Die Initiative Grundeinkommen ist eine gesellschaftspolitische Bewegung in der Schweiz, die ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bewohner eines Landes anstreben. Die Initiative versteht sich selber vor allem als so genannten Kulturimpuls und zunächst nicht als direkten realpolitischen Vorstoß.
Sie fasst die Bedingungslosigkeit weit und schließt Kinder sowie Gutverdiener mit ein. Sie grenzt sich, anders als verwandte Programme, von der Mentalität der Sozial- und Arbeitslosengelder ab und sieht im Grundeinkommen vielmehr einen entwicklungsgeschichtlichen und stark emanzipatorischen Bewusstseinsschritt. Nach eigener Sicht werde damit "ein neues Bürgerrecht geboren", welches "ein wirtschaftliches Menschenrecht" darstelle.
Die Finanzierung eines Grundeinkommens sehen die Initianten vor allem als Aufklärungsaufgabe und nicht unter dem Gesichtspunkt der Bereitstellung neuer staatlicher Mittel. Es gehe bei der Finanzierung in erster Linie nicht um mehr Geld, es gehe nicht um Geld, das zu bestehendem Einkommen dazu kommen soll, es gehe vielmehr um ein anderes Verständnis von Geld, da das Grundeinkommen die bestehenden Einkommen in seiner Höhe ersetzen soll.
Die Initiative Grundeinkommen richtet den Blick auf die Auswirkungen eines Grundeinkommens auf die gesamte Wertschöpfung. Die zentrale Frage ist, wie hoch der gesamte Return on Investment einer freien Einkommensbasis für Menschen ausfallen würde.
Die Initiative wurde anfangs 2006 vom deutschen Künstler Enno Schmidt und dem Schweizer Unternehmer Daniel Häni lanciert. Das Netzwerk der Initiative besteht aus Personen aus dem ganzen deutschen Sprachraum. Die mediale Resonanz der Initiative Grundeinkommen beschränkt sich jedoch fast ausschließlich auf die Schweiz, und auch konkrete politische Umsetzungen gehen von den politischen Voraussetzungen in der Schweiz aus.
Ausgangspunkte
Die Initiative Grundeinkommen entwickelt die Idee aus der Geschichte der modernen Ökonomie, die ein Grundeinkommen nicht nur möglich, sondern auch nötig mache. Zwei gesellschaftliche Phänomene werden besonders beleuchtet, die Rationalisierung der Arbeit und die Quelle des sozialen Ausgleichs:
Rationalisierung der Arbeit
Ein großer Teil der Arbeit ist seit dem 19. Jahrhundert rationalisiert worden, Erwerbsarbeitsplätze haben abgenommen und werden weiter abnehmen. Dennoch stieg und steigt die Produktivität um ein Vielfaches. Die Versorgung mit Waren ist, zumindest in Europa, gesättigt. Überfluss und Überkapazitäten sind die Regel. Trotzdem sterben weltweit jährlich Millionen Menschen an Hunger und dessen Folgen, weil sie keinen Zugang zu den Warenbergen haben [1]. Das Geld fließe nicht dorthin, wo es gebraucht werde, ist eine Aussage der Initiative Grundeinkommen.
Hinzu komme ein großer Bedarf an innovativen, gemeinnützigen und kulturellen Leistungen, die nicht oder nur beschränkt erwerbsbestimmt sind. Zudem sei der Anspruch, eine nach eigenen Vorstellungen sinnvolle und erfüllende Arbeit zu verrichten, stark gewachsen, während die Notwendigkeit, dass jeder zur Sicherung seiner Existenz einem Broterwerb nachgehen muss, heute nicht mehr gegeben sei.
Gemäß der Initiative hinkt die kulturelle Entwicklung der technischen Entwicklung hinterher. Eine soziale Minderbewertung erfahren zum Beispiel die Pflege und Fürsorge für andere Menschen, die Kindererziehung oder der Einsatz für die Umwelt aus eigener Initiative. Die schrittweise Entflechtung der Arbeit vom Einkommenszweck könne diese Unterbewertung gemäß der Initiative wesentlich aufheben.
