Erziehung

pädagogische Einflußnahme auf die Entwicklung und das Verhalten Heranwachsender
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Unter dem Begriff Erziehung versteht man:

  1. Die mehr oder weniger zielgerichtete Etablierung von Verhaltensweisen, Werten und Normen insbesondere bei Kindern und Jugendlichen und damit verbunden auch das Setzen von Grenzen. Ziel der Erziehung ist es ihnen ihren Platz in ihrer Sozialen Gruppe (zum Beispiel die Familie) zuzuweisen und später, um sie an das Leben und Überleben in der Gesellschaft anzupassen ("fit for life"). Entscheidend ist, dass die Erziehung immer nur im sozialen Kontext, also durch andere Individuen - stattfinden kann, und anders als Bildung ausschließlich für die Orientierung im sozialen Umfeld nützlich ist. Dennoch ist eine scharfe Abgrenzung zwischen Bildung und Erziehung nicht immer möglich und sinnvoll. Oftmals werden Bildungsinhalte in einen gesellschaftlichen Kontext gerückt, so dass diese wiederum zunächst zur Erziehung werden (z.B. Hände waschen nach der Toilette). In vielen Sprachen gibt es deshalb auch nur ein Wort für beide Begriffe, z.B. das englische "education".
  2. Die eigene Erziehung, also die Verhaltensweisen, Werte und Normen, die uns Eltern, Verwandte, Schule und andere pädagogische Einrichtungen als Prägung auf den Weg ins Erwachsenenleben mitgegeben haben.
  3. Die Ausbildung von speziellen Fähigkeiten, wenn sie als Suffix auftaucht, z.B. in Musikerziehung, Sporterziehung, Verkehrserziehung.


Nähere Erläuterung

Im Folgenden sind Methoden und Bedingungen von Erziehung unter modernen erziehungswissenschaftlichen Gesichtspunkten dargestellt.

In der Pädagogik versteht man unter Erziehung das absichtliche (also nicht im Affekt getätigte) Bereitstellen oder Ausnutzen von Lernmöglichkeiten. Dabei geht man bewusst, planvoll, methodisch und zielgerichtet vor und kann dieses Vorgehen auch verantworten. Das heißt, der Erziehende macht sich vorher darüber Gedanken, was er erreichen möchte. Er überlegt sich die Erziehungsziele, die dazu passenden Methoden die Ziele zu realisieren und kann auch begründen, warum dieses Vorgehen nötig ist.

Dieser Vorgang geschieht grundsätzlich in personaler Interaktion. Das heißt, der Erzieher reagiert auf ein Verhalten des Zu-Erziehenden (früher auch: "Zögling") und/oder umgekehrt. Die dabei entstehende Wechselwirkung (keine Manipulation) zwischen Erzieher und Zu-Erziehendem unterscheiden die Erziehung von der bloßen Konditionierung.

Voraussetzung für Erziehung ist ein Vertrauensverhältnis sowie die Eingebundheit in die jeweilige Peer group. Ohne diese Voraussetzungen ist der Jugendliche auf sich allein gestellt, und kann bei ungünstigen Voraussetzungen in eine soziale Abwärtsspirale geraten, die ihn, je nach Veranlagung bis in die Kriminialität oder die Psychiatrie führen kann.

In einer alternativen, von Wolfgang Brezinka präferierten Definition werden unter Erziehung Handlungen verstanden, mit deren Hilfe versucht wird, andere Menschen dahin gehend zu beeinflussen, dass ihr Gefüge der psychischen Dispositionen in irgendeiner Hinsicht dauerhaft verbessert wird, oder seine als wertvoll beurteilten Bestandteile zu erhalten. Andererseits soll auf diese Weise die als schlecht bewertete Entstehung von Dispositionen verhütet werden.

Erziehungsstile

Des Weiteren wird zwischen verschiedenen Erziehungsstilen unterschieden. Unter einem Erziehungsstil versteht man die Methoden und die Grundsätze, sowie den theoretischen Hintergrund, nach denen man eine Erziehung (meist die Kindererziehung) aufbaut. Die Beschreibung verschiedener Erziehungsstile besteht in der Übertragung von Führungsstilen auf das Verhalten in Erziehungsprozessen. Analog werden auch hier drei Hauptstile (kursiv geschrieben) unterschieden, wobei noch zwischen weiteren vier unterschieden wird.

