Animismus (Religion)
Als Animismus (von lat. Anima = Seele, Atem) bezeichnet man im allgemeinen ein schriftloses Religionssystem (auch Naturreligion), das davon ausgeht,Geister oder Seelen bewohnten natürliche Körper oder Gegenstände.
Der Animismus bezeichnet die Annahme immaterieller Wesenheiten: die Vorstellung der Personifizierung, Beseelung, phantastische Belebungen der Erscheinungen in Natur und Gesellschaft; ein allgemeiner Glauben an Seelen und Geister. Dieser Zustand des menschlichen Verhaltens entspringt einer bestimmten Stufe der Entwicklung des kollektiven Bewusstseins in Abhängigkeit von einer frühen, relativ langen Phase des menschlichen Zusammenlebens und der Auseinandersetzung mit der Natur und der eigenen Selbsterfahrung.
Animismus ist wohl die älteste bekannte Religion, wobei möglicherweise 'Glaube' der bessere Begriff ist. Es gab eine Zeit, vor der 'Zivilisation' wohl gemerkt, in der der Animismus bei den Menschen universeller Glaube war, also alle Menschen glaubten daran. Für Animisten gibt es keinen Gott, wie zb bei den Christen. Für sie ist alles lebende göttlich. Das Göttliche ist für sie hier auf der Erde. Das ist daher ausdrücklich nicht zu verwechseln mit Schamanismus oder Paganismus!
Das englische 'animism' (Animismus) ist die einzige 'Religion, die klein geschrieben wird, anders als beispielsweise Christianity (das Christentum).
Kategorien und Ausprägungen
Magie und Göttlichkeit wird insbesondere in folgenden Bereiche gesehen:
- Tiergottheiten und magische Wesen (Hirsch, Lamm, Kuh, Kalb, Pan, Faun)
- Pflanzengottheiten (Bäume)
- Magische Wesen des Tages und der Nacht (Elfen)
- Gestirne (Sonnengott Ra, Mondgottheiten, Sternbild-Personifizierung)
- Geister der Elemente aus denen die Welt gefügt ist, im Sinne der Alchemie:
Die Attribute der einzelnen Götter reichen von launisch über gewaltbereit bis hin zu demütig, duldsam, schöpfend und bewahrend.
Die obige Aufstellung macht auch diverse regionale Tendenzen zur Personifizierung der Naturgewalten deutlich, welche dadurch motiviert ist, die dahinter stehenden Kräfte als kommunikationsfähige Intelligenz zu sehen und mit ihr in Kontakt zu treten um deren Verhalten zu beeinflussen.
Viele Gottheiten werden in Verbindung mit Naturgewalten gebracht, wobei jedoch scharf zwischen eigenständigen, beseelten Naturgewalten einerseits und von Gottheiten nur mittelbar benutzten Naturgewalten andererseits unterschieden werden sollte. Beispiele für mittelbare Nutzung von Gewalten:
- Jahwe vernichtet die Welt in der Sintflut, aber verschont Noach und seine Arche
- Jahwe vernichtet die Städte Sodom und Gomorrha mit Feuer vom Himmel
- Zeus kann mit seinen Händen Blitze schleudern
- Thor kann mit seinem Hammer Mjölnir Blitze schleudern
Weiterhin gibt es noch diverse göttliche Zwischen-Wesen (zum Beispiel im Christentum), die ebenso gewissen Naturkräften zugeordnet sind:
- Engel werden typischerweise als Lichtgestalten des Himmels beschrieben
- der Teufel oder Satan, der als gefallener Engel und Pendant zu Gott im Himmel nun als Feuer-Gott in den Tiefen der Erde, seiner Hölle haust und versucht die Seelen der Menschen zu ergaunern. (Das Teufels-Bild hat viele Wendungen erfahren, insbesondere in der Christianisierung der Germanen, wo der Germanen-Himmel mit seiner typischen angenehmen Wärme zur verbrennenden Hölle umgedeutet wurde.) Höllen-Feuer werden typischerweise mit Vulkanen in Verbindung gebracht, historisch mit denen des Mittelmeer-Raumes aber auch derjenigen der nordischen Hemisphäre.
