Nutzer-Investor-Dilemma

Umstand, dass Investitionen unterbleiben, weil der Investor langfristig keinen Ertrag aus seiner Investition erzielen kann, dagegen der Nutzer den Vorteil nicht zu zahlen hat
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Das Nutzer-Investor-Dilemma beschreibt den Umstand, dass sinnvolle Investitionen unterbleiben, weil der Investor langfristig keinen Ertrag aus seiner Investition erzielen kann, dagegen der Nutzer den Vorteil nicht zu zahlen hat.

Es taucht in der öffentlichen Diskussion auch unter der Bezeichnung Investor-Nutzer-Dilemma, Mieter-Vermieter-Dilemma oder Eigentümer-Nutzer-Problematik auf. Es ist die Folge eines Marktversagens.

Das Nutzer-Investor-Dilemma im deutschen Mietwohnungsbau

Das Nutzer-Investor-Dilemma wird häufig im Zusammenhang, von politisch zwar gewollten Investitionen in den Umweltschutz bei der Vermietung von Wohnungen genannt, wobei der Gesetzgeber gleichzeitig durch die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches § 559 zur Miethöhe dem Investor keinen langfristigen Ertrag daraus ermöglicht. Die Modernisierungsumlage gestattet zwar, Investitionen mit 11% der Investitionssumme pro Jahr zeitlich unbegrenzt auf den Mieter umzulegen. Dieser Zuschlag darf gesetzlich aber nur solange von Mietern verlangt werden, bis eine ohnehin übliche Mieterhöhung erfolgt, die das Mietspiegelniveau nach § 558 BGB nicht übersteigen darf (siehe Urteil BGH VIII ZR 331-06). Eine Investition müsste sich in kurzer Zeit amortisieren, was bei Investitionen im Wohnungsbau in der Regel nicht möglich ist. In diesem Zeitraum hätten auch reguläre Mieterhöhungen erfolgen können, so dass Vermieter, die keine Investitionen tätigen, höhere Einnahmen erzielen. Oft steht einer Mieterhöhung auch einfach die Tatsache im Wege, dass sich eine entsprechende Miete gar nicht am Markt erzielen lässt. Mieter, die in sanierten Mietwohnungen wohnen, sparen unter Umständen erhebliche Energiekosten, zahlen langfristig aber die gleiche Miete wie Mieter unsanierter Objekte.

Beispielrechnung

Datei:Nutzer-investor-dilemma.png
Grafik zur Beispielrechnung

Der Vermieter eines Mehrfamilienhauses mit 500 m² Wohnfläche will eine thermische Solaranlage installieren. Die Anlagenkosten belaufen sich auf 15.000 Eur. Für die Anlage erhält er staatliche Fördermittel in Höhe von 3.000 Eur.

Mit der Anlage lassen sich 20% des Energieverbrauches einsparen. Von derzeit 80.000 kWh pro Jahr werden also 16.000 kWh Energie eingespart. Die eingesparten Energiekosten betragen pro Jahr 0,07 ct/kWh * 16.000 = 1.120 Eur.

Die Investitionskosten abzüglich der Förderung kann der Vermieter auf seine Mieter umlegen. 12.000 Eur * 11% = 1320 Eur darf er jährlich von seinen Mietern zurückverlangen. Bei dem ortsüblichen Mietpreis von aktuell 6 Eur/m² bedeutet dies einen Zuschlag von 1320 Eur / 12 Monaten / 500 m2 = 0,22 Eur auf 6,22 Eur monatlich, also eine Mietsteigerung von 3,7%. Dafür sparen die Mieter fast die gleiche Summe an Energiekosten.

Nach 2 Jahren will der Vermieter nun die Miete im Rahmen der örtlichen Vergleichsmiete erhöhen. Laut Mietspiegel wäre eine Mieterhöhung von 4% auf 6,24 Eur/m² monatlich möglich. Diese Erhöhung hätte er auch ohne Modernisierungsmaßnahme verlangen dürfen. Da aber die Mieterhöhung durch Modernisierung nun Bestandteil der Miete geworden ist, darf er den Zuschlag für die Solaranlage nicht mehr verlangen. Er müsste die Kosten der Anlage also zum größten Teil selbst tragen, die Mieter sparen dagegen nach zwei Jahren dauerhaft 20% der Energiekosten.

Nur bei sehr viel teureren Sanierungsmaßnahmen, bei niedrigen Mieten oder niedrigen Inflationsraten könnte der Vermieter die Investition eventuell über einen sehr langen Zeitraum refinanzieren. Die oft wiederkehrende Behauptung, die Investition des Eigentümers hätte sich nach 9 Jahren mit 11% BGB-Mieterhöhung amortisiert[1] [2] [3] [4]ist in jedem Falle unhaltbar. Denn Aspekte wie die beschriebene Begrenzung durch die Vergleichsmiete, aber auch Investitionsrücklage, Abschreibung, Kapitalkosten und Inflation werden hierbei außer Acht gelassen.