Quelle des sozialen Ausgleichs
Die Festsetzung der Steuer anhand der Leistungsfähigkeit und den daraus resultierenden Einkommen komme aus der Zeit, als Selbstversorgung vorherrschte. In der heutigen Zeit der globalen Fremdversorgung, wo Selbstversorgung kaum mehr möglich ist und jeder fast ausschließlich von den Leistungen anderer lebt, sei es sinnvoll die Steuer nicht mehr in der Herstellung, sondern an der Stelle des Kaufs und Verbrauchs von Gütern und Dienstleistungen zu erheben, das heißt: man soll nicht mehr Steuer bezahlen anhand von dem, was man für andere leistet und erarbeitet, sondern anhand von dem, was man konsumiert und von anderen verbraucht. Versorgungsart und Steuerbasis:
- Selbstversorgung: Einkommensteuer
- Fremdversorgung: Konsumsteuer
Die Ausweitung der Konsumsteuer in fast allen Ländern ist als logische Folge des Wandels von der Selbst- zur Fremdversorgung zu sehen.
Für die Konsumbesteuerung spricht gemäß Initiative Grundeinkommen zudem, dass weitgehend alle Steuern und Abgaben, die während des Produktionsprozesses erhoben werden, ohnehin versteckt in die Verkaufspreise einkalkuliert werden.
Eine konsequent gestaltete Konsumsteuer würde den Arbeitsbereich entlasten und verbunden mit einem substitutiv wirkenden Grundeinkommen subventionieren. Jeder brächte ein Grundeinkommen schon mit an den Arbeitsplatz. Dadurch könnten die Produktionskosten mit viel menschlicher Arbeit deutlich sinken und Produktionsbereiche, wo vor allem Maschinen im Einsatz sind, würden durch die Umstellung auf eine Konsumsteuer zur steuerlichen Substanz herangezogen.
Das Grundeinkommen wäre als pro Person ausgezahlter Steuerfreibetrag der Konsumsteuer zu sehen.
Konstitution
Die Initiative Grundeinkommen versteht sich als freie Kulturinitiative und ist weder an an eine politische Partei oder sonst eine formale Interessensgruppe gebunden. Die Initiative ist als Verein konstituiert und Mitglied beim Netzwerk Grundeinkommen und B.I.E.N. Schweiz. Sitz der Initiative ist das "Unternehmen Mitte" in Basel, ein Kultur- und Kaffeehaus in einer ehemaligen Bank.
Politisches Ziel
Die Initiative Grundeinkommen geht davon aus, dass zunächst eine paradigmatische kulturelle Wandlung vollzogen werden muss, bevor politische Umsetzungen ins Auge gefasst werden können. Gleichzeitig bemerkt sie, dass das Prinzip von indirekten oder (Transfer-)Einkommen gar nicht neuartig sei, da beispielsweise in Deutschland heute nur noch vier von zehn Einwohnern ihr Einkommen aus eigener Erwerbsarbeit beziehen. Die anderen 60% erhalten also auch heute schon ein Einkommen, das nicht direkt an ihre Leistung gebunden ist.
Die Initiative, deren Träger in Deutschland und in der Schweiz aktiv sind, strebt langfristig eine konkrete Umsetzung in der Schweiz an. Die Gründe liegen in der relativ überschaubaren Größe des Landes, dem hohen Lebens- und Bildungsstandard und vor allem in den Möglichkeiten der politischen Willensbildungsinstrumente, namentlich der Gesetzesinitiative.
Diskutiert werden mehrere Jahrzehnte dauernde Übergangsphasen, während derer der Paradigmenwechsel vollzogen werden soll.
Finanzierung
Die Finanzierung im Modell der Initiative Grundeinkommen ist substitutiv zu denken. Die Initiative geht davon aus, dass heute schon jeder ein Einkommen hat, "sonst könnte er ja gar nicht leben" (Enno Schmidt). Das Grundeinkommen würde nicht als Einkommen zu bestehendem Einkommen dazu kommen, sondern das bestehende Einkommen in der Höhe des Grundeinkommens ersetzen.
Die Initiative strebt ein Grundeinkommen an, das jedem Menschen eine materielle Basis der selbstbestimmten Lebensführung geben könne. In Worten wird die Größe als zwar bescheiden, aber nicht notdürftig beschrieben, konkret werden für die Schweiz 2500 Franken (in der Kaufkraft entspricht dies ca. 1200 Euro) für Erwachsene genannt. Für Kinder wird ein altersabhängiger Betrag vorgeschlagen.
