Gerechtigkeit

allgemeine Idee einer Situation, in der alle das bekommen, was sie verdienen
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Der Begriff der Gerechtigkeit (gr.: dikaiosýne, lat.: iustitia, engl./frz. justice) bezeichnet in der Ethik, in der Rechts- und Sozialphilosophie sowie in der Moraltheologie den nach moralischen Maßstäben angemessenen Ausgleich von Interessen bzw. die angemessene Verteilung von Gütern oder Chancen zwischen beteiligten Personen, Gruppen oder innerhalb eines Gesellschaftsverbands. Es ist ein Charakteristikum von Gerechtigkeit, dass sie immer in Bezug auf andere gedacht wird (Intersubjektivität). Sie gehört zu den Grundnormen menschlichen Zusammenlebens und gilt als Grundprinzip für die Rechtsprechung und die Gesetzgebung. Ihr Gegensatz ist die Ungerechtigkeit, ferner die Willkür.

Kulturen- und epochenübergreifend als Menschheitsideal wirksam, stellt Gerechtigkeit - in unterschiedlicher Auslegung - einen universellen Bezugspunkt des politischen Denkens dar. Globalisierung, weltwirtschaftliche Probleme, Klimawandel und demographische Entwicklungen haben dazu beigetragen, dass neben Fragen innerstaatlicher sozialer Gerechtigkeit auch die nach Generationengerechtigkeit und nach einer gerechten Weltordnung in den Vordergrund rücken.

Gerechtigkeit gehört zu den Kardinaltugenden, umfasst jedoch nicht notwendig gute Taten u. a. Handlungen des Wohltuns, die freiwillig und ohne moralische Verpflichtung erbracht werden (Altruismus, supererogatorische Tugenden, die über das ethisch Gebotene hinaus gehen, wie Dankbarkeit oder Karitas). Diese sind zwar erwünscht, können aber nicht wie Gerechtigkeit eingefordert werden.

Die Darstellung der „Gerechtigkeit“ im westlichen Kulturkreis ist die urteilende Justitia, mit Waage (abwägend), Schwert (strafend) und einer Binde vor den Augen (ohne Ansehn der Person).

Zum Begriff Gerechtigkeit

Im Althochdeutschen ist das Adjektiv „gireht“ erstmals im 8. Jahrhundert nachzuweisen. Es bedeutete „gerade“, „richtig“ „passend“ (stärkere Form von „reht“), später beim mittelhochdeutschen „gereht“ kommt die abstraktere Bedeutung „dem Rechtsgefühl entsprechend“ hinzu, wie bereits zuvor im Gotischen „garaiths“.[1] Später steht „gerecht“ auch für „gradlinig“ „angemessen„ und „gemäß“.

Der abstrakte Wert „Gerechtigkeit“ umfasst als Prinzip zur vernunftgemäßen Gestaltung des „guten Zusammenlebens bei Konflikten“

  • menschliche Handlungen und deren Ergebnisse (gerechter Lohn, gerechte Stellenbesetzung),
  • Urteile über Handlungen (vor Gericht, im Sport, in der Erziehung),
  • soziale Regeln (Handlungsnormen, Gesetze, Verfahrensweisen),
  • Einstellungen (Gerechtigkeit als menschliche Tugend) und auch
  • bestehende Beziehungen zwischen Personen oder in der Gesellschaft (gerechte Verhältnisse).

Gelegentlich werden auch Institutionen oder sogar Emotionen (gerechter Zorn) als gerecht bezeichnet.

Ungerechtigkeit ist eine Verletzung der Gerechtigkeit. Zur Ungerechtigkeit gehört auch die Unterlassung einer pflichtgemäßen Handlung.

Gerechtigkeit ist ein normativer, mit einem Sollen verbundener Begriff, der im Verhältnis der Menschen untereinander eine intersubjektive Gültigkeit beansprucht. Damit ist die Aufforderung verbunden, ungerechte Zustände in gerechte umzuwandeln. Wer gerecht sein will, hat die Pflicht gegenüber sich selbst, aber auch in der Erwartung der Anderen, entsprechend zu handeln. Wenn man Gerechtigkeit als Gebot der Sittlichkeit anerkennt, trägt man die Verantwortung, dass gerechte Verhältnisse hergestellt werden. Die Zuschreibung von Verantwortung (Verantwortungsethik) bedeutet, dass das Streben nach Gerechtigkeit von Handlungsfreiheit ausgeht. Für ungerechtes Handeln kann man auf dieser Grundlage verantwortlich gemacht und von den Betroffenen oder der Gesellschaft zur Rechenschaft gezogen werden.

Unter formaler Gerechtigkeit versteht man ein allgemeines Regelungsprinzip, das eine Vorgehensweise bestimmt, nach der alle gleich gelagerten Fälle gleich zu behandeln sind. Formale Prinzipien der Gerechtigkeit sind Gleichheit, Angemessenheit und Unparteilichkeit. Unterschiede in der Behandlung von Personen oder Sachverhalten bedürfen folglich der Begründung.

Materielle (auch: materiale) Gerechtigkeit hingegen stellt einen inhaltlichen Bezug zu einem konkreten Sachverhalt her. Wenn bei einer Person X ein bestimmtes Merkmal Y vorliegt, dann soll daraus Z folgen: Landarbeiter sollten mehr zu essen bekommen als Büroangestellte – weil körperliche Arbeit einen höheren Kalorienbedarf erzeugt.

Materielle Gerechtigkeit setzt formale Gerechtigkeit voraus, schließt aber die Berücksichtigung situationsbedingter Voraussetzungen ein und wird wesentlich unter zwei Gesichtspunkten diskutiert:

  • Wie sind Verhältnisse beschaffen, die dem Ideal der Gerechtigkeit entsprechen?
  • Welche Korrekturen sind geeignet, Gerechtigkeitslücken zu schließen oder ungerechten Zuständen abzuhelfen?

Formale Gerechtigkeit ist kulturell und historisch neutral bestimmbar. Materielle Gerechtigkeit indes ist, wie andere Wertinhalte auch, in der Geschichte unterschiedlich aufgefasst worden und wird auch in der Gegenwart je nach Kulturkreis verschieden interpretiert. Ein klassisches historisches Beispiel ist die Sklaverei. In der Gegenwart gibt es beispielsweise noch sehr unterschiedliche Auffassungen im Hinblick auf die Gleichstellung der Frauen – in manchen Kulturkreisen auch formalrechtlich, in modernen demokratischen Gesellschaften nicht selten informell.

Zum Ursprung von Gerechtigkeit

Gerechtigkeit als Prinzip einer ausgleichenden Ordnung in einer Gesellschaft findet sich in allen Kulturen und ist historisch sehr weit zurückzuverfolgen. Ursprünglich wurde Gerechtigkeit als das Einhalten von sozialen Normen und Gesetzen aufgefasst. Dabei betrachtete man die gesellschaftliche Ordnung als Naturprinzip (Naturrecht) oder als Setzung transzendenter Mächte, beispielsweise einer Gottheit. Gerecht zu sein hieß somit, die Gebote Gottes bzw. der Götter zu erfüllen, der/die entweder überhaupt als personifizierte Gerechtigkeit angesehen wurden oder zumindest "gerecht" als wesentliche Eigenschaft zugesprochen wurde. Die Bezeichnung „gerecht“ bedeutete rechtschaffen oder weise, so in der ägyptischen Ma’at-Lehre oder dem alt-israelischen Begriff der Sädäq (Gemeinschaftstreue).[2] Ähnlich weit gefasst ist auch das „Yi“ (Rechtschaffenheit), eine der vier Säulen des Lunyu im Konfuzianismus, das eine Haltung fordert, die man vor sich selbst rechtfertigen kann. Gerechtigkeit wurde in diesen traditionellen Lehren vor allem als personale Gerechtigkeit, als Eigenschaft und Tugend eines Menschen innerhalb des Herrschaftsgefüges verstanden, die zur Aufrechterhaltung der vorgegebenen Ordnung beitragen sollte.

In der Philosophie der Antike finden sich die ersten Betrachtungen über die Gerechtigkeit bei Platon und Aristoteles. Vor allem Aristoteles traf die Unterscheidung zwischen personaler und gesellschaftlicher Gerechtigkeit als Bürgertugend. Diese Auffassung der personalen Gerechtigkeit war bis ins Mittelalter vorherrschend. Erst mit Beginn der Neuzeit finden sich ausgearbeitete Konzepte, Gerechtigkeit als Vertragsbeziehung zwischen Menschen zur Lösung von Konflikten zu bestimmen, so in den Vorstellungen vom Gesellschaftsvertrag Mitte des 17. Jahrhunderts bei Thomas Hobbes oder ungefähr ein Jahrhundert später im Zeitalter der Aufklärung bei Jean-Jacques Rousseau. Recht wurde nun nicht mehr nur als Ausdruck einer göttlichen Ordnung aufgefasst. Gerechtigkeit erhielt die Bedeutung einer Institution zum Ausgleich unterschiedlicher Interessen. Entsprechend wurde die Bestimmung als personale Gerechtigkeit von der Sicht einer institutionellen Gerechtigkeit, der „iustitia legalis“, verdrängt.

Bedingungen von Gerechtigkeit

Damit Gerechtigkeit als angemessener Ausgleich der in jeder historischen Gesellschaft existierenden vielfältigen Unterschiede weitgehend wirksam werden kann, ist es eine notwendige Voraussetzung, dass die vorhandenen Interessen und moralischen Bewertungen offen und uneingeschränkt kommuniziert werden können. Werden die gesellschaftlichen Normen heteronom (von außen, fremdbestimmt) zum Beispiel durch einen Herrscher oder eine Elite wie die Aristokratie vorgegeben oder handelt es sich um eine Diktatur, sind die Menschen von den Interessen und der Macht Weniger oder Einzelner abhängig, auch wenn der Herrscher sich bemüht, gerecht zu sein. Eine Gesellschaft wird erst autonom (unabhängig und selbständig), wenn die Interessen und Werte in einer offenen Diskussion erörtert und anschließend in einem politischen Prozess, der unterschiedlich gestaltet sein kann, in gültige aber veränderbare Rechtsnormen umgesetzt werden.

Kommunikationsfreiheit ist zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für ein möglichst hohes Maß an Gerechtigkeit. Zum einen erfordert der kritische Diskurs, dass die beteiligten Personen den Prinzipien der Vernunft folgen und sich an moralischen Grundsätzen orientieren. Zum anderen muss als formales Grundprinzip die Gleichheit der Menschen sichergestellt sein. Durch das Prinzip der Gleichheit wird jeder gegenüber jedem verpflichtet. Gleichheit bedeutet hierbei nicht unbedingt eine egalitäre Gleichheit im Sinne der Verteilung gleicher Quantitäten. Eine häufiger vertretene Auffassung von Gleichheit ist diejenige, nach der bei gleichen Sachverhalten jeder Mensch gleich zu behandeln ist.

Aus dem Prinzip der Gleichheit auf dem Hintergrund der unterschiedlichen Interessen, die mit persönichen Voraussetzungen und sozialen Verhältnisse in Zusammenhang stehen, wird insbesondere seit der Moderne vielfach abgeleitet, dass jeder einzelne Mensch ein möglichst hohes Maß an Freiheit haben soll. Und darüber hinaus alle Menschen in ihren Grundbedürfnissen wie Essen, Wohnen, Bildung oder medizinische Versorgung geschützt werden müssen.

Aus dem Gleichheitsprinzip ergibt sich auch der Minderheitenschutz, durch den gewährleistet wird, dass nicht eine Mehrheit Einzelne oder Minderheiten in Hinblick auf Religion, Rasse, Geschlecht oder andere Bedingungen diskriminiert. Das Diskriminierungsverbot enthält die positive Forderung nach Anerkennung der Würde jedes Menschen.

In Hinsicht auf „Gerechtigkeit“ ist wie bei jeder Idealvorstellung bisher eine vollständige Verwirklichung nicht gelungen.

Gleichheit als Grundrecht

Die wichtigste praktische Anwendung der Idee der Gerechtigkeit findet sich auf dem Gebiet des positiven Rechts. Dabei ist die Gleichheit vor dem Gesetz eine der entscheidenden Grundlagen des juristischen Bemühens um die Gerechtigkeit. In den meisten Verfassungen wird diese als Grundlage des Rechtsstaates eingefordert. Artikel 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland legt fest: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Darüber hinaus wird ausdrücklich auf die Gerechtigkeit Bezug genommen: „Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“(Art. 3 Abs. 1 GG)

In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 heißt es: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. [...] Jeder Mensch hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeine Unterscheidung, wie etwa nach Rasse, Farbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, nach Eigentum, Geburt oder sonstigen Umständen."

Menschliches Zusammenleben

Formen der Gerechtigkeit

In unterschiedlichen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens und in Abhängigkeit von den Adressaten der Gerechtigkeit sowie von den jeweiligen gesellschaftlichen Voraussetzungen spielen verschiedene Gerechtigkeitskonzepte eine Rolle:[3]

  • Gleichberechtigung aller Menschen als Verzicht auf Diskriminierung von gesellschaftlichen Gruppen aufgrund von Geschlecht, Rasse, Religion oder sonstigen Weltanschauungen (Gleichheitssatz)
  • Politische Gerechtigkeit in Hinblick auf Freiheiten, Ämter und Chancen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene
  • Juristische Gerechtigkeit in Form von angemessenen und ausgewogenen Gesetzen, einer adäquaten Rechtsprechung und eines angemessenen Strafvollzugs
  • Tauschgerechtigkeit in Bezug auf ökonomische Beziehungen ebenso wie in der Bewertung von Leistung und Gegenleistung zum Beispiel bei der Bemessung von Schadenersatz und Strafmaßen
  • Soziale Gerechtigkeit als angemessene Verteilung von materiellen Gütern, Arbeitsstellen und Ressourcen einschließlich der Chancengleichheit durch Zugang zu den Gegenständen der Befriedigung von Grundbedürfnissen wie Ernährung, Wohnung, medizinische Versorgung oder Bildung (auch: ausgleichende Gerechtigkeit)
  • Schützende Gerechtigkeit durch Friedenssicherung, Minderheitenschutz als Toleranz gegenüber Abweichungen von sozialen und kulturellen Gebräuchen und Normen (zum Beispiel für Behinderte und Homosexuelle) sowie Schutz gegen Übergriffe anderer durch das Strafrecht
  • Generationengerechtigkeit gegenüber künftigen Generationen, vor allem durch Begrenzung von Staatsverschuldung, ausreichende Investitionen in Bildung und Umweltschutz, aber auch im Verhältnis von Eltern zu ihren minderjährigen Kindern wie von Kindern zu ihren altgewordenen Eltern
  • Kontributive Gerechtigkeit als Recht auf Mitbestimmung, aber auch als Pflicht zur Mitwirkung
  • Verfahrensgerechtigkeit als Einhaltung von anerkannten Regeln ohne Ansehen der Person zur Bewahrung der Rechtsdisziplin, zum Beispiel im Rahmen der sozialen Gerechtigkeit oder des Strafrechts (auch: Regelgerechtigkeit im Gegensatz zur Ergebnisgerechtigkeit).

Kriterien der Gerechtigkeit

Die soziale Funktion von Gerechtigkeit besteht darin, innerhalb menschlicher Beziehungen Werturteile über Verteilungen bzw. Zuteilungen zu ermöglichen. Der Begriff der Gerechtigkeit dient als Ziel von Argumentationen. Maßstab für Gerechtigkeit kann sein, was jemand nach eigener Auffassung oder der anderer benötigt, worauf er ein Recht hat, oder was er verdient.

Es gibt verschiedene Kriterien, nach denen das Maß der Gerechtigkeit beurteilt werden kann. Man unterscheidet als Prinzipien der distributiven Verteilung[4]:

  • Bedürfnisprinzip, d.h. den - verschiedenen/verschieden großen - Bedürfnissen gerecht werden
  • Vertragsprinzip, d.h. dem Vereinbarten gerecht werden
  • Leistungsprinzip, d.h. wer viel für die Gemeinschaft leistet, dem steht auch mehr zu
  • Gleichheitsprinzip, d.h. jeder bekommt das Gleiche - Egalitarismus
  • Gleichberechtigungsprinzip, d.h. Ausgleich/Angleichung von Rechten und Chancen - z.B. zwischen Mann und Frau
  • Maximinprinzip, d.h. der Schlechtestgestellte erhält mindestens das, was der Schlechtestgestellte in einer anderen Verteilung erhalten hätte (bei John Rawls als Unterschiedsprinzip bezeichnet)[5])
  • Nachhaltigkeitsprinzip, das ist ein Grundsatz der Umweltethik, nicht mehr zu verbrauchen, als an natürlichen Ressourcen nachwächst[6])
  • Kommunistisches Prinzip, d.h. jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen[7])
  • Autoritäres Machtprinzip, d.h. jedem wird das Seine zwangsweise zugeordnet.

Gegenüber dem Prinzip der Distribution, das auf den Empfänger ausgerichtet ist, bezieht sich das Prinzip der Subsidiarität auf den Geber von Gütern und Leistungen. Das Prinzip der Subsidiarität besagt, dass sich zunächst jeder soweit wie möglich selber helfen soll. Dies umfasst die Pflicht des Einzelnen, seinen Beitrag zur Gemeinschaft nach den ihm gegebenen Möglichkeiten zu leisten. Erst wenn auf diesem Wege (Grund-)Bedürfnisse nicht erfüllt werden, ist die Gemeinschaft verpflichtet, einen Ausgleich zu schaffen. Das Prinzip der Subsidiarität liegt zum Beispiel der deutschen Sozialhilfe zugrunde. Andererseits besagt das Subsidiaritätsprinzip, dass die höhere Ebene der Gemeinschaft dort nicht zuständig ist, wo die untergeordnete Ebene – am Ende der Einzelne – sich selbst helfen kann. In diesem Sinn ist das Prinzip grundlegend für die Beziehungen von Bund, Ländern und Gemeinden in Deutschland, aber auch von der Europäischen Union zu deren Mitgliedsstaaten.

Die Vielzahl der Formen und Prinzipien zur Gerechtigkeit zeigt die Breite der Thematik und zugleich deren Problematik. Keines der einzelnen Prinzipien ist geeignet, alle konträren Interessenlagen zur Zufriedenheit aller zu lösen. Vertreter einzelner Prinzipien neigen dazu, vor allem die Nachteile alternativer Prinzipien aufzuzeigen.[8] Je nach Begründung der unterschiedlichen Prinzipien, die sich oftmals in Abhängigkeit von der Lebenswelt der urteilenden Person ergeben, kommt es auf den Einzelfall bezogen zu unterschiedlichen Werturteilen. Die Frage erhält in vielen praktischen Lebensbereichen Relevanz, wenn es darum geht, materiell als ungerecht empfundene Verhältnisse zu korrigieren. Dies betrifft Bildungschancen ebenso wie die Mitbestimmung in Unternehmen, die Steuergerechtigkeit, einen gerechten Lohn oder die Bemessung gerechter Strafen. Der schon in der Antike formulierte Maßstab „Jedem das Seine“ (Suum cuique) gibt einen Anhaltspunkt, löst aber weder das Quantifizierungsproblem noch Interessenkonflikte.