Folgen

Die Problematik führt seit Jahren dazu, dass Vermieter regelmäßig nur die vom Gesetzgeber verlangten Maßnahmen an Mietgebäuden vornehmen. Die Mieter müssen dagegen hohe Energiekosten in Kauf nehmen, da diese vom Vermieter in unbegrenzter Höhe als Umlagen an den Mieter weitergegeben werden.

Lösungsansätze

Unterstellt man ein Marktversagen[5] [6], so lässt sich der Aspekt der asymmetrischen Information dadurch abmildern, in dem der Nutzer die Möglichkeit erhält, den genutzten Gegenstand an seinen Eigenschaften zu erkennen und zu bewerten. Der gesetzlich vorgeschriebene Energieausweis könnte hier eine Orientierungshilfe bieten, wobei dieser keine Rückschlüsse über den tatsächlichen Energieverbrauch zulässt und die Bewertung nach unterschiedlichen Verfahren erfolgt.

Zur Beseitigung des Marktversagens durch die beschriebenen mietrechtlichen Hemmnisse und begründet durch das Auseinanderfallen von Nutzer und Investor, lassen sich u.a. folgende Lösungsansätze beobachten:

Warmmiete / Teilwarmmiete

Hierbei soll dem Vermieter die Möglichkeit eröffnet werden, durch Energiesparmaßnahmen sich zusätzliche Einnahmen zu verschaffen, da die Warm- bzw. Teilwarmmiete ein fester Bestandteil der Bruttomiete ist. Beide Lösungen kranken wieder am Auseinanderfallen von Nutzer und Investor: Der Anreiz des Nutzer sich sparsam zu verhalten sinkt, die Kosten müssen vom Vermieter getragen werden. Bei der Teilinclusivmiete treten zusätzliche Probleme auf: Welcher Anteil wird nutzungsunabhängig abrechnet, welcher nicht? Auch ist hier ein Eingriff in die Mietgesetzgebung notwendig.

Wärme-Contracting

Viele Vermieter wurden dadurch veranlasst die Verbesserung des energetischen Standards in Form des nicht immer unproblematischen Wärme-Contracting durchzuführen. Dieser Lösungsansatz beschränkt sich allerdings nur auf die Anlagentechnik. Für Mieter ist dieses Verfahren meist mit Kostennachteilen verbunden, da der Contractor naturgemäß profitorientiert agiert.

Gesetzliche Auflagen

Die EnEV enthält zahlreiche Nachrüstpflichten, im Bundesland Baden-Württemberg wurde eine Pflicht für die Einführung thermischer Solaranlagen eingeführt. Hierbei besteht grundsätzlich immer die Gefahr, dass der Investor nur der Auflagenpflicht nachkommt statt eine optimale Lösung anzustreben, wenn im keine Amortisation ermöglicht wird. Es entsteht zusätzlicher Aufwand für Bürokratie zur Einhaltung und Überprüfung.

Mietspiegel

Mieten werden in Deutschland oft im Rahmen eines örtlich gültigen Mietspiegels erhoben. Wenn energetisch sanierte wie unsanierte Objekte für die Ermittlung der Miete gleich behandelt werden, sorgt dies sogar für eine Verschärfung des Nutzer-Investor-Dilemmas.

Die Grundidee besteht darin einen Zuschlag für die Wohnungen zu erheben, die einen bestimmten Standard erfüllen. Damit soll erreicht werden, dass Vermieter energetisch sanierter Immobilien dauerhaft einen Ausgleich erhalten.

Unproblematisch ist dieser Lösungsansatz nicht, da ein Mietspiegel kein politisches Instrument ist, sondern die Marktsituation "nach wissenschaftlichen Grundsätzen" widerspiegeln soll. Wenn sich nach Marktlage kein oder nur ein geringer Zuschlag ergibt bleibt das Nutzer-Investor-Dilemma bestehen.

Zuschlag für Einzelmaßnahmen

In Mietspiegeln finden sich derzeit Kriterien wie:

Erfüllt ein Gebäude diese Kriterien, darf ein Zuschlag erhoben werden. Vorteil dieser Methode ist, dass auch im Gebäudebestand der Eigentümer mit Einzelmaßnahmen honoriert bekommt, also auch preiswerte, aber anerkannt effiziente Technik zum Einsatz kommt im Vergleich zu einer aufwändigen Totalsanierung.