Das Grundeinkommen kann einen grossen Teil der heutigen verwaltungsaufwendigen und oft stigmatisierenden Sozialleistungen ersetzen. Diese blieben nur dort erhalten, wo sie in ihrem Betrag über dem Grundeinkommen liegen. Mehr Geld hätten nur die, die heute weniger Geld als das Grundeinkommen haben. Diese Differenz als Mehrfinanzierung aufzubringen, erachtet die Initiative als sinnvoll und machbar. Die Vereinfachung durch das Grundeinkommen würde zudem die Sozialverwaltung entlasten und Mittel freigeben.
Die Initiative weist hinsichtlich der Finanzierung des Grundeinkommens daraufhin, dass die Besteuerung des Wertschöpfungsprozesses als Anachronismus der Selbstversorgung zu sehen ist. Deshalb betrachtet sie die Finanzierung des Grundeinkommens durch eine erhöhte Einkommensteuer oder eine negative Einkommenssteuer nach Milton Friedman als widersinnig. Vielmehr soll der Konsum, der Verbrauch der Wertschöpfung, besteuert und als Referenz für den sozialen Ausgleich herangezogen werden.
Diese Umlagerung der Besteuerung und die damit verbundene Behauptung, die Umstellung auf das Grundeinkommen sei kostenneutral, wird in der "Latte-Macchiato-These" formuliert. Dabei wird die Umlagerung anhand einer Grafik mit einem Glas Latte Macchiato darstellt, entsprechend den gegenwärtigen Kostenanteilen des Produkts und unter den Bedingungen, wie sie von der Initiative gefordert werden.
Die Auszahlung des Grundeinkommen würde bei den bereits über den Staat ausbezahlten Einkommen lediglich einer Umbuchung bedürfen. Für die Ausbezahlung der Grundeinkommen im Bereich der Erwerbseinkommen würde sich die Staatsquote dementsprechend erhöhen. Dies würde allerdings keine Vergrößerung der Staatskontrolle bedeuten, da das Grundeinkommen bedingungslos ausbezahlt würde. Der Staat würde bezüglich des Grundeinkommens lediglich als Treuhänder und Garant des Rechtsanspruches fungieren.
Im weiteren weist die Initiative daraufhin, dass eine Zweite Wertschöpfung (unbezahlte Arbeit) vorhanden sei, die sich nicht in Geld messen lasse. Diese würde durch ein Grundeinkommen wahrscheinlich zunehmen. Eine Zunahme der Ersten Wertschöpfung (bezahlte Arbeit) sieht die Initiative in diesem Zusammenhang ebenfalls als wahrscheinlich, da durch die Grundabsicherung der menschlichen Existenz, weitergehende Rationalisierung möglich und freie wirtschaftliche Initiative in Aussicht kommt.
Diese Annahmen stützt die Initiative mit einer Statistik, die die bezahlten Arbeitstunden in den Vergleich der unbezahlten stellt.[2]
Kontext verwandter Programme
Die Initiative Grundeinkommen distanziert sich eher von Grundeinkommensmodellen, die ausschließlich eine Sozialkomponente enthalten, sowie von neoliberalen Modellen, die mit einem Grundeinkommen oder Bürgergeld die heutigen Sozialleistungen ersatzlos streichen wollen.
Innerhalb der beschriebenen Modelle steht die Initiative Grundeinkommen mit ihrer kulturellen Herleitung dem Grundeinkommensmodell nach Götz Werner am nächsten. Insbesondere die Forderungen nach einer Verlagerung von der Einkommenssteuer zur Konsumsteuer sind praktisch deckungsgleich. Während andere Grundeinkommensmodell zu großen Teilen sozialpolitisch oder religiös motiviert sind, sind sowohl die Initiative Grundeinkommen, als auch das Grundeinkommensmodell nach Götz Werner stark kultur- und wirtschaftsgeschichtlich begründet.
Kritik
Kritik setzt oft bei der Höhe von konkreten Zahlenbeträgen an. Ein Betrag, der, gemessen an den wegfallenden Sozialausgaben des Staates, Kostenneutralität gewährleistet, ist weit entfernt von einem durchschnittlichen heutigen Einkommen, das mittlere oder anspruchsvolle Standards erfüllt [3]. Zwar distanziert sich die Initiative Grundeinkommen davon, ein bedingungsloses Gesamteinkommen zur Deckung höherer Ansprüche zu fordern[4], verwendet aber selber in Plakaten und Schriften wiederholt die provokative Frage Was würden Sie arbeiten, wenn für Ihr Einkommen gesorgt wäre?, die suggerieren kann, die Initiative Grundeinkommen sorge für ein Gesamteinkommen.
