Europäischer Rat

Gremium der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union
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Der Europäische Rat ist das oberste Gremium der Europäischen Union (EU). Er gilt als diejenige Institution, die den Integrationsprozess der EU entscheidend beschleunigt hat.

Flagge der Europäischen Union

Zusammensetzung und Aufgaben

Der Europäische Rat setzt sich aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der EU sowie dem Präsidenten der Kommission zusammen. Der Europäische Rat ist eine intergouvernementale Institution. Rechtlich gesehen ist er jedoch kein Organ der EU. Der – von diesem zu unterscheidende – Rat der Europäischen Union (auch Ministerrat genannt), ferner die Kommission, der EuGH, das Europäische Parlament und der Rechnungshof sind hingegen (fusionierte) Organe der Europäischen Gemeinschaft (EG).

Der Europäische Rat ist in Art. 4 EUV geregelt. Er legt die politischen Leitlinien und Ziele fest und hat somit die Richtlinienkompetenz. Er klärt in Ausnahmefällen auch Fragen, die auf Ministerebene (siehe Rat der Europäischen Union) nicht geklärt werden können. Hauptsächlich beschäftigt sich der Rat allerdings mit groben Vorgaben für die weitere Entwicklung der Europäischen Union. Ein weiteres wichtiges Aufgabenfeld ist die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), die die Staats- und Regierungschefs auf den Gipfeltreffen koordinieren.

Der Europäische Rat kann keine rechtlich verbindlichen Beschlüsse fassen, besitzt jedoch ein Weisungsrecht. Die Ergebnisse werden in den „Schlussfolgerungen des Vorsitzes“ festgehalten, die von den übrigen Europäischen Institutionen umgesetzt werden. Da der Europäische Rat keine Beschlüsse fassen kann, muss er für die Formulierungen der Schlussfolgerung immer einen Kompromiss finden.

Der Europäische Rat tritt mindestens zweimal jährlich zusammen (EU-Gipfel). Die Treffen finden zumeist in der Mitte und am Ende jeder Amtszeit des Präsidenten des Europäischen Rates statt. Außerdem finden Sondergipfel statt, in denen wichtige Themen beraten werden. Der Vorsitz wechselt halbjährlich zwischen den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in einem komplizierten Rotationsprinzip, das sowohl alphabetische Rangfolge, als auch Bevölkerungsgrößen und Flächen der Mitgliedstaaten berücksichtigt. Immer das Land, das den Präsidenten des Rats der Europäischen Union stellt, übernimmt auch den Vorsitz und ist gleichzeitig Gastgeber des Europäischen Rates. Diesen Vorsitz nennt man auch „Ratspräsidentschaft“ oder „EU-Ratspräsidentschaft“. Durch den Vorsitz im Europäischen Rat erhalten die Mitgliedstaaten die Gelegenheit, ihre eigenen nationalen Impulse in die Europapolitik einzubringen und konferenzdiplomatisch umzusetzen.

Die Sitzungen sind nicht öffentlich. Allerdings informiert der Ratspräsident das Europäische Parlament über die Ergebnisse und legt diesem einen schriftlichen Bericht vor. Dies bestätigt den intergouvernementalen Charakter des Europäischen Rates.

Parteiorientierungen im Europäischen Rat

Die Mitglieder des Europäischen Rates gehören auf nationaler Ebene Parteien verschiedener politischer Spektren an, die sich nationenübergreifend in europäischen Parteizusammenschlüssen organisiert haben. Obwohl im Rat formal keine Koalitionen entlang ähnlicher parteiideologischer Orientierungen gebildet werden und das Verhandlungs- und Abstimmungsverhalten der Regierungschefs eher von pragmatischen Motiven bestimmt wird, bieten die Parteizugehörigkeiten der Staats- und Regierungschefs doch einen Erklärungsansatz für die Politik des Rates insgesamt.

Geschichte

Das Treffen der Staats- und Regierungschefs fand seit 1961 in unregelmäßigen Abständen statt. Erst 1974 wurde in Paris vereinbart, das Treffen regelmäßig zu veranstalten. In die Verträge wurde der Europäische Rat als Institution der EU erst 1987 mit Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte aufgenommen.

Ursprünglich waren die Treffen zwischen den Regierungschefs als informelle „Gespräche am Kamin“ gedacht, ohne Außenminister, weder Beamte noch Dokumente. Rechtskräftige Beschlüsse sollten nicht verabschiedet werden. Die Konferenzen fanden in abgelegenen Schlössern, abgeschirmt von der Presse, statt.

Nach den ersten Treffen bildete sich schnell ein festes Ritual heraus, das in den folgenden Jahrzehnten von dem jeweils veranstaltenden Vorsitz eingehalten wurde: Keine Tagesordnung, aber ein Einladungsbrief des Vorsitzenden eine Woche vor der Veranstaltung mit Angabe von wahrscheinlichen Themen; Festlegung der begleitenden Delegationen; geregelter Ablauf der Sitzungen im engsten Kreis; Abfassung eines Schlussdokuments als „Schlussfolgerung des Vorsitzes“.

