Astor Piazzolla

argentinischer Bandoneon-Spieler und Komponist
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Astor Pantaleón Piazzolla (* 11. März 1921 in Mar del Plata; † 4. Juli 1992 in Buenos Aires) war ein argentinischer Musiker, Bandoneon-Spieler und Komponist. Er gilt als Begründer des Tango Nuevo, einer Gegenbewegung zum traditionellen Tango Argentino.

Leben

"Seit 1940 bis heute hatte ich die schrecklichsten Probleme, nur wegen einer Volksmusik namens Tango..."

Astor war das einzige Kind von Vicente "Nonino" Piazzolla und Asunta Mainetti. Er war vier Jahr alt, als seine Familie wegen der schlechten Wirtschaftslage in Argentinien in die USA auswanderte. Sie ließ sich in New York nieder, wo sich sein Vater in Greenwich Village einen Friseursalon einrichtete. Relativ früh wurde Astors Musikalität offensichtlich. Neben dem Klavier lernte er auch das Bandoneon spielen, allerdings mehr seinem Vater zuliebe. Ihm selbst war der Tango anfangs zuwider, er hatte viel mehr für Jazz übrig. In späteren Jahren sagte Piazzolla über die Tangomanie seines Vaters: Mein Vater hörte ständig Tango und dachte wehmütig an Buenos Aires zurück, an seine Familie, seine Freunde – seine Traurigkeit, sein Ärger und immer nur Tango, Tango.... Auch die Begegnung des Neunjährigen mit der Tangolegende Carlos Gardel bei den Dreharbeiten zu dem in den USA gedrehten Film El día en que me quieras (1930), in dem Astor bereits nach einjährigem Unterricht mit dem Bandoneon auftrat, blieb zunächst folgenlos, der Junge konnte weder dem Instrument noch der Tangomusik etwas abgewinnen.

1937 kehrte Piazzollas Familie nach Argentinien zurück und ließ sich in Buenos Aires nieder. Eine Aufführung des Tango-Ensembles von Elvino Vardaro wurde zu einem Schlüsselerlebnis für Astor, hier erlebte er erstmals eine neuartige Tango-Interpretation, die ihn begeisterte, worauf er sein Bandoneonspiel mit viel Übung perfektionierte. 1939 wurde er Mitglied des Orchesters von Anibal Troilo, für den er auch Stücke arrangierte. Eine Begegnung mit Arthur Rubinstein, dessen Klavierspiel Piazzolla sehr schätzte, bestärkte ihn indessen im Wunsch, einen akademischen Weg zu gehen. Ab 1940 nahm Piazzolla daher Kompositionsunterricht bei dem nur wenig älteren Alberto Ginastera, der bereits kurz nach Abschluss des Konservatoriums als musikalischer Hoffnungsträger der Nation galt und bereits mit seinen ersten Ballett- und Instrumentalwerken für Aufsehen sorgte. In dieser Periode schrieb Piazzolla vor allem Orchester- und Kammermusik, es entstand die Rapsodía porteña (1952), die preisgekrönte Sinfonie Buenos Aires (1953) und die Sinfonietta (1954), für die er mit dem nationalen Kritikerpreis geehrt wurde. Von seinen frühen Tangos aus den 40er Jahren hingegen distanzierte er sich in der Öffentlichkeit, da er als Komponist ernstgenommen werden wollte, was mit Tango zu jener Zeit unmöglich war. Zwar feierte eine harmlose und (Tanz-)salonfähige, sozusagen "entschärfte" Variante des Tango von Paris ausgehend in Europa längst Triumphe, doch in Argentinien hatte der Tango sehr lange einen denkbar schlechten Ruf, vor allem bei der Oberschicht. So meinte etwa der langjährige argentinische Botschafter in Paris, Enrique Larreta: "Der Tango ist in Buenos Aires ausschließlich ein Tanz schlecht beleumdeter Häuser und Tavernen der übelsten Art. Niemals tanzt man ihn in anständigen Salons oder unter feinen Leuten. Für argentinische Ohren erweckt die Musik des Tango wirklich unangenehme Vorstellungen."

Piazzolla erhielt ein Stipendium für Europa und bewarb sich in Paris bei Nadia Boulanger, bei der vor ihm bereits Aaron Copland und nach ihm unter anderen Philip Glass studierten. Beim ersten Vorspielen verschwieg er, dass er auch Tango gespielt hatte. Später erzählte er: In Wahrheit schämte ich mich, ihr zu sagen, daß ich Tangomusiker war, daß ich in Bordellen und Kabaretts von Buenos Aires gearbeitet hatte. Tangomusiker war ein schmutziges Word im Argentinien meiner Jugend. Es war die Unterwelt. Boulanger entdeckte beim Durchsehen der Partituren von Piazzolla Einflüsse von Ravel, Strawinsky, Bartók und Hindemith, auch waren sie eindeutig von hoher Qualität, jedoch vermisste sie eine individuelle Handschrift. Sie bat ihn daher, was nahe lag, einen Tango auf dem Klavier zu spielen. Anschließend meinte sie: "Du Idiot! Merkst Du nicht, daß dies der echte Piazzolla ist, nicht jener andere? Du kannst die gesamte andere Musik fortschmeißen!" Sie bestärkte ihn darin, auf dem Weg des Tango und des Bandoneons fortzufahren: "Dein Tango ist die neue Musik, und sie ist ehrlich." Piazzolla nahm den Rat an und belegte Dirigierkurse bei Hermann Scherchen.

