (2006/07). - ↑ Rudolf Sponsel: „Spiritualität – Eine psychologische Untersuchung“ – (26. Sep. 2006)