Das Drama Woyzeck von Georg Büchner (1813-1837) erschien erstmals 1879 und wurde am 8. November 1913 in München uraufgeführt.
Woyzeck gehört zu den meistgespielten Stücken auf deutschsprachigen Bühnen - vielleicht ist es sogar das meistgespielte. Woyzeck bedeutet von der Form und vom Inhalt her einen Umbruch in der Theatergeschichte Deutschlands. Zum ersten Mal ist ein Mitglied der untersten Schicht der Gesellschaft die Hauptperson auf der Bühne. Ein einfacher Soldat, der seine Geliebte ersticht und bei dem der Autor die Frage stellt, welche Schuld diese Person an dem Verbrechen trägt. Ein Stück, das sich in seiner fragmentarischen Form, in der es überliefert ist, nicht an den Aufbau eines klassischen Dramas hält, sondern eine lose Folge von Szenen auf die Bühne bringt.
Entstehungsgeschichte
Ein Fragment
Die Arbeit am Woyzeck begann Georg Büchner im Verlauf des Jahres 1836. Ein Jahr, in dem der 22-jährige Student ein immenses Arbeitspensum leistet. Er schließt seine Dissertation "Mémoire sur le système nerveux du barbeau" ("Über das Nervensystem der Barben") ab. Im Oktober geht er von Straßburg nach Zürich an die Universität und beginnt dort eine Lehrtätigkeit.
In diesem Jahr schreibt er an drei Theaterstücken. Eins - Leonce und Lena - stellt Büchner in wenigen Wochen fertig. An den beiden anderen - Woyzeck ist erhalten geblieben, das Manuskript des anderen Stückes ist verschwunden - arbeitet Georg Büchner, als er Anfang 1937 - mittlerweile ist er 23 Jahre alt - an Typhus erkrankt und im Februar 1837 an dieser Krankheit stirbt. Woyzeck bleibt ein Fragment.
Der historische Hintergrund
Nach dem heutigen Stand der Forschung reflektiert die Handlung des Woyzeck einen tatsächlichen Kriminalfall und verwebt diesen mit zwei ähnlichen Fällen. Büchner kannte Gutachten über die "Zurechnungsfähigkeit" der als Mörder angeklagten Personen wahrscheinlich aus der väterlichen Bibliothek. Daraus hat er Details zum Tathergang und auch den Namen eines Täters für sein Drama übernommen.
Bei dem historischen Woyzeck handelt es sich um Johann Christian Woyzeck, der am 27. August 1824 auf dem Marktplatz in Leipzig hingerichtet wurde. Er hatte am 21. Juni 1821 seine 46-jährige Geliebte Christiane Woost erstochen. Bei den anderen Personen handelt es sich um den Tabakspinnergesellen Daniel Schmolling, der am 23. September 1817 seine Geliebte Henriette Lehne in der Hasenheide bei Berlin umgebracht hat, und um den Leinenwebergesellen Johann Dieß, der am 15. August 1830 seine Geliebte Elisabeth Reuter in der Nähe von Darmstadt erstach.
Editionen
Erst vierzehn Jahre nach Georg Büchners Tod brachte sein Bruder Ludwig 1850 die „Nachgelassenen Schriften“ heraus. Woyzeck erscheint darin nicht. Erst seit der "Kritischen Gesamtausgabe" von Büchners Werken, die Karl Emil Franzos im Jahr 1879 herausgebracht hat, liegt eine Fassung des Fragments der Öffentlichkeit vor.
Weitere Stationen der Publikation von Büchners Werke sind die von Fritz Bergmann herausgegebenen „Sämtlichen Werke und Briefe“ und die unabgeschlossene "kritisch-historische Ausgabe" von Werner R. Lehmann, die mit Korrekturen ebenfalls die Grundlage der Münchner Ausgabe im Carl Hanser Verlag im Jahr 1988 darstellt.
„Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zwei Bänden“, herausgegeben von Henri Poschmann, ist die jüngste Edition, die den Woyzeck enthält (seit 2002 gibt es sie im Insel-Verlag als preiswerte Taschenbuch-Ausgabe). Für 2005 ist Woyzeck als Band 7 der "Historisch-kritische Ausgabe der Sämtlichen Werke und Schriften Georg Büchners", der "Marburger Ausgabe", herausgegeben von Burghard Dedner, angekündigt. Burghard Dedner ist zusammen mit Thomas Michael Mayer verantwortlich für die derzeit sicherlich "populärste" - und preiswerteste - Woyzeck-Ausgabe - die "Studienausgabe" bei Reclam ( s. Literatur).
