Einleitung
Seit einigen Jahren tauchen Berichte über Kiefernekrosen bei Patienten auf, die unter einer systemischen Therapie mit Bisphosphonaten stehen (Bisphosphonate-associated Osteonecrosis of the Jaw, BONJ). Diese Kiefernekrosen sind der infizierten Osteoradionekrose (IORN) bei Patienten mit kurativ oder palliativ bestrahlten Kopf-Hals-Tumoren im Aspekt ähnlich und zeigen zum Teil schwerwiegende Verläufe, die auch mit radikalen chirurgischen und pharmakologischen Mitteln nur schwer in den Griff zu bekommen sind. Es ist zu beobachten, dass Patienten mit Tumorleiden oder (auch therapiebedingter) Immunsuppression häufiger betroffen sind als Osteoporosepatienten. Die BONJ ist fast nur mit intravenös verabreichten Amino-Bisphosphonaten (aBP) assoziiert. Tritt eine BONJ auf, ist in der Regel ein zahnärztlicher oder kieferchirurgischer Eingriff vorausgegangen. Es sind jedoch auch spontane BONJ beschrieben.
Bisphosphonate aus pharmakologischer Sicht
Bisphosphonate sind Pyrophosphat-Analoga, bei denen eine Substitution des Sauerstoffs durch Kohlenstoff in der P-O-P-Bindung erfolgt. Dadurch findet im Körper keine enzymatische Hydrolyse statt. Bisphosphonate haben eine hohe Affinität zur Knochenoberfläche, insbesondere im Bereich der Resorptionslakunen. Sie hemmen die Osteoklasten und führen dadurch zu einer verminderten Knochenresorption. Bei Vorliegen einer erhöhten Knochenabbaurate durch osteoporotische Umbauvorgänge oder Knochenmetastasen kann durch den Einsatz von BP eine sehr effektive Reduktion der osteoklastischen Prozesse erreicht werden. Hierbei wirken BP wie eine mechanische Barriere zwischen Knochenoberfläche und Osteoklasten. Ferner kommt es zu einer erhöhten Apoptoserate der Osteoklasten. Bisphosphonate bewirken so eine effektive Hemmung des fortschreitenden Knochenabbaus. Daneben tritt - wahrscheinlich über die normale Aktivität der Osteoblasten - in der Regel auch eine gewisse Zunahme der Knochendichte von ca. 2-3% pro Jahr auf, zumindest während der ersten 3 Jahre der Behandlung. BP haben eine sehr lange pharmakologische Halbwertszeit im Knochen, die teilweise bei über zehn Jahren liegt und dazu führt, dass die Indikation zum Einsatz dieses Wirkstoffs streng gestellt werden sollte. Zur Zeit ist diese Wirkstoffgruppe zur Behandlung bei Patienten mit manifesten Knochenmetastasen bei Tumorleiden oder mit postmenopausaler Osteoporose zugelassen.
Pathogenese der Kiefernekrose
Die der Knochennekrose bei Patienten unter systemischer Bisphosphonat-Therapie zugrunde liegenden Faktoren sind noch weitestgehend unbekannt. Diskutiert wird der Mechanismus der osteoklastären und osteoblastären Hemmung, die möglicherweise nicht nur zu einer reduzierten Osteolyserate führt, sondern durch Osteoblastendepression auch die Regenerationspotenz des Knochens reduziert. Dies scheint jedoch nur im Fall der Manipulation des Knochens bei operativen Eingriffen bedeutsam zu sein, zeigt sich doch durch Persistenz von Extraktionsalveolen und ausbleibende Reparation eine ganz klare Absenz ossärer Restitutionsmechanismen. Warum die Proliferation von Gefässen und die Initiation von Osteoprogenitorzellen nicht erfolgt, ist noch unklar. Klinisch imponiert ein der Osteoradionekrose vergleichbares Bild, das einen bradytrophen, abwehrgeschwächten und nicht regenerierenden Knochen zeigt. Bei nicht erfolgter plastischer Deckung von Extraktionsalveolen kann der klinische Aspekt eine Alveolitis sicca vorspiegeln.
