Die Sankt-Martin-Kirche in Memmingen ist eine der ältesten Kirchen der Region. Heute ist sie Sitz des evangelisch-lutherischen Dekanats Memmingen und eine der vier evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden der Stadt. Hier trat im 18. Jahrhundert die letzte verurteilte Hexe Deutschlands (Anna Schwegelin) zum evangelischen Glauben über. Nach Vollendung war und ist sie die größte Stadtkirche zwischen Bodensee und Lech und die zweitgrößte Ziegelbasilika in bayerisch Schwaben.
Lage
Die Kirche liegt zentral in der alten Welfenstadt an der Anhebung des Memminger Aachstal. Sie bildet durch ihre Bauweise einen starken städtebaulichen Aspekt.
Baugeschichte
Bereits im 2. Jahrhundert nach Christi sind an diesem Platz Siedlungsspuren nachzuweisen. Bei Grabungen 1912 wurden unter der Kirche römische Reste eines Burgus entdeckt. Der erste Kirchenbau kann an dieser Stelle nicht mehr genau datiert werden. Forscher gehen davon aus, dass der erste Kirchenbau um das Jahr 800 in Angriff genommen wurde. Ob St. Martin oder aber die Frauenkirche in der Südstadt Königshofkirche war, bleibt weiterhin ungeklärt. Die bis dahin welfische Kirche wird 1178/1179 staufisch. Im Jahre 1214 übergab Friedrich II. das Patronat an die Antoniter, welche in Memmingen ebenfalls eine Niederlassung gründeten (die erste auf deutschem Boden). Die Kirche wurde in den nächsten Jahren nach und nach zur Stadtpfarrkirche, was durch das Wachstum und den Reichtum der Stadt beschleunigt wurde. Ende des 14. Jahrhunderts entstand der Chor und der Turm.
Welfenbasilika
Im 10. Jahrhundert ging der Ort Memmingen an die Welfen. Dadurch muss St. Martin welfische Eigenkirche geworden sein. Es ist davon auszugehen, dass hierdurch starke Bautätigkeiten eingesetzt haben. Zur nachvollziehung der Baugeschichte aus dieser Zeit können lediglich chronalische Nachrichten herangezogen werden. Danach soll St. Martin 926 erbaut, die erste Erweiterung 1077 geschehen und die erste Umgestaltung 1176 vollzogen worden sein. Belegbar anhand von Funden ist allerdings keines der Daten. Lediglich die Umgestaltung von 1176 passt gut in die Stadtentwicklungsgeschichte, so dass von deren Richtigkeit ausgegangen werden kann. Aufgrund verschiedener Unregelmäßigkeiten innerhalb des heutigen Baukörpers muß hier auf eine frühere Bebauung Rücksicht genommen worden sein. So ist das östliche Bogenjoch um 1,20 Meter breiter als die anderen, das sechste differiert um 80 Zentimeter mit der üblichen Bogenspannweite. Mit dem gotischen Arkadenrhythmus steht das Süd-Ost-Portal nicht im Einklang. So wird der Blick beim eintreten auf einen Pfeiler gelenkt. Vermutlich wurde hier ein gotisches Vorzeichen an den romanischen Baukörper angefügt. Die Forschungen gehen anhand solcher Daten davon aus, dass der Vorgängerbau eine Basilika mit westlichem Turmpaar war. Das Querschiff hätte im ersten Joch seinen Standort gehabt, wohingehend die Türme im sechsten Joch zu Suchen sein müssten. Zwischen den Türmen und dem Querschiff hätten damaligen Größenverhältnissen sechs romanischen Jochen Platz geboten. Diese gedachte Basilika würde eng mit anderen Welfischen Bauten zusammenpassen.
