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Religion ist der in großen Bevölkerungsgruppen in langen Traditionen entstandene, aber auch von Individuen neu entwickelte gemeinsame oder persönliche Glaube an das über die direkt erfahrbare Existenz Hinausgehende, an eine oder mehrere persönliche oder unpersönliche transzendente übernatürliche Wesenheiten (z.B. eine Gottheit oder Geister und Ahnen) oder Prinzipien (z.B. Dao, Nirvana). Religionen sind häufig verbunden mit einer Heilslehre, Symbolsystemen und Ritualen.
Dieser Ansatz zu einer Defininition erfasst nicht alle Religionen, da der Begriff 'Glaube' in einigen Religionen nicht existiert. Darüber hinaus gibt es in den Geisteswissenschaften erhebliche Kontroversen über die Bestimmung des Terminus 'Religion'.
Als Religionen werden zum Beispiel Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus, Daoismus , Sikhismus, Konfuzianismus, Baha'i, Shinto, Druidentum verstanden (siehe auch Liste der Religionen der Welt).
Mit der wissenschaftlichen Erforschung von Religionen befassen sich insbesondere die Religionswissenschaft/Religionsgeschichte, die Religionssoziologie und ferner die Religionsphilosophie.
Begriff und Etymologie
religio hatte im Lateinischen die unterschiedlichen Bedeutungen: "Gottesfurcht", "Frömmigkeit", "Heiligkeit", aber auch "Rücksicht", "Bedenken", "Skrupel", "Gewissenhaftigkeit" oder "Aberglaube". Die weitere Etymologie des Begriffs ist nicht mit Sicherheit geklärt. Der Begriff religio ist kein Terminus altrömischer Religion, sondern die frühesten Belege finden sich erst in den Komödien des Plautus (ca. 250-184 v. Chr.) und in den politischen Reden des Cato (234-149 v. Chr.).
Nach Cicero (De Natura Deorum 2, 28) geht religio zurück auf relegere, was wörtlich "wieder aufwickeln", im übertragenen Sinn "bedenken, achtgeben" bedeutet. Cicero dachte dabei an den Tempelkult, den es sorgsam zu beachten galt. Lactantius (Divinae Institutiones 4, 28) führt das Wort zurück auf religare: "an-, zurückbinden". Mögliche ursprüngliche Bedeutungen von "Religion" sind demnach "frommes Bedenken" oder die "Rückbindung" an einen von Gläubigen an- bzw. wahrgenommenen universellen göttlichen Ursprung.
Der Begriff Religio, bzw. Religiosus wurde im Mittelalter vor allem für den Ordensstand benutzt und diese Bedeutung hat der Begriff bis heute im römisch-katholischen Kirchenrecht. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit waren für unseren Begriff 'Religion' die Bezeichnungen fides (Glaube), lex (Gesetz) und secta (Richtung,Partei) gebräuchlich. Der heutige Begriff 'Religion' wurde erst nach der Reformation gebräuchlich und es wurden darunter Lehren verstanden, die entweder richtig oder falsch sein konnten. In der Aufklärungszeit entwickelte sich dann ein abstrakterer Religionsbegriff. Im deutschen sind die Begriffe Religion und Religiosität zu unterscheiden, der Begriff Religiosität hat sich seit Ende des 18. Jahrhunderts entwickelt. Religion bezeichnet demgemäß ein System, also das Äußerliche, Strukturelle, Gemeinschaftliche, während Religiosität auf das Subjektiv-Individuelle bezogen ist, insbesondere auf das Erleben des Einzelnen.
Problematik: Wichtig bei der Betrachtung der Herkunft des Wortes ist die kritische Beobachtung der (ideologischen) Verwendung derselben. Abgesehen von diesen etymologischen Unsicherheiten ist der Terminus auch heute noch problematisch. Mit der europäischen "Entdeckung" bisher in der so genannten Alten Welt unbekannter Kulturen wurde der Begriff auf Sachverhalte angewendet, die zwar Ähnlichkeiten mit dem europäischen Religionskonzept haben (zum Beispiel die Gottesverehrung), in mancher Hinsicht aber auch sehr gegensätzlich sind (zum Beispiel der Ausschließlichkeitsanspruch). Diese Differenz besteht auch zu den östlichen Religionen.
Eine Folge ist, dass heute zwar viele verschiedene Religionen und Religionsformen bekannt und erforscht sind, jedoch eine auf alle Religionsgemeinschaften und -formen anzuwendende Definition noch aussteht und wahrscheinlich - wegen der heterogenen Theoriesysteme- auch in Zukunft nicht existieren wird.
Wissenschaftliche Ansätze zur Definition von Religion
Die Religionssoziologie untersucht seit mehr als 100 Jahren auf empirischer und theoretischer Grundlage Religion und Religionen als gesellschaftliche Phänomene. Dabei gibt es unterschiedliche Auffassungen über Definition und Funktion von Religion.