Der Patient vor der Behandlung mit BP
Aufgrund der aufgezeigten Problematik sollte der behandelnde Arzt vor Verordnung einer Therapie mit intravenösen BP den Hauszahnarzt konsultieren. Anhand der klinischen und radiologischen oralen Befundaufnahme sollte die notwendigen Behandlungsmassnahmen geplant werden. Wichtig ist zu erwähnen, dass die Sanierung nicht in dem radikalen Ausmass durchgeführt werden muss, wie dies bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren vor einer Bestrahlung der Fall ist. Dies liegt auch am Fehlen der Gefahr einer Strahlenkaries. Aus dieser Tatsache ergibt sich, dass eine konservierende Sanierung nicht zwingend im Vordergrund steht, da diese auch nach Therapiebeginn mit BP möglich ist. Nicht erhaltungswürdige Zähne, Wurzelreste und teilretinierte Weisheitszähne sollten vor Beginn der Therapie mit intravenösen Bisphosphonaten entfernt werden. Die prophylaktische Entfernung vollständig knöchern impaktierter Weisheitszähne ist aufgrund des meist fortgeschrittenen Alters der Patienten, des nicht unerheblichen Operationstraumas und des insgesamt relativ geringen Risikos der Entwicklung Komplikationen kritisch zu beurteilen. Bei jüngeren Patienten und nicht komplikationsträchtiger Retentionslage wird man im Einzelfall eher zur Entfernung des retinierten Weisheitszahnes tendieren. Eine abschliessende Empfehlung kann hier nicht gegeben werden. Klinisch und radiologisch symptomlose wurzelbehandelte Zähne stellen kein übermässiges Risiko dar. Diese kann man unter der Prämisse der jährlichen radiologischen Kontrolle belassen. Zähne mit chronischen apikalen Parodontitiden und radikulären Zysten werden besser entfernt, da das Risiko eines Misserfolges nach Wurzelspitzenresektion grösser einzuschätzen ist. Nicht zu unterschätzen ist die Möglichkeit einer durch Prothesendruckstellen verursachten BONJ; Patienten mit abnehmbaren Zahnersatz sollen daher regelmässig kontrolliert werden.
Der Patient unter laufender BP-Therapie
Bedauerlicherweise sieht man eine erhebliche Zahl an Patienten, bei welchen eine Therapie mit BP begonnen wurde, ohne dass eine zahnärztliche Untersuchung und gegebenenfalls notwendige Therapie durchgeführt wurden. Sind bei Patienten unter laufender BP-Therapie chirurgische Interventionen notwendig, muss man sich dessen bewusst sein, dass die Gefahr der BONJ (ähnlich wie bei der IORN) nicht mit zunehmender Zeit abnimmt, sondern bestehen bleibt. Auch muss klar sein, dass jede periostale Entblössung oder chronische Wunde von Kiefer oder Schleimhaut einen Locus minora resistentiae darstellt und die Entwicklung einer BONJ begünstigt.
Müssen Wurzelreste, beherdete oder kariös zerstörte Zähne entfernt werden, so geschieht dies unter antibiotischer Abschirmung und möglichst atraumatischem Vorgehen. Die Indikation zur Zahnentfernung muss sehr streng gestellt werden. Extraktionsalveolen werden mit epipriostal präparierten Weichgewebslappen plastisch gedeckt. Zehn Tage nach dem Eingriff erfolgt die Nahtentfernung. Bis zu diesem Tag muss auch die Antibiotikagabe erfolgen. Vollständig knöchern impaktierte Weisheitszähne werden belassen. Von Eingriffen im Sinne chirurgischer Zahnerhaltung ist abzusehen. Intensive Karies- und Parodontalprophylaxe ist auch bei diesen Patienten zu empfehlen. Entsprechend erfolgt eine regelmässige Nachkontrolle, insbesondere bei Trägern herausnehmbaren Zahnersatzes. Implantatinsertionen sind bei Patienten dieser Gruppe streng kontraindiziert.
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