Sexuelle Nötigung
Die sexuelle Nötigung ist eine Straftat, die sich gegen das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung richtet. Sie ist seit dem 6. Strafrechtsreformgesetz in § 177 Abs. 1 StGB geregelt und bildet gemeinsam mit der schweren sexuellen Nötigung (Abs. 2) und der Vergewaltigung (Abs. 3) einen Einheitstatbestand. Die sexuelle Nötigung ist wegen der Mindeststrafendrohung von einem Jahr Freiheitsstrafe ein Verbrechen.
Tatbestand des § 177
Der Tatbestand des § 177 lautet:
(1) Wer eine andere Person
1. mit Gewalt,
2. durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder
3. unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist,
nötigt, sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten an sich zu dulden oder an dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.
(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
1. der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder an sich von ihm vornehmen läßt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere, wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2. die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
1. eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2. sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3. das Opfer durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
1. bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2. das Opfer
a) bei der Tat körperlich schwer mißhandelt oder
b) durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 3 und 4 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
Anmerkung: Die Vergewaltigung (Abs. 2 Nr. 1 et passim) ist in der sexuellen Nötigung als Regelbeispiel aufgenommen worden.
Als sexuelle Nötigung wird daher bestraft, wenn der Täter unabhängig von seinem Geschlecht eine andere Person mit Gewalt oder mit der Drohung von Gefahr für Leib und Leben dazuzwingt, sexuelle Handlungen an dem Täter oder anderen vorzunehmen (nicht aber an sich selbst). Die Gewalt kann überwältigend (vis absoluta) oder beugend (vis compulsiva) sein. Die Intensität der Gewalt ist dabei unerheblich, sie darf sich jedoch nicht gegen Sachen richten. Wird dagegen dem Opfer gedroht, so muss sich die Drohung auf Gefahr für Leib und Leben auswirken, andernfalls besteht die Möglichkeit wegen einer Nötigung im besonders schweren Fall (§ 240 Abs. 4 StGB) zu bestrafen.
Der Begriff der sexuellen Handlung definiert der Gesetzgeber in unzureichnender Weise in § 184c StGB: Sexuelle Handlung sind solche, die nicht unerheblich sind. Wo sich die untere Schwelle befindet, ist umstritten. Jedoch wird man dies bei einem Zungenkuss verneinen dürfen, auch das "Begrapschen" scheidet aus. Es verbleibt dann aber möglicherweise die Strafbarkeit wegen Beleidigung nach § 185 StGB. Die obere Schwelle der sexuellen Nötigung zur Vergewaltigung liegt in der Penetration des Körpers. Dabei ist es unerheblich, ob das Eindringen mit einem Gegenstand, einem Körperteil oder einem männlichen Geschlechtsorgan erfolgt. Der Beischlaf oder das Eindringen gegen den Willen des Opfers ist stets eine Vergewaltigung.
Die Versuchsstrafbarkeit beginnt mit dem Ansetzen zur Gewalthandlung. Ein Rücktritt vom Versuch der sexuellen Nötigung nach § 24 StGB ist zwar möglich, hebt aber die vollendete Nötigung nicht auf.
Für das Opfer spielt das Geschlecht keine Rolle, ebensowenig das Alter. Hier muss jedoch differenziert werden: Ist das Opfer nicht in der Lage, einen eigenen Willen über die sexuelle Selbstbestimmung zu formen, so kann nicht nach § 177 StGB bestraft werden. Stattdessen muss auf den sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen oder Kindern (§§ 174, 174a-c, 176, 176a-c StGB) ausgewichen werden.
Literatur
- Heike Jung, Der Einheitstatbestand der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung, § 177 StGB, Baden-Baden 2001