Beispielsweise nehmen der Utilitarismus aber auch die Wohlfahrtsökonomie Quantifizierungen anhand des Nutzens von Handlungen und Gütern vor. Hiergegen werden grundlegende Einwände vorgebracht. Eine Nutzenrechnung könne die individuellen Wertvorstellungen Einzelner nicht erfassen, auch der Begriff des Nutzens sei nur schwer quantifizierbar und vor allem könnten grundlegende Werte wie die Sicherstellung von Menschenrechten nicht gewährleistet werden. So ist es denkbar, mit Nutzenbetrachtungen auch Sklaverei zu begründen. Die Verwendung sogenannter Nutzenfunktionen kann dazu führen, dass ungleiche Verteilungen mit Gleichverteilungen indifferent betrachtet werden. Im Kontrast dazu steht die Theorie der Gerechtigkeit als Fairness von John Rawls, der eine Reihe von Grundrechten als Voraussetzung für Gerechtigkeit annahm. Martha Nussbaum und Amartya Sen haben ihrerseits einen Ansatz der Verwirklichungschancen (Capability-Ansatz, s.u.) entwickelt, der ein Bündel von Werthaltungen zur Beurteilung der Gerechtigkeit zugrunde legt. Einen Versuch, zu ausgewogenen und damit annähernd gerechten Ergebnissen innerhalb einer Gesellschaft zu gelangen, stellt die Diskurstheorie dar, insbesondere die Diskurstheorie des Rechts.[9]

Gerechtigkeit als politische Gestaltungsaufgabe

Wie die Gerechtigkeitsfrage von alters her ein zentrales Thema der politischen Philosophie war, bestimmt sie auch in der Gegenwart wesentlich das politische Denken und die Themen der praktischen Politik. Dabei sind in den westlichen Industrieländern neben die klassischen Auseinandersetzungen um innerstaatliche soziale Gerechtigkeit, die vom Ringen um die Lösung der Sozialen Frage und um die Schaffung und Entwicklung eines sozialen Sicherungssystems mit seinen verschiedenen Zweigen geprägt waren und sind, Fragen der Gleichberechtigung der Geschlechter, der kulturellen und individuellen Selbstbestimmung sowie der Gerechtigkeit gegenüber Tieren und der Natur getreten.

Vor allem aber hat die immer engere Verflechtung durch die Globalisierung das Problem der internationalen Verteilungsgerechtigkeit, der Verwirklichung von Gerechtigkeit durch Menschenrechte und durch eine gerechte politische Ordnung weltweit aufgeworfen. Standen in der internationalen Diplomatie und Verständigungspolitik traditionell Kriegsverhütung, Friedensschlüsse und nationale Handelsinteressen im Mittelpunkt, so ist die Agenda der Vereinten Nationen sowie die der internationalen Gipfeltreffen und –foren (Weltwirtschaftsforum, Weltsozialforum) heute zunehmend mit Problemen der Armut, des Klimaschutzes, der Migration sowie der weltweiten Verlagerung von Kapitalströmen, Unternehmensinvestitionen und von branchenbezogenen Arbeitsplätzen befasst.

Auch über die Frage, ob es „gerechte Kriege“ geben kann, wurde und wird im Rahmen einer internationalen Sicherheitspolitik und darüber hinaus immer wieder neu diskutiert.

Jürgen Habermas u.a. stellen in diesem Zusammenhang die Frage nach einer Weltinnenpolitik. Otfried Höffe schwebt sogar in Anlehnung an Kant eine „Weltrepublik“ vor.[10] Konkurrierende Positionen betonen den Vorrang ökonomischer, sozialer und kultureller Gerechtigkeit. Eine gerechtere Weltordnung ist, darüber besteht ein weitgehender Konsens, nur im globalen Zusammenwirken erreichbar.

Empirische Gerechtigkeitsforschung

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts haben sich verschiedene Disziplinen der empirischen Gerechtigkeitsforschung entwickelt. Sie untersuchen vor allem Einstellungen zur Frage der Gerechtigkeit (Psychologie) und inwieweit diese in den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen widergespiegelt werden (Sozialwissenschaften). Dabei werden folgende Fragen bearbeitet:[11]

„(1) Was glauben Individuen und Gesellschaften, was gerecht ist, und warum glauben sie es?
(2) Wie beeinflussen Gerechtigkeitsvorstellungen die aktuellen Belohnungen und die bestehende Güterverteilung in einer Gesellschaft?
(3) Wie ist das Ausmaß wahrgenommener Ungerechtigkeit bei einer Abweichung von einem gerechten Zustand?
(4) Was sind die verhaltensbezogenen und sozialen Folgen einer wahrgenommenen Ungerechtigkeit?“

Aus psychologischer Sicht interessiert insbesondere, was die Einstellung eines Menschen in Hinblick auf seine Gerechtigkeitsvorstellung beeinflusst und welche Auswirkungen als ungerecht empfundene Sachverhalte haben. Welchen Einfluss hat die Moralerziehung? Wie wirken sich welche Verfahrensprinzipien und Verteilungsnormen auf das Gerechtigkeitsempfinden aus? Dabei werden zumeist Erhebungen mit den Methoden der empirischen Sozialforschung durchgeführt.

In den Sozialwissenschaften, vor allem in der Soziologie, wird die Frage erweitert, wie sich gesellschaftliche Institutionen wie das Steuersystem, die Chancen auf Erwerbstätigkeit und Bildung, Zugang zum Gesundheitswesen, betriebliche Entlohnungssysteme oder das Strafrecht und deren Ausgestaltung auf Gerechtigkeitsvorstellungen auswirken. Dabei wird auch der soziale Kontext der jeweiligen Werthaltungen untersucht.

Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat insbesondere mit seinen Werken Die feinen Unterschiede und Das Elend der Welt empirische Studien zur Erforschung sozialer Tatsachen, die auf Ungerechtigkeit verweisen, vorgelegt.

Gerechtigkeit als Gegenstand der Entwicklungspsychologie

Nach Jean Piaget durchläuft der Mensch eine kognitive Lernentwicklung, die man in prinzipielle Entwicklungsstadien untergliedern kann. Mit diesen Stadien ist auch eine moralische Entwicklung verbunden.[12] Nach einem ursprünglichen, amoralischem Stadium unterschied Piaget drei Stufen:

  • Moralischer Realismus (reine Reaktion auf erwartete Strafen; bis ca. 3 Jahre)
  • Heteronome Moral (Kennen und Befolgen vorgegebener Regeln; bis ca. 10-12 Jahre)
  • Autonome Moral (eigene Urteile und Regeln; ab der Pubertät)

Das Modell von Piaget wurde in der Folgezeit von Lawrence Kohlberg an der Universität Chicago weiterentwickelt und differenziert.[13] Kohlberg setzte dabei die moralische Entwicklung mit der Entwicklung des Gerechtigkeitsempfindens gleich. Dieses stellt eine Balance zwischen Ansprüchen und Bedürfnissen her. Die Vorstellung von Entwicklungsstufen ist eine idealtypische Konstruktion. Jede Stufe baut auf der vorhergehenden auf und ist zugleich eine Erweiterung des kognitiven Rahmens.

Entwicklungsstufen moralischer Urteile
nach Lawrence Kohlberg
Niveaus und Stufen Motivation und Bezug
A. Präkonventionelles Niveau
1. Autorität Strafe, Belohnung
2. Eigene Bedürnisse Zweck – Mittel - Denken
B. Konventionelles Niveau
3. Anerkennung Konformismus, Gefallenwollen
4. Pflicht Soziale Ordnung
C. Postkonventionelles Niveau
5. Gesellschaftliche Regeln Demokratische Prinzipien
6. Universale Ethik ethische Grundprinzipien

Zu Beginn ihrer Entwicklung befinden sich Kinder auf einem präkonventionellen Niveau. Vorrangig ist die egoistische Perspektive. In einer ersten Entwicklungsstufe folgen sie Regeln einer Autorität, der Eltern, eines Lehrers. Orientierungsmaßstab sind Strafen und Belohnung. Die zweite Stufe zeigt die Verfolgung eigener Bedürfnisse im Zusammenspiel mit anderen. Sie ist noch individualistisch. Vorherrschend ist das Denken in den Kategorien Kosten und Nutzen nach dem Prinzip: wenn du mir hilfst, helfe ich dir auch. Ab etwa 10 Jahren setzt das konventionelle Niveau ein. Der Mensch beginnt, sich an übergeordneten Regeln zu orientieren. In der dritten Stufe strebt er nach Anerkennung und verhält sich in seinem sozialen Umfeld (Familie, Schule, Freizeit) konform. Vor allem will er anderen gefallen. In der vierten Stufe erfolgt die Orientierung an der gesellschaftlichen Ordnung. Man erfüllt seine Pflichten gegenüber Institutionen (Staat, Religion, im Verein) und versucht, zum Wohl der Gesellschaft beizutragen. Das dritte, postkonventionelle Niveau stellt einen ein Übergang zur Werte-Orientierung dar. Es kann etwa ab einem Alter von 20 Jahren erreicht werden. Allerdings gelingt es nicht allen Erwachsenen, sich dieser oder noch höheren Denkformen anzunähern. In der fünften Stufe wird die Gesellschaft als Sozialvertrag begriffen. Individuelle Rechte, vor allem Grundrechte, und allgemeine Rechtsprinzipien bestimmen das Denken über Fragen der Gerechtigkeit. Die sechste Stufe bringt die Orientierung an universalen ethischen Prinzipien (Kategorischer Imperativ), die auch Kritik an gesellschaftlichen Strukturen enthalten (Prinzip Verantwortung).

Kohlberg untersuchte sein Entwicklungsschema in Interview-Reihen mit Hilfe hypothetischer Dilemmata, indem den Probanden Situationen geschildert wurden, in denen moralische Werte im Konflikt zueinander stehen und als vorrangig oder nachrangig beurteilt werden mussten. Dabei konnte die sechste Stufe Kohlbergs empirisch nicht bestätigt werden. Die Forschungen Kohlbergs haben zu einer Vielzahl weiterer empirischer Untersuchungen geführt und Eingang in die Pädagogik gefunden. In Deutschland hat sich zu diesem Themenbereich ein Forschungszentrum an der Universität Konstanz gebildet, in dem Georg Lind, ein Schüler Kohlbergs, die Konstanzer Methode der Dilemmadiskussion entwickelt hat.[14]

Carol Gilligan, eine ehemalige Mitarbeiterin Kohlbergs, stellte während der gemeinsamen Untersuchungen fest, dass Frauen innerhalb dieses Schemas regelmäßig im Durchschnitt nur geringere Stufen erreichten. In einem eigenen Befragungskonzept erweiterte sie den Bereich der untersuchten Werte und kam zu dem Schluss, dass Gerechtigkeit und die dabei unterstellte Autonomie typisch beim männlichen Geschlecht dominant, also androzentrisch seien. Für Frauen hingegen hat nach Gilligan in einem erheblich größeren Maß die Fürsorge als ethischer Wert Bedeutung.[15] Hieraus entwickelte Gilligan die Fürsorgemoral, die sie als von der Gerechtigkeit, aber auch von der Barmherzigkeit unabhängige ethische Kategorie ansieht. Gerechtigkeit ist für sie daher nicht die oberste, sondern eine von mehreren Tugenden.

Gerechtigkeit und Recht

Gerechtigkeit zählt neben Begriffen wie Recht, Gesetz und Strafe zu den Grundlagenbegriffen der Rechtsphilosophie und der Rechtswissenschaft.

Legale Gerechtigkeit unterscheidet sich von der ethischen Gerechtigkeit dadurch, dass die in der Gemeinschaft gültigen Normen für verbindlich erklärt worden sind. Dabei entsteht die Grundfrage, wer für diese Festlegung zuständig ist, wer die Rechtsetzungsmacht hat. Als Rechtsquellen sind kodifiziertes (geschriebenes) Recht, Gewohnheitsrecht und Vertragsrecht zu unterscheiden. In einer rechtlichen Ordnung wird sowohl die Beziehung der Einzelnen zueinander als auch die Beziehung des Einzelnen zur Gemeinschaft geregelt. Die Verbindlichkeit des Rechts entsteht, wenn Abweichungen davon als Rechtsbruch festgestellt und (mit Rechtsfolgen) geahndet werden können.

Schon das Bestehen einer Rechtsordnung überhaupt – wie auch immer diese ausgestaltet sein mag -, das heißt das Abweichen von reiner Willkür, bildet einen Grundtatbestand der Gerechtigkeit, weil hierdurch eine Rechtssicherheit für den Einzelnen entsteht und er seinen Handlungsspielraum hieraus ableiten kann. Dies ist eine formale Bedingung von Gerechtigkeit, die durch positives Recht als solches gewährleistet wird. Materielle Gerechtigkeit ist auf drei Ebenen herzustellen: in der Gesetzgebung, im Gerichtsverfahren und im Strafrecht. Rechtssicherheit als notwendige Bedingung formaler Gerechtigkeit ist dabei ein Nahziel des Rechts, die Herstellung materieller Gerechtigkeit das Fernziel. Die Rechtsprechung soll zwischen diesen beiden Rechtswerten vermitteln. Größte Ungerechtigkeit kann sich ergeben, wenn Rechtsicherheit zum Alleinziel erhoben wird. Außerdem muss der auf legaler Gerechtigkeit beruhende Staat seine Rechtsordnung für die sozialen Akteure glaubwürdig praktisch umsetzen. Dabei wird das Zusammenwirken von Gerechtigkeit(svorstellungen), Recht(ssystem) und (Durchsetzungs-)Macht deutlich.

Naturrecht oder Rechtspositivismus

Eine der grundlegenden Fragen der Rechtsphilosophie ist es, ob es ein Naturrecht gibt oder ob Gesetze allein aufgrund menschlicher Überlegungen und Handlungen zustande kommen. Letztere Auffassung bezeichnet man als Rechtspositivismus. Je nach Auffassung wird das Verhältnis von Gerechtigkeit und Recht unterschiedlich bestimmt. Vertreter des Naturrechts fordern, dass Gesetze aus ethischen Prinzipien abgeleitet werden und mit diesen im Einklang stehen müssen. Das ethische Prinzip der Gerechtigkeit wird damit Grundlage des positiven Rechts. Für Rechtspositivisten ergibt sich das Recht aus der sozialen Praxis und ist unabhängig von der Moral. Recht wird nach seiner Zweckmäßigkeit und nicht nach seiner Sittlichkeit beurteilt. Darüber hinaus gibt es Ansätze, die in unterschiedlicher Weise versuchen, Elemente beider Richtungen miteinander zu verknüpfen.

Der Widerstreit der beiden Positionen beruht im Grundsatz auf der Differenz darüber, welchen Charakter die Grundwerte einer Gesellschaft haben. Für den Rechtspositivisten sind sie vom Menschen gewählt und je nach kulturellem Kontext verschieden. Für den Naturrechtler sind Werte wie die Würde des Menschen, Freiheit, Gleichheit oder die Unverletzlichkeit des Lebens unveräußerliche Werte, die kulturunabhängig und unabhängig vom geltenden Recht bestehen. In der praktischen Konsequenz können positive Gesetze für den Naturrechtler danach Unrecht darstellen.

Einer verbreiteten, aber zu pauschalen Auffassung zufolge ist für den Rechtspositivismus das gesetzte Recht nach dem Prinzip pacta sunt servanda (unbedingte Pflicht zur Vertragstreue) ohne Einschränkung gültig, während dem Naturrechtsverständnis zufolge unter bestimmten (extremen) Bedingungen bürgerlicher Widerstand gegen bestehende Gesetze begründet und sogar ethisch geboten sein kann. Eine solche nichtpositivistische Begründung für ein Recht auf Widerstand liefert die Radbruchsche Formel, die Gustav Radbruch vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Unrechtsstaates entwickelt hat. Dass diese Dichotomie die Haltung des Rechtspositivismus und der Naturrechtslehre zum Problem der Gerechtigkeit jedoch zu stark vereinfacht, machen zwei Gegenbeispiele hinreichend deutlich: Auf der einen Seite haben postivistisch orientierte Rechtsphilophen wie der britische Rechtsphilosoph H.L.A. Hart, neben Hans Kelsen der bedeutendste Rechtspositivist des 20. Jahrhunderts, sowie im deutschsprachigen Raum der Philosoph Norbert Hoerster wiederholt darauf hingewiesen, dass gerade auch die positivistische Trennungsthese eine kritische Beurteilung der geltenden Gerechtigkeitsmaßstäbe ermögliche. Rechtskritik könne einer rechtspositivistischen Theorie sogar besser gelingen als einer naturrechtlich fundierten, da nur jene in der Lage sei, zwischen dem Recht, wie es ist und dem Recht, wie es sein sollte, zu unterscheiden. Auf der anderen Seite hat beispielsweise Immanuel Kant zwar eine vernunftrechtlich begründete, auf materialen Grundsätzen aufbauende Rechtslehre entwickelt, ein Recht des Volkes auf Widerstand gegen ungerechte, selbst gegen die Menschenrechte verstoßende Gesetze, jedoch kategorisch abgelehnt.

Gerechtigkeit vor Gericht

 
Justitia am Gebäude des Ravensburger Landgerichts

Neben dem kodifizierten Recht ist die Einrichtung von Gerichten ein wesentlicher Schritt zur Schaffung von Rechtssicherheit und damit von Gerechtigkeit, insbesondere wenn sie mit dem Verbot von Privatjustiz bzw. Selbstjustiz einhergeht. Die Institution der Justiz soll gewährleisten, dass Rechtsstreitigkeiten im Zivilrecht ebenso wie Rechtsverstöße im öffentlichen und im Strafrecht von sachkundigen, unabhängigen Personen in gleicher Weise und angemessen beurteilt und entschieden bzw. geahndet werden. Dies ist zur Gewährleistung von Gerechtigkeit notwendig, da Gesetze vom Charakter her allgemein formuliert sind und auf konkrete Tatbestände nur durch eine Bewertung angewendet werden können.

Zur Gerechtigkeit in einem Gerichtsverfahren tragen eine Reihe von Faktoren bei:

  • vollständige Aufklärung des Sachverhaltes
  • Unparteilichkeit des Richters (keine Befangenheit)
  • Sachkenntnis des Richters
  • juristische Fachkenntnis des Richters
  • Öffentlichkeit des Verfahrens
  • eine allgemeingültige Prozessordnung
  • uneingeschränktes Recht auf Verteidigung

Wünschenswert, aber nicht erzwingbar ist die Urteilsfähigkeit sowie damit verbunden eine persönliche Gerechtigkeit es Richters. Da Gesetze auslegungsbedürftig sind und die Möglichkeit des Irrtums besteht, hat sich in der Rechtspraxis die Möglichkeit der Revison eines Verfahrens vor einer höheren Rechtsinstanz entwickelt. Zur Rechtssicherheit trägt auch die Veröffentlichung von Urteilen bei, die auf die Gleichmäßigkeit der Rechtsprechung hin wirkt. Weiterhin zählt dazu, dass alle Gesetzesverstöße ohne Ansehen der Person verfolgt und vor Gericht gebracht werden. Dies wird bei Straftaten dadurch gewährleistet, dass bei bekannt werden eines Verdachts die Staatsanwaltschaft von Rechts wegen ermitteln muss. Weitgehend können diese idealen Bedingungen in demokratischen Rechtsstaaten verwirklicht werden.

