Das Königreich Jerusalem war ein Kreuzfahrerstaat, der in Palästina von 1099 bis 1291 bestand. Zur Zeit seiner größten Ausdehnung umfasste er das heutige Israel (ohne Negev), einen schmalen Korridor, der jenseits des Jordans zum Roten Meer führte, sowie den südlichen Libanon mit Beirut.
Gründung
Das Königreich wurde von Gottfried von Bouillon 1099 errichtet, nachdem die Kreuzritter Jerusalem erobert hatten. Gottfried lehnte den Königstitel ab und nannte sich stattdessen "Vogt des Heiligen Grabes". Erster König wurde nach seinem Tod sein Bruder Balduin I..
Balduin erweiterte das Königreich um die Hafenstädte Akko, Sidon und Beirut, erlangte auch die Oberhoheit über die anderen Kreuzfahrerstaaten im Norden, das Fürstentum Antiochia, die Grafschaft Edessa und die Grafschaft Tripolis. Während seiner Regierungszeit wuchs die Zahl der lateinischen Einwohner des Landes kontinuierlich an, ein Lateinischer Patriarch von Jerusalem wurde berufen, die italienischen Stadtstaaten Venedig, Pisa und Genua begannen, im Reich eine wesentliche Rolle zu spielen: nachdem ihre Flotte die Eroberung der Hafenstädte unterstützt hatten, durften sie autonome Handelskontoren ohne Verpflichtung zu Steuerzahlung und Militärdienst einrichten. Der nun sich entwickelnde Asienhandel brachte dem Königreich jedoch auch ohne diese Steuern einen beträchtlichen Wohlstand.
Balduin starb 1118 ohne Erben und wurde von seinem Vetter Balduin II., dem Grafen von Edessa, ersetzt. Auch er war ein fähiger Regent, in dessen Zeit – obwohl er mehrfach in muslimische Gefangenschaft geriet – die Grenzen des Königreichs ausgeweitet wurden. 1124 wurde die Stadt Tyrus erobert.
Leben im Königreich Jerusalem
Als im Königreich die ersten lateinischen Generationen aufwuchsen, begannen diese, sich selbst eher als Orientalen denn als Europäer zu begreifen. Sie lernten Griechisch, Arabisch und andere nahöstliche Sprachen, heirateten Griechen oder Armenier, selten auch Muslime.
Das Königreich hatte im Wesentlichen die feudalen Strukturen des zeitgenössischen Westeuropa übernommen, allerdings mit einigen wichtigen Unterschieden. Der wichtigste war, dass das Staatsgebiet nur wenig landwirtschaftlich nutzbares Land aufwies; seit Alters her hatte die Levante eine urbane Wirtschaftsstruktur, was den Adel dazu veranlasste, in Jerusalem und anderen großen Städten zu wohnen, obwohl man wie gewohnt Großgrundbesitzer war.
Wie in Europa auch waren die Adligen Vasallen des Königs und hatten selbst Vasallen. Die landwirtschaftliche Produktion wurde durch das dem feudalen System äquivalente muslimische System (die iqta) gesteuert, das von den Kreuzrittern nicht angetastet wurde. Während die Muslime (so wie die Juden und die Ostchristen auch) in den Städten verfolgt wurden (in Jerusalem war ihnen der Aufenthalt sogar verboten), lebten sie auf dem Land nicht anders als zuvor auch. Der rais, das Oberhaupt ihrer Gemeinschaft, war eine Art Vasall des lokalen (christlichen) Grundherrn, deren fast ständige Abwesenheit ihnen jedoch einen hohen Grand an Autonomie verschaffte. Er produzierte die Nahrungsmittel für die Kreuzritter, war aber, anders als in Europa, nicht verpflichtet, zum Militärdienst beizutragen. Im Ergebnis war die Armee des Landes eher klein und rekrutierte sich aus den europäischen Familien der Städte.
Die urbane Zusammensetzung des Landes, vereint mit der Anwesenheit der italienischen Händler, führte dazu, dass die Wirtschaft des Landes wesentlich stärker vom Handel als von der Landwirtschaft lebte. Palästina als Landstrich, in dem sich schon immer die Handelsrouten gekreuzt hatten, begann nun, die Routen nach Europa für sich zu entdecken. Europäische Waren, zum Beispiel Textilien aus Nordeuropa, fanden ihren Weg nach Asien, während asiatische Güter nach Europa transportiert wurden. Die italienischen Stadtstaaten machten nicht nur enorme Gewinne bei diesem Handel, sondern wurden bis in die Renaissance der späteren Jahrhunderte hinein von dem Kontakt beeinflusst.