Dabei können diese mit zahlreichen Mächten ausgestatteten Übergötter durchaus als Herren und Befehlshaber der eigentlichen Naturgötter gesehen werden. Tritt die Tendenz zum Monotheismus auf, so werden die Naturgewalten meist von Göttlichkeit freigestellt und nur noch als Herrschafts-, Macht- und somit Wirkungs-Bereich der einen Gottheit gesehen. Im Christentum der Neuzeit treten dafür Heilige als Gottesvertreter auf, die meist als Mittler für bestimmte Themenbereiche (von Medizin über Haus-Götter bis hin zu Naturgewalten) von Bitt-Anliegen gegenüber dem Gottes-Vater auftreten. Man kann die Heiligen somit als ähnlich geartetes, aber nicht wesensgleiches Konstrukt zur themengebundenen Personifizierung von Naturkräften sehen.
Animismus und die Weltreligionen
Zwischen animistischen Religionen und den "großen" Weltreligionen bestehen einige Parallelen:
- Der Glaube an eine übernatürliche oder geistliche Kraft neben der physischen Welt
- Die Existenz von Gebeten und Riten zur Kontaktaufnahme mit dieser
- Die Existenz von heiligen Stätten, wie Tempel oder Wallfahrtsorte
Oft verbinden sich animistische mit anderen religiösen Glaubenssystemen zu synkretistischen Religionen. Beispiel dafür ist Candomblé, die vorherrschende Religion in einigen Gebieten Brasiliens, oder der Santeria-Kult auf Kuba. Hier verschmelzen katholische Heilige mit alten afrikanischen Göttern. Siehe auch: Voodoo
Animismus in der Religionstheorie
Animismus ist auch der Name einer Theorie der Religion des Anthropologen Sir Edward Burnett Tylor in seinem Buch 1871, "Primitive Culture". Die meisten Religionswissenschaftler schätzen heute den Begriff "Animismus" als sinnvoll ein zur Beschreibung spezifischen Glaubenssystems, weisen aber Tylors Animismustheorien zurück.
Nach Tylor ist Animismus die früheste von Menschen entwickelte Form der Religion. Die Menschen hätten ihre frühesten Gesellschaftssysteme auf den Animismus gebaut, um zu erklären, warum die Dinge geschehen. Als Tylor dieses veröffentlichte, galt diese Theorie politisch radikal, weil sie beanspruchte, dass nicht-westliche Völker (nämlich nicht christliche Heiden) tatsächlich Religion haben. Jedoch seit dem Erscheinen der Primitive Culture, sind die Theorien Tylors von drei Seiten kritisiert worden.
- Zum einen fragte man, ob der Glaube der verschiedenen Völkerstämme, die in den unterschiedlichen Teilen der Welt leben, tatsächlich auf den Nenner einer gemeinsamen Religion zusammengebracht werden könne.
- Zweitens wurde gefragt, ob die grundlegende Funktion der Religion wirklich die "Erklärung" des Universums ist Soziologen wie Marrett und Emile Durkheim wandten ein, religiöser Glaube habe vornehmlich eine emotionale und soziale, anstatt einer intellektuellen Dimensionen).
- Schließlich griffen Etliche Tylors Theorien als ethnozentrisch an
Neuheiden beschreiben häufig ihr Glaubenssystem als animistisch.
Zur begrifflichen Entstehung des Animismus und seiner Grundzüge
Der Begriff "Animimismus" wurde im Rahmen der Forschungen von Edward Burnett Tylor 1871 in seinem Werk "Primitive Culture, Researches into the Development of Mythology, Philosophy, Religion, Art and Custom" zur Bezeichnung bestimmter Geister- und Seelensvorstellungen von Völkern früher gesellchaftlicher Entwicklungsstufen eingeführt. Neben Tylor entwickelten Herbert Spencer und John Lubbock die Theorie, der Glaube an Seelen und Geister sei die Vorstellung aller ursprünglicher religiöser Vorstellungen: Der "primitive" Mensch in einer relativ frühen menschheitsgeschichtlichen Entwicklungsstufe habe aus den Erfahrungen in seiner Umwelt abgeleitet, dass er etwas habe, dass seinem Leib bei Krankheit, Traum und Schlaf zeitweilig, im Tod aber endgültig verlasse - die Seele.