Ein allgemeines schwer zu lösendes Problem hinsichtlich der Gerechtigkeit in Gerichtsverfahren besteht in den individuellen Besonderheiten von Richtern innerhalb des gesetzlichen Rahmens. So wurde beispielsweise der deutsche Richter und spätere Politiker Ronald Schill in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts in der Öffentlichkeit häufig als „Richter Gnadenlos“ bezeichnet, obwohl die Höhe der verhängten Strafen formal nicht beanstandet worden war. Es handelte sich lediglich um eine Bewertung in Bezug auf seine Richterkollegen.

Das Problem des Richterrechts

Weil Gesetze allgemeine Regelungen sind, ist Rechtsprechung notwendig eine Auslegung von Sachverhalten in Bezug auf ein Gesetz. Ein grundlegendes Rechtsprinzip ist, dass Richter sich nach bestehenden Gesetzen richten müssen. Dennoch ergeben sich in der Rechtspraxis immer wieder Situationen, in denen Tatbestände nicht unter eine bestimmte Rechtsnorm subsumierbar sind. Nach strenger positivistischer Rechtsauffassung müsste in eine solchen Fall eine Klage abgewiesen werden, weil es für sie keine Rechtsgrundlage gibt. Dies entspricht dem Rechtsprinzip „Keine Strafe ohne Gesetz“ (Nulla poena sine lege).

Allerdings sind Rechtsfälle denkbar, in denen die Abweisung einer Klage als Verstoß gegen die Gerechtigkeit empfunden würde. So nennt Ronald Dworkin als Beispiele aus der Rechtspraxis der USA (siehe Case law) den zurückgewiesenen Erbanspruch eines Enkels (1888), der seinen Großvater ermordet hatte, um zu erben sowie den verdeckten Mangel eines Autos, der zu einem Unfall mit einem erheblichen Schaden geführt hatte. Im Kaufvertrag war jedoch die Haftung auf Ersatzteillieferungen beschränkt worden (1960). In beiden Fällen wichen die Richter von der formalen Rechtssituation und der bisherigen Rechtsprechung ab und schufen Präzedenzfälle.[16] In solchen Situationen erfolgt eine Rechtsfortbildung durch Richterrecht. Ein Rechtspositivist verweist dabei auf den Ermessensspielraum des Richters. Dworkin hingegen betont, dass ein Richter sich an allgemeinen Rechtsprinzipien orientieren müsse, wenn er neuartige Fälle zu entscheiden hat.

Weniger extrem und häufiger sind Analogien in der Rechtsprechung. Die Ergänzung von Gesetzeslücken ist im Schweizer Recht ausdrücklich vorgesehen:

„Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll der Richter nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die er als Gesetzgeber aufstellen würde.“ (Art. 1, Abs. 2, Schweizerisches Zivilgesetzbuch)

In Deutschland gibt es eine solche gesetzliche Regel nicht, jedoch besteht eine Generalnorm im Grundgesetz:

„Die Gesetzgebung ist an die verfassungsgemäße Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“ (Art. 20 III GG)

Da im Grundgesetz neben die positiven Gesetze ausdrücklich das Recht an sich als Maßstab für die Rechtsprechung gestellt wird, erhalten Richter in schwerwiegenden Zweifelsfragen den Freiraum zur Interpretation der gesetzlichen Vorschriften im verfassungsgemäßen Rahmen. Dies wurde vom Bundesverfassungsgericht zum Beispiel im „Soraya-Urteil“ (1973), in dem es um die Wahrung von Persönlichkeitsrechten ging, ausdrücklich bestätigt und begründet:[17]

„IV. 1. Die traditionelle Bindung des Richters an das Gesetz, ein tragender Bestandteil des Gewaltentrennungsgrundsatzes und damit der Rechtsstaatlichkeit, ist im Grundgesetz jedenfalls der Formulierung nach dahin abgewandelt, daß die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden ist (Art. 20 Abs. 3). Damit wird nach allgemeiner Meinung ein enger Gesetzespositivismus abgelehnt. Die Formel hält das Bewußtsein aufrecht, daß sich Gesetz und Recht zwar faktisch im allgemeinen, aber nicht notwendig und immer decken. Das Recht ist nicht mit der Gesamtheit der geschriebenen Gesetze identisch. Gegenüber den positiven Satzungen der Staatsgewalt kann unter Umständen ein Mehr an Recht bestehen, das seine Quelle in der verfassungsmäßigen Rechtsordnung als einem Sinnganzen besitzt und dem geschriebenen Gesetz gegenüber als Korrektiv zu wirken vermag; es zu finden und in Entscheidungen zu verwirklichen, ist Aufgabe der Rechtsprechung. Der Richter ist nach dem Grundgesetz nicht darauf verwiesen, gesetzgeberische Weisungen in den Grenzen des möglichen Wortsinns auf den Einzelfall anzuwenden. Eine solche Auffassung würde die grundsätzliche Lückenlosigkeit der positiven staatlichen Rechtsordnung voraussetzen, ein Zustand, der als prinzipielles Postulat der Rechtssicherheit vertretbar, aber praktisch unerreichbar ist. Richterliche Tätigkeit besteht nicht nur im Erkennen und Aussprechen von Entscheidungen des Gesetzgebers. Die Aufgabe der Rechtsprechung kann es insbesondere erfordern, Wertvorstellungen, die der verfassungsmäßigen Rechtsordnung immanent, aber in den Texten der geschriebenen Gesetze nicht oder nur unvollkommen zum Ausdruck gelangt sind, in einem Akt des bewertenden Erkennens, dem auch willenhafte Elemente nicht fehlen, ans Licht zu bringen und in Entscheidungen zu realisieren. Der Richter muß sich dabei von Willkür freihalten; seine Entscheidung muß auf rationaler Argumentation beruhen. Es muß einsichtig gemacht werden können, daß das geschriebene Gesetz seine Funktion, ein Rechtsproblem gerecht zu lösen, nicht erfüllt. Die richterliche Entscheidung schließt dann diese Lücke nach den Maßstäben der praktischen Vernunft und den fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft (BVerfGE 9, 338 [349]).“

Kritiker dieser Rechtsauffassung verweisen darauf, dass durch das Richterrecht ein Element der Willkür in der Rechtsprechung enthalten sei, das zur Rechtsunsicherheit beitrage. Insbesondere sei es ein systematischer Mangel des Richterrechts, dass die im Urteil festgelegten Rechtsprinzipien bis dahin für entsprechende Fälle keine Rechtsgrundlage waren. Richterrecht verstoße damit gegen den Grundsatz des Rückwirkungsverbotes von Gesetzen.[18]

Gerechtigkeit im Strafrecht

 
Gerechtigkeit nach Max Baumann am Berliner Dom

Strafen sind ein wesentlicher Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen. Sie bedürfen daher einer grundlegenden Rechtfertigung. Gerichtlich verhängte Strafen aufgrund von Gesetzesverstößen haben mehrere Funktionen, die im Strafrecht verschiedener Staaten unterschiedlich gewichtet werden:[19]

Durch seine Tat hat sich ein Straftäter in gewisser Weise einen Vorteil verschafft und das sittliche Gleichgewicht der Gesellschaft gestört. In diesem Sinne sind Strafen eine Form der ausgleichenden Gerechtigkeit und vergangenheitsbezogen. Ihnen liegt die grundsätzliche Annahme zugrunde, dass Täter aus freiem Willen handeln und sich möglicher Konsequenzen ihrer Taten bewusst sind oder zumindest bewusst sein könnten. Am konsequentesten haben diesen rein vergeltenden, ausgleichenden und vergangenheitsbezogenen Charakter der Strafe die Philosophen Immanuel Kant und Georg Wilhelm Friedrich Hegel vertreten. Kant zufolge „müßte [falls ein Inselvolk sich aufzulösen beschlösse] vorher der letzte im Gefängnis befindliche Mörder hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Taten wert sind und die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte, das auf diese Bestrafung nicht gedrungen hat“.[20] Hegel brachte den Gedanken der ausgleichenden Gerechtigkeit dadurch zum Ausdruck, daß er das Verbrechen als Negation des Rechts, die Strafe hingegen wiederum als Negation dieser Negation ansah.

Das Konzept des Strafrechts als eine Form der ausgleichenden (vergeltenden) Gerechtigkeit wird von Vertretern eines reinen Präventionsstrafrechts in Frage gestellt. Schon Seneca führte im 1. Jahrhundert n. Chr. unter Berufung auf Platon, der sich hierbei selbst auf den antiken griechischen Skeptiker Protagoras bezogen hatte, aus, dass ein kluger Mensch nicht strafe, weil gesündigt worden ist, sondern, damit nicht gesündigt werde („Nam, ut Plato ait: 'Nemo prudens punit, quia peccatum est, sed ne peccetur...'“).[21] Eine Blütezeit erlebte der Präventionsgedanke sodann ab dem Zeitalter der Aufklärung. Bedeutende Vertreter eines überwiegend präventiv orientierten Strafrechts waren beispielsweise der italienische Strafrechtsreformer Cesare Beccaria Ende des 18. Jarhunderts und der deutsche Strafrechtler Franz von Liszt, der dem Präventionsgedanken sein berühmtes Marburger Programm von 1882 widmete. Aus philosophischer Perspektive wurde der Vergeltungsgedanke beispielsweise von Friedrich Nietzsche abgelehnt.[22] Er hielt Vergeltung als Begründung von Strafen für einen irrationalen Racheinstinkt, der durch christliche Lehren („Höllenfeuer“) gestützt wird.

Dem Präventionsgedanken durch Abschreckung liegt die Annahme zugrunde, dass es der Staatsgewalt bei hinreichender Höhe der angedrohten Strafe gelingen wird, Umfang und Häufigkeit von Straftaten spürbar zu verringern. Hierdurch soll Gerechtigkeit von vorn herein sichergestellt werden.

Erfolgreiche Maßnahmen zur Resozialisierung, die zur Wiedereingliederung von Straftätern in die Gesellschaft führen, wirken im Sinne von Gerechtigkeit. Denn sie erhöhen die allgemeine Rechtssicherheit durch sinkende Rückfallquoten.

Das psychologische und sozialwissenschaftliche Argument, dass Menschen Straftaten oftmals aufgrund persönlicher Disposition und gesellschaftlicher Bedingtheit begehen, also weitgehend determiniert (festgelegt) und dadurch schuldunfähig sind, wird neuerdings von Neurowissenschaftlern wie Gerhard Roth gestützt, ist aber stark umstritten.[23]

Gerechtigkeit und Religion

Gerechtigkeit ist in allen Religionen ein herausragender, positiv belegter Wert. Der Begriff hat vielfältige Bedeutungen, selbst innerhalb einer Religion.

Im christlichen Sinne entsteht Gerechtigkeit durch die Einhaltung der Gebote Gottes. Sie schließt die Barmherzigkeit aus Liebe mit ein. Dieser menschlichen Gerechtigkeit übergeordnet ist die Gerechtigkeit Gottes, durch dessen Handeln dem Menschen Gerechtigkeit als Gnade geschenkt wird, die aber auch als Gericht dem sündigen Menschen gegenüber tritt. Nach Paulus im Neuen Testament ist Gottes Gerechtigkeit „offenbart aus Glauben zum Glauben“ (Röm. 1, 17) „ohne Zutun des Gesetzes“ (Röm. 2, 12). Alttestamentlich wird die Gerechtigkeit Gottes als ein zukünftiger Zustand der Welt gesehen. „Das Werk der Gerechtigkeit wird der Friede sein, der Ertrag der Gerechtigkeit sind Ruhe und Sicherheit für immer.“ (Jes. 32, 17) Ähnlich auch Paulus: „Dann sehen die Völker deine Gerechtigkeit und alle Könige deine strahlende Pracht.“ (Gal. 5, 5) Dennoch fordert er Gerechtigkeit im praktischen diesseitigen Handeln: „Stellt eure Glieder nicht der Sünde als Waffen der Ungerechtigkeit zur Verfügung, sondern stellt euch ganz Gott zur Verfügung als Menschen, die von den Toten auferweckt leben, und stellt eure Glieder als Waffen der Gerechtigkeit in den Dienst Gottes.“ (Röm 6, 13) Ein grundlegendes Problem für die christliche Lehre ist die Vorstellung eines allmächtigen, allgütigen und zugleich in das Weltgeschehen eingreifenden Gottes angesichts des Bösen, die sogenannte Theodizee.

Für das Judentum meint Gerechtigkeit („sädäq“) sowohl die Bundestreue Gottes als auch den Gehorsam des Menschen, den er sowohl durch seine innere Einstellung als auch durch sein äußeres Handeln zum Ausdruck bringt. Mose wird in der Tora als Vermittler der Gesetze Gottes dargestellt: „Seht, ich lehre euch Gesetze und Rechtsvorschriften, wie mir der Herr, mein Gott, geboten hat.“ (Deut. 4, 5) Ein glaubender Jude ist aufgefordert, sein Handeln an der Gerechtigkeit auszurichten. „Der Gerechtigkeit, der Gerechtigkeit jage nach.“ (Deut, 16, 20) Dabei ist nicht nur das Erfüllen der Gebote im Tanach, sondern eine grundsätzliche ethische Haltung gefordert: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Gott bei dir sucht: nichts anderes als Gerechtigkeit tun, Freundlichkeit lieben und aufmerksam mitgehen mit deinem Gott.“ (Micha 6, 8)

Im Islam ist Gerechtigkeit („’adl“) ein Gebot Allahs im Rahmen der von ihm gegebenen Weltordnung. Er selbst ist Verkörperung der Gerechtigkeit: „Allah bezeugt, in Wahrung der Gerechtigkeit, dass es keinen Gott gibt, außer ihm.“ (Kor. 3, 18) Entsprechend ist Gerechtigkeit ein grundlegender Anspruch an den Muslim. „Mein Herr hat die Gerechtigkeit geboten.“ (Kor. 7, 29) Dabei wird im Koran in einer Vielzahl von Stellen auf das konkrete menschliche Handeln abgestellt.

  • „Gott befiehlt euch, die anvertrauten Güter ihren Eigentümern zurückzugeben; und wenn ihr zwischen zwei Menschen richtet, nach Gerechtigkeit zu richten.“ (4, 58)
  • „Folgt nicht dem Gelüst, statt gerecht zu verfahren“ (4, 135)
  • „Der Hass gegen Leute soll euch gewiss nicht verleiten, dass ihr nicht gerecht verfahrt. Das ist der Gottesfurcht näher.“ (5, 8)
  • „Gott liebt die, die gerecht handeln“ (5, 42)
  • „Wenn ihr aussagt, dann seid gerecht, selbst wenn es um Verwandte ginge.“ (6, 152)
  • „Mein Volk, gebt gerecht volles Maß und Gewicht (11, 85)

Dabei führt auch im Islam der Glaube zu einer gerechten Haltung. „Ihr, die ihr glaubt, steht für Gott als Zeuge der Gerechtigkeit. (Kor. 5, 8) Ebenso ist Gott der Richter, der am Tage des Gerichts über Unrecht und Recht urteilt. (Kor. 10, 54)

In den asiatischen Weisheitslehren des Konfuzianismus, Daoismus und Buddhismus ist die Kategorie der Gerechtigkeit (als richtiges Handeln) Bestandteil umfassenderer Tugend- und Pflichtenlehren, die vor allem auf das Individuum ausgerichtet sind, sich im Konfuzianismus aber auch auf Staat und Gesellschaft beziehen.

Gerechtigkeit in Kunst und Literatur

 
„Gerechtigkeit als Frau
mit Schwert und Waage“
Lucas Cranach d. Ä. (1537)
(Amsterdam Fridart Stichting)

Es existieren zahlreiche künstlerische Darstellungen der Gerechtigkeit, z.B. in Malereien und Skulpturen. Häufig wird die Gerechtigkeit allegorisch als Frau gestaltet. In einer Reihe von Städten gibt es Gerechtigkeitsbrunnen, oft mit einer Statue der Justitia

Die Gerechtigkeit ist auch oftmals zentrales Thema in der Literatur und im Sprechtheater. Bereits im antiken griechischen Theater widmet Aischylos in der Orestie einem sehr schwer ‚gerecht‘ zu entscheidenden Strafprozess seine Aufmerksamkeit, in dem Götter und Menschen über einen Muttermörder, der durch seine Tat seinen von der Mutter ermordeten Vater rächen wollte, beraten und urteilen. Im deutschen Sprachraum thematisierte Friedrich Schiller die Gerechtigkeit in vielen seiner Werke von Die Räuber bis zum Wilhelm Tell, aber auch in der Ballade Die Kraniche des Ibykus. Berühmte Musterbeispiele hat Heinrich von Kleist mit seiner Erzählung Michael Kohlhaas und seinem Lustspiel Der zerbrochene Krug gegeben. Auf die Unmöglichkeit, ein gerechtes Gesetz zu verfassen, verweist Franz Kafkas Parabel Vor dem Gesetz. Berühmt ist auch der kaukasische Kreidekreis von Bertolt Brecht.

In der Oper ringen zum Beispiel Gerechtigkeit und Großmut in Mozarts La clemenza di Tito miteinander.

Bekannte Verfilmungen zum Thema Gerechtigkeit sind Zeugin der Anklage, Die 12 Geschworenen sowie … und Gerechtigkeit für alle. In dem u.a. von Amnesty International prämierten Film „Jagd nach Gerechtigkeit“ (Hunt for Justice) des Regisseurs Charles Binamé stehen die Gründung des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag und die Widerstände bis zum Prozess gegen Slobodan Milosevic im Mittelpunkt der Handlung.

Theorien zur Gerechtigkeit

Überblick

Die Frage nach der Natur der Gerechtigkeit ist seit der griechischen Antike Gegenstand intensiver philosophischer Debatten. Frühe Erklärungen griffen dabei auf metaphysische Begründungen zurück. So wurde Gerechtigkeit als eine in der Natur vorhandene Ordnung oder als göttlichen Ursprungs verstanden. Dabei wurde Gerechtigkeit zunächst nicht vorrangig an kodifiziertem Recht gemessen, sondern als Ausdruck einer persönlichen Lebenshaltung betrachtet. Sowohl Platon als auch Aristoteles sahen das Glück als den höchsten anzustrebenden Wert an. Gerechtigkeit war für sie die oberste Tugend, um diese Glückseligkeit zu erreichen. Gerechtigkeit war so eine grundlegende Charaktereigenschaft.

