Der Carlismus (auch: Karlismus) war eine monarchistische Bewegung in Spanien von etwa 1820 bis 1937, welche eine bestimmte Seitenlinie des bourbonischen Königshauses als Thronprätendenten favorisierte.
1808 hatte Spanien vor Napoleon kapituliert, konnte ihn und seine Herrschaft aber in einem Guerillakrieg mit englischer Unterstützung vertreiben. Ferdinand VII erstieg den spanischen Thron und versuchte, absolutistisch weiterzuregieren. In einem Kampf um eine liberale Verfassung, die 1820 erlassen, aber schon drei Jahre später wieder durch eine von Ferdinand selbst erbetene französische Invasion kassiert worden war, standen sich als wichtigste Kontrahenten die liberale Armee und die konservative Kirche gegenüber.
1834 führte dieser unablässige Konflikt unmittelbar nach Ferdinands Tod zum Ersten Carlistenkrieg. Don Carlos, der Bruder des Verstorbenen, beanspruchte die Regentschaft an der Stelle Isabellas II., der einzigen Tochter Ferdinands, dem in seinen vier Ehen kein Sohn geschenkt worden war. Ferdinand hatte Isabella 1830 im Rahmen einer Pragmatischen Sanktion unter Abschaffung der Salischen Erbfolge und Rückkehr zur alten spanischen Erbfolge als Thronerbin bestimmt.
Don Carlos sah dies als Raub seiner Thronansprüche an. Er wurde von der Kirche und regionalen Autonomisten des Nordens und Nordostens (nämlich in Navarra, den ländlichen Gebieten des Baskenlands, Aragon und Katalonien) unterstützt. Nur durch Carlos glaubten diese Regionen mit ihrem traditionellen Sonderstatus innerhalb Spaniens ihre Rechte, die fueros gewahrt. Die Regentin Maria Cristina und ihre Tochter Isabella hatten keine Wahl, als sich auf die Liberalen und Zentralisten, besser: die konstitutionellen Monarchisten zu stützen, wenn sie politisch überleben wollte.
Der Erste Carlistenkrieg, ein erster spanischer Bürgerkrieg, brach nur fünf Tage nach Ferdinands Tod aus und dauerte volle fünf Jahre bis 1839. In seinem Zuge wurden auf Betreiben der "Isabelinos" die Kirchengüter durch den Staat eingezogen, was für die Kirche nicht nur wirtschaftlich ein harter Schlag war, sondern sie auch politisch Einfluß kostete. Zu den unzähligen Greueln, welche die einander mit großer Unerbittlichkeit gegenüberstehenden Parteien einander antaten, kam noch die Cholera - was die Liberalen zum Anlaß nahmen, zu verbreiten, daß die Mönche die Brunnen vergiftet hätten. Als der Mob das Feindbild begeistert aufgriff und die Klöster stürmte, kamen über 100 Mönche ums Leben. Zwei Jahre später ließ Isabella die Gesellschaft Jesu verbieten und schloß eine Anzahl von Konventen. Was ein Akt der Beschwichtigung sein sollte, wurde im Gegenteil zu einem bis dahin beispiellosen Klostersturm. Hunderte von Klöstern wurden niedergebrannt, und zahlreiche Mönche verloren ihr Leben. Die Gewaltausbrüche gegen den Klerus sollten ein Leitmotiv des spanischen Kampfes der Konservativen gegen die Liberalen werden, das über die Semana Trágica bis hin zum Spanischen Bürgerkrieg noch oft neu inszeniert werden sollte.
Die Liberalen behielten die Oberhand, nachdem nach Beilegung des Ersten Carlistenkriegs außer dem Prätendenten Don Carlos auch die sich umgehend den Konservativen zuneigende Regentin Maria Cristina außer Landes gejagt worden war. Doch gaben sich die Carlisten nicht nur nicht geschlagen, vielmehr hatten sie sich ihrer Haut zu wehren, als sich die "Moderatos" (Gemäßigten), ihrer Eigenbezeichnung zum Trotz, von 1843 an Jagd auf ihrer Gegner machten.
Durch das ganze 19. Jahrhundert ziehen sich Staatsstreiche (pronunciamentos) mal der einen, mal der anderen Seite. Dazwischen fand von 1847 - 1849 mit dem Zweiten Carlistenkrieg ein weiterer spanischer Bürgerkrieg statt.
