Vyacheslav (Viatscheslaw) Slava Ganelin (17. Dezember 1944 in Kraskow bei Moskau) ist ein russischer Jazz Pianist, Keyboarder, Bandleader und Komponist des Avantgarde Jazz. Er zählte mit seinem Ganelin Trio zu markantesten Vertretern der russischen und litauischen Jazzszene der 1970er und 1980er Jahre.
Leben und Wirken
Ganelin wurde in einem Dorf in der Nähe von Moskau geboren; seine Eltern zogen, wie viele Russen in dieser Zeit, in den 1950er Jahren ins Baltikum. Mit vier Jahren begann er mit dem Klavierspiel, mit 14 Jahren unternahm er erste Komponierversuche. Er studierte dann am Konservatorium in Vinius, bildete Studenten Big Bands und trat im Jugendclub "Neringa Café" auf. Nach seinem Studium wurde Ganelin Leiter des russischen dramatischen Theaters in Vilnius und spielte Jazz in Trioformationen.
Ende der 1960er Jahre begann die Zusammenarbeit mit dem Schlagzeuger Vladimir Tarasov (* 1944 in Archangelsk); ihrem Duo gelang auf dem Jazzfestival in Gorki 1970 der Durchbruch in der sowjetischen Jazzszene. Ein Jahr später stieß der Saxophonist Vladimir Chekasin (* 1947 in Sverdlowsk hinzu, womit das Ganelin Trio entstand; 1976 erfolgte schließlich der erste Auftritt im Ausland des Trios auf dem Warschauer Jazz Jamboree. Kurz nach dem Warschauer Konzert erschien auch ihre erste Schallplatte in der UdSSR auf dem Melodija-Label, "Con Anima". Es folgten mehrere Tourneen in ost- und später auch in westeuropäische Staaten (wie 1981 durch Italien, 1983 durch Rumänien; 1984 besuchten sie Großbritannien) sowie in die USA 1986, wo sie in San Francisco mit dem ROVA Saxophone Quartet gemeinsam auftraten (San Francisco Holidays).
Das Ganelin Trio bestand bis 1987; dann verließ Vyacheslav Ganelin die UdSSR und emigrierte nach Israel. Dort nahm er den Vornamen Slava an. In den späten 1980er und frühen 1990er Jahren entstanden noch Duo-Aufnahmen von Tarasov und Chekasin auf Leo; Ganelin bildete in seiner neuen Heimat ein Trio (mit dem alten Namen Ganelin Trio[1] mit dem Cellisten und Bassisten Victor Fonarev und dem Schlagzeuger Mika Markovich. 1992/93 nahm Ganelin das Solo-Album "On Stage...Backstage" für Leo Records auf.
Ganelin war auch als Film- und Theaterkomponist tätig; von ihm stammt die Musik zur Oper "Die rothaarige Lügnerin und der Soldat" sowie das Musical "Die teuflische Braut". Zu seinen seltenen Auftritten als Sideman gehört die Mitwirkung bei dem Album Viennese Concert" des litauischen Saxophonisten Petras Vysniauskias im Jahr 1989.[2]
Die Musik des Ganelin Trios
Nach Bert Noglik war das besondere Charakteristikum der Musik des Ganelin Trios "die Ausarbeitung von Großformen mit kompositorischen Freiräumen",[3] wie bei der ersten LP und weiteren Alben/Kompositionen wie "Concerto Grosso", "Con Fuoco", "Ancora da Capo", "Vide", Poi Segne", Con Affetto" und "Semplice", die anfangs noch auf Audio-Cassetten zum Teil aus der Sowjetunion geschmuggelt werden mussten, um im Westen von Leo Feigin auf dessen Londoner Label Leo Records veröffentlicht zu werden.
Das 1971 von Ganelin gebildete Trio schuf nach Ian Carr eine "Art abstrakter Musik, die aus der Tradition der europäischen Free Jazz Bewegung der späten 1960er Jahre kam, aber ihre ganz eigene Identität hatte. In der Musik des Trios spielte die Komposition eine sehr wichtige Rolle; jedes längere Werk, jedes Album war konzeptionell unterschiedlich ausgestaltet und hatte eine ausdifferenzierte Struktur und Instrumentierung (Die Mitglieder des Trios spielten ungefähr 15 verschiedene Instrumente). Einbezogen wurden auch parodistische Elemente, Kinderlieder und Versatzstücke aus der slawischen Volksmusik und Klassik."[4] Vladimir Chekasin beschrieb diese musikalische Mischung: "Einige Elemente nehmen wir aus dem Jazz, andere aus der Kammermusik oder der Folklore verschiedener Völker. Manchmal benutzen wir auch die naiven Techniken der Kinder, und alles findet Einfluss in noch nicht gehörte neue Kombnationen".[5]
Die Musik des Ganelis Trios war in den Intellektuellenkreisen der späten UdSSR sehr beliebt und erregte auch im Westen die Aufmerksamkeit der Jazzszene; der Melody Maker schrieb damals über die Veröffentlichung des Konzert-Mitschnitts aus Berlin, er sei "einer der aufregensten Ereignisse, die freie Musik jemals auf die Bühne gebracht habe."[6] Der Konzertmitschnitt "Live in East Berlin" gilt als eine der besten Aufnahmen Ganelins[7] ebenso wie das zwei Jahre später entstandende Werk "Ancora da Capo".[8] Joachim-Ernst Berendt hatte sich nach dem Auftritt des Trios auf den Berliner Jazztagen euphorisch geäußert, "das Granelin Trio produziere den wildesten und dennoch am besten organisierten Free Jazz, den ich in Jahren gehört habe."[9] Die KritikerRichard Cook und Brian Morton betrachten im Penguin Guide to Jazz Ancora da Capo als "Meisterwerk" und Granelins "definitive Performance"; die Konzertmitschnitte seien "von monolithischer Intensität, die alles von dem ausdrückt, was das Beste an dieser Band ist, nämlich strahlende Expressivität, dichtes, leidenschaftliches Spiel, Humor und Ironie."[10]
Ausgewählte diskographische Hinweise
- Poco A Loco (Leo, 1978)
- Catalogue: Live in East Germany (Leo, 1979)
- Encores (Leo, 1978-81)
- Ancora da Capo (Leo, 1980)
- Non Troppo (hat Art, n.d.)
