Herbert Schnädelbach

deutscher Philosoph
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Herbert Schnädelbach (* 6. August 1936 in Altenburg, Thüringen) ist ein deutscher Philosophieprofessor.

Herbert Schnädelbach in Glauben Wissen Kritisieren, Schnädelbach und die Hegelsche Milchschale 1, D 2007.

Biographie

Herbert Schnädelbach studierte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, wo er 1962 bis 1966 bei Theodor W. Adorno wissenschaftliche Hilfskraft war und 1965 mit der Arbeit Hegels Theorie der subjektiven Freiheit in Philosophie promovierte. Im Nebenfach Germanistik prüfte ihn Paul Stöcklein und in Soziologie Jürgen Habermas. Im Jahre 1970 habilitierte er sich bei Adorno und Habermas (Adorno erstellte und unterzeichnete sein Gutachten 1969). Die Habilitation erschien 1971 unter ihrem Titel Erfahrung, Begründung und Reflexion. Versuch über den Positivismus.

Als Professor für Philosophie lehrte Herbert Schnädelbach von 1971-1978 in Frankfurt am Main (als erster Dekan des Fachbereichs Philosophie und mit Schwerpunkten in Wissenschaftsphilosophie und Diskursanalyse), 1978-1992 an der Universität Hamburg (insbesondere Sozialphilosophie in den Bereichen Politische Philosophie und Gesellschaftstheorie) und 1992-2002 in Berlin (Lehrstuhl für Theoretische Philosophie). 1987-1988 war er Dekan des Fachbereichs 'Philosophie und Sozialwissenschaften' der Universität Hamburg und von 1988-1990 Präsident der Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie in Deutschland.

Nach der Wende von 1989 wurde er als erster Professor aus dem Westen an das Institut für Philosophie der Humboldt-Universität zu Berlin berufen. Dort begann er im Sommersemester 1992 zu lehren und er war von 1993 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2002 ordentlicher Professor für Theoretische Philosophie mit Schwerpunkten in analytischer Sprachphilosophie, zum Begriff der Rationalität und in der Philosophie des Geistes. Gerade auf den zuletzt genannten Punkt konzentrierte sich dann sein Lehrstuhlnachfolger Dominik Perler.

Philosophie und Vernunft

Herbert Schnädelbach begreift Philosophie als einen Plural und als ein fortlaufendes Gespräch im Spannungsfeld von Aufklärung und Wissenschaft. Als Philosoph beschäftigte er sich mit Studien zur Figur der Reflexion sowie der historischen Genese und den normativen Grundlagen der Vernunft. Sein Artikel "Rationalitätstypen" (1998) setzte Maßstäbe in der Rationalitätstheorie. Unter anderem machte er in Anlehnung an Kant Vorschläge zur systematischen Unterscheidung von Rationalitätstypen. Herbert Schnädelbach prägte den Begriff ' methodischer Rationalismus ' und kommt damit zu einer Neuformulierung des Vernunftbegriffs unter den Vorzeichen der Moderne.

Bei der Überprüfung dessen, was rational ist, setzt er das Kantische Geschäft der Kritik der Vernunft an und mittels der Vernunft fort. Dabei kommt er zu einer reflektierten Revision der Hegelschen Kritik an Kant, während er Hegels Element, dass wir schon immer in der Reflexion sind, gleichzeitig bewahrt. Die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit dem Werk von G.W.F. Hegel führte zu mehreren Aufsätzen, Kommentaren und einem seiner philosophischen Einführungsbücher.

Für Schnädelbach ist das kritische Element sowohl kommunikativ (Habermas, Apel) als auch pragmatisch (Wittgenstein, Quine), solange es ausgewiesen ist als vernünftig (bzw. rational). Anders als bei der Mehrzahl der gegenwärtigen Rationalitätskonzepte ist für ihn all das, was verständlich ist, rational.

Sein Interesse galt weiterhin der Kritischen Theorie, zu der er aufgrund des Vorwurfs einer Diskursvermengung eine Distanz wahrt, und Fragen der theoretischen Philosophie des 20. Jahrhunderts, unter anderem der Diskursanalyse und der Sprachphilosophie. In seiner Erkenntnistheorie geht er vom Sprachgebrauch der epistemischen Ausdrücke aus und räumt dem explikativen Diskurs dort einen Vorrang ein.