Das Stück
Handlung
Das Stück zeigt Ausschnitte aus dem Leben des einfachen Soldaten Franz Woyzeck, der seine Freundin Marie und das gemeinsame uneheliche Kind so gut wie möglich unterstützt und sich dazu sogar bei einem inhumanen Wissenschaftler als Versuchsperson verdingt. Marie aber lässt sich mit einem Tambourmajor ein. Woyzecks aufkeimender Verdacht wird durch seine ihm nicht freundlich gesonnenen Mitmenschen geschürt, bis er Marie und den Nebenbuhler beim Tanz im Wirtshaus ertappt. Seine bereits vorhandenen Wahnvorstellungen wandeln sich nach der Niederlage gegen den ihm auch körperlich überlegenen Tambourmajor zu Tötungsphantasien. Schließlich ersteht er eine Klinge, verteilt seinen Besitz, ersticht Marie und geht selber ins Wasser.
Szenenfolge
Es gibt bis heute eine Hand voll "Lese- und Bühnenfassungen" von Woyzeck. Werner R. Lehmann (s. Literatur) hat folgende Szenenfolge auf der Grundlage von Büchners Handschriften konstruiert:
1. Szene: Freies Feld vor der Stadt. Woyzeck und sein Kamerad Andres schneiden Weidenstöcke. Woyzeck sieht sich von übernatürlichen Mächten bedroht.
2. Szene: Maries Kammer. Die Militärkapelle marschiert auf der Straße vorbei. Marie winkt dem Tambourmajor zu. Die Nachbarin Margret bekommt das mit. Woyzeck besucht seine Geliebte und das Kind. Er spricht geheimnisvoll. Marie zeigt kein Verständnis.
3. Szene: Kirmesbuden. Alter Mann singt zum Leierkasten. Marie und Woyzeck hören einem Ausrufer zu, der Kuriositäten präsentiert. Unteroffizier und Tambourmajor schwärmen von Marie.
4. Szene: Maries Kammer. Sie betrachtet sich im Spiegel. Der Tambourmajor hat ihr Ohrringe geschenkt. Woyzeck überrascht sie und gibt ihr Geld. Eilt wieder davon.
5. Szene: Zimmer des Hauptmanns. Woyzeck rasiert den Hauptmann. Der verhöhnt ihn. Als der Hauptmann über Moral und über Woyzecks Kind zu reden kommt, das „ohne den Segen Kirche“ geboren sei, gibt der Soldat seine Wortkargheit auf. „Ich glaub', wenn wir (armen Leute) in den Himmel kämen, müssten wir donnern helfen!“
6. Szene: Maries Kammer. Der Tambourmajor macht ihr Avancen. Sie weist ihn erst zurück und gibt dann nach. "MARIE heftig: Rühr mich an!"
7. Szene: Auf der Gasse – Woyzeck hat eine Ahnung, dass Marie ihm untreu ist.
8. Szene: Studierstube des Doktors. Woyzeck hat sich dem Doktor für Versuche zur Verfügung gestellt, um Geld zu verdienen. Der Doktor verabreicht ihm die tägliche Erbsenration. Woyzeck spricht über seine Visionen. Für den Doktor ist Woyzeck „ein interessanter casus“.
9. Szene: Straße. Der Hauptmann belästigt den Doktor mit seinen Ansichten. Der sagt dem Hauptmann einen Schlaganfall voraus. Als Woyzeck ihren Weg kreuzt, lassen beide ihre Aggressionen an ihm aus und deuten eine Affäre zwischen Marie und dem Tambourmajor an. Woyzeck ist getroffen.
10. Szene: Wachtstube – Woyzeck teilt Andres seine innere Unruhe mit.
11. Szene: Im Garten eines Wirtshauses vergnügen sich Soldaten, Handwerksburschen und junge Frauen beim Tanz. Unter ihnen auch Marie und der Tambourmajor. Woyzeck sieht das Paar, kann es nicht fassen.
12. Szene: Auf freiem Feld hört Woyzeck Stimmen, die ihm auftragen, Rache zu nehmen.
13. Szene: In der Nacht versucht Andres Woyzeck zu beruhigen: „Du musst Schnaps trinke und Pulver drin, das schneidt das Fieber.“
14. Szene: Im Wirtshaus treffen Woyzeck und der Tambourmajor aufeinander. Im Zweikampf unterliegt Woyzeck.
15. Szene: Im Kramladen besorgt Woyzeck sich eine Klinge.
16. Szene: Marie empfindet Reue und sucht in der Bibel nach Trost.
17. Szene: Woyzeck teilt Andres mit, wer seine Habseligkeiten nach seinem Tod erben soll.
18. Szene: Im Hof des Doktors findet vor Studenten eine Vorlesung statt. Woyzeck wird vom Doktor als Versuchsobjekt vorgeführt.
19. Szene: Marie mit mehreren kleinen Mädchen und der Großmutter vor dem Haus. Großmutter erzählt ein Märchen. Woyzeck fordert Marie auf, ihm zu folgen.