- Nach Émile Durkheim, Begründer der Soziologie, trägt Religion zur Festigung sozialer Strukturen aber auch zur Stabilisierung des Einzelnen bei. Sein Religionsbegriff ist somit ein funktionalistischer. Gemäß Durkheim ist die Religion ein solidarisches System, das sich auf Überzeugungen und Praktiken bezieht, die heilige Dinge beinhalten und in einer moralischen Gemeinschaft wie beispielsweise der Kirche, alle vereinen, die dieser angehören. Daraus ergeben sich drei Aspekte von Religion, die Glaubensüberzeugungen (Mythen), die Praktiken (Riten) und die Gemeinschaft, auf die diese bezogen sind. Durkheim bezeichnet unter anderen Faktoren den Glauben als ein Element der Macht, die die Gesellschaft über ihre Mitglieder ausübt.
- Ferdinand Tönnies unterscheidet Ende des 19. Jahrhunderts zwischen 'Gesellschaft' und 'Gemeinschaft'. Er betont die sinnstiftende Funktion von Religion und erforscht ihre Symbolsysteme. Religiöse Gemeinschaften - wie andere traditionelle Gemeinschaften - dienen demnach der kulturellen Bindung des Individuums. Sie verlieren zugunsten der Prägung durch die Gesellschaft in der Moderne an Bedeutung für den Einzelnen. Als Kirche, das heißt als Institution, behalten sie jedoch hohen gesellschaftlichen Einfluss. Laut Tönnies folgt dem Zeitalter der Gemeinschaft das Zeitalter der Gesellschaft. Die Funktion der Religion im ersteren werde nunmehr von der öffentlichen Meinung mehr und mehr übernommen.
- Max Weber, der sich Anfang des 20. Jahrhunderts ausführlich mit dem Phänomen "Religion" aus soziologischer Sicht befasste, unterschied zwischen Religion und Magie . Unter Religion versteht er ein dauerhaftes, ethisch fundiertes System mit hauptamtlichen Funktionären, die eine geregelte Lehre vertreten, einer organisierten Gemeinschaft vorstehen und gesellschaftlichen Einfluss anstreben. Magie dagegen ist nach Weber lediglich kurzfristig wirksam, gebunden an einzelne Magier oder Zauberer, die als charismatische Persönlichkeiten vermeintlich Naturgewalten bezwingen und eigene moralische Vorstellungen entwickeln. Diese Abgrenzung versteht Weber als idealtypisch. Reinformen sind selten, Überschneidungen und Übergänge werden konstatiert.
Religionen werden auch durch die in ihrer heutigen Form noch relativ junge Religionswissenschaft erforscht, geordnet, verglichen und klassifiziert. Auf eine wissenschaftliche Definition, die beschreibt, was Erkennungsmerkmale von Religionen sind und wann eine Weltanschauung als Religion betitelt wird, konnte man sich allerdings bisher noch nicht einigen. Dennoch gab es in der jüngeren Zeit vielversprechende Ansätze, die breiten Konsens finden könnten.
- Nach Clifford Geertz (1973) ist Religion ein kulturell-geschaffenes Symbolsystem, das versucht, dauerhafte Stimmungen und Motivationen im Menschen zu schaffen, indem es eine allgemeine Seinsordnung formuliert. Diese geschaffenen Vorstellungen werden mit einer solch überzeugenden Wirkung ("Aura von Faktizität") umgeben, dass diese Stimmungen und Motivationen real erscheinen. Solche "heiligen" Symbolsyteme haben die Funktion, das Ethos - das heisst das moralische Selbstbewusstsein einer Kultur - mit dem Bild, das diese Kultur von der Realität hat, mit ihren Ordnungsvorstellungen zu verbinden. Das Ethos umfasst Stil, Charakter und Lebenswirklichkeit eines Volkes sowie Ethik, Ästhetik und Stimmungen. Die Vorstellung von der Welt wird zum Abbild der tätsächlichen Gegebenheiten einer Lebensform. Die religiösen Symbolsysteme bewirken eine Übereinstimmung zwischen einem bestimmten Lebensstil und einer bestimmten Metaphysik, die einander stützen. Religion stimmt demnach menschliche Handlungen auf eine vorgestellte kosmische Ordnung ab. Die ethischen und ästhetischen Präferenzen der Kultur werden dadurch objektiviert und erscheinen als Notwendigkeit, die von einer bestimmten Struktur der Welt erzeugt wird. Die Glaubensvorstellungen der Religionen bleiben demgemäß nicht auf ihre metaphysischen Zusammenhänge beschränkt, sondern erzeugen Systeme allgemeiner Ideen, mit denen intellektuelle, emotionale oder moralische Erfahrungen sinnvoll ausgedrückt werden können. Da somit eine Übertragbarkeit von Symbolsystem und Kulturprozess vorliegt, bieten Religionen nicht nur Welterklärungsmodelle, sondern gestalten auch soziale und psychologische Prozesse . Durch die unterschiedlichen Religionen wird eine Vielfalt unterschiedlicher Stimmungen und Motivationen erzeugt , sodass es nicht möglich ist, die Bedeutsamkeit von Religion in ethischer oder funktionaler Hinsicht festzulegen.
