Venlafaxin

Arzneistoff
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Strukturformel
Allgemeines
Freiname Venlafaxin
Andere Namen
  • IUPAC: (RS)-1-[2-Dimethylamino -1-(4-methoxyphenyl)ethyl] cyclohexan-1-ol
  • Latein: Venlafaxinum
Summenformel C17H27NO2
Kurzbeschreibung

weißes bis fast weißes, polymorphes Pulver (HCl-Salz)

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 93413-69-5
PubChem 5656
DrugBank APRD00125
Wikidata Q898407
Arzneistoffangaben
ATC-Code

N06AX16

Wirkstoffklasse

Antidepressivum

Wirkmechanismus

Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer

Eigenschaften
Molare Masse 277,40 g·mol−1
Schmelzpunkt

215–217 °C (HCl-Salz) [1]

Löslichkeit
  • Wasser: 572 g·L−1 (HCl-Salz)
  • leicht löslich in Wasser und Methanol, löslich in absolutem Ethanol, schwer löslich bis praktisch unlöslich in Aceton (HCl-Salz)
Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
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H- und P-Sätze H: {{{H}}}
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Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa).

Venlafaxin ist ein Phenylethylamin-Derivat und ein selektiver Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI), der als Antidepressivum eingesetzt wird.

Wirkprofil

Venlafaxin vermindert die Rückaufnahme (Re-Uptake) von Serotonin und Noradrenalin in die präsynaptischen Vesikel an bestimmten Synapsen im Gehirn. Das dadurch vermehrte Angebot dieser Neurotransmitter im synaptischen Spalt soll die Linderung der depressiven Symptome bewirken. Die „Muttersubstanz“ Venlafaxin (also ohne die Metaboliten, siehe unten) hat daneben noch eine schwach dopaminerge Aktivität.

Venlafaxin wird nach Einnahme in der Leber großenteils in die wirksamen Metaboliten O-Desmethyl-Venlafaxin und N-Desmethyl-Venlafaxin umgewandelt. Diese tragen zur Wirkung des Arzneistoffs bei und werden vor allem renal ausgeschieden.

Indikationen

Venlafaxin ist zur Behandlung von Depressionen zugelassen. Die Retardformulierung kann in Deutschland außerdem zur Behandlung von Angsterkrankungen wie generalisierte Angststörung und soziale Angststörung (soziale Phobie) verwendet werden. Ferner hat Venlafaxin die Zulassung zur Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe depressiver Erkrankungen.

Unerwünschte Wirkungen

Zu Beginn der Einnahme treten als Nebenwirkungen oft Magen-Darm-Beschwerden auf; es kommt häufig zu vermehrter Unruhe und diffusen Angstzuständen. Psychotische Reaktionen sind beschrieben, eventuell als Folge der dopaminergen Wirkung. Vermehrte (Nacht-)Schweißbildung, Blutdruckerhöhung und Herzbeschwerden sind ebenfalls möglich. Übelkeit ist eine sehr häufige Nebenwirkung (mehr als 10 % der Patienten); unter anderem Erbrechen, Appetitlosigkeit, Verstopfung, Schwindel, Schlaflosigkeit, Nervosität, Zähneknirschen, Zittern und Sehstörungen sind häufig (1 %–10 % der Patienten). Weiterhin kann es zu Benommenheit und Müdigkeit kommen. Venlafaxin löst sehr häufig sexuelle Funktionsstörungen aus und kann die Libido vermindern.[3][4]Bei Absetzen können möglicherweise schwere Absetzerscheinungen auftreten, wie beispielsweise stromschlagartige Missempfindungen. Je abrupter das Absetzen erfolgt, desto stärker sind die Absetzerscheinungen beziehungsweise unerwünschten Nebenwirkungen.

Suizidalität

Venlafaxin soll bei unter 25jährigen Anwendern die Suizidalität (Selbstmordneigung) im Vergleich zu Scheinmedikament (Plazebo) um den Faktor 5 steigern. Das geht aus einer Analyse der US-Aufsichtsbehörde FDA hervor, die alle Daten aus klinischen Studien mit Venlafaxin berücksichtigte – sowohl aus veröffentlichten und unveröffentlichten (vom Hersteller zurückgehaltenen) Untersuchungen.[5] Eine Erklärung dafür ist die Verflachung der Gefühlstiefe, welche zur Unterdrückung der Todesangst führt. Eine weitere Erklärung dafür ist die Antriebssteigerung, welche das Medikament bewirkt. Dies kann bei Patienten mit Suizidgedanken dazu führen, dass diese ihre Pläne ausführen, weshalb Patienten mit Suizidgedanken besonders beobachtet werden sollten.

Konsequenzen

Wegen des besonderen Suizidrisikos und der im Vergleich zu anderen Antidepressiva höheren Toxizität sollte Venlafaxin nach Ansicht einiger Experten nicht mehr zur Erstbehandlung der Depression verwendet werden.[6] In Großbritannien wurde die Leitlinie zur Depressionsbehandlung überarbeitet, um den besonderen Risiken von Venlafaxin Rechnung zu tragen.[7]

Darreichungsformen

 
Efectin-ER-Kapseln: 150 mg und 75 mg Venlafaxin

Venlafaxin liegt als Handelspräparat Trevilor® in Form von Tabletten (nur noch in 37,5 mg Dosierung) sowie als Trevilor retard® in Form von Retardkapseln (75 mg, 150 mg) vor. Wegen des selteneren Auftretens der Magen-Darm-Beschwerden wird fast ausschließlich noch die Retardform verordnet. Die Retardkapseln sind mit etwa 5–7 mm Durchmesser und etwa 12–15 mm Länge recht groß. Außerdem enthalten sie etwas Luft, so dass sie in Wasser schwimmen.