Ausbau zur gotischen Basilika
Um 1325 war die Kirche für die starkt angewachsene Zahl von Bürgern der Stadt zu klein, so dass erste Erweiterungen eingeleitet wurden. Der Turm sowie ein Chor wurden angebaut. Von diesem hochgotischen Bauwerk hat sich ein Strebepfeiler und ein Fenstermaßwerk im nördlichen Chor erhalten. Das Datum kann anhand eines noch erhaltenen Freskofragmentes an der Mauer des untersten Turmstockwerkes hergeleitet werden. Im Anschluß an diese Baumaßnahme müssen die ersten Pfeilerpaare des Langhauses sowie der nördlichen Arkadenreihe mit dem stärker dimensionierten darüber aufragenden Mauerfeld erbaut worden sein. Um 1345 kommen die Baumaßnahmen ins stocken. Ob dies mit der politischen Unruhe oder aber mit der Pestepedemie 1349 zusammenhängt kann heute nicht mehr geklärt werden. Erst in der Mitte der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts können neue Bauspuren entdeckt werden. Der unbekannte Baumeister muß eine hohe Ausbildung in der gotischen Architektur gehabt haben, da die schwerfällige Bauweise der ersten Strebepfeiler ab dem zweiten Joch in einen hochgotischen Baustil verändert wurde. Ein Wechsel des Baumeisters muß mit Baubeginn des vierten Joches vonstatten gegangen sein. Ab hier ändert sich die Bauweise in eine schlichte Konsolenbauweise. Nachdem das fünfte Joch vollendet war, muß eine längere Pause in den Bauarbeiten eingetreten sein. Forscher gehen heute davon aus, dass hier das Westwerk der Welfenbasilika stand und damit eine vorläufige Fertigsstellung der Basilika erreicht wurde.
Ab 1404/1405 wurde mit dem Ausbau des sechsten Joches begonnen. Allerdings kommen die städtischen Werkleute damit nicht zurecht, worauf sich der Rat der Stadt nach München wendet. Ab 1405 konnte Conrad von Amberg für den Ausbau verpflichtet werden. Vermutlich machte das alte Westwerk den Ausbau äußerst schwierig, da dieser teilweise als Tragwerk für die Arkaden diente und nun teilweise abgebrochen und teilweise integriert werden musste. Das sechste Joch musste um 80 Zentimeter breiter werden als die bis dato vollendeten. Auch führte er die Mittelschiffswände zur endgütigen Höhe empor. Bis 1409/1410 vollendete Conrad vom Amberg die Kirche zur sechsjochigen Basilika. 1407 wurde bereits das Dachwerk aufgeschlagen. Es zählt damit zu einem der frühesten Beispiele des liegenden Stuhles im deutschen Sprachraum. Damit war es möglich, das erste Dachgeschoß mit ins Mittelschiff einzubeziehen. Man geht davon aus, dass auch erst Meister Conrad das vierte Turmgeschoß mit dem hohem Spitzhelm gebaut hat. Ähnliche Beispiele für diese gotische Kirchturmbedeckung finden sich heute noch in Woringen.
In den nachfolgenden Jahren ist vor allem im Innenausbau viel geschehen. Die östlichen Vorzeichen entstehen 1438. Die im Jahr 1458 in Angriff genommene Einwölbung der Seitenschiffe war nur durch massive Spenden der Familien Besserer und Wespach möglich. Die Funk-Kapelle machte den Anfang einer reihe Kapellenstiftungen in der Basilika. So kamen 1476 die Vöhlin-Kapelle und 1482 die Zwicker-Kapelle hinzu. 1489–1491 konnte durch den Abbruch zweier Häuser in der Zangmeisterstraße das Langhaus um zwei Joche erweitert werden. Da die Memminger Baumeister mit dieser heiklen Aufgabe überfordert scheinen, konnte der Rat der Stadt den Ulmer Baumeister Matthäus Böblinger gewinnen. Von 1496 bis 1500 wurde der Chor neu gebaut und damit wurde die größte Stadtpfarrkirche zwischen Bodensee und Lech vollendet.
