Johannes Trüper
Johannes Trüper (* 2. Februar 1855 in Rekum bei Bremen; † 1. November 1921 in Jena) war ein deutscher Pädagoge aus dem Kreis der Thüringer Erzieher und Mitbegründer der Heilpädagogik, sowie angrenzender pädagogischer Arbeitsfelder. Er vertrat eine lebensnahe Pädagogik, die auf konkretes, gemeinschaftsorientiertes Handeln ausgerichtet ist, und dem Einzelnen durch einen möglichst breit gefächerten Ansatz in Förderung und Erziehung begegnen will. Seine Arbeot wurzelt in christlichen Glaubensüberzeugnugen und Ideen der Sozialfürsorge des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Sein Psychopathie-Konzept bahnte ein neues Verständnis beeinträchtigter Kinder und Jugendlicher an, indem es an Stelle einer vermeintlichen charakterlich-moralischen Minderwertigkeit von deren gesundheitlicher und sozialer Situation ausging, und eine Verknüpfung von eingehender Erziehung und Therapie anstrebte.
Besondere Bedeutung erlangte er durch die Gründung eines neuartigen Heimes für Schülerinnen und Schüler, die aufgrund verschiedenster Beeinträchtigungen im damaligen Schulwesen keinen Platz fanden.
Biografie
Johann Trüper, der sich später Johannes nannte, kam 1855 als das vierte von sechs Kindern des Schiffszimmermannes Johann Trüper und seiner Ehefrau Anna Metta, geb. Chantelau zur Welt. Er besuchte zunächst die Volksschule und - für ihn weitaus bedeutsamer - eine höhere Privatschule mit bemerkenswetem Erfolg. Dabei durfte er als Jugendlicher bereits aushilfsweise an einer Dorfschule unterrichten und erste Lehrerfahrung sammeln. Mit 17 Jahren trat er in ein Lehrerseminar ein, war jedoch von der Überbetonung bloßer Wissensvermittlung gegenüber psychologischen Aspekten, sowie vom Zustand des Schulwesens seiner Zeit schwer enttäuscht.
Nach seinem Examen unterrichtete derjunge Lehrer mehrere Jahre in Schulen bei Bremen. In dieser Zeit trat er dem Lehrerverein bei und setzte sich in zahlreichen Aufsätzen kritisch mit Mängeln des Schulsystems und anderen sozialen Fragen in Zusammenhang mit der Erziehung heranwachsender Persöhnlichkeiten auseinander.
In Bremen kam J. Trüper auch mit dem Pädagogen Friedrich Wilhelm Dörpfeld in Verbindung, der seine Arbeit in pädagogischer und philosophischer Hinsicht sehr bereicherte. Anfänglichen Kontakten über Fachpublikationen folgte eine enge persöhnliche Bekanntschaft; zuletzt ordnete er dessen Nachlass.
Nicht zuletzt aus gesundheitlichen Gründen bat J. Trüper schließlich um Beurlaubung vom Schuldienst, und ging 1887 nach Jena, um dort ein fachlich breit angelegtes Studium unter anderem in Philosophie, Pädagogik, Psychiatrie und Naturwissenschaften aufzunehmen. Er profitierte dabei maßgeblich vom intellektuellen Klima an der Universität und der sich dort sammelnden pädagogischen Fachkompetenz. So kam er - teils persönlich - mit vielen der bedeutensten Gelehrten seiner Zeit in Kontakt und hörte Vorlesungen bei Wilhelm Rein, Ernst Haeckel, Rudolf Eucken und Otto Binswanger.
Seine weiteren Studien- und Promotionsvorhaben gab er jedoch auf, als er gebeten wurde, einen seelisch beeinträchtigten, intellektuell begabten Jungen, für den sich nach einer Konsultation bei O. Binswanger keine adäquate Unterbringung finden ließ, einige Zeit zu betreuen. Da ihn diese Aufgabe begeisterte und offensichtlich Bedarf vorhanden war, nahm J. Trüper nach und nach weitere Kinder auf, und beschloss, sich diese Arbeit zur Lebensaufgabe zu machen.