  1. Autokratischer Erziehungsstil: Bei dem autokratischen Erziehungsstil wird gegenüber dem Educandus (= zu Erziehender) ein hohes Maß an Autorität ausgeübt. Eine mögliche Eigeninitiative und die Meinung des zu Erziehenden wird unterdrückt bzw. nicht berücksichtigt.
  2. Autoritärer Erziehungsstil: Der autoritäre Stil, der mit einem interventionalen Erziehungsbegriff einhergeht, setzt auf die Erziehungsmittel Belohnung und Bestrafung, Erziehungsmaßnahmen sind hierbei eher undurchsichtig und erwartungsgemäß kaum durch demokratische Meinungsbildungsprozesse legitimiert. Die Meinung des zu Erziehenden wird zwar akzeptiert, zum Schluss bestimmen jedoch der Educans (= Erzieher).
  3. Demokratischer Erziehungsstil: Ein demokratischer Erziehungsstil lässt sich mit dem reformpädagogischen Erziehungsbegriff verbinden; hier spielt Konsens beim Einsatz von Erziehungsmaßnahmen eine größere Rolle. Erziehungshandeln soll für alle Beteiligten transparent sein. Der zu Erziehende wird als ernster Gesprächspartner betrachtet. Mit steigendem Alter soll der zu Erziehende selbstständiger und eigenverantwortlicher handeln.
  4. Egalitärer Erziehungsstil: Innerhalb des egalitären Erziehungsstils haben Erzieher und zu Erziehender die selben Rechte und Pflichten. Die Meinung des zu Erziehenden wird nicht nur eingeholt und berücksichtigt, sondern besitzt das gleiche Gewicht wie die des Erziehenden.
  5. Permissiver Erziehungsstil: Der permissive Erziehungsstil ist eine gemäßigte Form des laissez-faire Erziehungsstils. Der Erziehende hält sich bei der Erziehung eher zurück.
  6. Laissez-fairer Erziehungsstil: Der laissez-faire Erziehungsstil korrespondiert mit dem antipädagogischen Erziehungsbegriff. Erziehung wird hier als eine nicht legitime Maßnahme gegenüber Kindern aufgefasst und dementsprechend unterbleiben zielgerichtete Erziehungsmaßnahmen.
  7. Negierender Erziehungsstil: Bei dem negierenden Erziehungsstil wird das Verhalten des zu Erziehenden von dem Erzieher nicht beeinflusst. Es bestehen keine Erziehungsmaßnahmen und es besteht kein Interesse gegenüber der Entwicklung des zu Erziehenden.

In der Praxis ist die Unterscheidung eines Erziehungsstils und der damit verbundenen Erziehungsmethoden nicht eindeutig, da zum einen nicht immer eine klare Trennung der Erziehungsstile möglich ist, zum anderen, weil häufig Mischformen auftreten. So kann es zum Beispiel sein, dass Erzieher die überwiegend demokratisch erziehen in einigen Bereichen autoritäre Methoden anwenden.

Kritik traditioneller Erziehung / Anti-Erziehung

Die Kritik der Erziehung wendet sich insbesondere gegen nicht kindgerechte Methoden von Erziehung. Der Begriff des unbedingten Gehorsams stößt nach den Erfahrungen des Hitlerdeutschlands auf vehemente Ablehnung und markiert ein Ende preussischer Erziehungsideale.

Die aus der Auseinandersetzung mit der Nazizeit und dem Protest gegen den Vietnamkrieg entstandene Protestbewegung der 68er-Generation führte in ihrem Verlauf auch zur antiautoritären Erziehung, einer Strömung, die radikal jegliche [Autorität|autoritären] Methoden in der Erziehung ablehnte.

Die neuere Kritik stellt die Notwendigkeit von Grenzen dagegen nicht in Frage, verurteilt aber umso schärfer Übergriffe gegen Kinder und Jugendliche - ein Trend, der sich seit 1970 durch die Enttabuisierung der Kindesmisshandlung zeigt und im Jahr 2000 darin gipfelte, dass Schlagen von Kindern gesetzlich verboten ist.

Als tieferer Hintergrund wird angenommen, dass am Verhalten der schwächsten Mitglieder der Gesellschaft eine bislang unbeachtete Frontlinie verläuft, an der sich persönlicher und gesellschaftlicher Druck entlädt. Demzufolge sind alle Verhaltensweisen zu verurteilen, die auf subtilem Wege das systematische Auslöschen des kindlichen Willens verfolgen. Dieses im 18. bis 19. Jh. noch ganz offen verfolgte Ziel wird heute als schwarze Pädagogik gebrandmarkt.

  • BV-Päd. Berufsverband der Erziehungswissenschaftlerinnen und Erziehungswissenschaftler e.V., BV.Päd., in Dortmund.

Siehe auch

Portal Pädagogik, Geschichte der Pädagogik, Sozialpädagogik, Bildung, Schule, Internat, Kindergarten, Jugendarbeit, Hilfe zur Erziehung, Antipädagogik, UNESCO, UNICEF, Sicherheitserziehung für Kinder, Verwöhn-Verwahrlosung