Wirtschaftswachstum
Unter Wirtschaftswachstum versteht man die relative Änderung der Wirtschaftskraft einer Volkswirtschaft von einer Periode zur nächsten. Als Maßstab dient in Deutschland normalerweise das Bruttoinlandsprodukt (BIP) oder das Bruttonationaleinkommen (früher Bruttosozialprodukt bzw. BSP), in den USA das Gross National Product (GNP).
Man unterscheidet zwischen realem und nominalem Wirtschaftswachstum. Im nominalen Wirtschaftswachstum ist die im betrachteten Zeitraum vorherrschende Preissteigerung, sowie die eigentliche Produktivitätssteigerung und Wertschöpfung enthalten. Das reale Wirtschaftswachstum stellt das inflationsbereinigte Wirtschaftswachstum dar. Die reale Herangehensweise ist aussagekräftiger, da sie die Preissteigerungen berücksichtigt, die beim nominalen Wirtschaftswachstum ebenso als Wachstum erscheinen.
Es gibt Unterschiede in der Berechnung des Wirtschaftswachstums im europäischen und US-amerikanischen Raum, weshalb die Werte nicht ohne Probleme miteinander verglichen werden können.
Das Wirtschaftswachstum ist aufgrund seiner angenommenen Wichtigkeit als eine Grundbedingung im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz (StWG) rechtlich verankert, auch wenn es schlecht erzwingbar ist.
Wachstumsmodelle
Ein bis heute maßgebliches Wachstumsmodell wurde 1956 von Solow entwickelt. Die zentrale Aussage des Solow-Modells ist, dass für dauerhaftes Wirtschaftswachstum das Wachstum der Arbeitsproduktivität von zentraler Bedeutung ist, das langfristig allein durch das Tempo des technischen Fortschritts bestimmt wird. Wachstumspolitik kann folglich auf lange Sicht nur erfolgreich sein, wenn sie den technischen Fortschritt begünstigt.
Das Solow-Modell wird seit den 80er Jahren kritisiert, da es nur unzureichned in der Lage ist die Wirklichkeit abzubilden. So fällt im Standard-Modell technischer Fortschritt wie Manna vom Himmel. Das Solow-Modell propagiert eine Konvergenz von Volkswirtschaften. Dies bedeutet, dass ärmere Volkswirtschaften zu den wohlhabenderen aufschliessen. Diese Konvergenz ist aber nur innerhalb von Volkswirtschaften und in einigen wenigen Regionen beobachtbar (Europa, Nordamerika, Südostasien). Das Modell propagiert ein Absinken der Wachstumsraten ohne technischen Fortschritt. Seit den 70er Jahren sind im OECD Raum aber die Wachstumsraten konstant geblieben. Zudem sind die berechneten Konvergenzgeschwindigkeiten zu hoch und das Modell liefert nur brauchbare Ergebnisse für das 20. Jahrhundert, geht man weiter zurück haben die Ergebnisse keine Signifikanz mehr.
Mankiw, Romer und Weil erweiterten 1992 das Standard Solow-Swan Modell. Sie fügten in die Produktionsfunktion den Faktor Humankapital ein. Humankapital definierten sie über die Einschulungsraten. Ihr Modell ergibt eine langsamere Konvergenzgeschwindigkeit als im Solow-Modell. Gänzlich verabschiedet von der Gruppe der exogenen Wachstumsmodelle haben sich die Anhänger der endogenen Wachstumstheorie (Paul Romer, Philipp Aghion, Peter Howitt, et al.). Endogene Wachstumsmodelle basieren auf der Annahme, dass keine abnehmenden Grenzerträge vorliegen. Diese Annahme begründet Paul Romer in seinem Werk von 1986 mit der These, dass technisches Wissen nicht alleine dem Erfinder zur Verfügung steht, sondern durch Spillover-Effekte auch allen anderen Gesellschaftsmitgliedern verfügbar ist. Grossman, Aghion und weitere erweiterten diese Modellgattung dahingehend, dass angetrieben durch eine monopolistische Konkurrenz Firmen Vorteile aus der beständigen Erfindungstätigkeit haben. Technischer Fortschritt wird endogen.
Galor und Weil beschäftigten sich 2000 mit dem Zusammenhang von Bevölkerungswachstum, Bevölkerungsgrösse, technischem Fortschritt und Humankapital. Dabei befruchten sich diese Variablen gegenseitig und ein sehr langfristiges Wachstum mit der èberwindung der Malthusianischen Falle wird zum Teil erklärbar.
Nach Marx unterliegt der Kapitalismus einem Wirtschaftswachstumszwang. Ohne ständiges Wirtschaftswachstum kommt es seiner Meinung nach zu Wirtschaftskrisen. Auf der anderen Seite haben kapitalistische Länder schon Jahrzehnte ohne oder mit geringem Wirtschaftswachstum ohne nennenswerte Krisen überstanden (von Währungsreformen einmal abgesehen), und nicht-kapitalistische Systeme oft mit oder ohne Wachstum viel intensivere Krisen durchgemacht. Karl Popper hat in seinen Werken viele der Fehler in der Logik von Marx aufgedeckt.