1868 wurde Isabella von den Liberalen des Thrones enthoben, weil sie angeblich ihrem carlistischen Beichtvater zu sehr ihr Gehör geschenkt hatte. Nachdem der kurzfristige Import eines Fürsten von Aosta, der bald wieder dankend des Thrones entsagte, nicht weiterhalf, wurde die Erste Republik ausgerufen. Sie sah sich sogleich mit dem Dritten Carlistenkrieg 1872 - 1876 konfrontiert, da sich die Kirche und die nördlichen Provinzen hinter dem Enkel Don Carlos' als Thronprätendenten scharten. Die Armee stellte die Einheit des Staats wieder her, und der Sohn Isabellas, Alfons XII., wurde durch sie inthronisiert. In den unruhigen Jahrzehnten, die der Inthronisierung und der Verfassung von 1875 folgten, hatten die Carlisten weiter Bestand, engagierten sich aber im Gegensatz zu den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens vorwiegend friedlich.
Nachdem 1931 der König Alfons XIII. vertrieben worden war, fanden die königstreue Legitimistische Partei und die Carlisten, die inzwischen einem Prätendenten namens Don Jaime anhingen, zueinander und schlossen einen Pakt. Don Jaime starb aber kurz darauf, und sein Onkel Don Alfonso Carlos, in den Augen der Carlisten nunmehr der rechtmäßige Prätendent, ließ den Pakt wieder aufkündigen. Hierauf kam es zu einer Spaltung der Carlisten; der bedeutendere Teil wendete sich von den Legitimisten ab und pflegte wie einst sein Gemeinschaftswesen in navarresischen Ortszirkeln.
Die Carlisten, die Partei des niederen Adels (die mit ihrem zahlenmäßig beachtlichen Anhang bei den Bauern und Arbeitern auf diese Gruppe aber keineswegs beschränkt waren) waren tief konservativ, streng katholisch, konnten aber weder als faschistisch noch als rechtsextrem bezeichnet werden. Als Monarchisten lehnten sie die Idee der Volkssouveränität ab, propagierten aber keine absolutistische, sondern eine durch Glaube und Gesetz eingehegte Königsherrschaft. Ihr Motto lautete denn auch: "Dios, Patria, Fueros, Rey". Symbole der Carlisten waren ein rotes Burgundisches Andreaskreuz auf weißem Grund sowie rote Baskenmützen.
Die Carlisten standen dem Chaos in Madrid und den zahlreichen kirchenfeindlichen und sonst ideologisch diktierten Maßnahmen, die die Zweite Republik von 1931 bis 1936 in reicher Zahl traf, mit größtem Ressentiment gegenüber und hatten bei Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs keinen Anlaß, die Hand zu ihrer Verteidigung zu erheben. So schlugen sich die Carlisten auf die Seite Francos, um mit ihm aber bald in Streit zu geraten. Bereits 1937 wurde ihr politischer Flügel mit der faschistischen Falange zwangsvereinigt. Mit der Falange zusammen bildeten sie nach dem Krieg wesentliche Teile der Staatspartei des Franquismus, des Movimiento Nacional. Traditionell stand ihnen im franquistischen System der Posten des Justizministers zu.
Eine anhängerstarke Bewegung blieben die Carlisten noch bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Bereits bei den ersten freien Wahlen 1977 zeigte sich jedoch, daß die Carlisten politisch inzwischen in die Bedeutungslosigkeit abrutschten, nachdem sie gerade zwei Sitze erringen konnten. In zahlreichen navarresischen Gemeinderäten haben sie jedoch bis heute Sitz und Stimme, und ihr derzeitiger Prätendent ist Don Carlos Hugo de Borbón.
Ihr Einfluß auf das heutige Spanien war vielfältig. Der baskische Nationalismus hat ebenso carlistische Wurzeln wie die christlichen Gewerkschaften Spaniens.
Weblinks
- http://www.partidocarlista.com/ Homepage des Partido Carlista - linker Flügel der Bewegung (span.)
- http://www.ctcarlista.org/ Homepage der CTC - traditionalistischer Flügel (span.)
- Ein Abenteuer unter den Carlisten (Karl May)