Philipp Scheidemann

deutscher Politiker (SPD) und erster Regierungschef der Weimarer Republik
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Philipp Heinrich Scheidemann (* 26. Juli 1865 in Kassel; † 29. November 1939 in Kopenhagen) war ein sozialdemokratischer Politiker. Er war der erste Reichskanzler der Weimarer Republik.

Während der Novemberrevolution am 9. November 1918 rief Scheidemann von einem Fenster des Reichstagsgebäudes und kurz darauf von einem Fenster der Reichskanzlei eigenmächtig die Republik aus. Er war nach seinem Rücktritt von 1922 bis 1925 Oberbürgermeister von Kassel. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten floh er ins Exil nach Dänemark, wo er bis zu seinem Tod 1939 lebte.

Leben und Beruf

Philipp Scheidemann wurde als Sohn eines Polsterermeisters in Kassel geboren. In Kassel besuchte er sowohl die Bürgerschule als auch die Höhere Bürgerschule. Nach seiner Schulausbildung absolvierte er von 1879 bis 1883 eine Lehre zum Schriftsetzer und Buchdrucker. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich in den folgenden Jahren als Schriftsetzergehilfe, Faktor und Redakteur bei sozialistischen Zeitungen.

Unter dem Pseudonym Henner Piffendeckel veröffentlichte er sonntäglich ab 1909 „Mundartliche Geschichderchen“ im Casseler Volksblatt und einige Bücher in Kasselänerisch (Kasseler Mundart).

Attentat

Am 4. Juni 1922 – während seiner Amtszeit als Oberbürgermeister von Kassel – wurde ein Mordanschlag auf Scheidemann verübt. Während eines Spaziergangs mit einer Tochter am Pfingstsonntag 1922 spritzten Hanns Hustert und Karl Oehlschläger Philipp Scheidemann Blausäure ins Gesicht. Scheidemann überlebte schwer verletzt. Bereits vorher erhielt Scheidemann Morddrohungen und sein Haus wurde mit Hakenkreuzen beschmiert. Das Attentat steht in einer Reihe mit den Morden an Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Matthias Erzberger und anderen. Die Täter waren Mitglieder der Organisation Consul, des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes (Hustert), der Brigade Ehrhardt und der Eisernen Division (Oehlschläger). Sie wurden noch im selben Jahr gefasst und – anders als im Falle anderer rechtsextremer Täter – zu hohen Haftstrafen verurteilt.

Exil

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 verließ Scheidemann Deutschland und floh zunächst nach Prag, ehe er über die Schweiz, Frankreich und die USA nach Dänemark emigrierte. Am 29. November 1939 starb er in Kopenhagen. Seine Tochter nahm sich im Mai 1933 gemeinsam mit ihrem Ehemann in Folge des zunehmenden Drucks der Naziregierung gegen ihre Vater in Berlin das Leben.

1953 ließ die Stadt Kopenhagen Scheidemanns Asche nach Kassel überführen. Das Grab von Philipp Scheidemann befindet sich seitdem auf dem alten Teil des Kasseler Hauptfriedhofes und wird als Ehrengrab von der Stadt Kassel erhalten.

Zitat: Ausrufung der Republik

Philipp Scheidemanns Rede am Fenster des Reichstagsgebäudes am 9. November 1918 lautete wie folgt:

Arbeiter und Soldaten!
Furchtbar waren die vier Kriegsjahre. Grauenhaft waren die Opfer, die das Volk an Gut und Blut hat bringen müssen. Der unglückselige Krieg ist zu Ende; das Morden ist vorbei. Die Folgen des Kriegs, Not und Elend, werden noch viele Jahre lang auf uns lasten. Die Niederlage, die wir unter allen Umständen verhüten wollten, ist uns nicht erspart geblieben. Unsere Verständigungsvorschläge wurden sabotiert, wir selbst wurden verhöhnt und verleumdet. Die Feinde des werktätigen Volkes, die wirklichen inneren Feinde, die Deutschlands Zusammenbruch verschuldet haben, sind still und unsichtbar geworden. Das waren die Daheimkrieger, die ihre Eroberungsforderungen bis zum gestrigen Tage ebenso aufrechterhielten, wie sie den verbissensten Kampf gegen jede Reform der Verfassung und besonders des schändlichen preußischen Wahlsystems geführt haben. Diese Volksfeinde sind hoffentlich für immer erledigt. Der Kaiser hat abgedankt; er und seine Freunde sind verschwunden. Über sie alle hat das Volk auf der ganzen Linie gesiegt! Prinz Max von Baden hat sein Reichskanzleramt dem Abgeordneten Ebert übergeben. Unser Freund wird eine Arbeiterregierung bilden, der alle sozialistischen Parteien angehören werden. Die neue Regierung darf nicht gestört werden in ihrer Arbeit für den Frieden und der Sorge um Arbeit und Brot.