- Jacques Waardenburg bezeichnet die Definition von Religion als 'Glauben' als ein Produkt westlicher Tradition. Dieser Begriff treffe daher nicht auf die Vorstellungen anderer Kulturen zu und sei für die Beschreibung von Religionen eher ungeeignet. Religionen können nach seiner Auffassung als Bedeutungsgefüge mit darunterliegenden Grundintentionen für Menschen angesehen werden.
- Der amerikanische Religionswissenschaftler Ninian Smart entwirft ein multidimensionales Modell von Religion und unterscheidet dabei sieben Dimensionen: 1. die praktische und rituelle, 2. die erfahrungsmäßige und emotionale, 3. die narrative oder mythische, 4. die doktrinale und philosophische, 5. die ethische und rechtliche, 6. die soziale und institutionale und 7. die materielle Dimension (z.B. sakrale Bauwerke).
Phänomenologie und religionsspezifische Begrifflichkeit
Religiöse Menschen glauben in der Regel an eine oder mehrere Gottheiten oder beziehen sich auf ein transzendentes, unpersönliches Prinzip. Religionen, die einen Gott verehren, werden als monotheistisch bezeichnet, Religionen, die mehrere Götter verehren, als polytheistisch, Religionen, die das Göttliche in der gesamten Welt sehen, als pantheistisch. Außerdem existieren, heute nicht mehr weit verbreitete Naturreligionen bzw. animistische Religionen. Daneben kennen viele Religionen auch Dämonen und Engel.
Auch atheistisch geprägte Weltanschauungen entwickeln bisweilen an religiöse Rituale erinnernde Formen. Man denke zum Beispiel in diesem Zusammenhang an die Aufmärsche und Feiern kommunistischer Staaten oder an die sozialistischen Jugendweihen. Ebenfalls hatte der Nationalsozialismus Züge eines extremistischen religiösen Systems. Dies zeigt sich beispielsweise an der quasigöttlichen Verehrung des Führers . Neuere Forschungen zur Entstehung des Nationalsozialismus widmen dieser Thematik besondere Aufmerksamkeit. Die These, dass nichtreligiöse Weltanschauungen und Systeme sich religiöser Ausdrucksformen bedienen, ist wissenschaftlich umstritten.
Häufig vermitteln Religionen eine Vorstellung, wie die Welt entstanden ist, eine Schöpfungsgeschichte und ein Bild der letzten Dinge, eine Eschatologie. Dazu gehört die Frage, was mit dem Menschen nach dem Tod geschieht, Themen wie Reinkarnation, Nirwana , Ewigkeit, Jenseits, Himmel oder Hölle, und was letztlich mit der Welt geschehen wird (Weltuntergang, Apokalypse, Reich Gottes).
Die meisten Religionen kennen Priester,Prediger,Geistliche, oder Schamanen, die die Religion überliefern,lehren, ihre Rituale ausführen undr zwischen Menschen und Gottheit vermitteln. Manche Religionen sprechen einzelnen dieser Menschen gottähnliche, übernatürliche Eigenschaften zu. In manchen Religionen sind diese Personen innerhalb einer formellen Organisation tätig, in anderen unabhängig. Sie werden bezahlt oder üben ihre Tätigkeit unentgeldlich aus. Es existieren aber auch Religionen oder Gruppen innerhalb von Religionen, in denen es keine Vermittungspersonen zwischen dem Übernatürlichem und dem Menschen gibt.
Häufig pflegen Religionen und Konfessionen eine eigene Art von Spiritualität. Spiritualität insbesondere im Christentum ist das geistliche Erleben, im Gegensatz zur Dogmatik, welche die festgesetzte Lehre einer Religion darstellt. Das Ritual hingegen ist durch die Religion formalisierte Spiritualität. Im heutigen westlichen Sprachgebrauch wird Spiritualität als seelische Suche nach Gott oder einem anderen transzendenten Bezug bezeichnet, ob im Rahmen von spezifischen Religionen oder jenseits davon. In einigen Religionen finden sich Strömungen, deren Anhänger die Begegnung mit der Transzendenz oder dem Göttlichen in mystischen Erfahrungen finden.