Zuschlag für das Erreichen von guten Energiebedarfs-/Energieverbrauchswerten

Der Energieausweis bietet erstmals die Möglichkeit Gebäude nach standardisierten Verfahren energetisch zu bewerten. Erreicht ein Gebäude einen rechnerischen Wert, der sich aus dem Energieverbrauch oder dem rechnerisch ermittelten Bedarf ergibt, darf der Vermieter einen Zuschlag erheben.

Bei alleiniger Berücksichtigung von Bedarfs-/Verbrauchswerten entsteht das Nutzer-Investor-Dilemma allerdings in neuer Form. Denn wenn der Aufwand zum Erreichen einer Mietspiegelrelevanz zu groß ist, unterbleiben sinnvolle Teilmaßnahmen eventuell ganz. Auch nach dem Erreichen eines Grenzwertes ist kein Anreiz mehr vorhanden, weitere Maßnahmen am Gebäudebestand auszuführen.

Problematisch beim Heranziehen des Primärenergiebedarfes ist, dass dieser nicht mehr mit der bezahlten Energiemenge korreliert. Beispielsweise erzielt eine Pelletsheizung einen wesentlich besseren Primärenergiebedarf, nicht aber unbedingt geringere Kosten. Der Zuschlag wird dann zum umweltpolitischen Instrument.

Beispiele

Seit Jahren ist in vielen Mietspiegeln für energiesparende Fenster ein Zuschlag möglich.

Der Mietspiegel 2003 in Darmstadt führte erstmals die gute wärmetechnische Beschaffenheit als Merkmal einer Wohnung ein. Es durfte ein Mietzuschlag von 0,37 Eur pro m² Wohnraum und Monat erhoben werden, wenn der Primärenergiebedarf des Gebäudes von 175 kWh/m²/Jahr unterschritten wurde [7].

Nach dem Darmstädter Mietspiegel 2008 sind folgende Zuschläge möglich: bei einem angepassten Primärenergiekennwert von unter 175 kWh/m2/Jahr dürfen 0,49 Eur/m2/Monat zusätzlich vom Mieter verlangt werden. Liegt der Kennwert unter 250 kWh/m2/Jahr ist ein Zuschlag von 0,37 Eur/m²/Monat möglich. Es sind nur noch Energiebedarfsausweise nach EnEV 2007 zulässig[8].


Die Stadt Bochum hat im Mietspiegel 2008 Zuschläge für Dämmung von 0,11 Eur/m²/Monat, Brennwerttechnik 0,17 Eur/m²/Monat und Energieverbrauch oder Energiebedarf von weniger als 100 kWh/m²/Jahr von 0,21 Eur/m²/Monat eingeführt. Diese Zuschläge zusammengenommen können immerhin bis zu 10% des Mietpreises in Bochum ausmachen. Zur Ermittlung der energetischen Kennwerte sind sowohl Bedarfs-, als auch Verbrauchsausweise zulässig[9].


Die Stadt Frankfurt am Main will in Zukunft laut Beschluss der Stadtverordneten im Jahr 2007 den Energieverbrauch bei der Bestimmung der Vergleichsmiete einbeziehen. [10] Der Zuschlag soll hier nur auf Grund des Energiebedarfes erhoben werden dürfen, was bedeutet, dass der wesentlich preiswertere gesetzliche Energieausweis auf Verbrauchsbasis hierfür nicht verwendet werden darf[11].

Einzelnachweise

  1. [1] Endbericht Ifeu-Institut, 2.12.2005
  2. [2] Stellungnahme zum EEWärmeG Prof. Klinksi FHW Berlin, 16. April 2008
  3. [3] Das CO2-Minimierungsprogramm... BUND, Mieterverein Hamburg e.V. u.a., 2. Juli 2007
  4. [4] Gutachten der Universität Jena zum Wärmecontracting im Auftrag des ZVEI, 2007, Dr. Beyer, Prof. Dr. M. Lippert
  5. [5] Energieeffizienz - eine neue Aufgabe für staatliche Regulierung? - ZEW, 2008
  6. [6] Prognosstudie - BMWI 2007
  7. [7] Mietspiegel Darmstadt 2003
  8. [8] Mietspiegel Darmstadt 2008
  9. [9] Mietspiegel Bochum 2008
  10. [10] Klimaschutzbericht der Stadt Frankfurt am Main
  11. [11] Pressemitteilung des VdW

Quellen

Wer soll das bezahlen? - Die Zeit 13. Septemper 2007[12]

Es gibt kein Nutzer-Investor-Dilemma - Pressemitteilung des DMB [13]

Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zum Nutzer-Investor-Dilemma [14]

Vortrag Fa. BMSC basierend auf IWU-Quellen [15]

Plenarprotokoll vom 29. Mai 2008: Mietrechtsänderungen zur Erleichterung klima- und umweltfreundlicher Sanierungen [16]