Wie jedem Konzept im Bereich Grundeinkommen erwächst dem Modell Kritik der Art, das bedingungslose Einkommen verführe zur Untätigkeit (Begriff der Sozialen Hängematte). Die Initiative argumentiert damit, dass Menschen von Natur aus nach Aktivität und Realisierung eigener Ziele streben. Ferner, argumentiert die Intiative, würden auch im bestehenden System ohne bedingungsloses Grundeinkommen zur Untätigkeit neigende Menschen Systemlücken suchen und erfolgreich finden. Abgesehen von der Annahme naturgegebener Schaffenslust deckt das postulierte Grundeinkommen nur die unmittelbare Existenz, jedoch kein Leben gehobenen Standards.
Kritiker erwarten einen Mangel an Arbeitskräften bei so genannten Drecksarbeiten. Die Initiative geht jedoch von einer neu entstehenden Marktsituation nach den Regeln von Angebot und Nachfrage aus, die die Löhne bestimmter, allgemein eher als unangenehm empfundener Arbeiten, die die Bürger aufgrund des Grundeinkommens ablehnen könnten, anheben lässt.
Kritiker bezweifeln die Finanzierbarkeit. Die Initiative glaubt, in diesem Zweifel eine unreflektierte Ablehnung und Angst zu erkennen. Die Initiative hält den vorgeschlagenen Paradigmenwechsel für ein Nullsummenspiel, das nicht mehr (aber auch nicht weniger) kostet, als das bisherige Gesellschaftsmodell mit seinen Sozialversicherungen. Danach bewirke der Paradigmenwechsel bloß eine Umlagerung und in Form der Mehrwertsteuer eine kostenneutrale Neudefinition des sozialen Ausgleichs. Minderbemittelte Menschen kämen der Gesellschaft teurer, weil sie kaum in der Lage seien, etwas beizutragen.
Sozialistische Denkmodelle fordern ein Recht auf Arbeit. Diese Forderung steht der Initiative diametral entgegen, da hier nicht die Arbeit gefordert wird, sondern das sie nach heutigem Denken begleitende Einkommen, welches nicht die Bezahlung der Arbeit sei, sondern deren Ermöglichung. [5]
Von feministischer Seite wird befürchtet, dass ein Grundeinkommen die Frauen in die unbezahlte Heimarbeit zurückdränge. Die Initiative sieht demgegenüber im bedingungslosen Grundeinkommen einen großen emanzipatorischen Schritt, der die familiäre und partnerschaftliche Bindung von der monetären Abhängigkeit befreie und eine unabhängige Entscheidung erforderlich mache, sich bewusst um den Haushalt und die Kinder, um die Erwerbsarbeit oder um beides zu kümmern und damit die Rolle der Partner in der Partnerschaft zu definieren.
Publikationen
Redaktionelle Publikationen
- Radikale (Gedanken-)Experimente, Neue Züricher Zeitung, 25.10.06 [2]
- Die Latte-Macchiato-These, Facts, März 2007. [3]
- Nur eine Utopie? 2500 Franken für alle, Tagesanzeiger, 5.10.07, [4]
- Wenn niemand arbeite müsste, Aargauer Zeitung, 3.5.07, [5]
- Rege Debatte angezettelt, Baslerstab, 22.9.06, [6]
Interviews
- Das Kapital, NZZ Folio, Juli 2006 [7]
- "Debatte ist hochaktuell", Basler Zeitung, 26.9.06 [8]
- Ein Grundeinkommen für alle, DRS 2 aktuell, April 06 [9]
Eigenpublikationen
Kurzfilme
Quellen
- ↑ Jean Ziegler im Film We feed the world
- ↑ Nur wenige leben von dem, was sie selbst verdienen, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Februar 2008 [1]
- ↑ Eine Rente für alle wäre finanzierbar, aber zu klein, um unsere Ansprüche zu decken, Basler Zeitung, 27.09.2006
- ↑ Eine Antwort auf den Abgesang, Basler Zeitung, 27.09.2006
- ↑ "Einkommen schafft Arbeit", Programmheft zu einer vierzehntägigen Veranstaltungsreihe der Initiative Grundeinkommen.