Ein in den neugewonnenen Erkenntnissen der Medizin und Hygiene begründetes Bevölkerungswachstum in bisher unbekannter Höhe und die stürmisch einsetzende Industrialisierung leiten in Deutschland ab etwa 1850 eine Epoche extremen Städtewachstums ein. Hatten vor der industriellen Revolution die meisten Fabrikationsstätten ihren an die Wasserkraft gebundenen Standort außerhalb der Stadt, konzentrieren diese sich nun im Zusammenhang mit Dampfmaschine und Eisenbahn immer mehr in den Städten.
Der Industrie folgt das Handel-, Banken- und Versicherungswesen in die Großstädte. Gleichzeitig ändert sich auch die Sozialstruktur der Stadt. Die gesellschaftlichen Klassen der Unternehmer und Arbeiter konstitutionieren sich, ebenso der sogenannte "neue Mittelstand" mit Beamten und Angestellten.
Auf die quantitative Zunahme der Stadtbevölkerung und die gesellschaftlichen Umstrukturierungsprozesse war man weder rechtlich noch wissenschaftlich vorbereitet.
"Falsch verstandener Liberalismus und Baupolizeiordnungen, die eine größtmögliche Grundstücksausnutzung zulassen, prägen oft die Gestalt der gründerzeitlichen Stadt" (Borchard 1976a).
Anfänge eines Planungsrechtes entstehen erst 1868 mit dem Badischen bzw. 1875 mit dem Preußischen
Fluchtliniengesetz, die vor allem dem Vermessungsingenieur die Aufgabe der Stadtplanung zuweisen.
Als erste grundlegende städtebauliche Zusammenfassung erscheint 1876 das Werk von Reinhard Baumeister (Karlsruhe 1833-1907) "Stadterweiterungen in technischer, baupolizeilicher und wirtschaftlicher Beziehung", dem im Jahre 1890 das "Handbuch des Städtebaus" von Joseph Stübben folgt.
Erst mit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts wird somit der Grundstein des neueren Städtebaus in Deutschland gelegt.