Als er nach Argentinien zurückkehrte, hatte Piazzolla endlich seinen Stil gefunden. 1955 gründete er in Buenos Aires sein erstes eigenes Ensemble, mit dem er den Tango nuevo prägte. Anfänglich stießen seine Werke bei den Puristen auf Kritik und Ablehnung. Die erbitterten Anfeindungen orthodoxer Tango-Aficionados gingen so weit, dass Piazzolla und seine Familie sich zeitweise in Buenos Aires kaum mehr auf die Strasse wagen konnten. Doch Piazzolla arbeitete unbeirrt weiter und zeigte eine enorme Produktivität. Er komponierte, konzertierte und erstellte Arrangements seiner Werke für unterschiedlichste Besetzungen und gründete mehrere Formationen. Im Laufe seines Lebens schuf er über 300 Tangos, fast 50 Film-Soundtracks und rund 40 Schallplatteneinspielungen. Dabei arbeitete er mit Literaten wie Jorge Luis Borges und Horacio Ferrer, mit der Schauspielerin Jeanne Moreau, mit dem Regisseur Fernando Solanas und leitete Projekte, unter anderem mit dem Kronos-Quartett und mit Jazz-Musikern wie Gary Burton oder Gerry Mulligan. Außerdem schrieb er für Pina Bauschs Tanztheater die Musik zum Ballett Bandoneón.

Während der argentinischen Militärdiktatur von 1976 bis 1983 lebte Piazzolla in Italien, kehrte aber oft nach Argentinien zurück. Im August 1990 erlitt er in Paris einen Schlaganfall, der ein weiteres Schaffen unmöglich machte. Astor Piazzolla verstarb nach zweijährigem Leiden am 4. Juli 1992 in Buenos Aires.

Ein argentinisches Sprichwort sagt, dass sich alles ändert, nur nicht der Tango. Piazzolla aber hat diese traditionelle Musikform für neue Einflüsse geöffnet. Er erneuerte sie durch die Einarbeitung von Jazz-Elementen und die Verwendung von ungewöhnlichen Instrumenten und Harmonien, wobei er sowohl Elemente der Klassik als auch der argentinischen Folklore integrierte und mit Einflüssen aus der Neuen Musik wie der Zwölftonmusik experimentierte. Auch Anleihen aus Pop und Rock sind in einigen späteren Stücken erkennbar. Viele seiner musikalisch hochkomplexen Kunsttangos sind zwar kaum tanzbar, doch ihre Schönheit überzeugte schließlich auch die Traditionalisten. Heute wird Piazzolla auch in seiner Heimat Argentinien allgemein als zweitwichtigster Tangomusiker nach Carlos Gardel anerkannt, bei seinen Fans heißt er schlicht Der grosse Astor.

Diskografie (Auswahl)

Eigene Aufnahmen

  • Libertango
  • 1977 Persecuata
  • 1979 Biyuya, Tropical Music 68.943
  • 1986 Tango: Zero Hour, American Clavé / Intuition 1013 2
  • 1987 The Rough Dancer and the Cyclical Night (Tango apasionado), American Clavé / Intuition 1019 2
  • 1989 La Camorra, American Clavé / Intuition 1021 2
  • 1992 Luna, Hemisphere / EMI 7 243 8 35595 2 7
  • 1996 57 minutos con la realidad, (posthum) American Clavé / Intuition 30792

Aufnahmen von Werken Piazzollas mit anderen Interpreten

  • 1984 Diabelli Trio: Tango (Bearbeitung des Libertango für Flöte, Violine, Gitarre), Melos Musik, GSM 105
  • 1996 G-String Plays Piazzolla (Bearbeitungen für Streichquartett), Koch Schwann, 3-6423-2
  • 1996 Konzert für Bandoneon, Johannes Goritzki u. Deutsche Kammerakademie Neuss, 1996, Capriccio 10 565
  • 1996 Las Músicas de Astor Piazzolla – The Spirit of Buenos Aires (Libertango, Histoire du Tango u.a.), Roberto Aussel u.a. (Gitarre, Flöte, Bandoneon, Kontrabaß, Piano, Perkussion), Mandala 4903
  • 1996 Tres movimientos tanguísticos porteños, Konzert für Bandoneon, Josep Pons und Orquestra de Cambra Teatre Lliure, Harmonia Mundi France HMC 901595
  • 1996 Hommage à Piazzolla, Gidon Kremer u.a. (Violine, Bandoneon, Klavier, Kontrabaß), Nonesuch / East West 7559-79407-2
  • Mi Buenos Aires querido, Daniel Barenboim u.a. (Bandoneon, Kontrabaß, Klavier)
  • 1997 El Tango, Gidon Kremer & The Astor Quartett, Nonesuch / East West 7559-79462-2
  • 1997 Astor Piazzolla, Dominique Lumet u.a. (Violoncello, Flöte, Klavier), Mandala 4916
  • 1997 Metropole, Artango, Virgin Classics / EMI 74354 529627
  • 1997 Soul of the Tango, Yo Yo Ma, Sony SK 63122
  • 1997 María de Buenos Aires, Vittorio Antonellini, I Solisti Aquilani u.a., Dynamic, CDS 185/1-2
  • 1998 María de Buenos Aires, Gidon Kremer u.a., Teldec / East West 3984-20632-2
  • 1998 Astor Piazzolla’s Best Tangos, Dana Protopopescu (Piano), Koch Schwann DICD 920139
  • 1998 Astor Piazzolla, Mario Marzi u. Paolo Zannini (Saxophon, Klavier), Agorá 141