Hamitentheorie

historische Theorie einer „hamitischen Rasse“ in Afrika
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 19. März 2005 um 12:33 Uhr durch HV (Diskussion | Beiträge) (Die Hamitentheorie als Instrument des Kolonialismus). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Kommt hier noch etwas? --ahz 23:28, 18. Mär 2005 (CET)

Bin grade dabei -- HV 0:24, 18. Mär 2005

Morgen geht's weiter -- HV 0:59, 18. Mär 2005

Einleitung

Der Begriff "Hamitisch" oder Hamiten bezieht sich auf Völker, von denen man glaubte, daß sie von Noahs Sohn Ham abstammen. Im Verlauf der Geschichte gab es verschiedene aber miteinander in Beziehung stehende Interpretationen des Begriffs. In der Bibel sind die Söhne von Ham Völker, die traditionell Feinde der Juden waren, insbesondere die Ägypter. Nicht alle diese Völker lebten im Süden, aber im Allgemeinen sagt man von den Söhnen Hams, daß sie die südlicheren Völker von Afrika gezeugt hätten. Während des Mittelalters und bis ins frühe 19. Jahrhundert wurde der Terminus "Hamitisch" von Europäern willkürlich auf Afrikaner angewandt. Eine Hamitische Sprachfamilie wurde vorgeschlagen, die verschiedene, meist nordafrikanische Sprachen miteinander verband. Ebenso wurde eine Hamitische Rasse identifiziert, die diejenigen Afrikaner bezeichnete, die die Europäer als "fortgeschritten", oder ihnen selbst, bzw. den semitischen Völkern am ähnlichsten ansahen.

Diese hamitischen Ideen werden heutzutage meistens als der Hamitische Mythos bezeichnet, da sie weitgehend in Misskredit geraten sind. Die hamitische Sprachfamilie wird nicht mehr als brauchbares Konzept angesehen, obwohl die Bezeichnung Hamito-Semitisch ein geläufiger Begriff für die Afroasiatische Sprachen darstellt. Der Begriff Hamitische Rasse ist ähnlich problematisch.

Der Hamitische Mythos wurde im 19. und 20. Jh. als Rechtfertigung für die europäische Kolonialpolitik in Afrika verwendet, ebenso wie im Sklavenhandel in früherer Zeit. Heute wird der Begriff von vielen Afrikanern als Beleidigung aufgefasst.

Früher Gebrauch des Begriffs "Hamitisch"

Frühe Interpreatationen der Bibel veranlaßten viele Gelehrten Europas dazu anzunehmen, daß die gesamte Menschheit auf Noah zurückgeht. Der Bibelvers, der die Söhne Noahs betrifft (Genesis 9:18-27), macht keine besonderen Angaben über die Rasse der Söhne, mit Ausnahme von Kusch, dem ältesten Sohn von Ham, dessen Name auf hebräisch "schwarz" bedeutet. Noah verflucht Ham und Kanaan, und sagt, daß dieser samt seinen Nachkommen "Sklave von on Sklaven" sein werde. Hebräische Gelehrte gebrauchten diese Passage, um die israelitische Unterwerfung Kanaans zu rechtfertigen. Diese Gelehrten, die im 6. Jh. n. Chr. wirkten, führten die Idee ein, daß die Söhne Hams schwarze Haut besäßen.

Im Mittelalter griffen christliche Gelehrte diese Idee auf. Erneut paßte die Darstellung der Söhne Hams als von ihren Sünden "geschwärzt" in die ideologischen Interessen der europäischen Elite, und zwar insbesondere, da seinerzeit der Hauptfeind des Christentums der Islam war, der Nordafrika beherrschte. Ungeachtet der Tatsache, daß der Islam unter den semitischen Arabern entstand, betonte die europäische Vorstellung of die Schwärze der islamischen Mohren und assoziierte diese mit den verfluchten Söhnen von Ham. Später, mit dem Aufkommen des Sklavenhandels, rechtfertigte dies die Ausbeutung der frei zur Verfügung stehenden schwarzen afrikanischen Arbeitskraft.

Hamiten als Nachkommen der Ägypter

Nach der napoleonischen Invasion in Ägypten stieg das Interesse der Europäer an diesem Land erheblich. Mit der Entzifferung der Hieroglyphen und dem schnellen Anwachsne von Wissen über das Alte Ägypten, interessierten sich europäische Forscher mehr und mehr für die Ursprünge der Ägypter und ihre Verbindungen zu anderen Völkern in der unmittelbaren und ferneren Umgebung. Die traditionelle biblische Genealogie verknüpfte die Ägypter mit den anderen Nachkommen Hams, insbesondere den schwarzhäutigen Kuschiten in Äthiopien.

Theologen studierten das Buch Genesis erneut und kamen zu dem Ergebnis, daß die Hams Kinder nicht wirklich verflucht wurden, sondern nur Kanaan. Also waren die anderen Kinder Hams einschließlich Kusch und Mizraim nicht verdammt, sondern zu großen Leistungen in der Lage. Diese Gelehrten identifizierten die Ägypter als Nachkommen von Mizraim.