Pfarrkirche und Reformation
Unter dem Schweizer Prediger Christoph Schappeler entwickelt sich in Memmingen ab 1524 die Reformation. Er hatte eine gut dotierte Predigerstelle der Vöhlin-Kapelle in St. Martin inne. In diesem Jahr spendete er auch erstmals in deutscher Sprache die Taufe. Zusammen mit Lindau, Konstanz und Straßburg legte die zunächst zwinglianisch orientierte Stadt auf dem Augsburger Reichstag 1530 ein Sonderbekenntnis vor, das Confessio Tetrapolitana (Vierstädtebekenntnis).
Zum größten Verlust der Einrichtung von St. Martin führte ein Stadtratsbeschluss aus dem Jahr 1531. der besagte, dass sämtliche kirchlichen Kultgegenstände aus den Kirchen der Stadt verschwinden mussten. Allein St. Martin verlor dadurch 21 Seitenaltäre und den spätgotischen Hochaltar im Chorraum. Nur das Chorgestühl verblieb von der Einrichtung des Hochchores.
Zur lutherischen Lehre bekannte sich die Stadt im Jahr 1532 durch die Erklärung der Augsburger Konfession. Entgültig wurde Memmingen und damit auch St. Martin 1536 durch die Annahme der Wittenberger Konkordie der lutherischen Lehre verpflichtet.
Turm
Der Turm ist viergeschossig und bleibt bis zum Altanenkranz unverjüngt. Von dort setzt sich ein achteckiger Ziegelaufbau fort. Seinen Abschluß findet der Turm in einer welschen Haube.
Baugeschichte
Von den Vorgängertürmen der Welfenbasilika ist nichts mehr erhalten. Um 1300 wurde an der heutigen Stelle ein Turm nachgewiesen. Der heutige Turm wurde im untersten Geschoß um 1325 erbaut. Die nächsten Stockwerke kamen um 1405 hinzu. Der Turm fand damals in einer hohen Spitzhelm seinen Abschluß, welche durch einen Blitzeinschlag im Jahr 1535 zerstört wurde. Am 15. September 1537 wurde der heutige Achteckbau auf den Turmstumpf aufgesetzt. Ein hölzerner Erker wurde über dem Ziffernblatt der Turmuhr 1573 angebaut. Der Zimmermeister Jacob Britzel und der Kupferschmied Bartholomäus Seybrand errichteten über dem Helm eine Kupferhaube in welscher Manier. 1872 wird die welsche Haube mit Schiefer gedeckt, welcher 1927 wieder entfernt wurde.
Turmuhr
Im Jahre 1524, also ein Jahr vor den Bauernkriegen, wurde die erste Räderuhr in Betrieb genommen. Das erste Ziffernblatt gestaltete Bernhard Strigel, einer der herausragensten Künstler der Stadt Memmingen. 1537, bei der Umgestaltung des Turms, wurde diese Malerei durch Ursus Werlin überarbeitet. Es folgten in den Jahren 1688 und 1819 weitere Übermalungen. 1853 wurde die Malerei mit Putz bedeckt und das Ziffernblatt durch eine Scheibe aus Eisenblech ersetzt.
1906 wurde die Umrahmung freigelegt, 1927 erfolgte die komplette Erneuerung der Malerei. Diese musste 1966 erneuert werden. Die heutige Malerei zeigt die erstmals bildlich festgehaltene Darstellung (1697) des Jahres 1688. Das Ziffernblatt wird von zwei Memminger Stadtwappen oben links flankiert. Zwei Löwen halten eine Kartusche aus dem kaiserlichen Doppeladler sowei den Kopf eines Königs als obersten Herrn der freien Reichsstadt. Der darauf abgebildete Königskopf wurde allerdings seitens der Bevölkerung nicht als solcher erkannt, sondern wird als Haupt der Heiligen Hildegard angesehen. Dadurch wurde diese Malerei auch eines der sieben Memminger Wahrzeichen. Ein Spruchband zieht sich über die Löwenköpfe. Auf diesem steht der reichsstädtische Wahlspruch: DOMINE HUMILIA RESPICE (Herr, siehe das Niedrige an. Psalm 138,6).