In der römischen Gesellschaft bildeten sich allmählich die kodifizierten Rechtsvorschriften stärker aus. Gerechtigkeit wurde zwar immer noch mit einer persönlichen Haltung verbunden, war aber zum Beispiel bei Cicero schon stärker an der gesellschaftlichen Ordnung orientiert. So beginnt die Rechtssammlung des Kaisers Justinian I. (527-565), der Corpus Juris Civilis mit der Definition des Rechts aus allgemeinen Prinzipien:

„Die Vorschriften des Rechts sind diese: ehrenhaft leben, den anderen nicht verletzen, jedem das Seine gewähren.“[24]

Beginnend in der Spätantike und bis ins späte Mittelalter reichend dominierten in der Folge christliche Vorstellungen die Debatte. Die Gerechtigkeit Gottes hatte Vorrang und daraus folgend konnte der Mensch Gerechtigkeit nur durch die Gnade Gottes erlangen.

Mit der Neuzeit kam es schrittweise zu der Lösung von der Vorstellung einer gottgegebenen Ordnung. Gerechtigkeit wurde bei Thomas Hobbes als notwendiges Prinzip aus der Natur der Menschen begründet. In der Folge der neuen Weltsicht entstanden von Hobbes über John Locke bis zu Jean-Jacques Rousseau verschiedene Konzepte des Gesellschaftsvertrages, die auch die neuen Gesellschaftsordnungen wie die Verfassung der Vereinigten Staaten prägten.

Einen weiteren Schritt vollzogen der Skeptiker David Hume und Immanuel Kant, die auf die Unmöglichkeit einer Verknüpfung des Seins mit dem Sollen (Humes Gesetz) verwiesen. Kant wies das Naturrecht als metaphysisch zurück und entwickelte die Idee des Vernunftrechts. Anknüpfend an Hume entstand im englischsprachigen Raum der Utilitarismus als dominierendes ethisches Prinzip, das die allgemeine Wohlfahrt (den gesamtgesellschaftlichen Nutzen) in den Mittelpunkt der Werte stellte und die Gerechtigkeit auf die Ebene einer Rahmenbedingung verwies.

Die Erkenntnis, dass Gerechtigkeit nicht aus einem höheren Prinzip abzuleiten ist, führte zu einer Kritik der bürgerlich-liberalen Gerechtigkeitsauffassungen, die von Karl Marx über Friedrich Nietzsche, Walter Benjamin bis hin zu Jacques Derrida reicht.

Ein neuer Ansatz in der Diskussion entstand mit der Theorie der Gerechtigkeit von John Rawls, die allgemeine Prinzipien für die gerechte Gestaltung der Gesellschaft in der Fortentwicklung kantischer Vorstellungen bietet. Auch die Diskurstheorie von Jürgen Habermas liefert Ansatzpunkte, Gerechtigkeitsfragen rational zu lösen. Einen Weg weg von der alleinigen Dominanz ökonomischer Kriterien weist Amartya Sen, der den sehr verschiedenen Bedürfnissen der Menschen Rechnung trägt und vor allem in sein Konzept auch das Problem der internationalen Gerechtigkeit aufnimmt.

Platon

 
Platon im Museum Pio-Clementino

Platon setzte sich an verschiedenen Stellen seines Werkes mit der Frage der Gerechtigkeit auseinander. Dabei diskutierte er zunächst verschiedene Positionen, die er von verschiedenen Sophisten als literarischen Gesprächspartnern in seinen Dialogen aussagen ließ.

Im Dialog Gorgias (482c-481b) vertritt der Politiker Kallikles die Auffassung, dass die Gesetze vor allem den Schwachen und der breiten Masse dienten. Das von Natur Gerechte (to tēs physeos dikaion) seien hingegen Privilegien für die Stärksten und Besten. Er kritisiert damit die berühmte These Platons, dass Unrecht leiden immer noch besser sei, als Unrecht zu tun (469b-c), weil durch das Tun von Unrecht die Seele geschädigt wird. Für Thrasymachos war Gerechtigkeit hingegen ein Instrument der Mächtigen, durch das sie die Regeln im Staat festlegen und damit ihre Interessen durchsetzen (Politeia I, 338c-339b, 343b-344c). Sokrates hingegen betont, dass die Gerechtigkeit zu “dem Schönsten, nämlich zu dem, was sowohl um seiner selbst willen wie wegen der daraus entspringenden Folgen von jedem geliebt werden muss, der glücklich werden will”. (Politeia II, 358a). Ein anonymer Sophist fasste Gerechtigkeit als Vereinbarung auf, die zum Besten aller Beteiligten ist (Politeia II, 358e-362c). Hippias von Elis soll das Gesetz einen Tyrannen genannt haben, durch den die natürliche Verwandtschaft der Weisen zerstört wird (Dialog Protagoras 337 c-e). Nach Protagoras sind der Respekt vor dem Anderen (aidōs) und das Gerechtigkeitsgefühl (dikē) der von Zeus den Menschen zugeteilte Ausgleich für ihre Mängelnatur (Dialog Protagoras 320c-328d). Ein besonderes Lehrstück ist der Dialog Kriton, in dem Sokrates, bereits im Gefängnis auf die Vollstreckung seines Todesurteils wartend, die Flucht ablehnt, weil es nach einem vernünftigen und sachverständigen Urteil nicht gerecht ist, sich nicht an die Gesetze des Staates zu halten, mit dem man sich identifiziert (innerlich einen Vertrag abgeschlossen hat).

Vor dem Hintergrund der zu seiner Zeit offensichtlich intensiven Debatte um die Gerechtigkeit entwickelte Platon in seinem Werk Politeia eine eigene Konzeption der Gerechtigkeit als Seelenvermögen. Gerechtigkeit ist eine Funktion der Seele so wie Augen und Ohren die Funktion des Sehens und Hörens für den Leib haben. Daher ist „Gerechtigkeit, wenn man das Seine tut und nicht vielerlei Dinge treibt“ (to ta hautou prattein kai mē polypragmonein dikaiosynē, IV 433a). Jeder soll das Seine (für die Gemeinschaft, den Staat) tun, und zwar in Art und Umfang so, wie es seinem Wesen, seinen Möglichkeiten und den individuellen Umständen entspricht (sog. Idiopragie). Ergänzend erklärte Platon, dass ebenso im Falle von Rechtsstreitigkeiten jeder das Seine bekommen soll und dass niemandem das Seine genommen werden soll (433e). Zur Ungerechtigkeit zählte er, wenn sich jemand in das Geschäft eines anderen einmischt, indem er die Grenzen der Aufgabenverteilung in der Stadt überschreitet. Für Platon hatte die Seele die drei Grundvermögen Begehren (epithymētikon), Muthaftigkeit (thymoeides) und Vernunft (logistikon), denen die drei Tugenden Besonnenheit, Tapferkeit und Weisheit entsprechen. Um diese Tugenden richtig einsetzen zu können, bedarf es als vierter Kardinaltugend der Gerechtigkeit, die sogar wegen ihrer Ordnungsfunktion die höchste Tugend ist. Laut Platon erreicht der Gerechte ein höheres Glück als der Ungerechte.

Struktur des gerechten Staates nach Platons Politeia
Seelenvermögen Begehren Mut Vernunft
Tugend Besonnenheit Tapferkeit Weisheit
Handlungsweise Erwerbskunst Mutigkeit Wissbegier
Aufgabe im Staat Handwerker
Bauer, Kaufmann
Wächter Philosophenherrscher

Der Philosoph verglich nun diese an der Person orientierte Vorstellung mit einem idealisierten Denkmodell eines gerechten Staates. Der gerechte Mensch ist der Idealvorstellung eines gerechten Staates ähnlich. Darin gibt es drei Klassen von Bürgern, die über unterschiedliche Fähigkeiten und Qualifikationen verfügen. Ein gerechter Staat entsteht, wenn jeder im Staat eine Funktion entsprechend seinen Fähigkeiten einnimmt. Bei denen das Begehren vorherrscht, die sollen sich der Erwerbskunst widmen und Handwerker, Bauern oder Kaufleute werden. Menschen mit Mut sollen ihre Tapferkeit ausbilden und die Aufgabe des Wächters übernehmen. Nur aber, wer über genügend Vernunft verfügt und mit Wissbegier nach Weisheit strebt, ist geeignet als Philosophenherrscher die Leitung des Staates zu übernehmen. Dabei soll er sich an der Idee des Guten orientieren (505a). Mit dieser Konzeption entwickelte der Aristokrat Platon ein utopisches Staatsmodell, das eine aristokratische Herrschaft begründet. Allerdings ist die Herrschaft an Vernunft und Weisheit gebunden. „Der trefflichste, gerechteste und zugleich glücklichste Mensch ist der, der am meisten königlich gesinnt ist und sich selbst königlich beherrscht.“ (Politeia IX, 580b-c)

Aristoteles

 
Aristoteles-Büste

Aristoteles hat zum Thema Gerechtigkeit im 5. Buch der Nikomachischen Ethik, seinem ethischen Hauptwerk, eine systematische Analyse vorgelegt. Er versteht unter Gerechtigkeit Tugend in vollkommener Ausprägung. Denn sie sei nicht nur auf den Einzelnen selbst, sondern auf den Mitbürger bezogen. „Und deshalb gilt die Gerechtigkeit als oberster unter den Vorzügen des Charakters, und ‚weder Abend- noch Morgenstern sind so wundervoll.’ Und im Sprichwort heißt es: ‚In der Gerechtigkeit ist jeglicher Vorzug beschlossen.’“ (NE V 3, 1129b) In dieser Bestimmung der Gerechtigkeit als umfassender persönlicher Rechtschaffenheit stimmte Aristoteles mit Platon überein. Als ungerecht bezeichnete er den Gesetzesübertreter, den Unersättlichen (pleonektēs) oder den Ungleichen (anisos). Wer mehr wolle, als ihm zusteht und damit Ungleichheit schafft, verstoße gegen die Gerechtigkeit.

Darüber hinaus stellte Aristoteles neben diesen allgemeinen (legalen) moralischen Begriff von Gerechtigkeit (lat. iustitia universalis), noch einen weiteren, der sich auf das bezieht, was in besonderen Situationen zwischenmenschlicher Beziehungen geregelt werden muss (lat. iustitia particularis). Dabei unterschied er zwischen „Verteilungsgerechtigkeit“ (lat. iustitia distributiva) und „ausgleichender Gerechtigkeit“ (lat. iustitia commutativa).

Die Verteilungsgerechtigkeit betrifft Güter wie Ehre, Geld oder Ämter. Die Verteilung dieser Güter richtet sich nach den Verdiensten, kann also zwischen Personen ungleich sein. Aristoteles nannte sein Verteilungsprinzip die „geometrische Methode“, nach der jemand bei hohem Verdienst auch einen hohen Anteil bekommt. Diese Methode sei gerecht, solange der Besitzer beim Erwerb nicht gegen Gesetze verstoßen habe. Zur geometrischen Methode gehört zudem die Anforderung an jeden freien Bürger der Pólis, seinen Beitrag in der Gemeinschaft zu leisten.

Bei der ausgleichenden Gerechtigkeit trennte Aristoteles die freiwillige (zivilrechtliche) Tauschgerechtigkeit, die es im Wirtschaftleben gibt (Kauf, Miete, Lohn), von der unfreiwilligen korrigierenden Gerechtigkeit (lat. iustitia correctiva) des Strafrechts, das der Wiedergutmachung und Kompensation dient. Das Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit bezeichnet er als „arithmetische Methode“, d.h. Leistung oder Schaden entsprechen unmittelbar der Gegenleistung bzw. dem Schadensersatz. Ungerechtigkeit im Sinne der ausgleichenden Gerechtigkeit entstehe immer dann, wenn jemand mehr will, als ihm nach gerechten Maßstäben eigentlich zusteht.

Zudem verwies Aristoteles auf weitere Aspekte, die nach seiner Auffassung zur Gerechtigkeit gehören. Um möglichst viel Gerechtigkeit zu erreichen, ist die „beste Staatsform“ nötig. Darunter versteht er einen Staat, in dem „freie“ und „gleiche“ Bürger sich abwechselnd regieren und regieren lassen. Im Vergleich zu Platons Philosophenaristokratie, entwickelte Aristoteles eine tendenttiell partizipative Herrschaftsform. Auch wenn die Gesetze Maßstab und Grundlage der partikulären (einen Teil betreffenden) Gerechtigkeit sind, werden sie manchmal schlecht angewandt. Dann stehen sie im Gegensatz zur „natürlichen Gerechtigkeit“ (dikaion physikon), die der Zustimmung von Personen nicht bedarf und die man durch Ablehnung nicht verwerfen kann. Aristoteles lehnte also eine Vertragstheorie als Urgrund der Gerechtigkeit ab, erkannte aber an, dass die konkrete Ausgestaltung des Rechts auf menschlichen Festlegungen beruht.

Bedeutsam für die Position des Aristoteles ist der Begriff der Billigkeit (epieikeia), die er der Gerechtigkeit (1137a-1138a) gegenüberstellte. Gesetze sind dementsprechend allgemeine Regelungen, deren Befolgung im konkreten Einzelfall zu unbefriedigenden Wirkungen führen kann. Ergänzt man in solch einem Fall die besondere Gerechtigkeit z.B. mit Güte, kann die allgemeinen Gerechtigkeit umfassender verwirklicht werden, als wenn man sich bloß formal an die Gesetze hält. Wie schon Platon merkte Aristoteles an, dass „Unrecht tun“ noch schlechter ist, als „Unrecht leiden“, da ersteres von minderem Wert sei.

Epikur

 
Epikur (Louvre)

Epikur vertrat eine zu Aristoteles und Platon höchst unterschiedliche Auffassung von Gerechtigkeit. Die wichtigste Quelle sind seine zentralen Lehrsätze (kyriai doxai)[25] Gerechtigkeit beruht nach Epikur auf Übereinkunft zwischen den Menschen:

„33. Gerechtigkeit ist nicht etwas an und für sich Seiendes, sondern ein im Umgang miteinander an jeweils beliebigen Orten abgeschlossener Vertrag, einander nicht zu schädigen und nicht geschädigt zu werden.“

Die Bindung an das Recht erfolgt ausschließlich durch die Gefahr, bei einem Verstoß entdeckt zu werden. Der Sinn dieser Vereinbarung liegt vor allem im gesellschaftlichen Nutzen. Dabei ist der Gehalt des Rechts relativ bezogen auf den Kreis der beteiligten Personen:

„36. In Hinblick auf das Gemeinwesen ist das Recht für alle dasselbe; denn es ist etwas Nutzbringendes in der wechselseitigen Gemeinschaft. Im Hinblick auf die jeweilige Besonderheit eines Landes und der sonstigen Bedingungen erweist sich nicht für alle dasselbe als rechtsverbindlich.“

Man kann Epikur aufgrund dieser Thesen als einen frühen Vertreter des Utilitarismus und des ethischen Relativismus ansehen.

Cicero

Cicero bezeichnete die Gerechtigkeit als die vernunftgemäße Verhaltensweise, die am ehesten geeignet sei, die Zusammengehörigkeit der Menschen und die Bewahrung der Lebensgemeinschaft zu fördern. Damit in Verbindung brachte er die Güte.

„Die erste Aufgabe der Gerechtigkeit aber ist es, dass keiner dem anderen schadet [nemo neminem laede], es sei denn, herausgefordert durch Unrecht, sodann dass er Gemeingut als Gemeingut, Privates als das Seine behandelt.“ (De officiis, 20)[26]

Auch Cicero vertrat die Forderung „Jedem das Seine“ (Suum cuique, De officiis 1, § 15). Für ihn war Gerechtigkeit allerdings mehr als nur ein sozialer Ausgleich und die Vermeidung von Unrecht.

Weil die Menschen „um ihrer Mitmenschen willen gezeugt sind, damit sie, einer dem anderen, von sich aus gegenseitig nützen können, so müssen wir darin der Natur als Führerin folgen, den gemeinsamen Nutzen (communis utilitates) in den Mittelpunkt stellen und durch Gegenseitigkeit der Leistungen – durch Geben und Nehmen –, durch Fachkenntnisse, Opferbereitschaft und Mittel das Band zwischenmenschlicher Zusammengehörigkeit festigen.“ (De officiis, 22)

Der neue Aspekt, den Cicero einbrachte, ist die Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft und die Pflicht, an deren Förderung mitzuwirken. Als weitere Grundanforderung an die Gerechtigkeit sah Cicero die Verlässlichkeit (fides), also Wahrhaftigkeit und das Einhalten von Versprechen. Gerechtigkeit als Tugend geht nach Cicero über das formale Einhalten von Gesetzen hinaus. Auch er bemerkt, dass Gesetzestreue im Einzelfall schädlich sein kann. Dem vom Menschen geschaffenen Recht ist ein Naturrecht übergeordnet:

„Das wahre Gesetz ist die rechte Vernunft in Übereinstimmung mit der Natur. Es gilt überall, ist unveränderlich und ewig. Seine Vorschriften fordern zur Pflichterfüllung auf, und seine Verbote halten davon ab, Böses zu tun. In Rom und Athen, heute und zu allen Zeiten werden dieselben, immergültigen und unveränderlichen Gesetze gelten.” (De re publica III, 23)

Augustinus

Augustinus war der Philosoph, der das philosophische Gedankengut des Platonismus mit den Grundgedanken des Christentums in der Tradition der Kirchenväter systematisch zusammenführte. Vollkommene Gerechtigkeit im jüdisch-christlichen Sinne ist die Gerechtigkeit, die der Mensch allein durch die Gnade Gottes erhält (Röm. 3, 25/25; Röm. 4, 5; Gal. 2, 16). Gegenüber der göttlichen Gerechtigkeit ist die menschliche Gerechtigkeit durch den Sündenfall immer unvollkommen (De civitate Dei, XIX 27). Dennoch sind die Tugenden, und hier insbesondere die Kardinaltugenden für das irdische Leben wichtig, da es erst hierdurch eine natürliche Ordnung erhält.[27]:

„Die Gerechtigkeit, deren Aufgabe es ist, jedem das Seinige zuzuteilen [sua cuique tribuere], wodurch im Menschen selbst eine gewisse Ordnung der Natur aufgerichtet wird, so dass die Seele Gott und das Fleisch der Seele unterworfen wird, …“ (De civitate dei XIX 4)

Augustinus sieht Gerechtigkeit dabei aber auch als Anforderung an die weltliche Herrschaft, welche ohne Gerechtigkeit lediglich eine große Freibeuterei ist ("Iustitia remota quid sunt regna nisi magna latrocinia!"[28]).

Thomas von Aquin

Die Lehre von der Vollkommenheit und dem Primat der Gerechtigkeit Gottes als vorherrschendes Bestimmungsmerkmal der Gerechtigkeit reicht bis in die Hochscholastik des Mittelalters. Thomas von Aquin verband sie mit der Barmherzigkeit:

„Das Werk der göttlichen Gerechtigkeit setzt immer das Werk der Barmherzigkeit voraus und gründet in ihr.“ (Summa theologica I, 21, 4 c)

Bei der Behandlung der Gerechtigkeit als sittliche Tugend knüpfte Thomas an Aristoteles an. Einerseits nennt er als Kardinaltugend die iustitia generalis, die sich vor allem auf den anderen richtet (iustitia ad alterum). Diese ist die iustitia legalis, welche das Gemeinwohl im Blick hat.[29] Davon unterschied er die iustitia particularis, die spezielle Tugend, welche sich auf den einzelnen Menschen bezieht. Thomas zufolge existieren zwei spezielle Tugenden, die iustitia commutativa für Vertragsbeziehungen und die iustitia distributiva, welche er als „austeilende Gerechtigkeit“, als Gabe eines Herrschers betrachtet.