1890 gründete J. Trüper in Jena sein Heim für entwicklungsgeschädigte und -gestörte Kinder, für das er zwei Jahre später die Sophienhöhe, ein ehemaliges Sanatorium erwarb. Unter verschiedenen Bezeichnungen und wechselnden Rahmenbedingungen entfaltete dieses Heim seine umfassende heil- und sozialpädagogische Konzeption für Kinder und Jugendliche mit verschiedensten Beeiträchtigungen. Nachhaltige Unterstützung - auch in finanzieller Hinsicht - erfuhr Johannes durch seine Schwester Meta Trüper, die seine Arbeit lebenslang begleitete.
1896 heiratete Johannes Trüper seine Frau, Elisabeth Melaleuka Dörr, Tochter eines Bonner Apothekers aus dem Umkreis F.W. Dörpfelds. Aus dieser Ehe gingen sechs Kinder hervor, die später die pädagogische Arbeit ihres Vaters fortsetzten. Der Überlieferung nach prägte Elisabeth Melaleuka die Atmosphäre der Heimgemeinschaft entscheidend mit; wie sich jedoch die
offenbar „glückliche“ Beziehung der beiden unter den ständigen Herausforderungen des Heimlebens gestaltete, ist nicht näher bekannt.
Johannes Trüper starb im Alter von 66 Jahren infolge einer Krebserkrankung. Er wurde im Park seines Heimes begraben. Die Sophienhöhe blieb in unterschiedlicher Form, zuletzt als staatliche Einrichtung der DDR bis 1966 bestehen; die Nachwirkung seiner pädagogischen Arbeit ist - abgesehen von seinen unbestrittenen Verdiensten um die Entstehung einer Pädagogik für beeinträchtigte Menschen - schwer zu bemessen.
Heute erinnern eine Schule für Erziehungshilfe in Chemniz, eine Straße in Bremen und ein Weg in Jena durch ihren Namen an den Vordenker der Heilpädagogik.
Ein Teil seines, bisher nicht vollständig aufgearbeiteten, Nachlasses befindet sich im Ida-Seele-Archiv, sowie bei weiteren wissenschaftlichen Institutionen und in Familienbesitz.
Pädagogische Konzeption
J. Trüper strebte im Grundsatz eine lebensnahe Pädagogik an, die mit ihrem breit ausgelegten Ansatz die Persöhnlichkeit seiner (beeinträchtigten) Schüler als Ganzes erfasst und sie durch eine eingehende, auf den Einzelnen abgestimmte Erziehung befähigt, aktiv am Gesellschaftsleben teilzunehmen. Prägende Leitgedanken sind dabei der "erziehende Unterricht", der neben der Vermittlung von Lerninhalten zugleich die Weiterentwicklung der Persönlichkeit unterstützen soll, und die neu eingeführte Verknüpfung von Therapie und Medizin, um den Problemen belasteter Schüler umfassend gerecht zu werden.
Praktisches Handeln und Arbeiten (etwa in den Anlagen des Heims) wird, neben dem eigentlichen Unterricht, ein wichtiges Element der Erziehung zu einem selbständigen Leben. Durch diese Erweiterung des pädagogischen Programms können auch schwerer beeinträchtigte Schüler zu einer sinnvollen Beschäftigung finden und konkrete Fertigkeiten erwerben.
Im Trüperschen Ansatz werden beeinträchtigte Jugendliche neu als Mitmenschen mit charakteristischen Eigenschaften, Stärken und Schwächen wahrgenommen, deren Probleme man durch gezielte Erziehung angehen muss, um ihnen bessere Werdechancen zu ermöglichen. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Erzieherpersönlichkeit, die sich selbst stark und authentisch einbringen muss und dabei fortwährend vor der Aufgabe steht, psychologisches Fachwissen mit pädagogischer Intuition zu verbinden, um in der jeweiligen konkreten, individuellen Situation zu angemessenen Lösungen zu gelangen.