Zu religiösen Riten gehören unter anderem Gebet , Meditation, Gottesdienst, religiöse Ekstase,Opfer, Liturgie und Prozessionen. Daneben gibt es auch im Alltag gelebte Frömmigkeit wie Almosen geben, Barmherzigkeit oder Askese.
Religiöser Wahn wird in der Psychiatrie als psychotische Erkrankung behandelt, in konservativen Kreisen des Katholizismus als Besessenheit mit festgelegten Praktiken des Exorzismus, in der Umgangssprache "Teufelsaustreibung", bekämpft.
Viele neue Religionen sind durch die Abtrennung einer Gruppe aus einer ursprünglichen Religionsgemeinschaft entstanden. Eine solche Spaltung wird als Schisma bezeichnet. Bestrebungen, Schismen im Christentum zu überwinden, werden Ökumene genannt, Bemühungen, die Differenzen zwischen verschiedenen Religionen zu verringern, dagegen Interreligiöser Dialog. Daneben wird auch der Ausdruck interreligöse Ökumene verwendet. Dazu zählt die abrahamitische Ökumene , das heißt, der Dialog zwischen den drei Offenbarungsreligionen.
Der Begriff Synkretismus beschreibt das gleichzeitige Ausüben von Praktiken verschiedener Religionen oder den Versuch Religionen zu vereinen.
Seit der Aufklärung wird - vor allem im westlichen Kulturkreis - zwischen institutionalisierter Religion und persönlicher Haltung zum Transzendenten unterschieden.
Hinzu kommen in den letzten zwanzig Jahren postmodernde Ansätze, nach denen Gruppen oder Individuen Ideen, Rituale usw. aus Religionen und anderen Weltanschauungen neu zusammenstellen und auf ihre Bedürfnisse zuschneiden. Dieses eklektizistische Vorgehen wird von Vertretern traditioneller Religionen zuweilen "Supermarkt der Weltanschauungen" genannt.
Religionen in Zahlen
Viele Menschen haben das Bedürfnis, zu erfahren, wie viele "Gläubige" sich zu einer Religion bekennen. Obwohl immer wieder Statistiken auftauchen, ist die Quellenlage zumeist fraglich. Auch gibt es Religionen wie das Christentum oder den Buddhismus nicht (man vergleiche das "Christentum" in Südamerika und Skandinavien). Daher sollte stets beachtet werden, dass solche Statistiken im besten Falle nur etwas über die Anzahl der Mitglieder einer Religionsgemeinschaft (ähnlich einer Vereinsmitgliedschaft) und über die Ideologie der Statistikveröffentlicher aussagen.
Statistik A - Religionen der Welt
(Quelle: adherents.com)
- Christentum (2,0 Milliarden Anhänger)
- Islam (1,3 Milliarden Anhänger)
- Hinduismus (0,9 Milliarden Anhänger)
- Buddhismus (0,36 Milliarden Anhänger)
- Chinesische Religionen (0,23 Milliarden Anhänger)
Statistik B - Religionen der Welt
(Quelle: INFOPEDIaSABANCI)
- Islam (1,1 Milliarden Anhänger)
- Christliche katholische Kirche (1,0 Milliarden Anhänger)
- Hinduismus (0,7 Milliarden Anhänger)
- Christliche Protestanten (0,37 Milliarden Anhänger)
- Buddhismus (0,3 Milliarden Anhänger)
- Atheisten (0,22 Milliarden Anhänger)
- Anhänger chinesischer Volksreligion (0,18 Milliarden Anhänger)
- Andere Christliche Gemeinden (0,175 Milliarden Anhänger)
- Christlich Orthodoxe (0,15 Milliarden Anhänger)
- Anhänger neuer Religionen (0,14 Milliarden Anhänger)
- Anhänger von Stammesreligionen (0,13 Milliarden Anhänger)
- Christliche Anglikaner (0,12 Milliarden Anhänger)
- Sikhs (0,11 Milliarden Anhänger)
- Juden (0,1 Milliarden Anhänger)
Statistik C - Religionen in Deutschland
(Quelle: REMID)
- Römisch-Katholische Kirche (26,46 Millionen Anhänger)
- Evangelische Landeskirchen (26,21 Millionen Anhänger)
- Islam (gesamt: 3,3 Millionen Anhänger)
- Hinduismus (gesamt: 0,92 Millionen Anhänger)
- Neuapostolische Kirche (0,38 Millionen Anhänger)
- Buddhismus (gesamt: 0,21 Millionen Anhänger)
- Judentum (gesamt: 0,189 Millionen Anhänger)
Religion und Ethik
Die meisten Religionen der Gegenwart haben ein ethisches Wertesystem, dessen Einhaltung sie fordern. Dieses System umfasst Vorstellungen darüber, was richtig und falsch und was gut und böse ist, wie ein Angehöriger der jeweiligen Religion zu handeln und teilweise zu denken hat. Obgleich sich diese Vorstellungen historisch wandeln, stehen hinter solchen religiösen Pflichten in vielen Religionen ähnliche moralische Prinzipien. Diese sollen das konfliktarme Miteinander der Mitglieder der Religionsgemeinschaft regeln, sollen Gesellschaft und zum Teil Politik positiv beeinflussen und die Menschen individuell dem jeweiligen religiösem Ziel näher bringen. Zum Teil bieten sie für den Einzelnen einen moralischen Rahmen, der ihn psychisch und physisch stabilisieren kann.