Wie Aristoteles hob auch Thomas die Bedeutung der Billigkeit als individueller Ausgleich zu den naturgemäß allgemeinen und insofern starren gesetzlichen Regelungen hervor.

Thomas Hobbes

 
Thomas Hobbes

Von Thomas Hobbes wurde eine neue Sichtweise auf die Frage der Gerechtigkeit eingebracht. Hobbes löste sich von der Vorstellung einer von Gott gegebenen Ordnung und betrachtete in einem Gedankenmodell den Menschen in einem (fiktiven) Naturzustand. In diesem gibt es weder Eigentum noch Gerechtigkeit oder eine gesetzgebende Obrigkeit mit der Möglichkeit des Zwanges. Der Mensch ist des Menschen Wolf (Homo homini lupus est, De Cive: Widmung). Es findet ein Krieg aller gegen alle statt (Bellum omnia contra omnes, Leviathan Kap. 13[30] Das einzige natürliche Recht (ius naturale) des Menschen ist das auf Selbsterhaltung. Er ist sich selbst sein eigener Richter, der sich an seinen eigenen Zwecken orientiert (De Cive, 9). Hierdurch gerät er notwendig in Konflikt mit anderen. Aus diesem Zustand der Angst kann sich der Mensch nur durch vernünftige Klugheit (recta ratio) befreien, die ihn dazu bringt, natürlichen Geboten (leges naturae) zu folgen. Diese sind

  1. Suche nach dem Frieden
  2. Bereitschaft zugunsten des Friedens das eigene natürliche Recht einzuschränken
  3. Einhaltung von Verträgen
  4. Dankbarkeit und Entgegenkommen statt Rache und Nachtragen

Der eigene vernünftige Wille fordert die Anerkennung einer Herrschaft, die den Frieden auch mit Zwangsgewalt durchsetzt. Als Konsequenz wird das natürliche Recht im Wege eines Gesellschaftsvertrags - eines zeittypischen „Gedankenexperiments zu legitimatorischen Zwecken“[31] - auf einen Souverän übertragen.

„Aus dem Gesetz der Natur, das uns verpflichtet, auf einen anderen solche Rechte zu übertragen, deren Beibehaltung den Frieden der Menschheit verhindert, folgt ein drittes, nämlich: ‚Abgeschlossene Verträge sind zu halten.’“ (Leviathan, 15)

Die Konsequenz dieser Überlegungen ist ein absoluter Rechtspositivismus. Durch die unwiderrufliche Übertragung des natürlichen Rechtes auf den Staat ist der Mensch uneingeschränkt an die Einhaltung bestehender Gesetze gebunden. Andererseits entsteht kein Unrecht, das nicht durch einen Gesetzesverstoß oder einen Vertragsbruch begründet ist.

„Ebenso fügt im Staate der, welcher einen anderen schädigt, mit dem er keinen Vertrag geschlossen hat, diesem zwar einen Schaden zu; aber ein Unrecht verübt er nur gegen den, der die Staatsgewalt besitzt; denn wenn der, welcher geschädigt worden, sich über das Unrecht beschwerte, so könnte der Täter sagen: Was geht mich das an?“ (De Cive, 4)
„Wo keine allgemeine Gewalt ist, ist kein Gesetz, und wo kein Gesetz, keine Ungerechtigkeit“ (Leviathan, 13)

Bei Hobbes ist der Gesellschaftsvertrag gedanklich so konstruiert, dass jeder seine Freiheitsrechte an den Staat abtritt. Hierdurch wird der Staat zu nichts verpflichtet, da dieser nicht unmittelbar am Vertrag beteiligt ist. Der Staat kann selbst kein Unrecht begehen, da er die uneingeschränkte Macht der Rechtsetzung hat. Der Staat bzw. der Inhaber der Macht ist sein eigener Souverän. Hobbes legitimierte damit den absoluten Herrscher, dem die Bürger und selbst die Kirche uneingeschränkt unterworfen sind. Diese Sicht wird verständlich vor dem Hintergrund, dass Hobbes sich im englischen Bürgerkrieg (1642-1649) auf die Seite der Monarchisten stellte. De Cive entstand 1642 und der Leviathan wurde 1651 während der Herrschaft Oliver Cromwells veröffentlicht.

John Locke

Im Gegensatz zu Hobbes unterstellte John Locke ein göttliches Naturrecht. Als Schöpfer hat allein Gott ein Recht am Leben. Der Mensch darf daher weder sein eigenes, noch das Leben eines Anderen beeinträchtigen. Demgemäß ist der Naturzustand „ein Zustand vollkommener Freiheit“. Der Mensch ist berechtigt

„innerhalb der Grenzen des Naturgesetzes seine Handlungen zu lenken und über seinen Besitz und seine Person zu verfügen, wie es einem am besten scheint – ohne jemandes Erlaubnis einzuholen und ohne von dem Willen eines anderen abhängig zu sein.“ (Two Treatises of Government, II,4)

Eigentum entsteht durch Arbeit. Niemand darf sich mehr aneignen, als er selbst verbrauchen kann. Geld allerdings ist ein abstrakter Gegenstand, von dem beliebig viel angesammelt werden darf, da es nicht verderblich ist. Leben, Freiheit und Besitz sind die elementaren Naturrechte des Menschen. Sie existieren anders als bei Hobbes bereits vorstaatlich. Jeder Einzelne ist für die Vollstreckung des natürlichen Gesetzes zuständig und „berechtigt, die Übertreter dieses Gesetzes in einem Maße zu bestrafen, wie es notwendig ist, um eine erneute Verletzung zu verhindern.“ (II, 7) Da der Naturzustand unsicher ist und die Naturrechte nicht gesichert sind, schließt der Mensch einen Gesellschaftsvertrag.

„Die einzige Möglichkeit, mit der jemand diese natürliche Freiheit aufgibt und die Fesseln bürgerlicher Gesellschaft anlegt, liegt in der Übereinkunft mit anderen, sich zusammenzuschließen und in eine Gemeinschaft zu vereinigen, mit dem Ziel eines behaglichen, sicheren und friedlichen Miteinanderlebens, in dem sicheren Genuss ihres Eigentums und in größerer Sicherheit gegenüber allen, die nicht zu dieser Gemeinschaft gehören.“ (II,95)

Staatsgewalt ist für Locke

„nichts als die vereinigte Gewalt aller Glieder der Gesellschaft, die jener Person oder Versammlung übertragen wurde, die der Gesetzgeber ist“ (II, 135)

Das besondere an Lockes Konzeption ist, dass die Gesetze und die staatliche Verfasstheit durch den Willensakt der Bürger gerechtfertigt werden. Der Staat ist nicht mehr durch Gott oder einen absoluten Herrscher (wie bei Hobbes) begründet, sondern repräsentiert den Willen seiner Bürger. Daraus ergibt sich das Recht der Bürger, die staatliche Gewalt aufzuheben und zu verändern, wenn diese nicht mehr ihrem Willen entspricht. Die Macht des Staates dient der Verwirklichung des menschlichen Daseins und darf sich nicht gegen den Menschen richten.

Gewaltenteilung ist für Locke nicht mit Naturrecht begründet, sondern ein Gebot der Klugheit. Der Gesetzgeber ist vom Volk eingesetzt und an stehende Gesetze, eine Verfassung, gebunden. Die vollstreckende Gewalt ist ihrerseits an die Gesetze gebunden.

„Wer immer deshalb die legislative oder höchste Gewalt eines Staatswesens innehat, ist verpflichtet, nach eingeführten, stehenden Gesetzen zu regieren, die dem Volk verkündet und bekannt gemacht wurden - und nicht durch Maßnahmeverordnungen -, durch unparteiische und aufrechte Richter, die Streitfälle nach ebenjenen Gesetzen entscheiden müssen, und die Macht der Gemeinschaft im Inland nur zur Vollziehung dieser Gesetze und nach außen zur Verhütung oder Vergeltung fremden Unrechts und zum Schutz der Gemeinschaft vor Überfällen und Angriffen zu verwenden. Und mit all dem darf kein anderes Ziel verfolgt werden als der Friede, die Sicherheit und das öffentliche Wohl des Volkes.“ (II, 131)

David Hume

 
David Hume (1766; Porträt von Allan Ramsay)

David Hume unterschied grundsätzlich zwischen natürlichen Tugenden wie Wohlwollen, Milde oder Freundschaft gegenüber Kindern von künstlichen Tugenden (artificial virtues) wie Treue, Ehrlichkeit und Gerechtigkeit. Alle Tugenden beruhen auf Neigungen. Künstliche Tugenden (auch im Sinne von Kunstfertigkeit[32]) beruhen im Gegensatz zu natürlichen Tugenden auf der Verstandestätigkeit des Menschen.

Urteile über die Gerechtigkeit sind Werturteile. Diese entspringen nach Hume der Gewohnheit und sind logisch nicht zu erschließen. Dennoch betrachtete er Gerechtigkeit als eine überaus wichtige Tugend, deren Nutzen darin liegt, die Ordnung im menschlichen Zusammenleben sichzustellen.[33] Oberstes Prinzip der Gerechtigkeit ist Hume zufolge der Schutz des menschlichen Eigentums, der durch das Vertragsprinzip sichergestellt werden kann. Bei der Verteilung des Eigentums vertrat Hume das Leistungsprinzip, weil hierdurch das Gesamtwohl der Gesellschaft am Besten gefördert werde.

Hume begründete seine Skepsis mit der menschlichen Lebenssituation, die durch Knappheit, aber nicht durch extremen Mangel an Gütern gekennzeichnet sei. Würde der Mensch im Schlaraffenland leben, bedürfte es der Gerechtigkeit nicht, da jeder bekommt, was er möchte. Auch die reine Liebe, die man zum Teil in der Ehe und der Familie vorfinden kann, ist als Ersatz für die Gerechtigkeit nicht geeignet, da Menschen diese in größeren Gruppen nicht durchhalten. Die Idee eines vertragslosen Naturzustandes bei Hobbes kritisierte Hume als Fiktion, da die erste Lebensgemeinschaft des Menschen die Familie ist, in der es bereits Regeln und Erziehung gab, als noch keine Staaten existierten. Staaten bilden sich erst, wenn es soziale Ordnungen bereits gibt. Auch extremer Mangel führt aus Humes Sicht zur Abwesenheit von Gerechtigkeit, weil in einer solchen Situation nur der überleben kann, der egoistisch handelt.

Jean-Jacques Rousseau

Jean-Jacques Rousseau formulierte seine Begründung eines Gesellschaftsvertrages ebenfalls ausgehend von einem Naturzustand des Menschen. Im Gegensatz zu Hobbes sind seine Überlegungen zwar auch hypothetisch, aber stark anthropologisch unterlegt, also kein reines Gedankenmodell.

„Worum präzise handelt es sich also in diesem Diskurs? Darum, im Fortschritt der Dinge den Augenblick zu bezeichnen, in dem das Recht die Stelle der Gewalt einnahm und die Natur somit dem Gesetz unterworfen wurde.“[34]

Insbesondere sah Rousseau den Urzustand des Menschen nicht als Krieg, sondern er entwickelte ähnlich wie vor ihm Seneca das Urbild eines friedfertigen, sich selbst genügenden und von Mitleid geprägten Menschen. In diesem Zustand ist der Mensch frei, ohne soziale Bindungen und hat keine Sprache. Er kennt weder gut noch böse, weder Dein noch Mein, noch hat er eine Vorstellung von Gerechtigkeit. Die Vernunft als Fähigkeit zur Reflexion entsteht erst im Entwicklungsprozess des Menschen. Der Mensch kommt schrittweise zur Sprache und damit zu Allgemeinbegriffen. Hierdurch entsteht ein wesentlicher Unterschied zum Tier. Es entstehen zunächst der Hüttenbau und als erste soziale Einheit die Familie. Die natürliche Selbstliebe (amour de soi) wandelt sich allmählich in Eigenliebe (amour propre), auch Egoismus. Es entstehen Neid und Grausamkeit. Erst durch den Eintritt in eine Gesellschaft wird der Mensch böse, und es folgt der „Kampf aller gegen alle“. Ein grundlegender Schritt in diesem Entwicklungsprozess ist der Übergang zur Landwirtschaft. Durch die Landwirtschaft entstehen Zuordnungen und Eigentum. Sobald aber Eigentum existiert, entstehen die ersten Regeln des Rechts, durch die die Ungleichheiten festgeschrieben und immer weiter verstärkt werden.

„Der erste, der ein Stück Land einzäunte, kam auf den Gedanken zu sagen: das gehört mir; da er die Leute vorfand, die beschränkt genug waren, ihm das zu glauben, wurde er zum wahren Begründer der „societe civile“. Wieviel Verbrechen, Krieg, Mord und Elend wäre dem menschlichen Geschlecht erspart geblieben, wenn einer die Pfähle herausgerissen hätte, den Graben zugeschüttet und seinesgleichen zugeschrien hätte: ‚Hütet Euch vor diesem Betrüger, Ihr seid verloren, wenn Ihr vergesst, dass die Früchte allen gehören und dass der Boden niemandem gehört'“[35]
„Dieser Übergang vom Naturzustand in den bürgerlichen Stand bewirkt im Menschen einen sehr bemerkenswerten Wandel, indem er die Gerechtigkeit anstelle des Instinktes in sein Verhalten setzt und seinen Handlungen die Sittlichkeit aufprägt, die ihm zuvor gefehlt hatte.“[36]

Eigentum ist für Rousseau nichts Schlechtes, solange es auf eigener Arbeit beruht. Erst wenn es zu sozialen Ungleichheiten kommt und der Reiche seinen Besitz durch die Arbeit der Armen vermehrt, gehen Freiheit und Gleichheit der Bürger verloren. Erst dann dominieren Habgier und Herrschsucht. Als Ausweg aus den Widersprüchen einer so verdorbenen Gesellschaft sah Rousseau einem Staat, in dem die Bürger frei sind und gleich behandelt werden. Hierzu bedarf es eines Gesellschaftsvertrages (Contrat sociale). Dieser enthält „die totale Übereignung jedes Teilhabers mit all seinen Rechten an die gesamte Gemeinschaft“[37] Dadurch, dass jeder im Staat seine Rechte uneingeschränkt überträgt, wird die Gleichheit innerhalb der Gemeinschaft gewährleistet und, weil niemand Rechte an einem anderen hat, auch die Freiheit, zumindest in Form der bürgerlichen Freiheit. Der Staat wird durch diesen Akt zur Verkörperung des Gemeinwillens (volonté générale).

„Gemeinsam stellen wir alle, jeder von uns, seine Person und seine ganze Kraft unter die oberste Richtschnur des Gemeinwillens; und wir nehmen, als Körper, jedes Glied als untrennbares Ganzes auf.“[38]

Weil der Staat als Souverän den Gemeinwillen seiner Bürger repräsentiert, ist er gegenüber dem Einzelnen zu nichts verpflichtet. Die Bürger als Einzelne sind hingegen Untertanen und an den Gemeinwillen gebunden. Daher hat der Staat das Recht, den Gemeinwillen auch mit Zwang durchzusetzen. Die Summe aus dem Willen der Einzelnen ist nicht identisch mit dem Gemeinwillen, denn die Bürger verfolgen ihre Privatinteressen. Der Gemeinwille ist aber auf das Wohl aller ausgerichtet. Er kommt dann zum Ausdruck, „wenn das ganze Volk über das ganze Volk eine Bestimmung erlässt.“[39] Gesetze müssen allgemeingültig sein und sich auf jeden Bürger beziehen. So zustande gekommene Gesetze können nicht unrecht sein, weil sie den Gemeinwillen ausdrücken. Die Bürger werden zur Rechtsgemeinschaft. Ähnlich wie Hobbes vertrat Rousseau damit eine positivistische Rechtsauffassung. Eine vom Volk eingesetzte Regierung hat lediglich die Aufgabe, die beschlossenen Gesetze auszuführen. Parteien oder Repräsentationssysteme stören den unmittelbaren Gemeinwillen. Anders als bei den britischen Empiristen ist bei Rousseau die Verwirklichung des Gesellschaftsvertrages nur in einer Republik denkbar. Er lehnte explizit das parlamentarische System Englands mit einem Monarchen an der Spitze ab.

Aus seinem Postulat der Gleichheit folgerte Rousseau dass „kein Staatsbürger so reich sein darf, um sich einen andern kaufen zu können, noch so arm, um sich verkaufen zu müssen.“[40] Das Konzept des Sozialvertrages beruhte auch auf dem Prinzip der sozialen Gerechtigkeit. Wo individuelle Vorteile zu groß werden, muss der Gesetzgeber ausgleichend eingreifen.

„Wenn jedoch der Missbrauch unvermeidlich ist, folgt daraus, dass man ihn nicht wenigstens eindämmen muss? Weil der Lauf der Dinge stets auf die Zerstörung der Gleichheit ausgeht, deshalb muss die Kraft der Gesetzgebung stets auf ihre Erhaltung ausgehen.“[41]

Mit der Forderung nach einer Sozialgesetzgebung stand Rousseau im Gegensatz zu liberalen Auffassungen wie der Lockes, für den der Schutz und die uneingeschränkte Gewährleistung des Eigentums grundlegend waren.

Immanuel Kant

 
Immanuel Kant

Immanuel Kant ersetzte den Gedanken des Naturrechts durch ein Vernunftrecht. Ein Naturrecht als überpositives Recht, zum Beispiel ein göttliches Recht, kann der Mensch nicht erkennen. Der Mensch ist mit den Mitteln der Vernunft für jede Erkenntnis auf empirische Anschauungen, auf seine Sinne, angewiesen. Ihm bleibt als Faktum nur die praktische Vernunft, die die theoretisch nicht zu entscheidende Frage, ob es eine Freiheit gibt, so beantwortet, dass es die Freiheit gibt.