Da die Adligen vorwiegend in Jerusalem wohnten, hatten sich einen wesentlich größeren Einfluss auf den König als in Europa. Die Bischöfen und der Hochadel bildeten den Haute Cour, eines der ersten Parlamente, dem die Wahl des neuen Königs oblag, die Finanzausstattung des Herrscher und das Ausheben der Armee.
Das Problem mangelnden Nachschubs für die Armee wurde bis zu einem gewissen Grad durch die Gründung der Ritterorden gelöst. Der Templerorden und der Johanniterorden wurden (als militärische Formation) in den Anfangsjahren des Königreichs gebildet und vertraten oft die Adligen auf dem flachen Land. Ihre Hauptquartiere waren in Jerusalem, ihre Mitglieder lebten jedoch oft in großen Burgen außerhalb, und sie kauften die Grundstücke auf, die andere Adlige nicht länger bewirtschaften konnten. Die Ritterorden unterstanden direkt dem Papst und nicht dem König, sie waren im Wesentlichen – wie die Handelskontore – autonom und vom Militärdienst befreit, obwohl sie tatsächlich an jeder größeren Schlacht teilnahmen.
Eine der wichtigsten Quellen für das Leben im Königreich Jerusalem aus christlicher Sicht ist Wilhelm von Tyrus, aus muslimischer Sicht Ussama Ibn Munqidh.
Schwierige Zeiten
Als Balduin II. 1113 starb, wurde sein Schwiegersohn Fulko von Anjou sein Nachfolger, der sich fast unmittelbar nach seiner Thronbesteigung einem neuen und gefährlichen Feind gegenüber sah, dem Atabeg Zengi von Mosul und Aleppo. Während es Fulko gelang, Zengi zeit seiner Regierung aus dem Land fernhzuhalten, ging unter der Herrschaft seines jungen Sohne Balduin III. und der Regentschaft seiner Mutter Melisende aufgrund der nun weniger größeren politischen Stabilität die Grafschaft Edessa verloren.
Dies wiederum führte zum Fiasko des Zweiten Kreuzzugs, in dem – entgegen den Vorstellungen der Jerusalemer Adligen – die Kreuzfahrer-Könige Ludwig VII.von Frankreich und Konrad III. von Deutschland sich entschieden, nicht Zengis Sohn Nur ad-Din anzugreifen, der seinem Vater 1146 gefolgt war, sondern den friedlichen Emir von Damaskus.
Kurze Zeit später übernahm Balduin III. persönlich die Herrschaft, obwohl seine Mutter erfolglos versuchte, die Kontrolle über das Reich zu behalten. Wie seine Vorgänger, so war auch Balduin III. ein fähiger König. Er eroberte Askalon von den Fatimiden, den letzten ägyptischen Außenposten an der palästinensischen Küste. Gleichzeitig wurde aber die Situation der Kreuzfahrer kritisch, als Nur ad-Din Damaskus eroberte und damit das ganze muslimische Syrien unter seine Herrschaft brachte.
Balduin III. starb 1162 unter mysteriösen Umständen. Sein Nachfolger wurde seine Bruder Amalrich I., dessen Regierungszeit ein ständiger Kampf mit Nur ad-Din und seinem Untergebenen Saladin um die Kontrolle Ägyptens war. Obwohl vom byzantinischen Kaiser Manuel I. Komnenos unterstützt, gelang es ihm am Ende nicht, Ägypten zu erobern. Sein und Nur ad-Dins Tod 1174 sicherten Saladins Übermacht.
Amalrichs Nachfolger war sein junger Sohn Balduin IV., der bereits in frühen Jahren an der Lepra erkrankte. Während seiner Regierungszeit begann des Königreichs von innen heraus zu zerfallen, als sich Fraktionen hinter Balduins Vetter Raimund III. von Tripolis und seinen unfähigen Schwager Guido von Lusignan bildeten. Hinzu kam, dass die ganze Zeit über Saladin die Kreuzfahrerstaaten von außen bedrohte.