Glocken
Die Kirche besitzt insgesamt 8 Glocken. Die großen Glocken sind an einem Holzgerüst, welches einen Turm im Turm darstellt, aufgehängt.
- Osannaglocke: Die Osannaglocke befindet sich im inneren des Turmes. Sie wurde 1460 von dem St. Gallener Mieser Ulrich Snabelburg II. gegossen und besitzt ein Gewicht von 77 Zentner.
- Elfuhrglocke: Die Elfuhrglocke befindet sich im inneren des Turmes. Sie wurde 1428 von der Memminger Gießhütte des Conrad Bodenwaltz gegossen und besitzt ein Gewicht von 33 Zentner.
- Marienglocke: Die Marienglocke befindet sich im inneren des Turmes und wird umgangssprachlich Roßschwanz genannt. Sie wurde von Martin Kisling und Hans Folmer II. aus der Biberacher Hütte gegossen.
- Zwölfuhrglocke: Die Zwölfuhrglocke hängt im inneren des Turmes und wurde 1954 gegossen.
- Stundenschlagglocke: Die Stundenschlagglocke befindet sich in einem kleinen Erker oberhalb des Turmuhrziffernblattes. Sie wurde 1573 gegossen und ging bei der Beschießung der Stadt durch die Kaiserlichen im 30. jährigen Krieg 1632 zu Bruch. Leonhard Ernst II. goß 1644 diese neu.
- Stadtfeuerglocke: Die Stadtfeuerglocke hängt über der Türmerstube im freien und wurde 1728 von Johann Melchior Ernst gegossen.
- Viertelstundengloocke: Die Viertelstundenglocke wurde 1990 als ersatz für die 1986 vom Baugerüst gestohlene Armsünderglocke gegossen. Sie hängt über einem Fenster der Türmerstube. Nachdem die Armsünderglocke in jüngerer Zeit immer die Viertelstunde angezeigt hatte, war diese in früherer Zeit die Begleitglocke der zum Tode verurteilten. Sie begleitete diese mit ihrem schrillen Klang bis zum Richtplatz. In ihr war Hilf Maria eingraviert. Sie war die älteste noch erhaltene Glocke der Stadt. Sie ist bis heute verschollen.
- Landfeuerglocke: Die Landfeuerglocke ist in dem kleinen Dachreiter über dem Südostbalkon angebracht. Sie wurde 1966 gegossen.
Kirchenschiffe
Die Basilika ist dreischiffig. Sie besitzt ein Mittelschiff (auch Hauptschiff genannt), sowie ein Nord- und ein Südschiff.
Mittelschiff
Der einzige direkte Zugang zum Hauptschiff ist das sogenannt Brauttor an der Westseite. Weitere Zugänge befinden sich im Nord- und Südschiff. Die Wände über den acht Jochen sind schlicht gehalten. Der Baustil entspricht eher dem der Romanik. Bekrönt wurde es früher von einer flachen Holzdecke. Im Zuge des aufkommenden Historismus im 19. Jahrhundert wurde 1845 die Deckenhöhe um 3,80 Meter reduziert und ein Scheingewölbe im gotischen Stil eingezogen. Diese wurde an den Hängebalken des Dachstuls mit Eisenstäben befestigt. Für Licht im Mittelschiff sorgen Oberlichter. Forscher gehen heute davon aus, dass die Spolien für einige Pfeiler aus einer anderen, abgebrochenen Kirche stammen. Zeitlich könnte hier der Vorgängerbau des Ulmer Münsters passen. Durch die Natursteinarmut in Oberschwaben, konnte nur Ziegel verwendet werden, was einer Hochgotik im Wege stand.
Nordschiff
In das Nordschiff gelangt man über zwei Eingänge auf der Zangmeisterstraße, welche auch den größeren Ausbau der Nordschiffkapellen im Wege stand. Diese zeigen sich als kleine Spitzbogennischen zwischen den Strebepfeilern. Lediglich die Bruderschafts-Kapelle von 1501 weicht mit einem Rundbogen davon ab. Bekörönt wird es von einem gotischen Kreuzrippengewölbe, welches nicht bemalt ist.