Aus dem Gebot der praktischen Vernunft, die Freiheit des Menschen als regulative Idee anzunehmen, folgerte Kant die Autonomie des Menschen. Die Selbstbestimmung des Menschen macht ihn zum grundlegenden Zweck seines Handelns. Hiergegen zu verstoßen, verbietet der kategorische Imperativ (Menschenrechtsformel):

„Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“ (GMS, AA IV, 429)

Der Mensch ist aus seiner Vernunft heraus verpflichtet, die Persönlichkeit und in ihr die Würde des Menschen zu achten. Dies gilt gegenüber jedem Menschen und ist somit ein Gebot der Gleichheit. Die Freiheit des Menschen ist nicht nur eine innere Freiheit, in der der Mensch gegenüber seiner Vernunft sich selbst verantwortlich ist und hieraus die (innere) Pflicht zur Sittlichkeit hat, sondern sie gilt auch im äußeren Verhältnis der Menschen zueinander.[42]

Als Instrument der praktischen Umsetzung der Gerechtigkeit betrachtete Kant das Recht, in dem das Prinzip der Freiheit durch eine vertragliche Bindung gewährleistet wird. Hierzu formulierte er den Kategorischen Rechtsimperativ (Otfried Höffe):

„Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“[43]

Die Freiheit des Einzelnen wird durch ein selbst gesetztes Gesetz sichergestellt. Hierdurch wird die Autonomie gewährleistet, aber durch die gemeinsame Bestimmung des Rechts zugleich auch die Freiheit beschränkt. Diese Bestimmung der (iuridischen) Gerechtigkeit ist rein formal. Für die materiale Gerechtigkeit bedarf es nach Kant der empirischen Erfahrung. Ausgehend von Locke und Hume hat Kant das Modell des Gesellschaftsvertrages übernommen, die Idee des Naturrechts aber ebenso wenig akzeptiert wie die Relativität der Gerechtigkeit, die sich aus Humes Skepsis ergab. Seine Begründung der Gerechtigkeit liegt in der Sittlichkeit als Gebot der reinen praktischen Vernunft.

Karl Marx

In der politischen Theorie von Karl Marx und Friedrich Engels, dem Historischen Materialismus, ist Gerechtigkeit keine Kategorie der Analyse und kein eigenständiges Ziel. Die Gesellschaft wird durch die Entwicklung der Produktivkräfte und durch Klassenkämpfe, die zu Revolutionen führen, schließlich einen Zustand erreichen, in dem die Güter nicht mehr knapp sind.

Recht gehört für Marx zum sogenannten Überbau und hat keine universelle Bedeutung, beruht vielmehr auf den jeweiligen materiellen Verhältnissen und ist z.B. im Kapitalismus Ausdruck der Herrschaft einer bürgerlichen Klasse.

„Solange man Bourgois ist, kann man nicht umhin, in diesem [ Klassen ]Gegensatz einen Zustand der Harmonie und ewigen Gerechtigkeit zu erblicken.“[44]

Erst nach einer Phase der Herrschaft des Proletariats (Sozialismus) in einer klassenlosen Gesellschaft, dem Kommunismus, wird es möglich sein, dass jeder nach seinen Bedürfnissen an den gesellschaftlich geschaffenen materiellen und immateriellen Gütern partizipiert und nach seinen Fähigkeiten zu ihrer Herstellung beiträgt. Hierzu ist ein Überfluss durch die höchste Entwicklung der Produktivkräfte notwendige Voraussetzung.[45]

„In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher –arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihr Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen – erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“[46]

Für Kritiker ist die Annahme des Überflusses einer der Gründe, warum der Kommunismus in der Praxis nicht realisierbar ist

Deutsche Frühsozialisten, die nach Frankreich geflüchtet waren und für die Ideale Freiheit, Gleichheit und Gerechtikgeit eintraten, organisierten sich seit den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts im Bund der Gerechten. Nachdem Marx und Engels dort eine Führungspostion eingenommen hatten, wurde dieser 1847 in Bund der Kommunisten umbenannt.

Die Umbenennung markierte einen neuen Akzent. Ob die Gerechtigkeit ein selbständiger zentraler Wert oder - dem marxschen Postulat entsprechend - ausschließlich Ausdruck objektiver Verhältnisse und damit ein abgeleiteter ist, diese Kontroverse existiert in sozialistischen Zusammenhängen bis heute. Ein Beispiel ist die Geschichte der SPD, in der bis 1918 beide Standpunkte vertreten waren.

In nahezu allen politischen, sozialen und kulturellen Bewegungen, die sich mit Fragen der Gerechtigkeit auseinandergesetzt haben, wie der Arbeiterbewegung, der antikolonialistischen Bewegung und der Frauen-Emanzipationsbewegung, spielten marxistische Strömungen – unterschiedlicher Ausrichtung – eine Rolle. Bis in die Gegenwart gibt es marxistische oder neomarxistische Ansätze zur Gerechtigkeitsdebatte beispielsweise in der Befreiungstheologie.

Die Behauptung der sozialistischen Staaten im 20. Jahrhundert, sie seien den humanistischen Werten Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität näher gekommen, wird überwiegend als widerlegt angesehen. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts haben die marxistisch beeinflussten Kämpfe gegen ungerechte Verhältnisse u.a. zur Entwicklung von Sozialsystemen und zu einer höheren sozialen Gerechtigkeit beigetragen.

Utilitarismus

Der Utilitarismus ist ein Konsequentialismus, das heißt eine ethische Position, die die beabsichtigten Folgen von Handlungen bewertet (Konsequenzprinzip). Er steht damit im Gegensatz zu einer deontologischen Ethik wie der Kants, deren Maßstab Handlungszwecke sind. Die Utilitaristen knüpfen an die Auffassung Humes an, dass ethische Werte nicht von sich aus bestehen, sondern erklären sie aus der menschlichen Praxis. Der Maßstab für das ethisch Gute ist allein der Nutzen, den eine Handlung stiftet (Wertprinzip). Insofern spielt Gerechtigkeit ähnlich wie bei Hume im Utilitarismus nur eine sekundäre Rolle, nämlich insofern sie zu einem positiven Nutzen führt. Für den Utilitarismus ist all das gerecht, was den Nutzen vermehrt und den Schaden vermindert.

Häufig wird der Utilitarismus mit einer egoistischen Ethik gleichgesetzt, in der eine individuelle Nutzenmaximierung verfolgt wird. Dies ist jedoch nicht der Fall. Bereits Jeremy Bentham, der als Begründer des Utilitarismus gilt, formulierte als Ziel „das größte Glück der größten Zahl“. Utilitaristen verfolgen als Hauptziel die Maximierung des gesamtgesellschaftlichen Nutzens (Maximumprinzip). Daraus ergeben sich Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, an denen sich der Einzelne orientieren muss. Probleme entstehen dann, wenn das Nutzenstreben mit ethischen Werten wie der Gerechtigkeit kollidiert. Im Laufe der Geschichte haben die Utilitaristen die Formulierung und Begründung ihrer Theorie immer weiter verfeinert und Einwände berücksichtigt.

Während noch Bentham den Nutzen rein quantitativ nach Umfang, Dauer und Intensität eines Glücksgefühls (pleasure), also rein hedonistisch aufgefasst hatte, brachte bereits John Stuart Mill qualitative Maßstäbe ein. Die Höhe des Nutzens bestimmte er anhand der Präferenzen, die ein Einzelner einem Gegenstand oder einer Tatsache beimisst. Dabei bewertete er geistige Lust höher als sinnliche Lust. „Es ist besser ein unzufriedener Mensch als ein zufriedenes Schwein zu sein; lieber ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Dummkopf sein.“

Henry Sidgwick, ein späterer Klassiker des Utilitarismus, wandte sich gegen die rein hedonistischen Auffassungen Benthams und ebenso gegen Mills modifizierte Form. In Hinblick auf die Alltagsmoral sei das reine Lustprinzip ungeeignet, weil der normale Bürger es nicht auf die Gesellschaft, sondern seine eigene Person beziehe. Er entwickelte stattdessen den Regelutilitarismus. Danach sind allgemein anerkannte moralische Werte und Tugenden sekundäre Prinzipien zur Orientierung, deren Einhaltung dazu führt, dass das „Normalverhalten“ des Einzelnen der Nutzenmaximierung der Gesellschaft dient. Eine moderne Fassung der „Zwei-Ebenen-Theorie“ findet sich bei Richard Mervyn Hare.[47]

Eine weitere Variante ist der Durchschnittsutilitarismus, der zum Beispiel von John Harsanyi vertreten wurde.[48] Maßstab ist der Nutzen pro Kopf und nicht mehr der absolute Nutzenbetrag der Gesellschaft. Hierdurch wird vor allem auch ein qualitatives Wachstum bei einer schrumpfenden Gesellschaft für den Utilitaristen beurteilbar. Harsanyi verwies darauf, dass in unreflektierten Situationen keine rationalen Nutzenbetrachtungen stattfinden. Erst wenn man eine ideale Situation herstellt, kann man den eigentlichen (wahren) Nutzen feststellen. Hierzu gehören

  1. vollständige empirische Kenntnisse des Sachverhalts
  2. größtmögliche Sorgfalt bei der Bewertung
  3. rationale, psychisch ungestörte Entscheidungen.[49]

Alle Versionen des Utilitarismus können den möglichen Konflikt zwischen Gerechtigkeit und Nutzenkalkül nicht vollständig auflösen. Grundsätzlich kann ein Utilitarist nicht sagen, ob ein bestimmter gesellschaftlicher Zustand gerecht ist oder nicht, sondern nur ob dieser Zustand es gegenüber einem anderen ist (Vergleichsabhängigkeit). Dennoch versuchten schon Mill und auch Sidgwick die Frage der Gerechtigkeit in ihr Konzept zu integrieren.[50] So führte Mill den Unterschied verschiedener Gerechtigkeitskonzepte darauf zurück, dass diesen unterschiedliche Nutzenbewertungen (Präferenzen) zugrunde liegen. Entsprechendes gilt für Fragen der Entlohnung, des Strafrechts oder der Besteuerung. Gerechtigkeit kennzeichnete Mill als eine vollkommene Pflicht, weil sie eingefordert werden kann. Andere Tugenden wie Großmut und Wohltätigkeit sind unvollkommen, weil sie nicht obligatorisch sind. Die Einhaltung der vollkommenen Pflicht ist durch Strafen sanktionierbar. Durch die Bewertung der Strafen ergab sich für Mill ein unmittelbarer Zusammenhang zum Nutzenthema. In der aktuellen Debatte hat Rainer Trapp einen unmittelbaren Gerechtigkeitsutilitarismus entwickelt.[51] Er ergänzt die Maximierung des Nutzenvolumens mit einer Gleichheit der Nutzenverteilung und stellt eine Relation zwischen Nutzenniveau und moralischem Verdienst her.

Walter Benjamin

Walter Benjamin schrieb 1921 den Aufsatz „Zur Kritik der Gewalt“[52] (KdG), in dem er sich mit dem Verhältnis von Gewalt, Recht und Gerechtigkeit auseinander setzte. Benjamins fragte, wie Gewalt legitimiert werden kann. Anknüpfend an Kant unterschied er Zwecke und Mittel. Gerechte Zwecke können „durch berechtigte Mittel erreicht werden, berechtigte Mittel an gerechte Zwecke gewendet werden.“ (KdG 180) Gewalt kann nur als Mittel dienen, nicht aber als durch Vernunft bestimmter Selbstzweck. Unrechtmäßige Gewalt bedroht jede Rechtsordnung. Daraus folgt, dass paradoxerweise im Recht die Befugnis zur Gewalt enthalten sein muss, um das Recht mit Gewalt durchzusetzen. Zugleich kann Gewalt außerhalb des Rechts niemandem zugestanden werden. Die Sanktionierung von Gewalt im Recht ist für Benjamin daher die „historische Anerkennung ihrer Zwecke“, (KdG 182)

Gewalt ist allgemein betrachtet entweder rechtsetzend oder rechtserhaltend. Rechtsetzend ist einerseits die Gewalt des Angreifers im Krieg und andererseits der Generalstreik, der entweder als politischer Streik neues Recht schaffen oder als proletarischer Streik Recht auflösen will und damit in die angestrebte Anarchie führt. Dadurch dass jede Rechtsetzung danach strebt, auf Dauer zu bestehen, erzeugt sie in sich die Rechtserhaltung. Diese ist eine Bestätigung und damit eine Wiederholung der Rechtsetzung.

Gerechtigkeit kann nicht dem (gesetzten) Recht entspringen, da ihre Gültigkeit sonst vom Paradox von gesetzter und erhaltender Gewalt abhinge. Gerechtigkeit ist aber im Verhältnis zum Recht transzendent. Um dieses zu fassen, unterschied Benjamin zwischen mythischer und göttlicher Gewalt. Das positive Recht ist eine Errungenschaft des Menschen. Es entspringt der Macht und ist daher im Mythos begründet. Im Mythos manifestiert sich Gewalt spontan, aber dennoch rechtsetzend. Die Gerechtigkeit liegt jenseits der menschlichen Macht. Sie kann daher nur von einer Gewalt herrühren, die Schuld und Sühne überwindet. Die göttliche Gewalt ist Benjamins Symbol für die in der Gerechtigkeit liegende Kraft, sich der menschlichen Gewalt zu entziehen. Funktion der göttlichen Gewalt ist es, der rechtsetzenden Gewalt „Einhalt zu gebieten“.

„Ist die mythische Gewalt rechtsetzend, so die göttliche rechtsvernichtend, setzt jene Grenzen, so vernichtet diese grenzenlos, ist die mythische verschuldend und sühnend zugleich, so die göttliche entsühnend, ist jene drohend, so diese schlagend, jene blutig, so diese auf unblutige Weise letal.“ (KdG 199)

Für Benjamin hat Gerechtigkeit eine sittliche, außerhalb des Rechts liegende Dimension, ohne das „dialektische Auf und Ab“ (KdG 202) des durch die Gewalt bestimmten Rechts. Sie ist das „Prinzip aller göttlichen Zwecksetzung“. (KdG 198)

John Rawls

John Rawls hat mit der Theorie der Gerechtigkeit (TG) 1971 eine grundlegende Diskussion über die Frage der Gerechtigkeit in der politischen Philosophie ausgelöst. Seine Gerechtigkeitstheorie ist eine Vertragstheorie, die in ihren Grundgedanken an Locke und Kant anknüpft, zugleich aber die Frage der sozialen Gerechtigkeit und moderne Methoden der Entscheidungs- und Spieltheorie mit einbezieht. Nach Rawls hat eine Gesellschaft zwei Grundfunktionen: Die Förderung der Interessenharmonie und die Bewältigung von Konflikten. Um diese Aufgaben zu lösen, bedarf es der Gerechtigkeit. Diese ist „die erste Tugend sozialer Institutionen“ (TG 19). Als Beispiele für solche Institutionen nennt Rawls die Verfassung, Gedanken- und Gewissensfreiheit, Märkte mit Konkurrenz, Privateigentum an Produktionsmitteln oder die monogame Familie.

“Es sind Grundsätze nötig, um zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Regelungen der Güterverteilung zu entscheiden und eine Einigung darüber zu erzielen. Das sind die Grundsätze der sozialen Gerechtigkeit: sie ermöglichen die Zuweisung von Rechten und Pflichten in den grundlegenden Institutionen der Gesellschaft, und sie legen die richtige Verteilung der Früchte und Lasten der gesellschaftlichen Zusammenarbeit fest.” (TG 21/22)
„Der Gerechtigkeitsbegriff ist also für mich definiert durch seine Grundsätze für die Zuweisung von Rechten und Pflichten und die richtige Verteilung gesellschaftlicher Güter. Eine Gerechtigkeitsvorstellung ist eine Ausdeutung dieser Funktion.“ (TG 26)

Dem Grundgedanken des Utilitarismus, den Gesamtnutzen der Gesellschaft ohne Rücksicht auf die Belange und Befindlichkeit des Einzelnen zu maximieren, stand Rawls kritisch gegenüber. Vor allem berücksichtige der Utilitarismus die Verschiedenheit der einzelnen Menschen nicht. Die Gesellschaft bestimmte er als ein Kooperationssystem, aus dem jeder Einzelne, der daran teilnimmt, einen möglichst großen Vorteil ziehen kann. Einem solchen System treten freie und vernünftige Menschen bei, wenn die Prinzipien der Gerechtigkeit in einer Ausgangssitutation der Gleichheit festgelegt werden. „Diese Betrachtungsweise der Gerechtigkeitsgrundsätze nenne ich Theorie der Gerechtigkeit als Fairness.“ (TG 28)

Rawls skizzierte diese Theorie durch eine fiktive Ausgangssituation als Urzustand mit folgenden Elementen:

  • Gleichheit: Jeder hat bei der Wahl der Grundsätze die gleichen Rechte.
  • Verbindlichkeit: Jeder stimmt zu, dass beschlossene Grundsätze eingehalten werden müssen.
  • Schleier des Nichtwissens: Niemand weiß, welche Rolle er nach Verabschiedung der Grundsätze in der neuen Ordnung einnehmen wird.
  • Neutralität: Jeder verhält sich bei der Festlegung der Grundsätze neutral in Bezug auf alle anderen Beteiligten.
  • Anerkennung von gesellschaftlichen Grundgütern: Hierzu zählen insbesondere Rechte, Freiheiten und Chancen, Einkommen und Vermögen sowie die sozialen Grundlagen der Selbstachtung.

Wenn diese Grundlagen gegeben sind, können sich die Beteiligten nach Rawls auf zwei Grundprinzipien einigen:

  1. Jede Person hat ein gleiches Recht auf das umfassende System gleicher Grundfreiheiten, das mit demselben System von Freiheiten für alle vereinbar ist.
  2. Soziale und ökonomische Ungleichheiten sind zulässig, wenn sie
a) mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die allen unter Bedingungen fairer Chancengleichheit zur Verfügung stehen.
b) zu einem größeren zu erwartenden Vorteil für die am wenigsten Begünstigten führen (Differenzprinzip).

Als Nebenbedingungen formulierte Rawls zwei Vorrangregeln:

  1. Vorrang der Freiheit: Die Gerechtigkeitsprinzipien stehen in lexikalischer Ordnung (gelten der Reihe nach), das heißt dass die Freiheit nur eingeschränkt werden kann, wenn diese Einschränkung die Freiheit im Gesamtsystem stärkt und alle dieser Einschränkung zustimmen können.
  2. Vorrang der Gerechtigkeit: Die Chancengleichheit hat einen Vorrang gegenüber dem Differenzprinzip, solange die Chancenungleichheit nicht die Situation der Schlechtergestellten verbessert.

Das Gerechtigkeitskonzept von Rawls hat als Leitbild die Freiheit und Gleichheit aller Beteiligten in einer Gesellschaft. Es wird daher auch als egalitärer Liberalismus bezeichnet. Zu den uneinschränkbaren Grundrechten zählt Rawls das Recht, zu wählen und öffentliche Ämter zu bekleiden, die Rede- und Versammlungsfreiheit, die Gewissens- und Gedankenfreiheit, die persönliche Freiheit, zu der der Schutz vor psychischer Unterdrückung und körperlicher Misshandlung sowie der Schutz vor willkürlicher Festnahme und Haft gehören, sowie das Recht auf Eigentum (TG 82). Ungleichheit kann für Rawls nur durch das Differenzprinzip gerechtfertigt werden. Sie ist dann zulässig, wenn auch die nicht so Begünstigten davon profitieren.

„Wer von der Natur begünstigt ist, sei es, wer es wolle, der darf sich der Früchte nur so weit erfreuen, wie das auch die Lage der Benachteiligten verbessert. Die von der Natur Bevorzugten dürfen keine Vorteile haben, bloß weil sie begabter sind, sondern nur zur Deckung der Kosten ihrer Ausbildung und zu solcher Verwendung ihrer Gaben, dass auch den weniger Begünstigten geholfen wird. Niemand hat seine besseren natürlichen Fähigkeiten oder einen besseren Startplatz in der Gesellschaft verdient.“ (TG 122)

Mit diesem Argument trat Rawls für einen Sozialstaat ein, in dem eine Korrektur der Verteilung zugunsten weniger Begünstigter zum Beispiel im Bereich der Bildung legitim ist. Er verlangte vor allem eine angemessene Sparrate, um die Chancen der nachfolgenden Generationen zur Gestaltung ihres Lebens zu gewährleisten. Forderungen nach einer Generationengerechtigkeit und einer Umweltethik werden teilweise mit Rawls' Überlegungen begründet.