Schnädelbach publiziert seit den sechziger Jahren in verschiedenen Fachzeitschriften und ist Autor der in mehrere Sprachen übersetzten, philosophie-historischen Bücher Geschichtsphilosophie nach Hegel (1974) und Philosophie in Deutschland 1831-1933 (1983).

Diskurspluralität und Diskursvermengungen

Der Diskursanalyse hat Herbert Schnädelbach in seinem Hauptwerk, Reflexion und Diskurs (1977), ein bedeutendes Instrumentarium geliefert. Philosophische Reflexion, die ihre konsensfähigen Formen zugleich mit entwirft, versichert sich eines intersubjektiv rekonstruierbaren Rationalismus. Dieser grenzt sich sowohl ressourcenhaft von Positionen des unterschiedlichsten Intuitionismus ab und rekonstruiert methodisch seinen thematischen Gegenstand auf der Ebene von pragmatischen Sinnexplikationen in Form von satzförmigen Sachgehalten. Und es ist Herbert Schnädelbachs These, dass sich die Reflexion in der Philosophie unter dem Vorzeichen einer radikalisierten Moderne (– die semantische Zeitform einer nicht aufhebbaren Dauerkrise –) in den Pluralitäten von Diskursen nur zu entfalten vermag, wenn sie sich von vornherein nicht von Fragen der Geltung abkoppeln lässt.

Herbert Schnädelbachs genuine Leistung ist der insistierend-systematische Entwurf einer Pluralität der Diskurse. Dabei sind die Konnotationen des Pluralismus missverständlich. Genauer muss man hier von einem äußerst scharfsinnigen Entwurf einer Theorie der unproblematischen Diskursverknüpfung und der problematischen Diskursvermengung sprechen. In Erinnerung an die Auszeichnungen naturalistischer Fehlschlüsse von Georg Edward Moore und den Begriff des Kategorienfehlers von Gilbert Ryle erläutert Herbert Schnädelbach die (pragmatischen) Logiken von Explikationen, Deskriptionen und Normativitäten, die in philosophischen Diskursen praktiziert werden. Im Gegensatz zur alltäglichen Kommunikation, wo diese ausgezeichneten Momente sich untereinander verflüssigen, sind Diskurse als explikative, deskriptive und normative (präskriptive) auseinander zu halten. Erst ihre differente Auszeichnung ermöglicht Denkfiguren, in der unproblematische Diskursverknüpfungen zugleich die Einheit der Philosophie prozessual bestätigen. Nicht allein unter den normativen Gesichtspunkten der Konsensfähigkeit werden diese legitimen Verknüpfungen zugleich mit deskriptiven, normativen und explikativen Konfusionen kontrastiert. Diese Konfusionen, auf welche die Theorie der Schnädelbachschen Diskursvermengung aufmerksam macht, sind Effekte von Vermengungen bzw. Verwechslungen und oftmals bilden sie die Gründe für Dissensursachen von kontroversen Debatten (in der Philosophie ebenso wie beispielsweise in der Politik).

Diskursvermengungen sind weit verbreitet: Das phänomenologische Programm, welches seinen Anspruch der Beschreibung (Deskription) der Phänomene als Explikation ausgibt, ist ein systematisches Missverständnis. Die Identifikation von Faktischem und Normativen in Form einer Transformation von Ist-Sätzen in Soll-Sätzen in vielen Ethiken und Moralentwürfen ist ein anderes. Nicht nur in der methodischen Durchführung eines philosophischen Problems sondern bereits in der Thematisierung von Diskursgegenständen kann eine solche Vermengung entstehen. Herbert Schnädelbachs Auflistung der verschiedensten Formen der Diskursvermengung, die selbst namhafte Traditionen kategorial vollziehen, denunziert keineswegs deren philosophische Befunde, stellt aber durch die Identifikation des systematischen Ortes von diskursiver Philosophie ein inwendiges Kriterium zur Verfügung, das Unterscheidungen nachvollziehbar ermöglicht.