Der Möglichkeit eines ewigen Wachstums widersprach auch der Club of Rome in seiner Analyse der "Grenzen des Wachstums". In verschiedenen durchgerechneten Szenarien sind wirklich dramatische Entwicklungen für die Zeit um das Jahr 2030 vorhergesagt worden. Aber die Prognosen, die in den 70er Jahren für die Zeit bis zum heutigen Tage vorhergesagt wurden, sind bislang meist nicht im befürchteten Ausmaß eingetreten. Am deutlichsten wahrnehmbar ist wohl die Klimaerwärmung, die nach gegenwärtigem Stand des Wissens maßgeblich aufgrund des zunehmenden Kohlendioxidgehalts der Atmosphäre durch menschlichen Einfluss mitbestimmt wird. Auf anderen Gebieten zeigt sich die marktwirtschaftlich orientierte Informationsgesellschaft in der Lage, mit einer Reihe vorhergesagter Probleme fertig zu werden, sich also an die Auswirkungen anzupassen oder sie in akzeptablen Grenzen zu halten.
Kritiker des unbedingten Wirtschaftswachstums verweisen auf den zerstörerischen Einfluss der Wirtschaft auf die Umwelt. Befürworter verweisen auf den noch zerstörerischen Einfluss von Menschen, die mangels Kapitalismus nicht die Möglichkeit haben, sich auch nur geringe Standards und Kontrollen in Bereichen wie Umweltschutz, Naturschutz usw. zu leisten, und die mangelhaften Möglichkeiten von Ländern mit weniger leistungsfähigen Wirtschaftssystemen, auf natürliche Katastrophen (Überschwemmungen, Dürren, natürliche Klimaänderungen, Missernten usw.) zu reagieren.
Stetiges und angemessenes Wachstum
Ein Eckpunkt des "magischen Vierecks" ist "angemessenes und stetiges Wirtschaftswachstum". Von diesem erhofft man sich, dass es zu einer gleichmäßigen Auslastung des Produktionspotenzials in der Nähe der Kapazitätsgrenze beiträgt.
Welche Wachstumsrate "angemessen" ist, lässt sich nicht pauschal festsetzen. Für die Bundesrepublik Deutschland z. B. bezeichnen einige ein Wachstum von 2-3% als angemessen. Andere wünschen sich deutlich höhere Wachstumsraten, in der Annahme, dass dadurch z.B. die Arbeitslosigkeit reduziert und die internationale Wettbewerbsfähigkeit erhalten werden könne. Diese Annahmen beruhen auf Okuns-Gesetz. Okun ermittelte einen empirischen Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeit. Über die Philipps-Kurve können diese Werte mit der Inflation verbunden werden.
Wenn man ein "stetiges" Wirtschaftswachstum fordert, so meint man damit, dass Wachstumsschwankungen vermieden werden sollen. Berge sollen in der Konjunkturkurve möglichst abgetragen, Täler dagegen ausgefüllt werden.
Das Wirtschaftswachstum der Bundesrepublik Deutschland ist nicht stetig und lag oft unter zwei bis drei Prozent.
Zitate
- We don't have a desperate need to grow. We have a desperate desire to grow. (Milton Friedman)
Literatur
- Douglas E. Booth: Hooked on Growth, 2004, ISBN 0742527182
- Hartmut Bossel (IISD): Indicators for Sustainable Development (Theory, Method, Applications), 1999, ISBN 1895536138
- G.R.Funkhouser, Robert R. Rothberg: Das Dogma vom Wachstum, 2000, ISBN 3409191151
- Elhanan Helpman: The Mystery of Economic Growth, 2004, ISBN 067401572X
- Charles I. Jones: Introduction to Economic Growth, 2002, ISBN 0393977455
- Niklas Luhmann: Wirtschaft und Gesellschaft, 1988, Seiten: 100, 169f., 200
- Norbert Reuter: Wachstumseuphorie und Verteilungsrealität, 1998, ISBN 3895181897
- Rupert Riedl, Manuela Delpos (Hrsg.): Die Ursachen des Wachstums, 1996, ISBN 3218006287
- Reinhard Steurer: Der Wachstumsdiskurs in Wissenschaft und Politik - Von der Wachstumseuphorie über 'Grenzen des Wachstums' zur Nachhaltigkeit, 2002, ISBN 3897003384
- Bernhard Verbeek: Die Anthropologie der Umweltzerstörung, 1998, ISBN 3896780999 (Einfluss menschlichen Wachstumstrebens auf die Umwelt)
- Heinz D. Kurz, Neri Salvadori: Theory of production: a long-period analysis, 1995, ISBN 0-521-44325-3
- Donella H. Meadows, Dennis L. Meadows, Jorgen Randers: Die neuen Grenzen des Wachstums, 1993, ISBN 3499195100