Die Aufnahmen des Ganelin-Trios in zeitlicher Reihenfolge
- Con Anima (Melodija, 1976 - später: Leo GY 23)
- Concerto Grosso (aufgenommen 1978; veröffentlicht auf Leo Records 1980, später als CD Leo GY 23)
- Strictly for Our Friends (Leo, 1978 - LR 120)
- Con Funco (Leo, 1978-1980 - LR 106)
- Poco A Loco Leo, n.dat. (ca. 1980) Leo LR 101)
- Catalogue: Live in East Germany (Leo1979 - LR 102)
- Live in Leningrad, Vol. 1 & 2 (Leo 1980 - LR 108/109)
- Ancora da Capo (Leo 1980 - LR 108)
- Vide (Leo 1981 - LR 117)
- Baltic Triangle - Live in Leningrad (Leo 1981 - LR 125)
- New Wine (Leo 1982 - LR 112)
- Con Affetto - liv in Moscow (Leo 1983 - Leo LR 137, später als CD Leo GY 2)
- Inverso (Leo 1984 - LR 140)
- Great Concerts of New Jazz (Leo 1985 - LR 400/401)
- San Francisco Holidays (Leo 1986 - LR 208/209)
- Con Amore (V. Ganelin solo - Leo 1986 - LR 147)
Literatur
- Richard Cook & Brian Morton: The Penguin Guide to Jazz on CD, 6th Edition, London, Penguin, 2002 ISBN 0-14-017949-6.
- Bert Noglik: Vycheslav Ganelin. Artikel in Martin Kunzler: Jazzlexikon. Reinbek, Rowohlt, 1988
- Brian Priestley, Digby Fairweather, Ian Carr: „Jazz: Rough Guide“, Stuttgart, Metzler 1999, 2. Auflage 2004 ISBN 347601892X (englische Ausgabe Rough Guides 2007, ISBN 1843532565).
- S. Frederick Starr: Red and Hot. Jazz in Rußland 1917-1990. Wien, hannibal, 1990
- S. Frederick Starr: Jazz in der UdSSR. In: That's Jazz - Der Sound des 20. Jahrhunderts (Ausstellungskatalog), Darmstadt, 1988
Weblinks
Anmerkungen/Einzelnachweise
- ↑ was nach Cook & Morton ein Fehler war, weil Ganelins neue Band in keinster Weise mit dem Original-Trio der 1970/1980er Jahre vergleichbar war.
- ↑ vgl. Cook & Morton, 2. Auflage. Artikel über Petras Vysniauskias.
- ↑ zit. nach Martin Kunzler.
- ↑ zit. nach Carr/Priestley.
- ↑ zit. nach F. Starr, S. 259
- ↑ zit. nach Starr, S. 251.
- ↑ So Frederick Starr. Cook und Morton vergeben dem Werk in der zweiten Auflage des Penguin Guide die höchste Bewertung von vier Sternen mit der Krone. Aus editorischen Gründen verschieben sie diese Auszeichnung in der sechsten Auflage auf die neue Edition des Albums Ancora da Capo.
- ↑ Die Aufnahmen erschienen zunächst als Doppel-LP unter dem Titel "Live in Leningrad, Vol.1 & 2" (Leo LR 108/109). Feigin hat das zweite Konzert vom 16. Novermber 1980 auf der Neuausgabe als CD (LR 109) ausgetauscht gegen den Mitschnitt eines Berlin-Auftritts wenige Wochen später. Vgl.Cook & Morton, 6. Auflage.
- ↑ zit. nach F. Starr, S. 261.
- ↑ zit. und übers. nach Cook & Morton, 6. Auflage
Personendaten | |
---|---|
NAME | Ganelin, Vyacheslav |
ALTERNATIVNAMEN | Ganelin, Slava |
KURZBESCHREIBUNG | russischer Pianist und Bandleader |
GEBURTSDATUM | 17. Dezember 1944 |
GEBURTSORT | Kraskow bei Moskau |