Südschiff
Das Südschiff besitzt zwei Eingänge über Eingangshallen. Daneben finden sich mehrere größere Kapellen, sowie einem östlichen und einem westlichen Vorzeichen im Südschiff. Bekrönt wird es von einem gotischen Kreuzrippengewölbe.
Kunstwerke in der Kathedrale
In der Kirche wurden bis zum 19. Jahrhundert viele Kunstwerke geschaffen.
Ausschmückungen
Vermutlich Caspar Sichelbein schmückte die Kirche 1587 mit ornamentalen Malereien aus, welchen ein Jahr später die Malereien Passionszyklus und ein Jüngstes Gericht folgten. In der Barockzeit verschwanden die Gewölberippen aus den Seitenschiffen und die Maßwerke aus den Kapellenfenstern. Das Innere wurde weiß getüncht, wodurch wieder einmal in St. Martin sehr viel an den Malereien von Sichelbein zerstört wurde. Auch die Zangmeisterkapelle mit den Fresken Strigels besitzt einen vielbeachteten Innenschmuck. Anfang des 18. Jahrhunderts folgten weitere Ölgemälde.
1845 wurden die letzten Zerstörungen des Kirchenschmuckes vorgenommen. Durch eine historisierende Stilbereinigung wurde ein Scheingewölbe aus gipsverkleideten Latten eingearbeitet, welches die ursprüngliche Schiffshöhe um 3,5 Meter reduzierte.
Chorgestühl
In St. Martin entstand zwischen 1501 und 1507 eines der großartigsten und ausdruckstärksten Chorgestühle im süddeutschen Raum. Es ist neben dem Chorgestühl im Ulmer Münster von Jörg Syrlin dem Älteren die bedeutendste spätgotische Arbeit in Deutschland. Das Chorgestühl ist bis heute noch in gottesdienstlichem Gebrauch.
Die Reichstadt Memmingen befand sich damals auf dem Höhepunkt ihrer Geschichte – ein wirtschaftliches, politisches und kulturelles Erfolgsmodell. Dieser Erfolg zeigte sich gerade auch in einer regen Bautätigkeit. In der Hauptpfarrkirche St. Martin waren die letzten Jahre des 15. Jahrhunderts geprägt von der Erweiterung des Kirchenraumes, seiner Ausstattung mit Kapellen und Altären und schließlich ab 1496 der Errichtung eines neuen Hochchores, welcher ein tuffsteinernes Äußeres besitzt.
Im Inneren des Chorraumes bietet das Sternnetzgewölbe ein filigranes Dach von erlesener Schönheit und einen würdigen Rahmen für das prachtvolle Chorgestühl. Den Auftrag hierzu erteilten im September 1501 die beiden Kirchenpfleger von St. Martin. Bis 1507 schufen die Meister Hans Stark (Schreiner) und Hans Herlin (Bildhauer) ein aus Eichenholz geschnitztes Gestühl mit insgesamt 63 Sitzen. An einigen Skulpturen dieses Chorgestühls lassen sich auch zwei von Herlins Gesellen näher bestimmen: Hans Thoman und Christoph Scheller. Beide brachten es später als Meister zu eigener künstlerischer Größe.
