Rzeczpospolita ("Die Republik") ist nach der Gazeta Wyborcza die zweitgrößte überregionale polnische Tageszeitung mit einer verkauften Auflage von ca. 260-270.000 und einer geschätzten Leserschaft von 1,3 Mio.
Die Rzeczpospolita erscheint Montag bis Samstag im sog. Broadsheet-Format und pflegt ein trockeneres und elitäreres Image als z.B. die deutlicher konservative Tageszeitung Życie ("Leben") sowie die auflagenstärkere linksliberale Gazeta Wyborcza, die beide im Tabloid-Format erscheinen und auch Elemente der Boulevard-Presse aufweisen. Die politische Linie ist gemäßigt konservativ; vergleichbar ist sie am ehesten der deutschen FAZ. In der derzeitigen polnischen Parteienlandschaft vertritt Rzeczpospolita am ehesten die Positionen der bürgerlichen Partei PO, versteht sich jedoch als überparteilich.
Auffällig ist die thematische und farblich hervorgehobene Dreiteilung der Zeitung: Neben dem normalen Nachrichtenteil (weiß) erscheint der Wirtschaftsteil auf hellgrünem Papier; zudem gibt es einen täglichen juristischen Teil auf gelbem Papier. Neben diesen täglichen Rubriken erscheinen ein- oder zweimal pro Woche Beilagen zu verschiedenen Themen (z.B. Auto- und Immobilienmarkt, Karriere, Fernsehprogramm, Reisen). Samstags erscheint die Feuilleton-Beilage Plus-Minus, in der bekannte Autoren und Politiker Essays zu kulturelle, politischen und historischen Themen veröffentlichen, die ein breites Meinungsspektrum abbilden. Rzeczpospolita veröffentlicht außerdem regelmäßig Rankings zu Unternehmen, Institutionen und Behörden.
Geschichte
Die heutige Rzeczpospolita ist hervorgegangen aus der gleichnamigen ehemaligen Zeitung der kommunistischen Regierung, die erstmals noch während des Zweiten Weltkriegs im Juli 1944 erschien. Der Titel knüpfte damals bewusst an die gleichnamige Zeitung der rechtskonservativen "Christlich-Nationalen Partei" (Stronnictwo Chrześcijańsko-Narodowe) der Zwischenkriegszeit an, um in der polnischen Nachkriegsöffentlichkeit, die der neuen kommunistischen Regierung durchweg ablehnend gegenüberstand, eine gewisse Legitimität aufzubauen. Parallel dazu erschien mit der Gründung der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR) 1948 deren Zeitung Trybuna Ludu ("Volkstribüne"). 1950 wurde die Rzeczpospolita eingestellt, da die gleichzeitige Existenz einer Partei- und Regierungszeitung im konsolidierten Ein-Parteien-Staat überflüssig war.
In der politischen Krise des Jahres 1980, als das Image der Partei (PZPR) weiter stark beschädigt wurde, entstand Idee zur Wiederbelebung der Zeitung, um die Unabhängigkeit der Regierung zu betonen. Seit 1982 erschien Rzeczpospolita als Organ des Regierungsapparates, zugleich erschien weiterhin die Parteizeitung Trybuna Ludu.
Dieser Dualismus entsprach der Situation der Sowjetunion, wo ebenfalls die Prawda als Partei- und die Iswestija als Regierungsblatt erschienen; die Entwicklung der Iswestija in Russland nach der Wende ähnelt übrigens stark der der Rzeczpospolita in Polen.
1991 wurde die Rzeczpospolita von der neuen demokratischen Regierung in die Unabhängigkeit entlassen. Es entstand ein polnisch-französisches Joint Venture, der Verlag Presspublica S.A., in dem die Zeitung seither erscheint. Seit 1996 ist der norwegische Konzern Orkla Media, der derzeit ein Viertel der polnischen Presselandschaft (mit-) kontrolliert, zu 51% an Presspublica beteiligt.
Gründungschefredakteur der unabhängigen Rzeczpospolita war 1989 bis 1996 (†) der bekannte polnische Journalist Dariusz Fikus. Nachfolger waren 1996-2000 Piotr Aleksandrowicz, 2000-2004 Maciej Łukasiewicz, sowie seit 2004 Grzegorz Gauden.
Die "Wildstein-Affäre"
Derzeit (Februar 2005) steht Rzeczpospolita in der Diskussion, nachdem ein Redakteur - der Publizist, Schriftsteller und frühere Oppositionelle Bronisław Wildstein unter bisher ungeklärten Umständen eine Inventarliste des Instituts für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej, IPN) mit den Namen von insgesamt 240.000 ehemaligen Mitarbeitern, Anwärtern und Opfern des ehemaligen polnischen Stasi-Gegenstücks Służba Bezpieczeństwa ("Sicherheitsdienst") entwendet und unter Journalisten verbreitet hatte. Inzwischen ist die Liste auch von Privatpersonen ins Internet gestellt worden. Für Irritationen sorgt insbesondere die Tatsache, dass die Liste ausschließlich Namen von Personen enthält, über die eine Akte vorhanden ist, jedoch keinerlei Angaben darüber, ob es sich um ständige bzw. gelegentliche Mitarbeiter oder um Opfer handelt. Wildstein selbst erklärte, er habe die Liste lediglich als "Arbeitsinstrument" für investigativen Journalismus an sich gebracht.
Dieses Geschehen steht im Kontext eines Streits um die allgemein als "Lustration" (lustracja) bezeichnete Überprüfung von Personen des öffentlichen Lebens auf Kontakte zum kommunistischen Sicherheitsapparat, der seit Jahren zwischen zwei meinungsführenden Lagern aus der ehemaligen antikommunistischen Opposition schwelt: Rechtskonservative fordern eine radikale "Abrechnung" mit der Volksrepublik und die Entfernung aller ehemaligen kommunistischen Politiker; linksliberale Kreise, namentlich der ehemalige Dissident und heutige Chefredakteur der größten polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza, Adam Michnik, treten dagegen für einen "dicken Schlussstrich" (gruba kreska) unter die kommunistische Vergangenheit ein, um den sozialen Frieden nicht zu gefährden.
Die Gazeta Wyborcza machte die Entwendung der Liste am 29. Januar auch öffentlich und setzte damit das Konkurrenzblatt Rzeczpospolita unter Zugzwang, sich durch die am 31. Januar 2005 bekanntgegebene Entlassung Wildsteins als angestelltem Redakteur tendenziell von den rechtskonservativen Lustrationsbefürwortern zu distanzieren. Wildstein soll aber unter Umständen weiter als freier Mitarbeiter in Rzeczpospolita veröffentlichen dürfen. Inzwischen (1. Februar hat das neoliberale bzw. -konservative größte polnische Nachrichtenmagazin Wprost Wildstein demonstrativ einen Arbeitsplatz angeboten und erklärt, es würde die Liste auch veröffentlichen [1].
Links:
- Artikel "Wildstein-Liste" in der polnischen Wikipedia,
- Berichte österreichischer Medien über die Wildstein-Affäre [2], [3].
- taz-Artikel vom 7. Februar 2005 [4]
- Die Welt-Artikel vom 7. Februar 2005 [5]
- FAZ-Artikel vom 7. Februar 2005
- Blog-Beitrag über die Affäre [6]
- Chronologie von Meldungen und Kommentaren zur Affäre im Nachrichtenmagazin Wprost (polnisch) [7]