20. Szene: Woyzeck und Marie vor der Stadt. Woyzeck ersticht seine Geliebte mit der Klinge.
21. Szene: Zwei Personen hören Stimmen im Teich vor der Stadt.
22. Szene: Eine Frau im Wirtshaus sieht, wie Woyzeck mit Blut beschmiert ist.
23. Szene: Nacht. Woyzeck sucht an dem Ort, wo er Marie erstochen hat, die Klinge.
24. Szene: Woyzeck versenkt die Klinge im Teich.
25. Szene: Kinder unterhalten sich auf der Straße darüber, dass vor der Stadt eine Leiche gefunden wurde.
26. Szene: Gerichtsdiener: “Ein guter Mord, ein echter Mord, ein schöner Mord, so schön als man ihn nur verlangen kann, wir haben schon lange so kein gehabt.“
27. Szene: Woyzeck mit Kind auf dem Schoß. Verspricht ihm ein Spielzeug.
Offenes Drama
Im Gegensatz zu der Struktur des geschlossenen Dramas nach der Dramentheorie von Aristoteles (siehe: Poetik (Aristoteles)) (z.B. "Maria Stuart", Schiller) zählt "Woyzeck" zu den offenen Dramen. Dieses bedeutet eine lose Aneinanderreihung der einzelnen Szenen, also keine inhaltliche oder zeitliche Abhängigkeit der Szenen untereinander. Einstieg und Ende des Dramas sind unvermittelt und es gibt nicht die klassische Struktur der 5 Akte.
Absicht oder Folge der Tatsache, dass Woyzeck unvollendet blieb, Büchner nicht mehr die Möglichkeit hatte, die "vorläufige Reinschrift" fertig zu stellen?
Aktuelle Inszenierung
Woyzeck | |
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Inszenierung: | Stefan Otteni |
Bühne und Kostüme: | Franz Lehr |
Musik: | Jörg Ritzenhoff |
Dramaturgie: | Stephanie Gräve |
Darsteller | |
Franz Woyzeck: | Raphael Rubino |
Marie: | Patrycia Ziolkowska |
Andres: | Roland Riebeling |
Hauprtmann: | Günter Alt |
Doktor: | Verena Bukal |
Tambourmajor: | Jonas Gruber |
Großmutter: | Susanne Bredehöft |
Karl: | Jörg Ritzenhoff |
In der Inszenierung in den Bonner Kammerspielen (Premiere: 4.3.2005) sind Woyzeck und die anderen Personen des Stückes Teil eines Experimentes. Es gibt keine Gasse, keine Kirmesbude und kein freies Feld, die Szenen des Stückes finden in einem geschlossenen Raum statt. Das Laboratorium öffnet sich nur hin und wieder einen Spalt breit und ermöglicht für einen kurzen Moment einen Blick in die Außenwelt.
Die Personen des Stückes verbringen Tag und Nacht miteinander. Alle bekommen mit, wenn der Hauptmann Franz verhöhnt, der Doktor ihm seine tägliche Erbsenration verpasst und der Tambourmajor Marie verführt. Alles dreht sich um das detailliert angelegte Experiment, um die Frage, wie Franz auf seine Peiniger reagiert.
Über den Versuch wacht die Ärztin. Sie sieht nicht ihre Aufgabe darin, dem „armen“ Woyzeck vor seinem körperlichen und seelischem Verfall zu bewahren, sie steuert und beobachtet seinen Verfallsprozess. An dieser Haltung ändert sich auch nichts, als bei Woyzeck Zeichen eines Wahnsinns immer deutlicher werden. Bis zum Schluss, wenn sich das Laboratorium öffnet und Woyzeck seine Geliebte in einem Anfall von Eifersucht und Wahnsinn in einem Teich ersticht, schauen die anderen Personen zu.
Woyzeck und andere Künstler
Büchners Drama diente Alban Berg und Manfred Gurlitt als Grundlage für Opern, beide unter dem Namen Wozzeck.
Es gibt mindestens 8 Verfilmungen des Stoffes für Kino und Fernsehen [1]. Die bekannteste Verfilmung dürfte die 1979 erschienene von Werner Herzog mit Klaus Kinski in der Hauptrolle sein; siehe hierzu den Artikel Woyzeck (Werner Herzog).
2002 produzierte Robert Wilson das Stück mit Musik von Tom Waits; Blood Money heißt das Album mit den Songs aus dieser Inszenierung.
Literatur
- Georg Büchner: Werke und Briefe - herausgegeben von Werner R. Lehmann, Hanser Verlag, München 1984
- Georg Büchner: Woyzeck. Studienausgabe, Reclam, ISBN 3-1501-8007-4