Vergewaltigung
Von Vergewaltigung spricht man dann, wenn eine Person eine andere Person unter Gewaltandrohung oder durch das Ausnutzen einer hilflosen Lage zum Geschlechtsverkehr zwingt.
Seit 1997 werden von der deutschen Gesetzgebung die bis dato getrennten Tatbestände der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung unter einem einzigen Tatbestand zusammengefasst, wobei die Vergewaltigung als besonders schwerwiegender Fall der sexuellen Nötigung gilt. Dies erlaubt es, auch die Vergewaltigung innerhalb der Ehe als Strafbestand aufzufassen.
Die Vergewaltigung von Kindern und Jugendlichen heißt sexueller Missbrauch.
Vergewaltigung im Sinn des Strafrechts
Im Folgenden werden sowohl Definitionen aus dem deutschen als auch aus dem schweizerischen Strafrecht verwendet. Da hier nach juristischem Verständnis keine präzise Definition geschaffen werden soll, sondernd es darum geht, die Charakteristika der juristischen Definition aufzuzeigen, ist diese Vermischung der beiden Rechtsgrundlagen angebracht.
Zur juristischen Definition gehören grundsätzlich die folgenden drei Aspekte: „Der Vergewaltigungstatbestand (§ 177 StGB) stellt sich mithin als Spezifizierung des Tatbestandes der sexuellen Nötigung (§ 178 StGB) dar.“ (Greuel 1993, S. 10) Bei einer Vergewaltigung handelt es sich nach dem juristischen Verständnis um ein Sexualdelikt, begangen von einem Mann an einer Frau (vgl. Sick 1993, S. 230). „Als Vergewaltigung gilt nur der durch körperliche Gewalt oder unter Bedrohung mit einer schwerwiegenden Körperverletzung begangene Vaginalbeischlaf.“ (Sick 1993, S. 253) Der Aspekt der körperlichen Gewalt wurde bereits früh mit der „vis haud ingrata“ (lat.: nicht unwillkommene Gewalt) in Verbindung gebracht, der falschen Vorstellung, dass es insbesondere die Frau schätzt, wenn sie mit Gewalt erobert wird, und ein gewisses Sträuben normal ist. Die zur Überwindung dieses Sträubens angewendete, nicht unwillkommene Gewalt ist nicht strafbar (vgl. Hanisch 1988, S. 212). Was in diesen Aspekten nicht enthalten ist, ist keine Vergewaltigung. Das heißt also zusammenfassend: Eine Vergewaltigung ist der von einem Mann gegen den Willen der Frau, unter Anwendung von Gewalt oder trotz Gegenwehr der Frau, vollzogene Beischlaf.
Im schweizerischen Strafgesetzbuch lautet der Tatbestand für Vergewaltigung folgendermaßen: „Wer eine Person weiblichen Geschlechts zur Duldung des Beischlafs nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft.“ (Schweizerisches Strafgesetzbuch 2000, Art. 190.1) Andere sexuelle Übergriffe als der Beischlaf, insbesondere auch Oralverkehr, Analverkehr und sexuelle Übergriffe auf Männer, werden als sexuelle Nötigung behandelt und milder bestraft (vgl. op. cit., Art. 189.1). Leben das Opfer und der Täter in ehelicher Gemeinschaft, so werden sowohl die Vergewaltigung wie auch die sexuelle Nötigung als Antragsdelikt behandelt und es gilt eine, gegenüber anderen Antragsdelikten, um drei auf insgesamt sechs Monate verlängerte Antragszeit (vgl. op. cit., Art. 189.2, 190.2). Vergewaltigung in der Ehe ist in der Schweiz erst seit 1992 strafbar.
Ebenfalls gilt für Kinder bis sechzehn Jahre ein spezieller Strafrechtssatz, der unter dem Tatbestand „sexuelle Handlungen mit Kindern“ aufgeführt ist (vgl. op. cit., Art. 187). Der Vergewaltigungsbegriff wird in der Justiz in Deutschland und der Schweiz vergleichbar gefasst.
Vergewaltigung im Sinn der sozialen Arbeit
In den anderen Sozialwissenschaften außer der Justiz wird grundsätzlich nicht zwischen einer Vergewaltigung und einer sexuellen Nötigung unterschieden. Soll der Vergewaltigungsbegriff der Wirklichkeitserfahrung gerecht werden, so wird jede erzwungene Sexualhandlung als Vergewaltigung bezeichnet. Dazu gehören auch erzwungene Sexualhandlungen, die kein Vaginalverkehr (also Beischlaf) sind, wie Oralverkehr, Analverkehr oder Penetration mit Gegenständen. Es wird auch dann von Vergewaltigung gesprochen, wenn ein Machtgefälle (Vorgesetzter – Untergebene, Erwachsener – Kind), eine Abhängigkeit oder eine hilflose Lage zur Durchsetzung von sexuellen Handlungen benutzt wird. Dies ist eine subtile Form von psychischer Gewalt, die in der Justiz nicht mehr unter den Vergewaltigungsbegriff fällt (vgl. Schliermann 1993, S. 15f).
In den Sozialwissenschaften sollte jede traumatisierende sexuelle Handlung als Vergewaltigung betrachtet werden, unabhängig davon, von wem, an wem, unter welchen Umständen und in welcher Situation sie ausgeübt wird. Charakteristisch ist die Traumatisierung. „Letztendlich ist die Definition einer Vergewaltigung Ergebnis der jeweiligen Perspektive.“ (Heynen 1998, S. 20) Es ist zudem festzuhalten, dass eine Vergewaltigung nicht primär eine Form von Sexualität oder sexuellen Handelns darstellt, sondern, wie dies der Begriff auch schon beinhaltet, eine Form von Gewalt ist. „Vielmehr bewahrheitet sich die These Schorschs, dass es sich bei den sexuellen Gewaltdelikten weniger um sexuelle Abnormitäten als um eine widerrechtliche Aneignung handelt und dass die Vergewaltigung vielfach dem räuberischen Diebstahl verwandter ist als einer sexuellen Devianz.“ (Sick 1993, S. 232) Dies ist insbesondere dann wichtig, wenn man sich bewusst wird, dass Vergewaltiger häufig nach speziellen Kriterien behandelt werden. Zudem verhindert diese gesonderte Betrachtung die Prävention im Kontext der Gewaltprävention, welche bereits großflächig durchgeführt wird.
Quellen
- Greuel, Luise: Polizeiliche Vernehmung vergewaltigter Frauen. Weinheim 1993
- Hanisch, Gregor Maria: Vergewaltigung in der Ehe – Ein Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion einer Änderung des § 177 StGB unter Berücksichtigung der Strafbarkeit de lege lata und empirischer Gesichtspunkte. Bochum, 1988
- Heynen, Susanne: Vergewaltigt – die Bedeutung subjektiver Theorien für Bewältigungsprozesse nach einer Vergewaltigung. Weinheim, 2000
- Schweizerisches Strafgesetzbuch. Bundeskanzlei, Bern 2000
- Schliermann, Brigitte: Vergewaltigung vor Gericht. Hamburg 1993
- Sick, Brigitte: Sexuelles Selbstbestimmungsrecht und Vergewaltigungsbegriff-ein Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion einer Neufassung des §177 StGB unter Berücksichtigung der Strafbarkeit de lege lata und empirischer Gesichtspunkte. Berlin 1993