In einigen Religionen sollen diese moralischen Gesetze der jeweiligen Überlieferung nach direkt dem Religionsstifter von Gott überbracht worden sein und somit höchste Autorität besitzen. Nach dieser Vorstellung müssen sich auch weltliche Herrscher diesen ethischen Anforderungen beugen. Gehorsam wird teilweise unter Androhung von diesseitigen oder jenseitigenStrafen gefordert oder als einziger Weg zum Heil dargestellt.
Häufig existieren noch weitere Regeln, die nicht direkt vom Stifter der Religion stammen, sondern aus den heiligen Schriften und anderen Tradierungen der jeweiligen Religion abgeleitet werden (z.B. Talmud, Sunna). Einige dieser Normen verloren im Laufe der historischen Entwicklung für viele Gläubige ihren Sinn und wurden in einigen Fällen den sehr unterschiedlichen Wertesystemen der entsprechenden Zeit angepasst.
Ethik im Judentum, Christentum und Islam:
Die gelebte Ethik der abrahamitischen Religionen unterscheidet sich unter anderem dadurch, ob die jeweilige Religion mit einem weiten individuellem Denk- und Handlungsspielraum, traditionell oder fundamentalistisch ausgelegt wird. Auch innerhalb der einzelnen Religionen gibt es häufig unterschiedliche Schulen, welche die jeweilige Morallehre verschieden auslegen und anwenden. So gab es z.B. im Christentum Strömungen, die das Alte Testament aufgrund der darin sehr gewalttätig wirkenden Gottheit verbannen wollten.
Die abrahamitischen Religionen verbindet in ihren ethischen Systemen z.B. der Gedanke an eine Endzeit. Dieses lineare Verständnis von Zeit bedeutet, dass die Gläubigen im Diesseits nach den von ihrer Gottheit geforderten Regeln leben, um den Lohn dafür in einer späteren Zeit zu erhalten; obgleich die Gottheit auch im Diesseits schon wirken kann. Dennoch gibt es auch zahlreiche Unterschiede zwischen den verschiedenen ethischen Systemen. So gilt z.B. Missionierung im Christentum und im Islam als "gut", im Judentum dagegen wird sie abgelehnt.
Ethik bei den "östlichen Religionen":
Religionen wie der Buddhismus, der Hinduismus oder auch der Daoismus, die ihre Regeln an einer angenommen Gesetzmäßigkeit bzw. einem Weltprinzip (z.B. Dhamma, Dao) ausrichten, stellen differenzierte ethische Anforderungen, wie unter anderem die Überwindung von Hass, Habgier und Lüge. Von den Anhängern wird erwartet, die Gesetzmäßigkeiten des Daseins zu erkennen und entsprechend zu handeln. So existieren z.B. Tötungsverbote, die sich teilweise auch auf Tiere beziehen.
Abweichendes Verhalten wird in solchen Religionen weniger von der Religionsgemeinschaft sanktioniert, sondern soll negative Konsequenzen für das Individuum z.B. in einem der nächsten Existenzen nach sich ziehen (im Hinduismus, Buddhismus, Jainismus innerhalb der Vorstellung von Karma); im Daoismus äußern sich diese Konsequenzen im diesseitigen Leben oder innerhalb der daoistischen "Hölle". Die populäre Annahme, dass "östliche Religionen" bedingt durch deren Ethik weniger zu Gewalt neigen, kann wissenschaftlich nicht bestätigt werden. Eine Ausnahme bildet der Jainismus.
Ethik bei indigenen Kulturen:
Indigene Kulturen, die oftmals auch mit den problematischen Begriffen "Naturvölker" oder "Stammeskulturen" bezeichnet werden, weisen häufig Moralsysteme auf, welche die Gemeinschaft schützen sollen. Da nur durch ein funktionierendes Sozialbewusstsein das Überleben der Gruppe gesichert werden kann, steht ein prosoziales Verhalten im Mittelpunkt der oral weitergegebenen Verhaltensweisen.