Trotz des stark auf die Einzelsituation ausgerichteten Erziehungsmodells bleibt die Erziehung in der und für die Gemeinschaft erklärtes Ziel, wobei J.Trüper die gegenseitige Unterstützung zwischen (verschiedenartig beeinträchtigten) Kindern besonders betont. Strafen als Erziehungsmittel werden - besonders in der Heilpädagogik - entgegen traditioneller Vorstellungen zurückgenommen; der Erzieher bleibt dennoch stets eine wohlwollende, einsichtige und glaubhafte, aber bestimmte Autorität. Eine deutlichere Akzentuierung der Selbstentfaltung von Kindern nach deren Wertevorstellungen, wie sie nachfolgende Ansätze propagieren, wird abgelehnt.
J. Trüpers Pädagogik stützt außerdem auf eine zeittypisches positves Bild der Natur, sowie auf ein christlich inspiriertes Idealbild der Familie als beschützender Ort des Heranwachsens. Vom Kontakt mit der "freien Natur" erhoffer er sich, insbesondere im Gegensatz zu den Stadtlandschaten der frühen Industrialisierung, vielfältige Impulse für eine gelingende Persönlichkeitsentwicklung; die hingegen Familie soll als Baustein der Gesellschaft eine rollengerechte Erziehung durch liebevolle Vorbilder gewährleisten
Bezüglich der Lerninhalte fordert J. Trüper allgemein die Aktualisierung der damaligen Vorgaben, sodass die Lernenden in ihrer, durch die aufkommende Industrialisierung vielfach ungewöhnlich schwierige, Lebenssituation angesprochen werden können und die Erziehung sie auf das Leben in der veränderten Gesellschaft vorbereitet.
Insbesondere für seine förderungsbedürftigen Schüler, jedoch auch für das gesammte Schulsystem, strebt er eine Konzentration und Reduktion des Lernstoffs an, um eine Überforderung der Schüler, die Fehlentwicklungen begünstigen könnte, und eine Überfrachtung mit unverstandenem Buchwissen ohne konkrete Bezüge zu verhindern.
Arbeitsweise
Die Sophienhöhe wurde aus Prinzip koedukativ geführt, da J. Trüper im möglichst unkomplizierten Zusammenleben von Jungen und Mädchen eine wichtige Vorbereitung auf ein aktives Leben sah; damit verband sich jedoch keinesfalls eine tiefgreifendere Kritik an den Rollen- und Moralvorstellungen der Zeit.
Der Unterricht wurde grundsätzlich in drei Klassenstufen erteilt, die ungefähr auf verschiedene Anforderungsniveaus des allgemeinen Schulsystems abgestimmt waren. Unterrichtet wurde jedoch regulär auch in flexibel gebildeten Gruppen mit gleichen Lernbedürfnissen. Entsprechend begabte Schüler konnten extern das Abitur ablegen und dennoch zugleich Heimbewohner bleiben.
Die Heimgemeinschaft war in Familien nachempfundenen Gruppen organisiert: Bestimmte Kinder hatten jeweils eine feste Bezugsperson zur Betreuung, die in der Regel auch bei ihrer Gruppe auf der Sophienhöhe wohnte.
Obwohl das Trüpersche Heilerziehungskonzept bei seiner Entstehung einen grundlegenden Neuansatz im Umgang mit beeinträchtigten Kindern beinhaltete und dementsprechend auf großes internationales Interesse stieß, entwickelte es sich aus verschiedenen Gründen nach dem Tod Johannes Trüpers nicht zu einer eigenständigen Richtung weiter. Der Schwerpunkt seiner Pädagogik war stets die praktische Arbeit, sodass eine geschlossene theoretische Darstellung sie nur unzureichend erfassen kann.