Robert Nozick

Schon bald nach Rawls' Theorie der Gerechtigkeit erschien 1974 als Werk der politischen Philosophie Anarchy, State, and Utopia (dt. Übers.: Anarchie, Staat, Utopie), (ASU) des US-Amerikaners Robert Nozick. Es gilt als die radikal – liberale (libertäre) Antwort auf Rawls. Nozick stellte seine Überlegungen auf der Grundlage möglichst weniger Interventionen des Staates in die Gesellschaft an. Er hält den Menschen für ein rationales Wesen, dessen natürliche Rechte, das Recht auf Leben, Freiheit und Eigentum, gewähleistet werden müssen und nicht durch zu viele verbindliche Vorschriften eingeschränkt werden dürfen. Rawls berücksichtige vor allem nicht die Ungleichheit der Interessen der Menschen. Seine Annahme, alle Menschen seien in einem fiktiven Anfangszustand gleich gewesen, hält Nozick aufgrund unterschiedlicher Interessen der Individuen für falsch. Auch die These, dass Menschen unter dem „Schleier des Nichtwissens“ neutral entscheiden und sich zu einer gleichen Verteilung der Güter motivieren lassen, lehnt er ab. Dies begründete er mit unterschiedlicher Risikobereitschaft der Handelnden, die stets ihren eigenen voneinander abweichenden Präferenzen folgen (ASU 206ff). Nozick stellte als konträres Konzept eine Anspruchstheorie auf, die auf der Grundidee eines unverletzlichen gerechten Eigentums beruht. Dieses ist gegeben, wenn der Besitz

a) selbst geschaffen oder angeeignet wurde, ohne bereits zuvor jemandes Eigentum zu sein,
b) durch eine rechtmäßige Transaktion erworben wurde, also durch freiwillige und gerechte Handelsgeschäfte, eine Schenkung oder ähnliches oder
c) durch die Korrektur einer unrechten Transaktion entstanden ist.(ASU 144)

Jede Verteilung ist gerechtfertigt, solange sie auf freiwilligen Handlungen aller Beteiligten beruht. Eine zwangsweise Umverteilung durch einen Wohlfahrtsstaat lehnte Nozick ab, weil dazu die Zustimmung aller Beteiligten fehle. Der Staat darf nur eingreifen, wenn der Prozess des freiwilligen Austausches gestört ist. Die Kritiker der libertinären Auffassung bemängeln, dass bei ungleichen Verteilungen kein fairer und gerechter Austausch stattfinden kann. Aufgrund ungleicher Machtpositionen, kommt es zu einem Versagen des Marktes, das dieser nicht selbst korrigieren kann und aus dem selben Grund können die Menschenrechte nicht gewahrt werden.

Kommunitarismus

Vertreter der sozialphilosophischen Strömung des Kommunitarismus bringen gegen liberale Positionen vor, dass sie zu einer Überbetonung des Eigennutzes führen und die Wertvorstellungen der verschiedenen gesellschaftlichen Gemeinschaften vernachlässigen. Gerechtigkeit könne aber nur erreicht werden, wenn die Gesellschaft auf vielfältige kulturelle und religiöse Strukturen Rücksicht nimmt. Sie entsteht nach dieser Auffassung erst erst durch soziale Akzeptanz in der Gemeinschaft. Als ein Hauptwerk des Kommunitarismus gilt das Buch „After Virtue“ (Titel der deutschen Übersetzung: „Der Verlust der Tugend“) des schottisch-amerikanischen Moralphilosophen Alasdair MacIntyre aus dem Jahre 1981.[53]

Verbreitet wird auch Michael Walzer als ein Hauptvertreter dieser Denkrichtung angesehen. Insbesondere durch eines seiner Hauptwerke, Spheres of Justice (deutsch: Sphären der Gerechtigkeit) hat er der als Reaktion auf John Rawls' Gerechtigkeitsheorie entstandenen Liberalismus-Kommunitarismus-Debatte entscheidende Impulse geliefert. In diesem Werk gliedert er die Gesellschaft in elf Teilbereiche. Jeder gesellschaftliche Teilbereich (auch Sphäre genannt) ist durch ihm eigene Dominanzen und Monopole gekennzeichnet, aus denen jeweils sehr spezifische Gerechtigkeitsarrangements hervorgehen. Diese den Sphären immanenten Gerechtigkeitsarrangements sind nicht verallgemeinerungsfähig. In der Sphäre "Mitgliedschaft und Zugehörigkeit" (etwa zu Nachbarschaften, Familien und Vereinen), kommt besonders klar zum Vorschein, dass erst die Art der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinschaft festlegt, ob und wie viele Güter man zugeteilt bekommt. Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass Walzer selbst sich stets dagegen verwahrt hat, als Kommunitarist bezeichnet zu werden.

Jürgen Habermas

Jürgen Habermas hat keine eigenständige Rechtsphilosophie entwickelt, sondern seine grundlegenden Überlegungen zu diesem Thema in seine Theorie des kommunikativen Handelns und die Diskursethik eingebettet. Diese sind im Werk „Faktizität und Geltung“ (FuG) zusammengefasst. Bereits der Titel dieses Werkes weist darauf hin, dass Habermas von einer faktischen historischen Rechtswirklichkeit ausgeht. Metaphysische Begründungen des Rechts wie eine gottgegebenes Recht, ein Naturrecht, den Rückgriff auf das Wesen des Menschen, aber auch eine höhere Einsicht der Vernunft lehnt Habermas ab.

Im Gegensatz zum Historismus und zum Rechtspositivismus, die sich ihrerseits auf die Untersuchung des empirisch vorhandenen Rechts beziehen, verweist Habermas andererseits darauf, dass das Recht für seine Geltung einer Legitimation bedarf. Eine Reduzierung auf die Faktizität reicht nicht aus. Ohne Legitimation fehlen dem Recht die Akzeptanz der Adressaten und damit deren Bereitschaft, es einzuhalten. Rechtsgemeinschaften versteht er als „Assoziationen von gleichen und freien Rechtsgenossen, deren Zusammenhalt gleichzeitig auf der Androhung äußerer Sanktionen wie auf der Unterstellung eines rational motivierten Einverständnisses beruht.“ (FuG 23) Zur Geltung des Rechts trägt nicht nur die objektive Wirklichkeit bei, sondern auch die subjektive Einstellung, die der Bürger zum Recht einnimmt. Recht umfasst nicht nur Grenzen der Handlungsfreiheit, sondern auch Vorgaben eines Spielraums zur selbstbestimmten Entfaltung von Freiheit.

Im Gegensatz zum systemtheoretischen Positivismus Niklas Luhmanns ist Recht für Habermas nicht nur ein Subsystem der Gesellschaft, das der Einzelne aus der Beobachterperspektive wahrnimmt und das für ihn ein äußeres Element seiner Umwelt darstellt. Der Einzelne steht vielmehr als Teilnehmer in einer Interaktion mit den geltenden Normen und akzeptiert diese nur, wenn er ihnen einen Sinn entnehmen kann und von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Damit ist das positive Recht kein leerer Formalismus, sondern sein Geltungsanspruch hängt von seiner Ausgestaltung ab; „auch das positive Recht muss legitim sein.“ (FuG 49)

In der Geschichte findet sich eine Vielzahl von Beispielen unzureichender Akzeptanz bestehender Rechtsverhältnisse, so in Staaten mit Sklaverei, im Absolutismus, aber auch im liberalen Kapitalismus des 19. Jahrhunderts.

„Wie ein Blick auf die europäische Arbeiterbewegung und die Klassenkämpfe des 19. Jahrhunderts lehrt, sind ja die politischen Ordnungen, die den Modellrechnungen von einer formal-rechtlich rationalisierten Herrschaft noch am nächsten kommen, keineswegs per se als legitim empfunden worden – sondern allenfalls von seiten der nutznießenden Sozialschichten und ihrer liberalen Ideologien.“ (FuG 546)

Da gesellschaftliche Entwicklungen dynamisch und komplex sind, erscheint es Habermas nicht möglich, bestimmte Rechtsverhältnisse philosophisch als ideal auszuweisen. Naturrecht und Vertragstheorien können die Lebensverhältnisse sowie die Mobilität und Pluralität der modernen Gesellschaft nicht abbilden.

„Bald wurde klar, dass sich die Dynamik einer über Märkte integrierten Gesellschaft in den normativen Begriffen des Rechts nicht mehr einfangen und im Rahmen eines apriorisch entworfenen Rechtssystems erst recht nicht sicherstellen ließen. Jeder Versuch, die Grundlagen des privaten und des öffentlichen Rechts theoretisch ein für allemal aus obersten Prinzipien abzuleiten, musste an der Komplexität der Gesellschaft scheitern.“ (FuG 592)

Allerdings kann man laut Habermas auf den Zusammenhang von Recht und Moral für eine Legitimierung des Rechts nicht verzichten, „ohne dem Recht das ihm wesentlich innewohnende Moment der Unverfügbarkeit zu nehmen.“ (FuG 594) Der Ausweg ist für Habermas eine Legitimation durch das Verfahren eines demokratischen Diskurses. Der Rückgriff auf positives Recht allein reicht nicht. Denn positives Recht ist im Extremfall auch im Totalitarismus funktionsfähig. Zur Legitimation bedarf es einer demokratischen Verfasstheit. Dies bedeutet, dass die rechtsetzende Macht selbst an rechtliche Verfahren gebunden ist und die von den Gesetzen Betroffenen durch Beteiligung an deren Entstehung mitwirken.

„Denn ohne religiöse oder metaphysische Rückendeckung kann das auf das legale Verhalten zugeschnittene Zwangsrecht seine sozialintegrative Kraft nur noch dadurch bewahren, dass sich die einzelnen Adressaten der Rechtsnorm zugleich in ihrer Gesamtheit als vernünftige Urheber dieser Normen verstehen dürfen.“ (FuG 51-52)

Die Forderung wird erfüllt, wenn die Festlegung der Rechtsnormen sich auf das Diskursprinzip stützt. Durch den Diskurs kann deren Geltung gerechtfertigt wrden.

„Gültig sind genau die Handlungsnormen, denen alle möglicherweise Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen könnten.“ (FuG 138)

Als Voraussetzung für einen solchen Diskurs fordert Habermas (FuG 157-160)

  • für jeden ein größtmögliches Maß an gleicher subjektiver Handlungsfreiheit
  • die Bestimmtheit der betroffenen Rechtsgenossen
  • garantierte Rechtswege zur Durchsetzung von Ansprüchen.

Diese allgemeinen Rechtsprinzipien dienen der Orientierung und müssen durch konkrete Regelungen materiell ausgefüllt werden.

Habermas' diskursethischer Ansatz als reines Formprinzip der Verfahrensgerechtigkeit geht von einer idealen Situation sachkundiger und vernünftiger Teilnehmer am Diskurs aus (ideale Sprechsituation). Aufgrund der tatsächlichen Lebensverhältnisse wird die praktische Umsetzbarkeit bezweifelt.[54] In der diskursiven Praxis, die sich in ihren Bedingungen oftmals sehr stark von den Bedingungen einer idealen Sprechsituation unterscheidet, ist nicht sichergestellt, dass Konsens Gerechtigkeit und Dissens Ungerechtigkeit bedeutet. Der Rechtsphilosoph Robert Alexy hat in seiner Theorie der juristischen Argumentation (1. Auflage 1978) versucht, die Grundsätze von Habermas' diskurstheoretischer Gerechtigkeitskonzeption auf die Situation des gerichtlichen Entscheidungsfindungsprozesses zu übertragen.

Jacques Derrida

Jacques Derrida vertritt in seiner Arbeit „Gesetzeskraft“ die These, „dass man nicht unmittelbar, auf direkte Weise von der Gerechtigkeit sprechen kann: man kann die Gerechtigkeit nicht thematisieren oder objektivieren, man kann nicht sagen ‚dies ist gerecht’ und noch weniger ‚ich bin gerecht’, ohne bereits die Gerechtigkeit, ja das Recht zu verraten.“[55]

Er dekonstruiert in diesem Werk Walter Benjamins „Zur Kritik der Gewalt“. Zu Derridas Konzept gehört die Aussage, dass die Philosophie keine allgemeine normative Theorie aufstellen kann. Wenn man über Gerechtigkeit spricht, muss man daher die „unendliche Gerechtigkeit“ von der sprachlichen Untersuchung als einem kodifizierten System unterscheiden. Den Nachweis seiner These versucht Derrida mit drei Aporien zu erbringen.

  • Positives Recht besteht im Gegensatz zur Gerechtigkeit aus allgemeinen Regeln. Bei der Anwendung auf Einzelfälle kann es diese niemals voll erfassen.
  • Durch die Allgemeingültigkeit wirkt das Recht immer auf den in unterschiedlichem Ausmaß Einzelfall als Repression. Die Gegenwärtigkeit des Rechts bestimmt bereits den Einzelfall.
  • Obwohl Gerechtigkeit im Einzelfall gegeben ist, bleibt sie auf das allgemeine Recht angewiesen.

Aufgrund dieser Aporien sind für Derrida alle Gerechtigkeitstheorien unzulänglich. Ziel seiner Dekonstruktion ist es zu zeigen, „dass man nicht allein die theoretischen Grenzen anzeigt, sondern auch konkrete Ungerechtigkeiten denunziert, solch Ungerechtigkeiten, die dort geschehen und deren Wirkungen dort besonders sinnfällig sind, wo das gute und ruhige Gewissen dogmatisch bei dieser oder jener überkommenen Bestimmung der Gerechtigkeit stehen bleibt.“ (41) Es geht ganz im Sinne Kants um die „Befragung der Grundlagen und der Grenzen unseres begrifflichen, theoretischen, normativen Apparates, der um die Gerechtigkeit kreist.“ (41)

Gewalt hat für Derrida einen „Differentiellen Charakter“ (15). Er zeigt dies durch den Vergleich des deutschen Wortes mit den Begriffen „violence“ und „force“ aus dem Französischen bzw. Englischen. Das eine verweist auf ungerechte Gewalttätigkeit, das andere auf legitime Gewalt. Diese Unterscheidung führt zu der Frage, wann Gewalt als gerecht bezeichnet werden kann. Einen ähnlich differentiellen Zwiespalt enthält Benjamins Unterscheidung von Rechtsetzung und Rechtserhaltung. Die Rechtsetzung enthält bereits das Versprechen ihrer Erhaltung und ist damit gleichen Ursprungs.

Derrida interpretiert Gerechtigkeit nicht wie Benjamin als göttliche Gewalt, sondern als Dekonstruktion des Rechts. Sie hat selbst keinen Ursprung. Sie ist selbst etwas „Undekonstruierbares“ (31). Gerechtigkeit ist immer schon im Recht enthalten, tritt aber selbst nicht unmittelbar zu Tage. Gerechtigkeit ist immanent und dadurch Bedingung der Möglichkeit von Recht.

Amartya Sen

 
Amartya Sen während einer Vorlesung an der Universität zu Köln 2007 anlässlich der Verleihung des Meister-Eckhart-Preises

Der indische Ökonom Amartya Sen legt seinem Gerechtigkeitskonzept einen differenzierten Freiheitsbegriff zugrunde.[56] Freiheit ist demnach ein intrinsischer Wert, weil sie es dem Menschen ermöglicht selbstbestimmt zu leben. Sie umfasst neben der Abwesenheit von Hindernissen (passive Freiheit) vor allem auch die Möglichkeit, nach eigenen Wünschen zu handeln (aktive Freiheit). Freiheit ist daher ein normatives Ziel, ein Zweck an sich. Eine Gesellschaft ist um so gerechter, je mehr ihre Mitglieder über „Verwirklichungschancen“ (capabilities) verfügen.

Von der konstitutiven (grundsätzlichen) Funktion der Freiheit sind ihre instrumentellen Funktionen zu unterscheiden. Letztere dienen den Menschen als Mittel, den Grundwert der Freiheit und damit die Verwirklichungschancen sicherzustellen. Zu den instrumentellen Freiheiten zählt Sen[57]

  1. politische Freiheiten (Kritik, Widerspruch, Wahlrecht etc.)
  2. ökonomische Institutionen (Ressourcen, Bedingungen des Tausches, Verteilung)
  3. soziale Chancen (Bildung, Gesundheit)
  4. Transparenzgarantien (Pressefreiheit, Informationspflichten z.B. gegen Korruption)
  5. soziale Sicherheit (Arbeitslosenversicherung, Sozialhilfe, Mindestlöhne)
Lebenserwartung und Einkommen
ausgewählter Länder 1994[58]
Land Einkommen
in US-Dollar
Alter
in Jahren
Kerala 400 73
China 500 71
Sri Lanka 600 73
Namibia 1.900 60
Brasilien 2.800 65
Südafrika 3.000 65
Gabun 3.900 55

Laut Sen hängt die konstitutive Freiheit von dem Umfang der instrumentellen Freiheit ab. Er zeigt anhand von empirischen Untersuchungen, dass Wechselbeziehungen und Komplementaritäten zwischen den instrumentellen Freiheiten bestehen. Demnach ist Einkommen zwar ein grundlegender Faktor für Wohlstand und damit für Verwirklichungschancen. Jedoch sind andere Faktoren ebenfalls wichtig. So korreliere die Lebenserwartung nicht eindeutig mit dem Einkommen. Denn es gibt Staaten mit einer durchschnittlich vergleichsweise hohen Lebenserwartung, deren durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen deutlich niedriger ist, als dasjenige in anderen Staaten mit geringerer Lebenserwartung.

Zur Bewertung der Gerechtigkeit in einer konkreten Konstellation schlägt Sen vor, den Grad der als „objektive Möglichkeit“ bestehenden Verwirklichungschancen zu messen (capability – Ansatz). Eine Verwirklichungschance (Handlungsmöglichkeit) bezeichnet Sen als Funktion (functioning). Da Menschen an die Person gebundene Voraussetzungen mitbringen, sich jeweils in unterschiedlichen Situationen befinden, in einen jeweils anderen sozialen Zusammenhang eingebunden sind und jeweils unterschiedliche persönliche Präferenzen haben, sind auch die Verwirklichungschancen für jedes Individuum verschieden. Gemessen wird ein Bündel an objektiv verfügbaren Handlungsmöglichkeiten (agencies), die dem Einzelnen zur Verfügung stehen. So hat der in einer reichen Gesellschaft fastende Mensch andere Handlungsmöglichkeiten im Vergleich zu dem hungernden Menschen in einer armen Gesellschaft.