Religion nach der Aufklärung
Im Gegensatz zu christlichen Gesellschaften vor der Aufklärung, in denen alle Bereiche menschlichen Lebens unter der Autorität der Religion standen, ist seitdem eine Tendenz bemerkbar, die zunehmend Bereiche der Gesellschaft aus dem Herrschaftsbereich der Religion ausgliedert. Beispielsweise beanspruchen die Natur- und Geisteswissenschaften verbunden mit der Idee eines natürlichen Grundrechts Autorität in Fragen zu Evolution oder Ethik/ Recht - Bereiche, die zuvor der Religion unterstanden. Diese Entwicklung wird als Säkularisierung bezeichnet.
In Europa verlor das Christentum im späten 19. Jahrhundert und im gesamten 20. Jahrhundert hinsichtlich seiner Reputation, seines gesellschaftlichen und politischen Einflusses und seiner Verbreitung an Bedeutung. Einige traditionell christliche westliche Länder verzeichnen unter anderem sinkenden Klerikernachwuchs, Verkleinerung der Klöster und ein Anwachsen von Kirchenaustritten oder anderer Formen von Distanzierung.
Besonders in Frankreich, wo Napoleon die Schließung und Enteignung von Klöstern vorangetrieb und wo Anfang des 20. Jahrhunderts eine strikte Trennung von Kirche und Staat durchgesetzt wurde, werden diese Tendenzen deutlich. Studien im Vereinigten Königreich belegen auch hier stark rückläufige Besucherzahlen in Kirchen, Synagogen, etc.
Die Bevölkerungsgruppe, die sich am ehesten von der Religion abwandte, war ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die sich neu bildende Industriearbeiterschaft, während heute beispielsweise in Deutschland mit der Höhe des Bildungsstands die Kirchenaustritte zunehmen. Diese Entwicklung verläuft nicht in allen europäischen Ländern gleichmäßig. Auch innerhalb der einzelnen Staaten gibt es unterschiedliche Tendenzen. Die genauen Gründe für die Abnahme sind vielschichtig, ihre Zusammenschau ist kompliziert, ihre Interpretation wissenschaftlich umstritten.
Erklärungsversuche für dieses Phänomen beziehen sich oft auf die Industrielle Revolution im 19. Jahrhundert und den damit verbundenen ökonomischen, sozialen, kulturellen und rechtlichen Wandel. Eine wahrscheinliche Hypothese ist, dass der Rückgang parallel zu wachsendem Wohlstand und sozialem Wohlbefinden verläuft.
Beispiele hierfür sind der wachsende Einfluss der Wissenschaft in der modernen Gesellschaft, die Entwicklung von Stömungen, die manchmal als "nichtkirchliche Religionen" bezeichnet werden, wie beispielsweise dogmatische marxistische Parteien und die Kritik gegenüber missionierenden Religionen durch die, bisweilen als Beliebigkeit bezeichnete, Toleranz der Postmoderne.
Hinzu kommt das in den meisten europäischen Ländern gesetzlich verankerte und größtenteils akzeptierte Grundrecht der Religionsfreiheit. Früher waren auch nichtreligiöse Menschen in aller Regel in religiöse Organisationen eingebunden, da eine demonstrative Abwendung von der Religion zu Diskriminierungen führen konnte. Diese Gruppe sieht in vielen europäischen Ländern heute keinen Grund mehr, sich einer Religionsgemeinschaft anzuschließen.
Parallel zur Säkularisierung kam es sowohl im protestantischen als auch im katholischen Raum zu einer vertieften und bewussteren Teilnahme am kirchlichen Leben von Seiten einer Minderheit von engagierten und manchmal rebellischen Laien. Auch junge Menschen wenden sich im Zuge ihrer Sinnsuche häufiger wieder der Religion zu.
Im Gegenzug zur Säkularisierung in Europa gewinnt die Religion in der übrigen Welt partiell an Einfluss. In den USA und Lateinamerika beispielsweise zeigen empirische Studien, dass die Religion nach wie vor ein wichtiger Faktor ist. In Afrika südlich der Sahara wuchs das Christentum im 20. Jahrhundert von 8 auf 335 Millionen Gläubige. In der oft konservativen arabischen Welt ist der Islam nach wie vor das prägende Element der Gesellschaft. Auch in China zählen, trotz jahrelangem staatlich verordnetem Atheismus, die Weltreligionen wieder circa 100 Millionen Anhänger.
Gründe für das Weiterleben von Religion
Dass viele Menschen trotz Aufklärung und moderner Religionskritik an ihrem Glauben festhalten, hat mit positiven Erfahrungen zu tun, die sie mit ihrer Religion verbinden. Für die Gläubigen spielen dabei oft die folgenden Faktoren eine entscheidende Rolle:
- Sinngebung: Religionen postulieren eine Realität jenseits des physisch Wahrnehmbaren sowie oft ein Leben nach dem Tod. Sie ermöglichen so eine Sinngebung, die als fundierter empfunden wird als eine Sinngebung, die durch die als unbefriedigend erlebte Welt und die eigene Sterblichkeit limitiert ist.
