Midrasch

exegetische Schriften, Auslegung religiöser Texte im rabbinischen Judentum
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Midrasch (hebr. מדרשׁ, pl. Midraschim) ist die Auslegung religiöser Texte im rabbinischen Judentum.

Wortbedeutung

Das Wort „Midrasch“ leitet sich ab vom hebräischen Verb darasch (דרש), das „suchen, fragen“ bedeutet. Midrasch heißt also in erster Linie „Forschung, Studium“, dann auch „Auslegung“ und „Lehre“ (also "Theorie", im Unterschied zum "Tun", ma'ase). Unter Midrasch versteht man sowohl den Vorgang des Studierens als auch dessen Ergebnis, also Schriftwerke, die Bibelauslegungen enthalten. Der Midrasch bezieht sich immer auf einen autoritativen religiösen Text, in der Regel auf einen Text oder ein Ereignis des Tanach. Er kann in schriftlicher oder mündlicher Form vorliegen. Der darschan ist der Schriftausleger, der Prediger oder, davon abgeleitet, der Ermahner. Die Drascha ist, wie Midrasch selbst, eine Auslegung der Schrift oder Predigt. Schwierig ist die begriffliche Abgrenzung zum peschat, zur Erhebung des (einfachen?) Wortsinns. Das Gleiche gilt für das nicht klar abzugrenzende Verhältnis von Targum und Midrasch.

Die erste Erwähnung von bet midrasch, "Lehrhaus", findet sich in Sir 51,23.

Geschichte

Der Midrasch ist sicher zunächst eine mündliche Form der Schriftauslegung. Die ersten schriftlichen Beispiele finden sich jedoch bereits in der Bibel selbst. So können etwa die Bücher der Chronik als Midraschim (Mz. von Midrasch) zu den Büchern Samuel und Könige verstanden werden. Auch in der jüdischen Gemeinschaft von Qumran (um 130 v. Chr. bis 70 n. Chr.) gab es Midraschim (Pescher).

Die größte Bedeutung erlangte der Midrasch jedoch in der Zeit des rabbinischen Judentums ab dem Jahr 70 n. Chr. Aus dieser Zeit stammen die wesentlichen schriftlichen Belege. Dabei handelt es sich um eigenständige Textsammlungen, die neben den Werken der Mischna und des Talmud entstanden. Der Entstehungsort der Midraschim ist ganz überwiegend Palästina, das babylonische Judentum hat nur wenig zu dieser Gattung beigetragen.

Form

Es werden vor allem zwei Formen des Midrasch unterschieden. Eine klare Abgrenzung ist jedoch oft schwierig, so dass Mischformen anzutreffen sind:

Halachische Midraschim

Die Halacha ist die Auslegung gesetzlicher Vorschriften im Judentum. Dem entsprechend behandeln halachische Midraschim ausschließlich Texte der Tora, insbesondere die biblischen Bücher Exodus bis Deuteronomium. Folgende Werke aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. zählen zu den halachischen Midraschim (Auswahl):

  • Mekhilta de Rabbi Jischmael (Auslegungen zum Buch Exodus, Endredaktion nach 250, Erstdruck Konstantinopel 1515)
  • Sifra (Auslegungen zum Buch Leviticus, entstanden vermutlich nach 180)
  • Sifre Numeri (Auslegungen zum Buch Numeri, entstanden vermutlich nach 250)
  • Sifre Deuteronomium (Auslegungen zum Buch Deuteronomium)

Aggadische Midraschim

Nichtgesetzliche Auslegungen nennt das rabbinische Judentum Aggada (auch: Haggada). Aggadische Midraschim (dementsprechend: haggadische Midraschim) beschäftigen sich folglich mit den erzählerischen Teilen der Bibel und werden auch als homiletisch bezeichnet. Die wichtigsten Werke dieser Gattung sind:

  • Bereschit Rabba (Kommentar zum Buch Genesis, entstanden im 5. Jhdt., nicht zu verwechseln mit der mittelalterlichen Midrasch-Kompilation Bereschit Rabbati, die vermutlich aus dem 11. Jhdt. stammt)
  • Ekha Rabbati (Kommentar zum Buch Klagelieder, entstanden im 5. Jhdt., Endredaktion im 7. Jhdt.)
  • Wajjiqra Rabba (Kommentar zum Buch Leviticus, entstanden im 7. Jhdt., Erstdruck Konstantinopel 1512)
  • Pesiqta de Rab Kahana (Predigtsammlung zu verschiedenen Festtagen, die älteste Sammlung ihrer Art, Rabbi Kahahana lebte im 4. Jhdt. n.)
  • Pesiqta Rabbati (ebenfalls Predigtsammlung zu verschiedenen Festtagen, entstanden im 9. Jhdt., viele Teile wesentlich älter)

Ausgaben

  • E. E. Hallewy: Midrasch Rabba. 8 Bände. Tel Aviv 1956–1963.
  • Mose Arieh Mirkin: Midrasch Rabba. 11 Bände. Yavnah, Tel Aviv 1956–1967.

Übersetzung

  • Harry Freedman, Maurice Simon (Hrsg.): Midrash Rabba. Translated into English. 10 Bände. Soncino, London 1939.

Literatur

  • Jacob Neusner, Alan J. Avery-Peck (Hrsg.): Encyclopedia of Midrash. Brill, Leiden 2005, ISBN 90-04-14166-9.
  • Günter Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch. Beck, München 1992, ISBN 3-406-36695-3.

Siehe auch

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