Um festzulegen, welche Verwirklichungschancen in einer Gesellschaft als wertvoll angesehen werden und den Wohlstand (well being) ausmachen, bedarf es partizipativer sozialer Entscheidungen aufgrund eines demokratischen Diskurses. Auf diese Weise werden die nur für das Individuum festzumachenden Verwirklichungschancen in den gesellschaftlichen Zusammenhang eingebunden. Reale Freiheit fordert somit auch den aktiven Bürger, der seine Chancen durch Teilnahme wahrnimmt. Sen formuliert damit ein „republikanisch-liberales Politikverständnis“[59]. Der partizipative Diskurs stellt sicher, dass der Capability – Ansatz sich mit der fortschreitenden Entwicklung einer Gesellschaft stetig erneuert und fortgeschrieben wird.

Den entscheidenden Vorteil seiner Konzeption gegenüber bis dahin dominierenden Auffassungen sieht Sen in dem Umfang der Informationen, die in die Bewertung einfließen.[60]

„Obwohl aus der Art und Weise, wie die Informationsfrage in diesen wichtigen Ansätzen der politischen Philosophie behandelt wird, manches zu lernen ist, werde ich auch argumentieren, dass jede Informationsbasis, die explizit oder implizit in den Utilitarismus, den radikalen Liberalismus und die Rawlsche Theorie eingeht, unter schwerwiegenden Mängeln leidet, sofern man die substantiellen Freiheiten des Individuums für wichtig hält.“[61]

Insbesondere im Utilitarismus sei der Informationsgehalt eindimensional auf den Nutzen ausgerichtet. Der Utilitarismus und die damit verknüpfte Wohlfahrtsökonomie hat zwar für Sen den Vorzug, dass er die Konsequenzen von Handlungen bewertet und am allgemeinen Wohl orientiert ist, hat aber keine Lösungen für Verteilungsfragen, für die Gewährleistung von Grundrechten und Freiheiten zur Verfügung und kann auch Bewertungsunterschiede aufgrund von Anpassungen an unterschiedliche kulturelle und soziale Verhältnisse (z.B. die Bewertung der Verwirklichungschancen von Frauen in liberalen und sexistischen Gesellschaften) nicht erfassen.

Der Liberalismus hingegen, vor allem in der radikalen Formulierung Robert Nozicks, setzt Sen zufolge „negative“ Freiheiten absolut, d.h. er brücksichtige negative Auswirkungen absoluter Freiheit nicht, so dass im Extremfall sogar Hungersnöte mit den prozeduralen Anforderungen des Liberalisten theoretisch vereinbar sind. Rein prozedurale Prinzipien können den Mangel, dass formal bestehende Chancen aufgrund tatsächlicher Verhältnisse nicht wahrgenommen werden können, nicht abbilden. Die Informationen über Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten werden im radikalen Liberalismus bei der Bewerrtung der Gerechtigkeit ausgeblendet, konstatiert Sen.

Gegenüber Rawls' Theorie der Gerechtigkeit als Fairness wendet Sen ein, dass dieser die negative (absolute) Freiheit einschließlich politischer und bürgerlicher Rechte strikt als vorrangig gegenüber Verteilungsfragen setzt. Hieraus könne resultieren, dass die Beseitigung von Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten an den absoluten Werten scheitert.

„Vor allem aber stellt sich die Frage, ob der Wert der Freiheit für die Gesellschaft angemessen in dem Gewicht zum Ausdruck kommt, das eine Person in dem Urteil über ihren Gesamtvorteil beizulegen geneigt ist.“[62]

Diesen Kritikpunkt erlautert er anhand des Konflikts zwischen Freiheit und Sicherheit in einer Gesellschaft. Bis zu einem gewissen Grade ist es denkbar, dass die am Diskurs Beteiligten in einer Einschränkung der Freiheit zugunsten der Sicherheit eine Verbesserung ihrer Verwirklichungschancen sehen. Daher bezweifelt Sen, dass der Rawlssche freie „Urzustand“ tatsächlich geeignet ist, eine gerechte Verteilung der individuellen Verwirklichungschancen zu beschreiben.

Sen, dessen Ausgangspunkt Überlegungen zur Entwicklungspolitik und zur Gerechtigkeit in einer globalisierten Welt sind, untersucht Gerechtigkeit unter dem Aspekt, ob sie universell für alle Menschen oder nur partikulär bezogen auf einzelne Nationen angesehen wird.

Je nach Perspektive ergeben sich unterschiedliche Politikansätze. Universalistisch sind, argumentiert Sen, der Utilitarismus oder die Vernunftethik Kants. Partikularistisch ist hingegen der Kommunitarismus, der noch innerhalb einer Nation auf die verschiedenen Perspektiven sozialer Gemeinschaften und gesellschaftlicher Gruppen abhebt. Auch wenn der Universalismus für eine globale Gerechtigkeit eine klare, nicht von der Hand zu weisende Konzeption zu ermöglichen scheine, so sei er mit dem Problem konfrontiert, dass es für seine Durchsetzung einer globalen Institution, etwa einer Weltregierung, mit entsprechender Macht und entsprechenden Ressourcen bedarf. Die hierfür infrage kommenden Vereinten Nationen verfügen jedoch nicht über adäquate Möglichkeiten.

Da auch das Konzept von Rawls einer regulierenden Institution erfordert, ist es Sen zufolge zunächst nur partikulär anwendbar. Rawls habe aber Möglichkeiten aufgezeigt, wie das Prinzip der „Gerechtigkeit als Fairness“ auch auf das Verhältnis verschiedener Völker anwendbar sei, wenn man die Staaten als Individuen auffasst, zwischen denen nach dem Fairnessprinzip ein Ausgleich stattfindet. Sen bezeichnet diese zwischenstaatliche Sicht als „internationalen Ansatz“,[63] der einen Kompromiss zwischen dem praktisch nicht umsetzbaren, gleichwohl als Ziel anzustrebenden Universalismus und dem nur nationalegoistischen Partikularismus darstellt. Auch mit diesem Modell könne die globale Gerechtigkeit lediglich unzureichend verwirklicht werden.

Stattdessen schlägt Sen ein Konzept vor, das er „plurale Einbindung“ nennt.[64] Zur Weiterentwicklung einer globalen Gerechtigkeit sollen alle transnationalen Institutionen von zwischenstaatlichen Verträgen über multinationale Unternehmen (beispielsweise in Fragen einer gerechten Entlohnung) bis hin zu sozialen Gruppen und Nichtregierungsorganisationen beitragen.

Der Capability – Ansatz von Sen hat breite internationale Anerkennung gefunden. So betont der Bericht „Lebenslagen in Deutschland. Der 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung“, dass das Konzept wesentlichen Eingang in den Bericht gefunden hat.[65]


Zitate

überliefert als Wahlspruch von Ferdinand I. (1503-1564)

„Die Gerechtigkeit enthält in sich eine unüberwindbare Spannung: Gleichheit ist ihr Wesen, Allgemeinheit ist deshalb ihre Form - und demnach wohnt ihr das Bestreben inne, dem Einzelfall und dem Einzelmenschen in ihrer Einzigartigkeit gerecht zu werden.“

Gustav Radbruch, Vorschule der Rechtsphilosophie, 2. Aufl., Göttingen 1959, S. 25

„Gerechtigkeit ist ein menschliches Konstrukt [...]“

Michael Walzer (1992), S.30

„Selbst der Gerechte wird ungerecht, wenn er selbstgerecht wird.“

Rudolf Hagelstange (1912-84), dt. Schriftsteller

„Was ist Gerechtigkeit? Keine andere Frage ist so leidenschaftlich erörtert, für keine andere Frage so viel kostbares Blut, so viel bittere Tränen vergossen worden, über keine andere Frage haben die erlauchtesten Geister – von Platon bis Kant – so tief gegrübelt. Und doch ist diese Frage heute so unbeantwortet wie je. Vielleicht, weil es eine jener Fragen ist, für die die resignierte Weisheit gilt, daß der Mensch nie eine endgültige Antwort findet, sondern nur suchen kann, besser zu fragen.“

Hans Kelsen, Was ist Gerechtigkeit?, Reclam, Stuttgart 2000, S. 9.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 24. Auflage, Berlin, New York 2002, S. 348
  2. Otfried Höffe, Gerechtigkeit, 16
  3. Horn/Sacarno: Philosophie der Gerechtigkeit, 9
  4. Chaim Perleman: Über die Gerechtigkeit (1945), Beck, München 1967, unterscheidet: jedem das Gleiche, jedem gemäß seinen Verdiensten, jedem gemäß seinen Werken, jedem gemäß seinen Bedürfnissen, jedem gemäß seinem Rang, jedem gemäß dem ihm durch Gesetz Zugeteilten (S. 16-20)
  5. John Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit, 336
  6. A. Leist: Ökologische Ethik II: Gerechtigkeit, Ökonomie, Politik, in: Julian Nida-Rümelin (Hrsg.): Angewandte Ethik, Stuttgart 1996, 432-439
  7. Karl Marx: Kritik des Gothaer Programms, MEW 19, 21
  8. Christoph Lumer: Stichwort „Gerechtigkeit“ in: Enzyklopädie Philosophie, hrsg. Von Hans Jörg Sandkühler, Meiner, Hamburg 1999, 468b
  9. Axel Tschentscher: Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, Nomos, Baden-Baden 2000 mit Bezug auf Jürgen Habermas: Faktizität und Geltung, Frankfurt 1992
  10. Otfried Höffe, Gerechtigkeit, 99f.
  11. Stefan Liebig: Empirische Gerechtigkeit, ISGF-Arbeitsbericht 41
  12. Jeqan Piaget: Über das moralische Urteilen beim Kinde, Zürich 1954
  13. Lawrence Kohlberg: Die Psychologie der Moralentwicklung, Suhrkamp, Frankfurt. 5. Aufl. 1996
  14. Georg Lind: Moral ist lehrbar. Handbuch zur Theorie und Praxis der moralischen und demokratischen Bildung, Odenbourg, München 2003; homepage des Projektes
  15. Carol Gilligan: Die andere Stimme. Lebenskonflikte und Moral der Frau, Piper, München 1982 (5. Aufl. 1999)
  16. Ronald Dworkin: Bürgerrechte ernstgenommen, Suhrkamp, Frankfurt 1990, S. 56-57
  17. BVerfGE 34, 269 - Soraya von 1973, Zitat aus Abschnitt IV
  18. Johann Braun: Rechtsphilosophie im 20. Jahrhundert, Beck, München 2001, 196-197
  19. H.L.A. Hart Prolegomena zu einer Theorie der Strafe, in: Recht und Moral, Göttingen 1971, 60-86
  20. Immnauel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (AA), S. 333
  21. Seneca, De ira, liber I, XIX-7
  22. Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches, in: Werksausgabe in drei Bänden (Schlechta), Band 1, Darmstadt 1963, 511-512
  23. siehe Norbert Hoerster: Recht und Moral, 214 - 218
  24. „Juris praecepta sind haec: noneste vivere, alterem non laedere, suum cuique tribure“, zitiert nach Höffe: Gerechtigkeit, 49
  25. Epikur: Briefe – Sprüche – Werksfragmente, hrsg, von H.-W. Kraus, Reclam, Stuttgart 1980
  26. Cicero: De officiis – Vom pflichtgemäßen Handeln, Reclam, Stuttgart 1992, 21
  27. Augustinus: De libero arbitrio, I 27: Der freie Wille, Schöningh, Paderborn 2006
  28. Schöndorfer, U., Latzke, E., Kantner, W.: Einführung in die Philosophie, 3. Teil; 2. Auflage; Wilhelm Braumüller Universitäts-Verlagsbuchhandlung GmbH, Wien 1975, S.67
  29. Summa Theologiae, 2, 2-1, q. 11, a. 3, Antwort: "sive sit particularis iustitia, quae ordinat actum hominis secundum rectitudinem in comparatione ad alium singularem hominem; sive sit iustitia legalis, quae ordinat secundum rectitudinem actum hominis in comparatione ad bonum commune multitudinis".
  30. Thomas Hobbes: Leviathan, Frankfurt 9. Auflage 1999, 96.
  31. Otfried Höffe, Gerechtigkeit, 63
  32. John Rawls: Geschichte der Moralphilosophie, Frankfurt 2004, 89
  33. David Hume: Abhandlung über die menschliche Natur, III Buch, 2. Teil, Abschn. 1 sowie Untersuchung über die Prinzipien der Moral, 3. Abschnitt
  34. Jean-Jacques Rousseau: Über Ungleichheit, 68
  35. Rousseau: Über Ungleichheit, 74
  36. Rousseau: Gesellschaftsvertrag, I.8
  37. Rousseau, Gesellschaftsvertrag, 18
  38. Rousseau: Gesellschaftsvertrag, 18
  39. Rousseau: Gesellschaftsvertrag, 41
  40. Rousseau: Gesellschaftsvertrag, 59
  41. Rousseau: Gesellschaftsvertrag, 59
  42. Immanuel Kant: Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, AA VIII, 289
  43. Immanuel Kant: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einleitung in die Rechtslehre, § B (Schlusssatz)
  44. Karl Marx: Das Elend der Philosophie, MEW Bd. 4, Dietz, Berlin 1972, 104
  45. „weil ohne sie nur der Mangel verallgemeinert [würde], also mit der Notdurft auch der Streit um das Notwendige wieder beginnen und die ganze alte Scheiße sich herstellen müsste.", in:Karl Marx: Die Deutsche Ideologie, MEW 3, 34-35
  46. Karl Marx: Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei, MEW Bd. 19, Dietz, Berlin 1972, 15-32, hier 31
  47. Richard Mervyn Hare: Moralisches Denken, Frankfurt 1972
  48. John C. Harsanyi: Morality and the theory of rational behavior, in: Amartya Sen und Bernad Williams (ed.) Utilitarism and Beyond, Cambridge/Paris 1982, 39-62
  49. Harsanyi: Morality and the theory of rational behavior, 55
  50. John Sturart Mill: Utilitarismus, Kapitel 5, Reclam, Stuttgart 1976, 72-112 und Henry Sidgwick: Die Methoden der Ethik, III. Buch, 5. Kapitel, Klinkhardt, Leipzig 1909, 75-108
  51. Rainer W. Trapp: „Nicht-Klassischer“ Utilitarismus. Eine Theorie der Gerechtigkeit, Klostermann, Frankfurt 1988
  52. Walter Benjamin: Zur Kritik der Gewalt und andere Aufsätze, mit einem Nachwort von Herbert Marcuse, Suhrkamp, Frankfurt 1965; ebenfalls in ders.: Sprache und Geschichte, Reclam, Stuttgart 1992, 104-131; hier zitiert nach Gesammelte Schriften Band II/1, Suhrkamp, Frankfurt pdf
  53. 2. Auflage 1984
  54. Vittorio Hösle: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie, Beck, München 3. Aufl. 1997, 248-249, und Johann Braun: Rechtsphilosophie im 20. Jahrhundert, Beck, München 2001, 254-264
  55. Jacques Derrida: Gesetzeskraft. Der ‚mystische Grund der Autorität’, Frankfurt 1991, 21
  56. Amartya Sen: Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft, Hanser München 2000; zum Freiheitsbegriff insbesondere die ersten beiden Kapitel (24-70)
  57. Sen: Ökonomie, 52
  58. Sen: Ökonomie, 63
  59. Peter Ulrich: Integrative Wirtschaftethik, Haupt, Bern 2001, 296. Ähnlich Hannah Arendt hinsichtlich allerdings rein politischer Partizipation.
  60. Zur Diskussion von Utilitarismus, des radikalen Liberalismus am Beispiel Nozicks und der Theorie der Gerechtigkeit von Rawls siehe Sen: Ökonomie, 70 – 89
  61. Sen: Ökonomie, 73
  62. Sen: Ökonomie, 83
  63. Amartya Sen: Globale Gerechtigkeit. Jenseits internationaler Gleichberechtigung, in: Horn/Scarano, 466 - 476, online, Nr. 18
  64. Sen: Globale Gerechtigkeit Nr. 20-21
  65. Lebenslagen in Deutschland, S. 9, Fußnote 17 = pdf – Seite 61
  66. (lat.): „Gerechtigkeit soll werden, sogar wenn daran die Welt unterginge.“

Literatur

Vorlage:Philosophiebibliographie2

Klassiker (historisch geordnet)
Kommentierte Textsammlungen
  • Norbert Hoerster (Hrsg.): Recht und Moral. Texte zur Rechtsphilosophie, Reclam, Stuttgart 2002, ISBN 3-15-008389-3
  • Christoph Horn und Nico Scarano (Hrsg.): Philosophie der Gerechtigkeit. Texte von der Antike bis zur Gegenwart, Suhrkamp, Frankfurt 2002, ISBN 3-518-29163-7
  • Angelika Krebs (Hrsg.): Gerechtigkeit oder Gleichheit. Texte der neuen Egalitarismuskritik, Suhrkamp, Frankfurt 2. Aufl. 2002, ISBN 978-3518290958
  • Dietmar von der Pfordten: Rechtsphilosophie, Alber, München 2002, ISBN 3-495-48012-9
Einführungen
Vertiefung
  • Michel Balinski: Die Mathematik der Gerechtigkeit. Spektrum der Wissenschaft, März 2004, S. 90-97, ISSN 0170-2971
  • Felix Ekardt: Das Prinzip Nachhaltigkeit. Generationengerechtigkeit und globale Gerechtigkeit, Beck, München, ISBN 978-3406527982
  • Arthur Kaufmann, Winfried Hassemer und Ulfried Neumann (Hrsg.): Einführung in die Rechtsphilosophie und die Rechtstheorie der Gegenwart, Müller (utb), 7. Aufl. Heidleberg 2004, ISBN 3-8252-0593-2
  • Jürgen Maes, Manfred Schmitt: Gerechtigkeit und Gerechtigkeitspsychologie, in: Gert Sommer, Albert Fuchs (Hrsg.): Krieg und Frieden. Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie, Beltz Verlag Weinheim, Basel, Berlin 2004, S. 182-194 (mit Literaturübersicht zur Gerechtigkeitspsychologie) ISBN 3-621-27536-3
  • John Rawls: Gerechtigkeit als Fairneß. ein Neuentwurf, Suhrkamp, Frankfurt 2. Aufl. 2007, ISBN 978-3518294048
  • Jörg Reitzig: Gesellschaftsvertrag, Gerechtigkeit, Arbeit, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2005 ISBN 3-89691-611-4
  • Judith N. Shklar: Über Ungerechtigkeit. Erkundungen zu einem moralischen Gefühl., Rotbuch, Berlin 1992 ISBN 3-88022-780-2
Gerechtigkeitsforschung
  • Stefan Empter und Robert B. Vehrkamp (Hrsg.): Soziale Gerechtigkeit - eine Bestandsaufnahme, Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2007, ISBN 978-3892049258
  • Stefan Liebig und Holger Lengfeld (Hrsg.): Interdisziplinäre Gerechtigkeitsforschung. Zur Verknüpfung empirischer und normativer Perspektiven, Campus, Hamburg 2002, ISBN 978-3593370125
  • Gerold Mikula (Hrsg.): Gerechtigkeit und soziale Interaktion, Huber 1980, ISBN 978-3456807072