- Gemeinschaft: Religionsgemeinschaften bieten ihren Anhängern häufig stabile soziale Strukturen.
- Soziales Engagement: Viele Religionen bieten ihren Mitgliedern Motivationen und Gelegenheiten für soziales Engagement. Oft wird im Umkehrschluss empfunden, dass solche Motivationen und Gelegenheiten nur im Rahmen religiöser Gemeinschaften möglich seien.
- Ethik: Fast alle Religionen setzen einen, oft rigorosen, ethischen Standard. Manche Menschen befürchten, ohne solches religiöses Fundament würden ethische Standards in der Praxis stark reduziert ("Ohne Gott ist alles erlaubt.").
- Mäßigung und Disziplin: Viele Religionen setzen dem Verhalten ihrer Anhänger Grenzen. Ihre Gläubige sind der Ansicht, diese Beschränkungen seien nützlich, um den relativen Wert der betreffenden Aktivitäten zu erkennen, oder in manchen Fällen um die Gesellschaft und den einzelnen selbst vor destruktiven Exzessen zu schützen.
- Spirituelle Erlebnisse: Religiöse Aktivitäten, wie Gebet oder Meditation oder auch die Sinneseindrücke und Symbolik von religiösen Zeremonien, führen bei manchen Menschen zu spirituellen Empfindungen.
Positive und negative Wirkungen von Religion
Oft wird der Streit zwischen Befürwortern und Gegnern einer Religion in Form einer Schaden-Nutzen-Analyse ausgetragen. Allerdings sagt das wenig über den Wahrheitswert von religiösen Botschaften aus. Dies sollte im Folgenden bedacht werden.
Heutiger Nutzen von Religion
Religiöse Gemeinschaften können ihren Mitgliedern Inspiration für Mitgefühl, praktische Nächstenliebe und moralische Selbsteinschränkung bieten.
Alle Weltreligionen und darüber hinaus die meisten kleineren Religionen, fordern Barmherzigkeit von ihren Mitgliedern, das heißt, sie sollen sich fürsorglich um andere Menschen kümmern. Hierbei ist es weitgehend unerheblich, ob diese der eigenen Religionsgemeinschaft angehören oder nicht. So ist im Islam z.B. vorgeschrieben, dass jeder einen festen Anteil seines Einkommens für soziale Zwecke spenden soll. Besondere Hilfe und Fürsorge wird den Mitgliedern der eigenen Religionsgemeinschaft zuteil. Ein besonderer Aspekt der Religion ist der Frieden stiftende, welche besonders im Gebot der, in einigen Religionen postulierten,Feindesliebe Ausdruck findet. Alle diese Werte und Haltungen werden in unterschiedlicher Weise auch in nicht religiös orientierten Gruppierungen vertreten.
Es lässt sich beobachten, dass beispielsweise das Christentum in der Vergangenheit für die Gründung vieler großer Universitäten und Schulen, den Aufbau von Hospitälern ,den Vorläufern der heutigen Krankenhäuser, das Verteilen von Nahrungsmitteln und die Schaffung von Waisenhäusern verantwortlich war. Andere Religionen und weltliche Organisationen haben im Rahmen ihrer Kulturen und im Verhältnis zu ihrer Größe und ihrem Reichtum vergleichbare Leistungen vorzuweisen.
Forschungen von Abraham Maslow nach dem Zweiten Weltkrieg zeigten, dass die Überlebenden des Holocaust oft diejenigen mit starken religiösen Überzeugungen (nicht notwendigerweise Tempelbesuch etc.) waren. Die humanistische Psychologie untersuchte, ob eine religiöse oder spirituelle Persönlichkeitsprägung mit längerer Lebensdauer und besserer Gesundheit verknüpft ist. Viele Menschen brauchen möglicherweise insbesondere religiöse Bindungen, weil diese verschiedene emotionale Bedürfnisse, wie das Bedürfnis, geliebt zu werden, das Bedürfnis, zu einer gleichförmigen Gruppe zu gehören, das Bedürfnis nach verständlichen Erklärungen oder das Bedürfnis nach Gerechtigkeit befriedigen.
Maslows Ergebnisse haben sich in anderen Zusammenhängen nicht als wiederholbar erwiesen. Die These einer Korrelation zwischen Religion und Gesundheit bzw. Lebensdauer eines Individuums ist daher wissenschaftlich umstritten. Der besondere Umstand, dass Maslow ausschließlich Überlebende des Holocaust befragt hatte, und dass Religion das primäre Auswahlkriterium für die Forschungssubjekte war, könnte zu einer Verzerrung der Ergebnisse geführt haben.