 
Schnädelbach in Diskussion mit Bischof Overbeck auf dem Deutschen Katholikentag 2008 in Osnabrück

Atheismus und Fluch des Christentums

Neben seinen philosophisch-wissenschaftlichen Beiträgen bezieht Herbert Schnädelbach Stellung zu konkreten gesellschaftlichen Themen wie etwa zu Fragen der Religion in der Moderne und der Wertediskussion in der BRD (z.B. "Glühbirnen am platonischen Ideenhimmel", Frankfurter Rundschau 2006).

Mit einem Artikel in der Zeitung Die Zeit im Jahr 2000 löste er eine Debatte über die Darstellung und Charakterisierung des Christentums aus. Schnädelbach ging in diesem Beitrag von sieben Geburtsfehlern des Christentums aus und sieht stattdessen seine jüdischen Wurzeln als wesentlich an. Dann aber, so Schnädelbach, bliebe vom Christentum nicht viel Bewahrenswertes übrig. Schnädelbach bezweifelt den Anspruch des Christentums als zivilisatorischen ‚Segen’, ohne dass zugleich die Gegenseite, sein ‚Fluch’, ebenso deutlich in Rechnung gestellt wird. (Kontroverse s. Weblinks).

Gleichwohl betont Schnädelbach parallel dazu in seinen wissenschaftlichen und sonstigen Beiträgen, dass im Vergleich zu den anderen Weltreligionen das Christentum zur modernen Entwicklung beitrug. So habe insbesondere die Theologie des Christentums die Aufklärung mit vorangetrieben. Hinsichtlich der geistigen Werte der westlichen Zivilisation seien nicht nur die christliche Religion, sondern zum Beispiel auch die jüdische Tradition und die seit der Antike stattfindende Entwicklung der Philosophie in Europa konstitutiv gewesen.

Ausgewählte Publikationen

  • 1966 Hegels Theorie der subjektiven Freiheit. Dissertationsschrift.
  • 1971 Erfahrung, Begründung und Reflexion. Versuch über den Positivismus. Habilitationsschrift.
  • 1974 Geschichtsphilosophie nach Hegel. Die Probleme des Historismus.
  • 1977 Reflexion und Diskurs. Fragen einer Logik der Philosophie.
  • 1983 Philosophie in Deutschland 1831-1933.
  • 1984 Rationalität. Philosophische Beiträge. (Hrsg.)
  • 1985 Philosophie Ein Grundkurs (Hrsg. mit Ekkehard Martens) seit 1991 in zwei Bänden, 2003: 7. überarbeitete Auflage
  • 1987 Vernunft und Geschichte. Vorträge und Abhandlungen (1)
  • 1992 Zur Rehabilitierung des "animal rationale". Vorträge und Abhandlungen 2
  • 1998 „Rationalitätstypen“ und „Replik“ in: Ethik und Sozialwissenschaften 9 (der Artikel ist abgedruckt in Philosophie in der modernen Kultur).
  • 1999 Hegel zur Einführung.
  • 2000 Hegels Philosophie – Kommentare zu den Hauptwerken. 3 Bände, 1339 Seiten (Hrsg.)
  • 2000 Hegels praktische Philosophie. Ein Kommentar der Texte in der Reihenfolge ihrer Entstehung (Band 2 der Kommentare zu den Hauptwerken))
  • 2000 Naturalismus. Philosophische Beiträge. (Hrsg. mit Geert Keil)
  • 2000 Philosophie in der modernen Kultur. Vorträge und Abhandlungen 3 (Rezension)
  • 2000 Descartes im Diskurs der Neuzeit. (Hrsg. mit Wilhelm Friedrich Niebel und Angelica Horn)
  • 2002 Erkenntnistheorie zur Einführung.
  • 2004 Analytische und postanalytische Philosophie. Vorträge und Abhandlungen 4
  • 2005 Kant
  • 2007 Vernunft

Literatur

Festschriften
  • Sich im Denken orientieren. Für Herbert Schnädelbach. Herausgegeben von Simone Dietz, Heiner Hastedt, Geert Keil und Anke Thyen, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1996. ISBN 3518288539
  • Phänomenologie und Sprachanalyse. Für Herbert Schnädelbach. Herausgegeben von Geert Keil und Udo Tietz. Mentis, Paderborn 2006. ISBN 3897852446

Film

Der Fluch des Christentums
Kritik

Fußnoten