Mittlerweile ist das Treffen der Regierungschefs zu einer vertraglich festgelegten EU-Institution gereift, die die Richtlinien der europäischen Politik bestimmt. Regelmäßig viermal im Jahr findet diese riesige und kostspielige Veranstaltung statt, die 2000 Journalisten anzieht und mit 12 000 Sicherheitskräften beschützt werden muss. Minister, Botschafter, Beamte, Dolmetscher und Übersetzer umgeben die 27 Regierungschefs und den Kommissionspräsidenten. Ein Insider, Marcell von Donat, hat in seinem Buch Das ist der Gipfel! ein farbenfrohes und genaues Bild der Zusammenkünfte gezeichnet, zu denen die höchsten Politiker anreisen, um unter sich zu sein, und wo alles so wichtig ist, dass niemals Routine aufkommt. Die Tagungen folgen einem „mystischen“ Ritual, das zu den „geheimnisvollen Imponderabilien der Politik“ gehört.[1]

Chronologie der Ratspräsidentschaften seit 1958

Zyklus Jahr Ratspräsidentschaft Regierungschef (Präsident im Europäischen Rat) Außenminister (Ministerratspräsident) Internetpräsenz
1 1958 Belgien  Belgien Victor Larock
Deutschland BR  BR Deutschland Siegfried Balke
1959 Frankreich  Frankreich Maurice Couve de Murville
Italien  Italien Giuseppe Pella
1960 Luxemburg  Luxemburg Eugène Schaus
Niederlande  Niederlande Joseph Luns
2 1961 Belgien  Belgien Paul-Henri Spaak
Deutschland BR  BR Deutschland Gerhard Schröder
1962 Frankreich  Frankreich Maurice Couve de Murville
Italien  Italien Emilio Colombo
1963 Luxemburg  Luxemburg Eugène Schaus
Niederlande  Niederlande Joseph Luns
3 1964 Belgien  Belgien Hendrik Fayat
Deutschland BR  BR Deutschland Gerhard Schröder
1965 Frankreich  Frankreich Maurice Couve de Murville
Italien  Italien Amintore Fanfani
1966 Luxemburg  Luxemburg Pierre Werner
Niederlande  Niederlande Barend Biesheuvel
4 1967 Belgien  Belgien Renaat Van Elslande
Deutschland BR  BR Deutschland Willy Brandt
1968 Frankreich  Frankreich Maurice Couve de Murville
Italien  Italien Giuseppe Medici
1969 Luxemburg  Luxemburg Pierre Grégoire
Niederlande  Niederlande Joseph Luns
5 1970 Belgien  Belgien Pierre Harmel
Deutschland BR  BR Deutschland Walter Scheel
1971 Frankreich  Frankreich Maurice Schumann
Italien  Italien Aldo Moro
1972 Luxemburg  Luxemburg Gaston Thorn
Niederlande  Niederlande Norbert Schmelzer
6 1973 Belgien  Belgien Pierre Harmel
Danemark  Dänemark Ivar Nørgaard
1974 Deutschland BR  BR Deutschland Walter Scheel
Frankreich  Frankreich Jean Sauvagnargues
1975 Irland  Irland Garret FitzGerald
Italien  Italien Mariano Rumor
1976 Luxemburg  Luxemburg Gaston Thorn
Niederlande  Niederlande Max van der Stoel
1977 Vereinigtes Konigreich  Vereinigtes Königreich Anthony Crosland, später David Owen
7 Belgien  Belgien Henri Simonet
1978 Danemark  Dänemark Knud Børge Andersen
Deutschland BR  BR Deutschland Hans-Dietrich Genscher
1979 Frankreich  Frankreich Jean François-Poncet
Irland  Irland Michael O'Kennedy
1980 Italien  Italien Attilio Ruffini
Luxemburg  Luxemburg Colette Flesch
1981 Niederlande  Niederlande Chris van der Klaauw
Vereinigtes Konigreich  Vereinigtes Königreich Peter Carrington
8 1982 Belgien  Belgien Leo Tindemans
Danemark  Dänemark Uffe Ellemann-Jensen
1983 Deutschland BR  BR Deutschland Hans-Dietrich Genscher
Griechenland  Griechenland Grigoris Varfis
1984 Frankreich  Frankreich Roland Dumas
Irland  Irland Peter Barry
1985 Italien  Italien Giulio Andreotti
Luxemburg  Luxemburg Jacques Poos
1986 Niederlande  Niederlande Hans van den Broek
Vereinigtes Konigreich  Vereinigtes Königreich Geoffrey Howe
9 1987 Belgien  Belgien Leo Tindemans
Danemark  Dänemark Uffe Ellemann-Jensen
1988 Deutschland BR  BR Deutschland Hans-Dietrich Genscher
Griechenland  Griechenland Theodoros Pangalos
1989 Spanien  Spanien Francisco Fernández Ordóñez
Frankreich  Frankreich Roland Dumas