Kriege und andere Gewalttaten wurden und werden häufig mit religiösen Auffassungen begründet. Dies werten Gläubige zumeist als Missbrauch ihrer Religion, während Religionskritiker von einer allen Religionen immanenten Tendenz zu Fanatismus und Grausamkeit ausgehen. Ein herausragendes Beispiel von zahlreichen Morden im Namen der Religion stellte die von der römisch-katholischen Kirche eingerichtete Inquisition dar.
Als Verbrechen, die im Namen z.B. des Christentums begangen wurden, gelten unter anderem:
- Kreuzzüge
- Ketzerverfolgung
- Hexenverfolgung
- Judenverfolgung
- Sodomiterverfolgung
- Dreißigjähriger Krieg
- Gewalttätige Formen der Missionierung
- Teilweise Unterstützung von Diktaturen, ambivalente Rolle der Kirche im Nationalsozialismus
Erst die unterschiedlich konsequente Trennung von Kirche und Staat, eine Spätfolge der Aufklärung, hat solche Verbrechen zahlenmäßig reduziert, indem sie die Religion mehr oder weniger in den privaten Bereich verwies.
Religiöse Verbrechen finden auch weiterhin dort statt, wo religiöse Kräfte Einfluss auf nationale und supranationale Strukturen haben bzw. nationale und supranationale Mächte sich der Religion als Werkzeug bedienen.
- Seit der islamistischen Revolution von 1979 wurden in Iran tausende von Menschen wegen sogenannter Verbrechen gegen die Religion inhaftiert, gefoltert und oft sogar ermordet. Frauen werden systematisch benachteiligt und schon wegen einer Nichteinhaltung von Bekleidungsvorschriften bestraft. Wegen sogenannter moralischer Verfehlungen können sie legal öffentlich gesteinigt werden. Homosexualität gilt als Verbrechen. Religiöse Minderheiten und politische Dissidenten werden strafrechtlich und von den sogenannten Religionswächtern verfolgt.
- Im christlichen Namibia kam es in den 1990er Jahren zu Gewalttätigkeiten gegenüber Homosexuellen, die von religiösen Autoritäten aber teilweise auch von der Regierung für eine langdauernde Dürre verantwortlich gemacht wurden.
- In Indien gibt es von Zeit zu Zeit Ausschreitungen von Hindus vor allem gegenüber Muslimen. Vereinzelt kommt es auch zu Gewalttätigkeiten gegenüber Christen. So verbrannten 1999 Hindus 1999 den christlichen Leiter eines Lepraspitals zusammen mit seinen Söhnen lebendigen Leibes in seinem Auto.
Solange extremistische religiöse Organisationen über politische Macht und gesellschaftlichen Einfluss verfügen und politische Macht sich der Religion bedient, besteht die Gefahr, dass sich solche Verbrechen wiederholen. Dafür gibt es aktuelle Beispiele wie den internationalen Terrorismus durch pseudoreligiöse fundamentalistische Gruppierungen.
Eine Übersicht der Artikel zum Themenbereich Religion bietet das Portal Religion, siehe auch: Atheismus , Agnostizismus
Literatur
- Cancik, Hubert (Hrsg), Die Religionen der Menschheit, 36 Bde, Kohlhammer-Verlag, Stuttgart, wird seit 1979 fortlaufend überarbeitet.
- Weber, Hartwig, Lexikon Religion, Reinbek, 2001, ISBN 3499606291
- Markus Witte (Hrsg.): Der eine Gott und die Welt der Religionen. 1. Aufl. Religion & Kultur-Verlag, Würzburg 2003 ISBN 3933891140
- René Girard, Das Heilige und die Gewalt, Fischer TB, ISBN 3596109701
- Erwin Fahlbusch (Hrsg.): Taschenlexikon Religion und Theologie, 5 Bde, Vandenhoeck & Ruprecht, 1983, ISBN 3-525-50123-4
- Wulf Meth (Hrsg.): Handbuch Weltreligionen: eine umfassende Einführung in Gedanken und Riten der Weltreligionen, R. Brockhaus, 2003, ISBN 3-417-24779-9
Weblinks
- Bessere Welt Links zu Religionen
- Informationsplattform Religion (REMID)
- Staatlich anerkannte Religionsgemeinschaften in Österreich
- Stiftung für eine Weltethik
- Religion & Ethics (BBC; englisch)
- Evangelische Informationsstelle Kirchen - Sekten - Religionen
- Religionspädagogische Plattform im Internet: Zahlreiche Artikel über Religionen, Weltanschauungen und Persönlichkeiten
- Glossar religiöser Begriffe
- Psychologie, Religion und Glauben
- Religionsübergeifendes Forum