Unterbrochen von zwei Portalen finden wir im Memminger Chorgestühl 66 Plastiken [1], aufgeteilt in zwei Zyklen: Der theologische Zyklus zeigt unter den Baldachinen Sybillen und Propheten des Alten Testaments. Sie zeugen vom Kommen des Messias in Christus. An den vorderen Stuhlwangen sind Personen aus der Memminger Geschichte zu sehen. Die ausdrucksstarken Portraits der Bürgerinnen und Bürger, Geistlichen und Kirchendiener faszinieren seit jeher auswärtige und einheimische Betrachter. Eine genaue Zuordnung bestimmter Personen ist allerdings nicht immer möglich. Nur die Gegenstände, welche die großen Plastiken in den Händen halten, ergeben eine halbwegs sichere Zuordnung. So sind zum Beispiel der Bürgermeister und seine Frau oder aber der Amman und dessen Frau näher bestimmbar. Der Abt des Antonierklosters, für den bisher immer eine Figur gehalten wurde, kann mit großer Wahrscheinlichkeit allerdings nicht als solcher indentifiziert werden. Allerdings müssen die abgebildeten Personen in Memmingen so bekannt gewesen sein, dass eine nähere Erläuterung nicht notwendig schien. Auch kann von einer Plastik relativ sicher davon ausgegangen werden, dass sie den Kaiser Maximilian I. darstellt, da sich dieser gerade zur Entstehungszeit des Chorgestühls oft in Memmingen aufgehalten und die Stadt seine Ruh- und Schlafzell genannt hat. Auch weil der Antonierklosterprezäptor sein Hauskaplan war, scheint diese Annahme der Wahrheit äußerst nahe zu kommen.
Aber auch die zahlreichen Intarsien an den Rückwänden und die kalligraphische Vielfalt der Schriftfelder, gestaltet von der Werkstatt Bernhard Strigels verdienen Beachtung, die so in keinem zweiten Chorgestühl dieser Zeit vorkommen. Gerade aus diesem Hintergrund heraus ist es erstaunlich, dass bisher kaum eine wissenschaftliche Arbeit zu den Intarsien existiert. Früher wurde angenommen, die Intarsien seien erst nachträglich am Chorgestühl angebracht worden. Aufgrund verschiedener Kleinigkeiten kann heute jedoch mit Bestimmtheit gesagt werden, dass die Intarsienfelder (an jedem Stuhl zwei Stück) bereits zur Entstehungszeit eingefügt wurden.
Eine umfassende Restaurierung und Ergänzung fehlender Teile erfuhr das Chorgestühl in den Jahren 1892–1901 durch den Memminger Kunstschreiner Leonhard Vogt. Hierbei wurde dem Chorgestühl der im Jahre 1813/1814 entfernte Baldachin wieder aufgesetzt. Forschungen haben ergeben, dass Teile der Figuren früher bemalt waren. Dadurch wurde eine noch lebensechtere Darstellung möglich. Daher zählt das Chorgestühl zu den berühmtesten und kunstvollsten Deutschlands.
Kreuzaltar
Der Kreuzaltar in der St. Martinskirche gehört zu den kunstvollsten und frühesten Arbeiten eines solchen Altares in Deutschland. Die neue theologische Ausrichtung nach zwinglischem Vorbild machte einen solchen Altar notwendig, er musste den Hochaltar, welcher bisher das Zentrum des Gottesdienstes bildete zu ersetzen. Mit dem Hochaltar wurden insgesamt 21 weitere Altäre aus der Kirche entfernt.
Er ist 1531 geschaffen und aufgestellt worden und besitzt Stilelemente der Gotik sowie der Renaissance. Die Säulen sind kräftig gearbeitet und besitzen oben nackte Wappenschilder. Die massive Tischplatte wird von aus Fischblasen gebildeten Eierstabornameten verzierten Querverbindungen getragen. Er gehört zu den größten historischen Schätzen der ehemaligen Reichsstadt.
Chorgitter
Während das einfache Stabgitter mit den Türen zum Hochchor nicht heraussticht ist das Chorgitter, welches den Kreuzaltar umgibt sehenswert. Es stammt aus dem Jahr 1603, besitzt Spiralen, Blumen und Blätter. Rechts daneben soll sich die Grabstätte der Antonitermönche des Antoniterklosters befunden haben. Noch Anfang des 19. Jahrhunderts hat sich dort ein Solnhofer Stein mit dem Antoniter T befunden.
