Radio Eriwan

Fiktiver Radiosender
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Radio Eriwan war zur Entstehungszeit der Witze kein tatsächlich existierender armenischer Rundfunksender, sondern "eine freie Erfindung des von staatlicher Propaganda unterdrückten Geistes, die kleine Rache der Sowjetbürger für die Entbehrungen des Alltags" (Andrea Strunk in "Das Leben - eine Wunde" als eine spezielle Kategorie von politischen Witzen insbesondere in den sozialistischen Ländern des 20. Jahrhunderts führte. Eriwan ist der eingedeutschte Name der Hauptstadt Armeniens, früher eine Sowjetrepublik der UdSSR. In der DDR kursierten diese Witze auch als "Anfrage an den Sender Jerewan".

Die Grundstruktur eines klassischen Radio-Eriwan-Witzes ist stereotyp. Es wird eine Frage an Radio Eriwan gestellt, die Antwort lautet immer:
Im Prinzip JA,, bzw. Im Prinzip NEIN, und dann: ABER... nachfolgend ein langes, sozialistisches, bürokratisches, formelles Blablabla... und am Ende doch irgendein: NICHT, NEIN, NUR oder DOCH usw.

Frage: Darf man die Pilze aus Tschernobyl wieder essen? Antwort: Im Prinzip JA, ABER Sie dürfen ihre Toilette NICHT an die öffentliche Kanalisation angeschlossen haben.

Der Witzcharakter ergibt sich aus den nachfolgenden Aussagen, die die Grundaussage des ersten Satzes konterkarieren. Vielfach hatten und haben die Radio-Eriwan-Witze den Charakter eines politischen Witzes, besonders in der Zeit des Sozialismus. Dabei ermöglichte die typische Radio-Eriwan-Konstruktion, Kritik am Sozialismus so zu verpacken, dass sie mehrdeutig formuliert war und sowohl systemkonform als auch systemkritisch verstanden werden konnte.

Nach Deutschland kamen die Radio-Eriwan-Witze nicht zuletzt durch die Zeitschrift Sputnik. Sputnik war ein Hochglanz-Magazin im DIN-A5-Format, das europaweit vertrieben wurde. Es wurde ab 1967 von der Presseagentur Nowosti auf Russisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Tschechisch und Ungarisch vertrieben. Zielgruppe war neben dem sozialistischen Ausland auch das westliche Ausland, für die deutschsprachige Ausgabe sowohl die DDR als auch die damalige Bundesrepublik Deutschland. Dabei versuchte Nowosti zeitweise, im Westen Sympathien durch begrenzt systemkritische Formulierungen zu gewinnen. Paradebeispiel dafür war die in vielen Ausgaben vorhandene Rubrik der Radio-Eriwan-Witze. In den 80er Jahren wurde im Zuge der beginnenden Glasnost- und Perestroika-Politik des Generalseketärs Michail Gorbatschow sowohl die generelle Berichterstattung im Sputnik als auch insbesondere die Radio-Eriwan-Witze offener und systemkritischer. Am 19. November 1988 wurde die Zeitschrift Sputnik in der DDR verboten.


Beispiele für einige (un?typische) Radio-Eriwan-Witze:

  • Frage an Radio Eriwan: Stimmt es, dass in den USA jeder Einwohner ein Auto hat?
    Radio Eriwan: Im Prinzip ja, aber bei uns hat dafür jeder einen Parkplatz!
  • Frage an Radio Eriwan: Was ist ein Chaos?
    Radio Eriwan antwortet: Fragen aus der Landwirtschaft werden nicht beantwortet.
  • Frage an Radio Eriwan: Stimmt es, dass im Sozialismus die Ausbeutung des Menschen abgeschafft ist?
    Radio Eriwan: Im Prinzip ja. Im Kapitalismus wird der Mensch von anderen Menschen ausgebeutet. Bei uns ist es umgekehrt.
  • Frage an Radio Eriwan: Stimmt es, dass Adam und Eva die ersten sozialistischen Menschen waren?
    Radio Eriwan antwortet: Im Prinzip ja. Sie hatten nichts anzuziehen, lebten nur von dem, was sie sich selbst beschaffen konnten und hatten keine eigene Wohnung. Trotzdem glaubten sie, im Paradies zu leben.
  • Frage an Radio Eriwan: Ich habe aus dem Westen Antibabypillen geschickt bekommen. Kann ich sie nehmen, ohne dabei gegen die sozialistischen Grundsätze zu verstoßen?
    Antwort: Im Prinzip nein. Aber wenn Sie damit gegen den Papst demonstrieren wollen, ist die Einnahme eine gute sozialistische Tat.
  • Frage an Radio Eriwan: Ich habe gehört, dass bei uns nicht mehr so viele Betten produziert werden wie früher. Stimmt das?
    Radio Eriwan: Im Prinzip ja. Wozu auch noch Betten herstellen? Die Intelligenz ist auf Rosen gebettet, die Aktivisten ruhen sich auf ihren Lorbeeren aus, die Arbeiter, Bauern und Soldaten halten Friedenswacht, der Klassenfeind schläft nicht, und der Rest sitzt.
  • Frage an Radio Eriwan: Ist es wahr, dass Ungarn das größte europäische Land ist?
    Radio Eriwan: Im Prinzip ja. Die glorreiche Rote Armee hat nach der Niederschlagung des Ungarnaufstands 1956 damit begonnen, das Land zu verlassen und hat die Grenzen bis heute nicht erreicht...
  • Frage an Radio Eriwan: Gibt es in Armenien mehr Humor als anderswo?
    Radio Eriwan: Im Prinzip ja. Aber wir haben ihn auch bitter nötig.
  • Frage an Radio Eriwan: Stimmt es, dass Grigori Grigoriewitsch Grigoriew bei der Allunions-Meisterschaft in Moskau einen Tschaika (sowjetisches Luxusauto) gewonnen hat?
    Antwort: Im Prinzip ja. Aber erstens war es nicht Grigori Grigoriewitsch Grigoriew, sondern Wassili Wassiljewitsch Wassiljew, zweitens war es nicht bei der Allunions-Meisterschaft in Moskau, sondern beim Kolchos-Sportfest in Gamsatschiman, drittens war es kein Tschaika, sondern ein Fahrrad, und viertens hat er es nicht gewonnen, sondern es wurde ihm geklaut.
  • Frage an Radio Eriwan: Stimmt es, dass der Kapitalismus am Abgrund steht?
    Antwort: Im Prinzip ja, aber wir sind dabei, ihn zu überholen.
  • Frage an Radio Eriwan: Stimmt es, dass ein sozialistischer Betriebsleiter einen sozialistischen Betrieb leiten kann?
    Antwort: Im Prinzip ja, aber haben Sie schon mal einen Zitronenfalter gesehen, der Zitronen falten kann?
  • Frage an Radio Eriwan: Stimmt es, dass man in der Schweiz den Sozialismus einführen könnte?
    Antwort: Im Prinzip ja, aber es wäre schade drum.
  • Frage an Radio Eriwan: An welchem Tag genau starb Josef Stalin?
    Antwort: Man weiß es nicht, aber es war ein Feiertag.
  • Frage an Radio Eriwan: Kann man den 'Sozialmus in einem Land' einführen?
    Antwort: Im Prinzip ja, aber man sollte dann in einem anderen Land leben.


Witze von Radio Eriwan