Das Nordbad Erfurt ist eine historische Badeanstalt aus den 20er Jahren und war damals eines der größten und modernsten Freibäder Deutschlands. Es liegt nördlich des Gründerzeitgürtels von Erfurt in einem Bogen der Gera am Rande des Nordparkes und war bis 2006 in Betrieb.
Architektur
Die ursprüngliche Architektur des Nordbades ist typisch für die Reformbewegung der 20er Jahre und basiert auf den Ideen des niederländischen Expressionismus, der Stuttgarter Schule und des Weimarer Bauhauses . Zum Nordpark hin zeigt es sich als ein symmetrisches, langgestrecktes Gebäude (114 m) mit ausladenden flachgeneigten Dächern, horizontalen Gesimsen und Fensterreihen, die an die frühen Villen Frank Lloyd Wrights erinnern. Der zweigeschossige Mittelbau beinhaltet im Erdgeschoss den Kassenbereich und ein Restaurant, das zur Badseite hin voll verglast ist, und im Obergeschoss eine Wohnung. Parkseitig ist ihm eine flachdeckete Pfeilerhalle vorgelagert. Rechts und links sind die Umkleidehallen für Frauen und Männer untergebracht, die durch Oberlichter nach dem Vorbild des Hauses am Horn in Weimar belichtet sind. An deren Enden schließen sich zur Badseite rechtwinklig abknickende Seitenflügel für die Duschräume an, die eine obere Liegeterrasse umfassen. Die Aussenwände sind glatt verputzt und weiß gestrichen, die Dachüberstände sind waagerecht mit Holz verschalt. Die Fenster haben eine Holzsprossenteilung mit liegenden Scheibenformaten.
Das ca. 100 m lange und 55 m breite Schwimmbecken ist achsial zum Eingangsgebäude angeordnet und liegt einige Meter tiefer, wobei der Höhenunterschied durch eine 12-stufige Tribünenanlage mit 4 Treppen überwunden wird. Es ist aus Kalkbruchsteinen erbaut.
Aufgrund seiner Einzigartigkeit ist das Nordbadgebäude als Kulturdenkmal nach Thüringer Denkmalschutzgesetz ausgewiesen und gehört zu den wichtigsten Beispielen des Neuen Bauens in Erfurt.
Geschichte
Bereits vor dem ersten Weltkrieg wurde nördlich der vor allem von Arbeiterfamilien bewohnten Andreasvorstadt und der Johannisvorstadt mit dem Bau eines "Kaiser-Wilhelm-Parkes" zur Verbesserung der Lebensverhältnisse begonnen. Als "Nordpark" wurde das Projekt nach 1919 weitergeführt. Im August 1921 richtete der Erwerbslosenausschuß ein dringendes Gesuch an den Magistrat der Stadt Erfurt, zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit unverzüglich größere Bauprojekte in Angriff zu nehmen. Man einigte sich darauf, im Nordpark eine großzügige moderne Schwimmanstalt mit einem 100 m langem Schwimmbecken und "Sonnen- und Luftbad" zu bauen. Die Planung lag in den Händen der Stadtverwaltung. Zur Finanzierung trugen auch die Sportbewegungen der "Freien Schwimmer" und der ""Freien Turnerschaft"" durch den Verkauf von Bausteinen bei.
1923 wurde mit den Erdarbeiten begonnen, wobei durschschnittlich 100 Mann beschäftigt waren und 60 000 m³ Erdreich bewegt wurde, um die Grube für das Becken auszuschachten, einen Hochwasserschutzdamm gegen die Gera zu bauen und alte Kiesgruben zu verfüllen. Am 12. August 1925 erfolgte die Einweihung und provisorische Eröffnung des Nordbades. Bis Ende der Badesaison kamen bereits 30 000 Besucher, im Folgejahr bereits 370 000 Besucher.
1929 wurde das Eingangsgebäude mit den Umkleideräumen für ca. 3500 Personen und die Tribüne für 3000 Zuschauer erbaut. Planung und Ausführung erfolgten durch das Städtische Hochbauamt unter Leitung von Johannes Klass durch seine Mitarbeiter Magistratsoberbaurat Paul Stegemann und Baurat Höck.
Als zweitgrößte Freibadanlage Deutschlands erlangte das Nordbad bald eine Bedeutung, die weit über den mitteldeutschen Raum hinausreichte und trug mit zahlreichen nationalen und internationalen Veranstaltungen dazu bei, Erfurt zu einer Hochburg des Schwimmsports zu entwickeln. So trainierten dort u.a. der "SV Empor Erfurt" und der "BSG Turbine". Im Olympiajahr 1936 fand dort ein Schwimmwettkampf zwischen Deutschland und Großbritannien statt. Ende der 40er Jahre bereitete die spätere Europameisterin Jutta Langenau im Nordbad ihre internationale Karriere vor.
1953 wurde vom großen Beckens ein besonderes Sportbecken von 50 m Länge abgetrennt, da sich international das 50-m-Becken als Standard für Schwimmeisterschaften durchsetzte. Ein paar Jahre später wurde ein Heizhaus gebaut, um das Sportbecken zu heizen.
1997 übertrug die Stadt Erfurt das Nordbad in die Verantwortung der Stadtwerke Erfurt Gruppe, einer 100%igen Tochtergesellschaft der Stadt.
2006 wurde der ehemalige Erfurter Oberbürgermeister Manfred Ruge zuständiger Geschäftsführer für die Bäder der Stadtwerke. Im gleichen Jahr wurde das Nordbad aufgrund umfangreicher technischer Mängel an den Wasserbecken geschlossen und die Öffentlichkeit mit Plänen einer endgültigen Stillegung konfrontiert.
Am 10. Mai 2007 gründete sich daraufhin ein Förderverein, der durch Unterschriftensammlungen und mehreren Demonstrationen schließlich im März 2008 einen Ratsbeschluß zur Erhaltung und Sanierung des Bades am jetzigen Standort durchsetzen konnte.
Allerdings planen die Stadtwerke weiterhin den Abbruch des denkmalgeschützten Eingangsgebäudes, was zu anhaltendem Protest seitens des Leiters der Denkmalfachbehörde Stefan Winghart und der Bevölkerung führte.
Weblinks
Literatur
- Böttger, P.: Neuere Volksbäder, in: Zeitschrift für das Bauwesen, 75. Jg, Heft 4-6, Berlin 1925, S. 63
- Thüringer Allgemeine Zeitung: Das neue Volksbad in Erfurt, Erfurt 16. Juli 1925
- Peinhardt, Helmut: Das Erfurter Badewesen im 19. und 20. Jahrhundert, in: Aus der Geschichte der Stadt Erfurt, Erfurt 1959, S. 33-61,
- Baumann, Martin: Der Nordpark in Erfurt. In: Thüringisches Landesamt für Denkmalpflege (Hg.): Aus der Arbeit des Thüringischen Landesamtes für Denkmalpflege. Arbeitsheft des Thüringischen Landesamtes für Denkmalpflege. Neue Folge 13.1, Altenburg 2003, S. 16-25. (siehe auch: Baumann, Martin: Der Nordpark – ein Volkspark in Erfurt. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt. H. 69, Neue Folge H. 16, Jena 2008, S. 140-159.)
- Raßloff, Steffen: Mehr als nur ein Schwimmbad, in: Thüringer Allgemeine, Erfurt 10. Mai 2007
- Dähnert, Vera: Nordbadeingang: Streit um Abriss, in: Thüringer Allgemeine, Erfurt 15. April 2008