Die Retardkapseln sind nicht teilbar, können nicht zur Dosisänderung zerbrochen werden. Allerdings lassen sich die Kapseln einfach und zerstörungsfrei öffnen, so dass ein Herunterdosieren beim Absetzen in feinere Dosierungsstufen und auch unter 75 mg möglich ist. Da nicht die Kapseln die verzögerte Freisetzung bewirken, sondern das Medikament darin in sogenannten Retard-Kügelchen (Retardpellets) enthalten ist (s. Foto), bleibt die Retardierung nach der Entnahme aus der Kapsel erhalten. Die Retardpellets selbst sind unverdaulich und werden mit dem Kot ausgeschieden.

Wegen der möglichen Störwirkungen sollte ein- bzw. ausschleichend dosiert werden.

Anwendung während der Schwangerschaft

Es liegen keine hinreichenden Daten zur Anwendung von Venlafaxin bei schwangeren Frauen vor. Bei Tierversuchen trat ein verlangsamtes Wachstum des Fötus auf. Das potentielle Risiko für den Menschen ist nicht bekannt. Venlafaxin sollte nicht während der Schwangerschaft eingesetzt werden, es sei denn, dies ist eindeutig erforderlich. Wenn Venlafaxin vor der Geburt angewendet wird, kann es beim Neugeborenen zu Entzugserscheinungen kommen. Manche Neugeborene, deren Mütter im letzten Drittel der Schwangerschaft Venlafaxin einnahmen, entwickelten Komplikationen, die Unterstützung der Atmung und verlängerten Klinikaufenthalt erforderten. Die Patientinnen sollten darauf hingewiesen werden, dass sie ihren Arzt umgehend informieren sollen, wenn sie während der Therapie mit Venlafaxin schwanger werden[8]

Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln

Unter Behandlung mit Venlafaxin kann, wie bei anderen serotonergen Wirkstoffen, ein potenziell lebenbedrohlicher Zustand, das so genannte Serotonin-Syndrom auftreten. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn andere Substanzen eingenommen werden, die das serotonerge Neurotransmittersystem beeinflussen können. Dazu gehören zum Beispiel Johanniskraut, Lithium, Triptane, SSRI und weitere Medikamente[9]

Absetzsyndrom

Wenn die Einnahme von Venlafaxin abrupt beendet wird oder die Dosis zu schnell reduziert wird, kann es zu Absetzsymptomen kommen. Es können Anorexie, Angstgefühle, Agitiertheit, Verwirrung, Diarrhoe, Benommenheit, Mundtrockenheit, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Hypomanie, Schlaflosigkeit oder andere Schlafstörungen, Nervosität, Parästhesie, Schläfrigkeit, Schwitzen, Schwindel, Nausea, Erbrechen, Appetitverlust, Tremor, Albträume, Schwäche, Hyperakusis, Geschmacksveränderungen, verzerrtes Sehen, Konfusion, Depersonalisation, Tinnitus, Wahnideen und verzerrte Wahrnehmung auftreten. Diese Symptome können bis zu vier Wochen nach dem Beenden der Behandlung mit Venlafaxin auftreten. Es wird aus diesem Grund empfohlen die Behandlung ausschleichend zu beenden.[10]

Hauptartikel: SNRI Discontinuation Syndrome

Kritik

Eine Metaanalyse verschiedener Antidepressiva, unter anderem auch Venlafaxin, kommt zu dem Ergebnis, dass 80 % der Wirkung auf dem Placebo-Effekt beruht.[11]

Referenzen

  1. a b Thieme Chemistry (Hrsg.): RÖMPP Online - Version 3.1. Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 2008.
  2. Datenblatt für Venlafaxine hydrochloride – Sigma-Aldrich 02.01.2008
  3. Incidence of sexual dysfunction associated with antidepressant agents: a prospective multicenter study of 1022 outpatients. J Clin Psychiatry 2001;62 Suppl 3:10-21.
  4. Antidepressants and sexual dysfunction. Acta Psychiatrica Scandinavica 114 (6), 384–397.
  5. Clinical Review: Relationship between Antidepressant Drugs and Suicidality in Adults. FDA, 5.12.2006 (PDF, 2 MB)
  6. BMJ 2007;334:215.
  7. NICE - Consultation: Amendment to clinical guideline on depression (clinical guideline 23)
  8. Deutsche Fachinformation: Trevilor, Stand: Mai 2007
  9. Deutsche Fachinformation: Trevilor, Stand: Mai 2007
  10. Fachinformation des Arzneimittel-Kompendium der Schweiz: Efexor®/Efexor® ER; Stand der Informationen: Juli 2005
  11. PLoS Medicine Vol. 5, No. 2, e45