Spätere Abstraktionsstufen hätten daraus Geister entwickelt, Seelen von Toten, von Tieren, Pflanzen Gegenständen, die in relativer Selbständigkeit auf das Leben des Menschen einwirken und deren Verhalten der Mensch durch rituelle Kontaktaufnahme beeinflussen könne. Weitere Abstraktion habe daraus die Vorstellung von Göttern und schließlich von einer monistischen Gottesvorstellung hervorgebracht. Diese evolutionistische Theorie der Entstehung der religiöser Vorstellungen, der zufolge der Glaube an Geister das unbedingt notwendige Durchgangsstadium aller religionsphilosophischer Entwicklungen, sozusagen ein Minimum der Religionsvorstellung sei, wurde zwischen 1905 und 1909 mit philosophischen und psychologischen Argumenten von Wilhelm Wundt untermauert: durch Einfühlung projiziere der Mensch das eigene Ich auf die Objekte (Leib-Seele, wobei die Seelenvorstellung das Prinzip des Lebens sei).
Zur Verbreitung der Lehre vom Animismus
Der Animismus konnte sich in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts schnell als Lehrmeinung durchsetzen, weil er mit umfangreichen und systematisierten ethnographischen Datenmaterial völlig übereinzustimmen schien. Für dieses fachwissenschaftliche Material bot der Animismus eine theoretische Verallgemeinerung bei der Frage der Entstehung religiöser Vorstellungen. Zu seiner schnellen Verbreitung trug bei, dass er sich streng an den Evolutions- und Fortschrittsgedanken hielt und insofern progressiven Wissenschaftlern die Auseinandersetzung mit dem klerikalen Mystizismus erleichterte. Der Animismus war eine Lehre, mit der man die verschiedensten religiösen Vorstellungen aus immer den gleichen einfachen Entwicklungsphasen herleiten konnte.
Zur Beschränktheit des Animismus
Die Beschränktheit im Animismus liegt vor allem darin:
- dass er die religiöse Vorstellung als eine Kategorie des individuellen Bewusstseins ansah, d.h. von den konkreten Motiven des Stammes, der Gruppe oder der Gesellschaft absah;
- dass er ferner die religiöse Vorstellung ausschließlich als Produkt des menschlichen Denkens betrachtete.
Der Animismus wurde sowohl von klerikaler Seite, wo man in ihm einen Angriff auf den Ausschließlichkeitsanspruch der übernatürlichen christlichen Offenbarungslehre ansah, als auch von ernsthaften ethnographischen Forschern kritisiert. Die klerikale Kritik des Animismus formulierte vor allem A. Lang (in: "Making of Religion", 1898), später besonders W. Schmidt mit seiner Theorie des Urmonotheismus (in: "Der Ursprung der Gottesidee", 12 Bände, 1912 - 1955), der durch eine Uroffenbarung als Beginn alle religiösen Vorstellung bewiesen werden sollte. Trotz der dabei herangezogenen Kulturkreistheorie F. Gräbners und der Pygmänentherie von J. Kollman operierte Schmidt mit zweifelhaften Quellen und Daten.
Zur Auffassung des Präanimismus als Wirkungen der Kritik
Die Kritik des Animismus durch die Philosophie, Teile der Religionswissenschaften und der Enthnographie führte zur Formulierung präanimistischer Auffassungen, also der Annahme einer magischen Kraft (bei J. Frazer, 1890), einer unpersönlichen Kraft (bei J. Hewitt, 1902), eines Glaubens des "primitiven" Menschen an die Beseeltheit der gesamten Natur (bei W.G. Bogoras, 1904), die erst vorhanden gewesen sein müsse, um die vom Animismus skizzierte Entwicklung der religiösen Vorstellungen auszulösen und zu ermöglichen. Obwohl diese Kritik keine eigene weitergehende Antwort auf die Frage nach der Entstehung der religiösen Vorstellung gab, wurden doch dabei auch Emotionen, Affekte, unbewusste Impulse mit in die Betrachtung einbezogen, soweit sie zu Gewohnheiten und rituellen Handlungen geworden waren und obwohl ihnen erst viel später eine religiöse Deutung unterlegt wurde.
Vertreten wurde diese Auffassung vor allem von K. Preuss (1904), A. Vierkandt (1907) und R. Marett (1899), der den Begriff "Präanismismus" prägte, ferner von Ernst Cassirer und Rudolf Otto, der bereits 1910 die Wundtsche Version des Animismus einer prinzipiellen Kritik unterzogen hatte.
siehe auch: Magie, Totemismus, Fetischismus, Paganismus
Literatur
- Sigmund Freud, Totem und Tabu, Gesammelte Werke Bd. IX, Frankfurt am Main 1999