Werke (Auswahl)
- Zur Vereifachung der Schrift unserer Schwachbegaten. Langensalza, 1892
- Psychopathische Minderwertigkeiten im Kindesalter. Ein Mahnwort für Lehrer, Eltern und Erzieher. Gütersloh, 1893
- Zur pädagogischen Pathologie und Therapie. Langensalza, 1896
- Friedrich Wilhelm Dörpfelds Sociale Erziehung in Theorie und Praxis. Gütersloh, 1901
- Die Anfänge der abnormen Erscheinungen im kindlichen Seelenleben. Altenburg, 1902
- Psychopathische Minderwertigkeiten als Ursache von Gesetzesverletzungen Jugendlicher. Langensalza, 1904
- Zur Frage der ethischen Hygiene unter besonderer Berücksichtigung der Internate. Altenburg, 1904
- Wie weit reicht das Gedächtnis Erwachsener zurück? Langensalza, 1910
- Trüpers Erziehungsheim und Jugendsanatorium auf der Sophienhöhe bei Jena. Jena, 1912
- Eine Bankrotterklärung des Schulkasernentums., o. O. u.J.
- Zur Geschichte des Schulwesens. o. O. u. J.
- Über Dörpfelds politische und soziale Reformbestrebungen. o. O. u. J.
Werke (Auswahl)
- Zur Vereifachung der Schrift unserer Schwachbegaten, Langensalza 1892
- Psychopathische Minderwertigkeiten im Kindesalter. Ein Mahnwort für Lehrer, Eltern und Erzieher, Gütersloh 1893
- Zur pädagogischen Pathologie und Therapie, Langensalza 1896
- Friedrich Wilhelm Dörpfelds Sociale Erziehung in Theorie und Praxis, Gütersloh 1901
- Die Anfänge der abnormen Erscheinungen im kindlichen Seelenleben, Altenburg 1902
- Psychopathische Minderwertigkeiten als Ursache von Gesetzesverletzungen Jugendlicher, Langensalza 1904
- Zur Frage der ethischen Hygiene unter besonderer Berücksichtigung der Internate, Altenburg 1904
- Wie weit reicht das Gedächtnis Erwachsener zurück?, Langensalza 1910
- Trüpers Erziehungsheim und Jugendsanatorium auf der Sophienhöhe bei Jena, Jena 1912
- Eine Bankrotterklärung des Schulkasernentums, o. O., o. J.
- Zur Geschichte des Schulwesens, o. O., o. J.
- Über Dörpfelds politische und soziale Reformbestrebungen, o. O. o. J.
Literatur (Auswahl)
- Christel Bettermann, Alexandra Schotte: „Heraus aus den Schulstuben, fort von den schlafraubenden Hausaufgaben, in die freie Natur“. Das Lebenswerk von Johannes Trüper: die Sophienhöhe bei Jena. Reihe „Dokumentation“ der Städtischen Museeen Jena, Bd 10. Städtische Museen Jena, Jena 2002, ISBN 3-930128-51-9.
- Mannfred Berger, Jörg W. Ziegenspeck (Vorwort): Johannes Trüper. Ein Wegbereiter der modernen Erlebnispädagogik. Edition Erlebnispädagogik, Lüneburg 1998, ISBN 3-89569-037-6.
- Helmut und Irmela Trüper: Ursprünge der Heilpädagogik in Deutschland. Johannes Trüper: Leben und Werk . Konzepte der Humanwissenschaften, Angewandte Wissenschaft. Klett- Cotta, Stuttgart 1978, ISBN 3-12-928200-9.
- Karel Zimmermann: Johannes Trüper. Ein Heilpädagoge zwischen Pädagogik und Kinder- und Jugendpsychiatrie. Dissertation Universität Köln, 2005,(http://d-nb.info/978391233/34 PDF; 6,5 MB).
- Horst - Heinz Richter: Johannes Trüper und seine Sophienhöhe in Jena. Bussert und Stadeler, Quedlinburg/ Jena 2003, ISBN 3-932906-40-3.
Weblinks
| Personendaten | |
|---|---|
| NAME | Trüper, Johannes |
| ALTERNATIVNAMEN | Trüper, Johann |
| KURZBESCHREIBUNG | deutscher Pädagoge, Mitbegründer der Heilpädagogik |
| GEBURTSDATUM | 2. Februar 1855 |
| GEBURTSORT | Rekum bei Bremen |
| STERBEDATUM | 1. November 1921 |
| STERBEORT | Jena |