1990 Irland  Irland Gerard Collins
Italien  Italien Gianni De Michelis
1991 Luxemburg  Luxemburg Jacques Poos
Niederlande  Niederlande Hans van den Broek
1992 Portugal  Portugal João de Deus Pinheiro
Vereinigtes Konigreich  Vereinigtes Königreich Douglas Hurd
10 1993 Danemark  Dänemark Poul Nyrup Rasmussen
Belgien  Belgien Willy Claes
1994 Griechenland  Griechenland Karolos Papoulias
Deutschland  Deutschland Klaus Kinkel
1995 Frankreich  Frankreich Alain Juppé
Spanien  Spanien Javier Solana
1996 Italien  Italien ? Lamberto Dini
Irland  Irland ? Dick Spring
1997 Niederlande  Niederlande ? Hans van Mierlo
Luxemburg  Luxemburg ? Jacques Poos
1998 Vereinigtes Konigreich  Vereinigtes Königreich Tony Blair Robin Cook
11 Osterreich  Österreich Viktor Klima Wolfgang Schüssel
1999 Deutschland  Deutschland Gerhard Schröder Joschka Fischer
Finnland  Finnland Paavo Lipponen Tarja Halonen presidency.finland.fi
2000 Portugal  Portugal António Guterres Jaime Gama
Frankreich  Frankreich Lionel Jospin Hubert Védrine
2001 Schweden  Schweden Göran Persson Anna Lindh eu2001.se
Belgien  Belgien Guy Verhofstadt Louis Michel eu2001.be
2002 Spanien  Spanien José María Aznar López Josep Piqué i Camps
Danemark  Dänemark Anders Fogh Rasmussen Per Stig Møller
2003 Griechenland  Griechenland Kostas Simitis Georgios Andrea Papandreou
Italien  Italien Silvio Berlusconi Franco Frattini
2004 Irland  Irland Bertie Ahern Brian Cowen eu2004.ie
Niederlande  Niederlande Jan Peter Balkenende Bernard Bot
2005 Luxemburg  Luxemburg Jean-Claude Juncker Jean Asselborn eu2005.lu
Vereinigtes Konigreich  Vereinigtes Königreich Tony Blair Jack Straw eu2005.gov.uk
12 2006 Osterreich  Österreich Wolfgang Schüssel Ursula Plassnik eu2006.at
Finnland  Finnland Matti Vanhanen Erkki Tuomioja eu2006.fi
2007 Deutschland  Deutschland Angela Merkel Frank-Walter Steinmeier eu2007.de
Portugal  Portugal José Sócrates Luís Amado eu2007.pt
2008 Slowenien  Slowenien Janez Janša Dimitrij Rupel eu2008.si
Frankreich  Frankreich ... ... ...
2009 Tschechien  Tschechien ... ... ...
Schweden  Schweden ... ... ...
2010 Spanien  Spanien ... ... ...
Belgien  Belgien ... ... ...
2011 Ungarn  Ungarn ... ... ...
Polen  Polen ... ... ...
2012 Danemark  Dänemark ... ... ...
Zypern Republik  Zypern ... ... ...
2013 Irland  Irland ... ... ...
Litauen  Litauen ... ... ...
2014 Griechenland  Griechenland ... ... ...
Italien  Italien ... ... ...
2015 Lettland  Lettland ... ... ...
Luxemburg  Luxemburg ... ... ...
2016 Niederlande  Niederlande ... ... ...
Slowakei  Slowakei ... ... ...
2017 Malta  Malta ... ... ...
Vereinigtes Konigreich  Vereinigtes Königreich ... ... ...
2018 Estland  Estland ... ... ...
13 Bulgarien  Bulgarien ... ... ...
2019 Osterreich  Österreich ... ... ...
Rumänien  Rumänien ... ... ...
2020 Finnland  Finnland ... ... ...
Deutschland  Deutschland ... ... ...

Änderungen durch den Europäischen Verfassungsvertrag

Die Präsidentschaft des Europäischen Rates wird künftig nach dem Vertrag von Lissabon nicht mehr zwischen den Mitgliedstaaten wechseln, sondern durch einen für 2,5 Jahre bestimmten Präsidenten wahrgenommen. Der Präsident des Europäischen Rates soll durch den Rat mit qualifizierter Mehrheit ernannt und einmal wiedergewählt werden. Der Europäische Rat setzt sich zusammen aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten sowie dem Präsidenten des Europäischen Rates und dem Präsidenten der Kommission. Der Hohe Repräsentant für Außen- und Sicherheitspolitik nimmt an seinen Arbeiten teil.

Siehe auch: Rat der Europäischen Union

Wichtige Treffen des Europäischen Rates

Siehe auch

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  1. Vergl. von Donat, Marcell: „Das ist der Gipfel! - Die EG-Regierungschefs unter sich“, Nomos-Verlag, Baden-Baden 1987.