Katastrophe und Rettung
Nach Balduins Tod 1187 und einer kurzen Regierung seines minderjährigen Neffen Balduin V. übernahm Guido von Lusignan den Thron und erwies sich als katastrophaler Herrscher. Sein enger Verbündeter Rainald von Chatillon, der Herr von Oultrejourdain und der Festung Kerak, provozierte Saladin in einen offenen Krieg hinein, der in der verheerenden Niederlage in der Schlacht bei Hattin endete, auch weil die Templer nicht nach der Strategie des Grafen von kämpfen wollten. In den nächsten Monaten überrannte Saladin leicht das gesamte Königreich, mit Ausnahme der Hafenstadt Tyrus, die durch den fähigen Neuankömmling Konrad von Montferrat verteidigt wurde. Der Fall Jerusalems schockierte Europa und führte zum Dritten Kreuzzug, in dem Richard Löwenherz, der König von England, die meisten syrischen Küstenstädte, insbesondere Akko zurückeroberte, und 1192 nach der Schlacht bei Arsuf einen Vertrag mit Saladin schloss. Konrad von Montferrat heiratete Isabella, die Tochter Amalrichs I., und wurde zum König des Rumpfstaates gemacht, jedoch kurze Zeit später von den Assassinen ermordet. Isabella heiratete erneut, Heinrich II. von Champagne, der der neue König wurde.
Letzte Jahre
In den nächsten hundert Jahren führte das Königreich Jerusalem eine Existenz als Kleinstaat entlang der syrischen Küste. Ein Vierter Kreuzzug resultierte in der Eroberung Konstantinopels im Jahr 1204, die Kreuzfahrer erreichten nie das Heilige Land. Pläne wurden geschmiedet, um Jerusalem von Ägypten aus zu erobern, der Zug gegen Damiette 1217 wurde ein Fehlschlag. 1229 gelang es Kaiser Friedrich II., der König von Jerusalem aufgrund seiner Ehe mit der Erbin des Reichs war, dem Ayyubiden-Sultan al-Kamil die Stadt durch einen Vertrag abzuhandeln. Der Erwerb hielt jedoch nicht lange, denn mit dem Vertrag war nicht genügend Land übergegangen, um die Stadt verteidigen zu können. 1244 eroberten die Ayyubiden die Stadt zurück. Dies löste den Siebten Kreuzzug unter Ludwig IX. von Frankreich aus, der aber nur die kultivierten Ayyubiden durch die gewalttätigen Mameluken aus Hauptgegner der Kreuzritter ersetzte.
In den späteren Jahren setzten die Kreuzfahrer ihre Hoffnung auf die Mongolen, die der Sympathie mit der Christentum verdächtig wurden. Die Mongolen, die Syrien mehrfach überfielen, wurden ebenso mehrfach von den Mameluken zurückgeschlagen, die nun ihrerseits Rache an dem praktisch wehrlosen Königreich nahmen und dessen Städte bis 1291 eine nach der anderen wegnahmen. Akko, die letzte Festung, wurden in diesem Jahr durch den Mamelukensultan Chalil erobert.
Herrscherliste
Name von bis Regenten --------------------------------------- ---- ---- ------------------------- Gottfried von Bouillon 1099 1100 Balduin I. von Boulogne 1100 1118 Balduin II. von Bourcq 1118 1131 Fulko von Anjou 1131 1143 Melisende 1131 1143 Balduin III. 1143 1162 Melisende (1143-1152) Amalrich I. 1162 1174 Balduin IV. 1174 1185 Raimund III. von Tripolis (1174-1177) Balduin V. 1185 1186 Raimund III. von Tripolis (1185-1186) Guido von Lusignan 1186 1192 Sibylle 1186 1190 Isabella I. 1192 1205 Konrad I. von Montferrat 1192 Heinrich von Champagne 1192 1197 Amalrich II. von Lusignan 1197 1205 Maria von Montferrat 1205 1212 Johann von Ibelin (1205-1210) Johann I. von Brienne 1210 1212 Isabella II.(Jolande) von Brienne 1212 1225 Johann von Brienne (1212-1225) Friedrich II. von Hohenstaufen 1225 1228 Konrad II. von Hohenstaufen 1228 1254 Friedrich II. (1228-1243) Alice von Champagne (1243-1246) Heinrich I. von Zypern (1246-1253) Plaisance von Antiochia (1253-1254) Konrad III.(Konradin) von Hohenstaufen 1254 1268 Plaisance von Antiochia (1254-1261) Isabella von Antiochia (1261-1264) Hugo III. von Zypern (1264-1268) Hugo I. von Lusignan 1268 1284 (Hugo III. von Zypern) Karl I. von Anjou 1277 1285 Johann II. von Lusignan 1284 1285 (Johann I. von Zypern) Heinrich II. von Lusignan 1285 1291
Thronprätendenten des Königreichs Jerusalem
Nach dem Verlust der realen Macht in Jerusalem wurde der Anspruch auf den Titel über die Jahrhunderte hinweg vererbt, offensichtlich aber nicht mehr durchgesetzt. Aufgrund der fehlenden Realisierung der Ansprüche hat sich die Zahl der Prätendenten mittlerweile auf fünf erhöht: zwei Bourbonen, ein Wittelsbacher, ein Habsburger und eine uneheliche Linie fühen in ihrem Namen die Bezeichnung König von Jerusalem.