Orgel
Die Orgel hat in St. Martin lange Tradition. So ist die erste Orgel bereits 1453 erwähnt. Diese hatte ihren Platz auf einer Schwalbennestempore an der südlichen Hochschiffwand. 1528 wurde sie aus reformatorischen Gründen entfernt. 1597/1598 wurde eine neue Orgel von Kaspar Sturm und Aaron Ruck erbaut. Am 21.11.1599 erklärte der fuggerische Hoforganist Hans Leo Haßler die Orgel für gelungen. Das berühmte Werk wurde 1758 von Joseph Gabler umfassend Instandgesetzt. Die Disposition wurde modernisiert, Gablers typischen Klangelemente wurden eingefügt. Im Stadtarchiv ist dazu zu lesen: Er hat die Orgel wohl repariert und in vollkommenen Stand gestellt, daß man darob ein seltsames Vergnügen gefunden. Johann Nepomuk Holzhey überholte die Orgel zuletzt 1778. 1827 wurde das baufällig gewordene Schwalbennest zugunsten einer Westempore ersetzt. Die Orgel zog mit dorthin um, allerdings erreichte sie nie mehr den Klang wie im Schwalbennest. Die Verkleidung wurde auf Schloss Illerfeld (Volkratshofen) gebracht. Erst 1853, als eine neue Orgel der Orgelbauwerkstatt Walcker und Spaich aus Ludwigsburg angeschafft wurde, kam die Orgelmusik in der Kirche wieder in das Blickfeld der breiten Öffentlichkeit. Es besaß ein spätgotisches Gehäuse. Dieses Instrument wurde 1900 von Steinmeyer repariert und 1938 von Paul Ott nach damaligen Gesichtspunkten erweitert. Diese Orgel musste 1962 aufgegeben werden. Es wurde eine Orgel der Firma Walcker eingebaut. Dessen schlechte Verarbeitung neben billigen Materialien für sämtliche Gegenstände der Orgel ließen dieses Instrument allerdings nur 36 Jahre lang bestehen.
1991 überlegte sich die Kirchengemeinde ein neues Konzept für die Orgel, da die alte nicht mehr zu reparieren war. Am 8. November 1998 wurde die neue Gollorgel eingeweiht. Das bisher größte Instrument des Orgelbauers tritt in die Fußstapfen der über 400-jährigen Orgelgeschichte in der gotischen Kathedrale.
Die Orgel besitzt insgesamt vier Manuale (und Pedal) mit zusammen 62 Registern. Es besitzt 4285 Fpeifen. Die schwache Resonanz des 72 Meter langen und 20 Meter hohen Kirchenraumes machten es erforderlich, den Bass- und Mitteltonbereich kraftvoll und doch variabel auszugestalten. Daher entschloß man sich hier eine symphonische Orgel nach französischem Vorbild einzubauen. Die Orgel nimmt die komplette Westfasade ab der ersten Empore ein. Lediglich das Brauttor unterhalb ist nicht verbaut. Dadurch kann sich die Orgel frei in das Kirchenschiff entfalten. Das Orgelgehäuse, sowie die Empore sind aus unbehandeltem Eichenholz mit gotischen Stilelementen gebaut worden und nimmt ganz bewusst die alte Gotik mit dem modernen Baustil des ausgehenden 20. Jahrhundert auf. Die Empore selbst ist für etwa 70 Chormitglieder oder ein vergleichbares Instrumentalensemble ausreichend.
Über das Jahr verteilt, finden zahlreiche Orgelkonzerte statt. Zahlreiche Aufnahmen wurden auf der Orgel schon eingespielt. Samstags kann bei einer Orgeltour durch die Kirche der Klang der Orgel bewundert werden.
Sie gehört heute als überragendes Beispiel europäischer Orgelbaukunst zu den besten Orgeln Deutschlands.
Einzelnachweise
Literatur
Weblinks
- Commons: St. Martin – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
- Landesamt für Denkmalpflege in Bayern
- offizieller Netzauftritt der Kirchengemeinde