Nicht-religiöse und darwinistische Autoren nahmen ebenfalls an, daß die biblischen Geschichten ein wahres Element über die Vorgeschichte eines Teils der schwarzafrikanischen Völker besitzen, von denen man annimt, daß sie vom Norden nach Zentralafrika wanderten. Diese Völker wurden anderen afrikanischen Völkern gegenüber als höherwertig betrachtet.

In Rußland entstand ein ideologisches Pendent zur Hamitentheorie: die von N.J. Marr entwickelte Japhetitentheorie, die die kaukasischen Völker als Nachkommen von Noahs Sohn Japheth deutete und die ebenso dazu diente, eine zivilisatorische Hierarchie der Völker Rußlands zu erstellen. Dieser Theorie wurde besonders in der sowjetischen Zeit große Aufmerksamkeit geschenkt.

Die Hamitentheorie als Instrument des Kolonialismus

Als Ergebnis dieser Neuinterpretation erhielt das Hamitische eine neue, positivere Konnotation für die Europäer. Während des 19. Jahrhunderts entdeckten die Europäer mehr und mehr von Afrika. Auf ihren Reisen fanden sie viele verschiedene physiologische Typen und sie bewerteneten diejenigen positiv, die ihnen selbst am ähnlichsten waren oder die eine bestimmte kulturelle Charakteristik aufwies. Diese Völker wurden dann als "hamitisch" bezeichnet. So wurden z.B. neben den alten Ägyptern die Tutsi in Ruanda wegen ihres eher europäischen Aussehens als Hamiten bezeichnet und zur Herrschaft über die Hutu auserkoren, obwohl sie längst in eine sozial niedrige Schicht herabgesunken waren.

Schon bald wird die Hamitentheorie zu einem wichtigen ideologischen Instrument der Kolonialpolitik, insbesondere derjenigen deutscher Prägung.

In Bezug auf Sprachen wird der Begriff "Hamitisch" zum ersten Mal vom württemberger Missionar Johann Ludwig Krapf (1810-1881) allgemein auf alle schwarzafrikanischen Sprachen angwandt. Erst der Berliner Ägyptologe Karl Richard Lepsius (1810-1877) beschränkt ihn auf diejenigen nichtsemitischen Sprachen Afrikas, die ein Genussystem besitzen.

In dem Maße in dem die Rassentheorien komplexer und verwickelter wurden, wurde der Begriff "hamitisch" von verschiedenen Autoren unterschiedlich benutzt und auf viele verschiedene Gruppen angewendet, von Äthiopiern bis zu Berbern, Nubier, die Maasai, Abessinier, Somalis und viele andere.

Die Rassentheorie war sehr hierarchisch. Die Europäer betrachteten diese Völker als Führer in Afrika, die die minderwertigeren Völker zivilisierten, so wie die Europäer sich als die Zivilisatoren der Hamiten betrachteten. (Vgl. White man's burden)

Jedoch nicht immer brachte die Hamitentheorie die gewünschten Ergebnisse. So eigneten sich die hamitischen Maasai Kenias nicht als Herrenvolk, ebensowenig, wie die Hottentotten in Namibia.

In der Mitte des 20. Jahrhunderts postulierte der Hamburger Afrikanist Carl Meinhof (1857-1944), daß die Bantu-Rasse eine Verschmelzung von hamitischen und Negerstämmen sei. Ebenso seien die "Hottentotten" (heute: Nama) eine Verschmelzung aus Hamiten und Buschmännern (heute: San, beide Gruppen bezeichnet man heute als Khoisan-Völker). Diese Theorien sind aus heutiger Sicht nicht mehr haltbar.

Die Hamitentheorie heute

Auf diese Art und Weise rechtfertigten die Europäer erneut ihre Ausbeutung des Afrikanischen Kontinents. Diese Ideen kursierten weiterhin bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Hamitenhypothese wird heute weitgehend aus vielen Gründen abgelehnt. Die meisten "wissenschatlichen" Annahmen dieser Zeit waren kulturell stark voreingenommen und lieferten Ergebnisse die europäischen Vorurteilen entsprachen. Viele Annahmen dieser Zeit wurden inzwischen korrigiert und ergeben ein viel komplexeres Bild an ethnischen Gruppierungen, als man anfangs vermutete. Ungeachtet dessen wird der Terminus "hamitisch" noch immer in der anthropologischen Nomenklatur verwendet.

Siehe auch

Sanders, Edith "The Hamitic Hypothesis: Its Origin in Time" in Problems in African History: The Precolonial Centuries. Ed. Robert O. Collins. New York: Markus Wiener Publishing, 1996. ISBN 1-55876-059-8

Dieser Text entstand in Anlehnung an eine Übersetzung des Artikels Hamitic aus der englischen Wikipedia, Version vom 7. Februar 2005.