Zypriotische Linie
Nach dem Untergang des Königreichs trug Heinrich II., König von Zypern 1286-1291, weiterhin den Titel eines "Königs von Jerusalem". Nach seinem Tod wurde der Titel von seinen direkten Erben, den Königen Zyperns, bis zu ihrem Aussterben in männlicher Linie 1474 weitergeführt. Während Caterina Cornaro, die Mutter des letzten Königs und Königin ab 1474, Zypern 1489 an Venedig übergab, vererbte Carlota von Zypern, Königin 1458-1460, † 1487, die Insel und damit auch den Anspruch auf Jerusalem per Testament an Savoyen, die Familie ihres Vetters, zweiten Ehemanns und Mitregenten Ludwig der Jüngere, König 1459-1460, † 1482.
Innerhalb der Familie Savoyen wurde der Anspruch bis zum Aussterben der Hauptlinie mit Carlo Felice I., König von Sardinien, † 1831, weitervererbt. Während Savoyen und Sardinien danach an die jüngere Linie Carignan ging, ging der Titel des Königreichs Jerusalem an Beatrix von Savoyen (1792-1840), älteste Tochter seines Vorgängers Vittorio Emanuele I. und Ehefrau des Habsburgers Franz IV., Herzog von Modena. Die weitere Erbfolge:
- Franz V. (1819-1876), Herzog von Modena, beider Sohn
- Maria Theresia von Modena (1849-1919), dessen Nichte, verheiratet mit Ludwig III. (1845-1921) König von Bayern
- Rupprecht von Bayern (1869-1955), beider Sohn
- Albrecht von Bayern (1905-1996), dessen Sohn
- Franz von Bayern (* 1933), dessen Sohn
Neapolitanische Linie
Maria von Antiochia, Tochter des Bohemund V. Fürst von Antiochia, trat ihre (vermeintlichen) Erbansprüche auf Jerusalem 1277 mit Unterstützung des Papstes an Karl von Anjou, König von Neapel, ab, der sich darauf als Gegenkönig zu Hugo III. von Zypern, König von Jerusalem seit 1269, in Opposition begab und diesen Anspruch auch durchsetzen konnte. Der Titel des Königs von Jerusalem vererbte sich von nun an in der Herrscherlinie des Königreichs von Neapel und deren Prätendenten nach dem Risorgimento bis heute. Prätendent seit 1964 ist Karl, Herzog von Kalabrien (* 16. Januar 1938).
Österreichische Linie
Als Kaiser Karl VI. im Jahr 1740 das Königreich Neapel verlor, behielt er den Titel eines Königs von Jerusalem bei. Er vererbte sich in der Familie der Habsburger mit dem Kaisertitel. Aktueller Prätendent ist Otto von Habsburg (* 1912)
Spanische Linie
Karl IV., König von Spanien 1788-1808, erbte von seinem Vater zwar die spanische Krone, aber nicht die von Neapel und Sizilien; den Titel eines Königs von Jerusalem nahm er trotzdem an. In der Familie der spanischen Bourbonen vererbt sich dieser Anspruch wie der spanische Thron bis auf den heutigen Prätendenten, König Juan Carlos I.
Maltesische Linie
König Jakob II. von Zypern hinterließ einen ehelichen Sohn, Jakob III., darüber hinaus aber auch einen unehelichen Sohn, Eugene Matteo de Armenia, Baron von Baccari (Tel-Baqqar) auf Malta (1474-1523). Dessen Nachkommen, derzeit der 17. Baron von Baccari, erheben Anspruch auf die Titel Jakobs II. und damit das Königreich Jerusalem.
Siehe auch
Literatur
- John Riley-Smith: Königreich Jerusalem, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, Sp. 356-358 (umfangreiche Quellen- und Literaturangaben).