Arbeiter und Soldaten!
Seid euch der geschichtlichen Bedeutung dieses Tages bewußt. Unerhörtes ist geschehen! Große und unübersehbare Arbeit steht uns bevor. Alles für das Volk, alles durch das Volk! Nichts darf geschehen, was der Arbeiterbewegung zur Unehre gereicht. Seid einig, treu und pflichtbewußt. Das alte und morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen! Es lebe das Neue; es lebe die deutsche Republik!“

Philipp Scheidemann: Ausrufung der Republik, 9. November 1918[1]

Partei

Im Jahr 1883 trat Scheidemann als überzeugter Sozialist in die SPD ein. Von 1911 bis 1918 war Scheidemann zuerst im Parteivorstand der SPD, zuletzt gemeinsam mit Friedrich Ebert als Parteivorsitzender.

Abgeordneter

1903 wurde Scheidemann für den Wahlkreis Düsseldorf 3 (Landkreis Solingen) erstmals in den Reichstag des Kaiserreiches gewählt, wo er von 1913 bis 1918 einer der beiden Vorsitzenden der SPD-Fraktion war. Von Juni bis Oktober 1918 war er Vizepräsident des Reichstages. 1919/20 gehörte er der Weimarer Nationalversammlung an. Anschließend war er bis 1933 erneut Reichstagsabgeordneter. Seine Enthüllung der Zusammenarbeit von Reichswehr und Roter Armee führte 1926 zum Rücktritt der Regierung Marx.

Während des Ersten Weltkriegs wandte sich Scheidemann gegen die Propaganda für einen Siegfrieden und trat für einen Verständigungsfrieden ein.

In Kassel war Scheidemann von 1908 bis 1911 Stadtverordneter.

Öffentliche Ämter

1918 war Scheidemann unter Max von Baden Staatssekretär, er legte jedoch nach der Abdankung Kaiser Wilhelms II. sein Amt nieder und rief am 9. November 1918 die Republik vom Balkon des Reichstages aus. Dieses eigenmächtige Vorgehen ist damit zu erklären, dass er Karl Liebknecht zuvorkommen wollte, der etwas später die sozialistische Republik vom Balkon des Berliner Stadtschlosses ausrief. Eigentlich sollte diese Entscheidung über die zukünftige Staatsform der Nationalversammlung vorbehalten bleiben.

Im Verlauf der Novemberrevolution wurde er Mitglied im Rat der Volksbeauftragten zusammen mit Friedrich Ebert, und Otto Landsberg von der SPD, sowie Hugo Haase, Wilhelm Dittmann und Emil Barth von der USPD. Vom 13. Februar bis zum 20. Juni 1919 war Scheidemann der erste Reichsministerpräsident (Reichskanzler) einer demokratisch gewählten Regierung in Deutschland, trat jedoch aus außenpolitischen Gründen zurück. Er hatte sich gegen die Unterzeichnung des Versailler Vertrages festgelegt – eher, so sagte er, sollte ihm die Hand verdorren.

Als Nachfolger von Erich Koch war Scheidemann Oberbürgermeister in Kassel von 1920 bis 1925.

Werke

(Auswahl)

  • Das historische Versagen der SPD : Schriften aus dem Exil, Hrsg. von Frank R. Reitzle. Lüneburg, zu Klampen, 2002. 236 S.

Literatur

  • Albert Grzesinski: Im Kampf um die deutsche Republik. Erinnerungen eines Sozialdemokraten. Herausgegeben von Eberhard Kolb. München 2001 (Schriftenreihe der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte 9).

Quellen

  1. Dokument: Rede: Scheidemann, Philipp (SPD) Der 9. November 1918, 1924